Streit um das Zusatzprotokoll zur Kontrolle von Atomanlagen

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Streit um das Zusatzprotokoll zur Kontrolle von Atomanlagen

Die Debatte um die atomare Bewaffnung und das IAEA-Zusatzprotokoll zur Kontrolle von Atomanlagen beschäftigt im Iran seit Wochen die Zeitungen. Der Generaldirektor der IAEA, Muhammad Al-Baradei, und der deutsche Außenminister Fischer hatten den Iran schon am 2.September zum „schnellen Handeln“ aufgefordert. „Der Iran beteuert seine friedlichen Absichten“, sagte Fischer bei einem Treffen in Berlin, „das aber bedeutet nichts. Man muss die Dinge unterlassen.“ Während Al-Baradei den Iran am 8. September erneut aufrief, alle seine Atompläne für die IAEA zugänglich zu machen, zögert die iranische Führung eine endgültige Entscheidung weiter hinaus. Es stehen sich zwei Positionen gegenüber: Auf der einen Seite stehen die islamistischen Reformer, die die Unterzeichnung eines Zusatzprotokolls befürworten, weil sie eine Intervention fürchten und die politische Existenz der Islamischen Republik gefährdet sehen. Die Hardliner wollen in der Frage der Kontrolle atomarer Einrichtungen auf keinen Fall zurückzuweichen.

Das islamistische Reformblatt Yaase Now fasst das Problem so zusammen: „Die Sorge der Atommächte ist es, dass andere Staaten im Zuge ihrer friedlichen Atomenergienutzung auch Atomwaffen herstellen könnten. Sie selbst rüsten aber nicht ab, sondern modernisieren ihre Waffentechnologie.“ Vor diesem Hintergrund plädiert die Redaktion von Yaase Now dafür, dass die Islamische Republik versuchen solle, eine Verbindung der Positionen Europas und der USA zu verhindern. Während nämlich Europa davon ausgehe, dass der Iran das Recht besitze, die Atomenergie friedlich zu nutzen, seien die USA grundsätzlich dagegen. Daraus leitet Yaase Now ab, dass eine Unterzeichnung des Zusatzprotokolls die Drohungen gegen den Iran mindern können.(1)

Deutlich wird daraus, wie sehr die Reformislamisten darum bemüht sind, eine gemeinsame Haltung Europas und der USA gegen den Iran zu verhindern: Europa handele unter US-amerikanischem Druck, obwohl die iranischen Informationen transparent seien, so der Chef der Energiekommission Hussein Afarideh.(2) Zwei Parlamentsabgeordnete kritisierten, dass die Internationale Atomenergiebehörde auf politischen Druck der USA und Englands agiere.(3) Jafar Golbas, Berichterstatter der Kommission fürnationale Sicherheit, ist der Überzeugung, dass sich die Positionen der europäischen Staaten zum iranischen Atomprogramm denen der USA angenähert hätten. Der Iran habe es nicht geschafft, Europa dazu zu bewegen, eine andere Haltung als die USA einzunehmen.(4) FürAhmad Asimi, Mitglied der Energiekommission des Parlaments, ist diese Frage allerdings noch nicht entschieden. Der Iran, so Asimi, solle das Protokoll unterzeichnen, damit Europa und USA sich nicht gemeinsam gegen den Iran stellten: „Wenn wir das Protokoll nicht unterschreiben, werden wir auch die europäischen Staaten gegen uns aufbringen.“ (5)

Auch vom iranischen Außenminister Kamal Kharasi berichtete Yaase Now, er habe davor gewarnt, dass die Entscheidungen der IAEA von „politischer Konkurrenz“ bestimmt würden. (6) Die relevante Frage sei jedoch, ob sich die Verdächtigungen gegen den Iran nach einer Unterzeichnung des Vertrages fortsetzen würden. (7) So konnte zwar der Sprecher des Außenministeriums, Hamidresa Asefi, die Unterzeichnung des Zusatzprotokolls nicht garantieren, hält aber die grundsätzliche Bereitschaft des Iran, das Protokoll zu unterzeichnen, für „ein Zeichen der guten Absichten des Landes.“(8)

Ähnlich formulierten Ali Akbar Salehi, Sprecher des Iran bei der Atomenergiebehörde, der die Bereitschaft des Iran zur Unterzeichnung des Zusatzprotokolls bekundete (9) und Hussein Afarideh, Chef der Energiekommission, der betonte, dass es keine konkrete Absicht gebe, das Zusatzprotokoll nicht zu unterzeichnen.(10) Auch Regierungssprecher Ramesansadeh hob die Friedfertigkeit des Iran hervor und äußerte sich gegenüber Aftabe Yasd: „Wir sind bereit Gespräche bezüglich der Unterzeichnung aufzunehmen.“ (11) Weiterhin erklärte Ramesansadeh, dass der ganze Mittlere Osten ein atomwaffenfreies Gebiet werden müsse.(12)

Auch Mitglieder des iranischen Parlaments äußerten sich in den vergangenen Tagen zur Unterzeichnung des Zusatzprotokolls: So zeigte sich Ramesan Wahidi davon überzeugt, dass das iranische Zögern bei der Unterzeichnung des Protokolls Europa hinsichtlich der atomaren Bewaffnung des Iran misstrauisch gemacht habe. Und, so Wahidi: Mit der Nicht-Unterzeichnung des Zusatzprotokolls könnten im Iran irakische Verhältnisse einkehren.(13) Diese mögliche Tragweite der Entscheidung betonte auch sein Kollege Pirus Mojtahesadeh:

„Wir haben die nationale Existenz von der Unterzeichnung des Vertrages abhängig gemacht. Die Frage wird sich zu einem der schwierigsten Probleme entwickeln und könnte sich gegen unsere politische Existenz auswirken.“ (14) Vor diesem Hintergrund sprach sich auch die Abgeordnete Elahe Kolai für eine Unterzeichnung des Zusatzprotokolls aus: „Wenn wir nicht unterschreiben, wird die Akte des Iran vor dem Sicherheitsrat behandelt werden.“(15)

Nachdem das Parlament die Frage der Unterzeichnung des Zusatzprotokolls in einer nicht-öffentlichen Sitzung gemeinsam mit dem Direktor der Atomenergieorganisation, Qolamali Khoshro diskutiert hatte (16), berichtete die Zeitung Iran, dass auf dieser Sitzung von einem Abgeordneten die Position vertreten wurde, dass es gar nicht um die Unterzeichnung des Vertrages selbst gehe. Wichtiger sei die Forderung des Iran, all jene Rechte auch zu erhalten, die prinzipiell allen IAEA-Mitgliedern zustünden. Dazu zählt etwa das uneingeschränkte Recht zum Zugang zu Atomtechnologie. (17) In diesem Zusammenhang äußert sich auch der iranische Ex-Präsident Rafsanjani: 51 Staaten der Welt hätten sich sich für die friedliche Nutzung des iranischen Atomprogramms ausgesprochen. (18) Insbesondere die Blockfreien Staaten, so Rafsanjani in der Zeitung Jomhuriye Eslami, hielten es für ungerecht, wenn der Iran nicht das Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie bekommen würde. (19) Aftabe Yasd zufolge erwartet der iranische Außenminister Kharasi Erklärungen seitens der Atombehörde, ob dem Iran der volle Zugang zur Atomenergie gewährleistet werden wird. Wenn für den Iran alle Zweifel behoben seien, werde das Land in naher Zukunft das Zusatzprotokoll unterschreiben.(20)

Auf der anderen Seite relativiert die Position des Sekretärs für Rechtsfragen von Präsident Khatami, dersich selbst noch nicht zu Wort gemeldet hat, alle Äußerungen von iranischen Politikern zum Thema: „Ich habe bisher nichts davon gehört, dass der Iran offiziell das Zusatzprotokoll unterschreiben wird.“(21) Gegen die Unterzeichnung des „erniedrigenden“ Zusatzprotokolls sprach sich etwa Hussein Shariatmadari, Direktor der Zeitung Kayhan, aus: „Wenn wir die Verantwortlichen der UNO fragen, warum sie Israel nicht unter Druck setzen, das Zusatzprotokoll zu unterschreiben, sagen sie, dass Israel den NPT-Vertrag nicht unterschrieben habe. USA, England und Frankreich helfen aber Israel bei seinem Atomprogramm.“ Iran habe elf neue Routineuntersuchungen der IAEA hingenommen und es werden immer neue Forderungen gestellt, so der dem religiösen Führer Khamenei nahe stehende Zeitungsdirektor. (22)

Die orthodoxe islamistische Zeitung Jomhuriye Eslami beklagte, dass der EU-Beauftragte Solana direkt nach seinem Iranbesuch nach Israel gereist sei. Der israelische Außenminister habe daraufhin Europa gedrängt, Iran unter Druck zu setzen. Die Zeitung gab in diesem Zusammenhang die israelische Befürchtung wieder, der Iran könne innerhalb eines Jahres in den Besitz von Atomwaffen gelangen und erklärte zudem, dass Solana bei seinem Besuch in Teheran jeder Frage zu israelischen Atomwaffen ausgewichen sei.(23) Der iranische Verteidigungsminister Shamkhani warnte derweil Israel davor, die iranischen Reaktoren anzugreifen und ergänzte, dass Israel dem Iran keinen militärischen Schaden zufügen könne. (24) Die konservative Zeitung Kayhan veröffentlichte zustimmend den Brief eines Lesers, der meint, dass der Iran den Nicht-Proliferationsvertrag gar nicht erst hätte unterschreiben sollen, denn dann hätte das Land jetzt nicht so stark unter Druck geraten können. Wenn aber der Iran das Zusatzprotokoll heute unterschreibe, würden morgen noch mehr Forderungen gestellt werden. Die intelligenteste und logischste Antwort auf diese Politik sei Widerstand. (25) Ähnlich massiv wandte sich Mortesa Nabawi, Sprecher der „islamischen Vereinigung der Ingenieure“ gegen die „illegale“ Unterzeichnung des Zusatzprotokolls: Er warnte die „Feinde der Islamischen Republik.“ „Glücklicherweise“ habe der Iran jedoch ein effektives militärisches Widerstandspotential entwickelt, das „den Feind von Abenteuern im Iran abhalten wird.“

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Nachdem bekannt wurde, dass die USA keine neue Resolution gegen den Iran im Sicherheitsrat vorlegen werden, feierten beide, liberal-islamistische und Hardliner-Zeitungen wie Kayhan, die „Niederlage Amerikas gegen den Iran“.(27) Das „liberale“ Blatt Entekhab erklärte den „Rückzug der Amerikaner“ zum Sieg über den von diesen ausgeübten „unsäglichen Druck“.(28) Die USA habe sich mit einer farbloseren Resolution einverstanden erklärt, so die Zeitung. Es seien die Blockfreien Staaten gewesen, die sich erfolgreich gegen die USA gestellt und eine konstruktive Zusammenarbeit des Iran mit der IAEA gefordert hätten. Dies habe „Hoffnungslosigkeit beim zionistischen Regime hervorgerufen.“

In dem Artikel wird weiterhin darüber berichtet, dass Al-Baradei zwar eine größere Zusammenarbeit des Iran mit seiner Atombehörde begrüßt habe, gleichzeitig aber seine Sorgen über die gefundenen Uranspuren und über Versuche des Iran, auf dem „internationalen Schwarzmarkt“ Ausrüstung für sein Atomprogramm zu kaufen, geäußert habe.(29) Die Uranspuren auf Ausrüstungsmaschinen stammen, Außenminister Kharasi zufolge, indes nicht aus dem Iran: Die „verschmutzten Maschinen“ seien aus dem Ausland importiert worden.(30)

 

1) Yaase Now, 25.August 2003 16) Iran, 4.September 2003, S.2 2) ISNA, 1.September 2003 17) Iran, 4.September 2003, S.2 3) Aftabe Yasd, 5.September 2003, S.1 18) Entekhab, 7.September, S.2 4) Aftabe Yasd, 5.September 2003, S.2 19) Jomhuriye Eslami, 7.September 5) Aftabe Yasd, 7.September 2003, S.1 20) Aftabe Yasd, 7.September 2003 6) Yaase Now, 6.September 2003 21) ISNA, 3.September 2003 7) IRNA, 6.Septemner 22) Resalat, 6.September, S.1 8) Entekhab, 2.September 2003, S.3 23) Jomhuriye Eslami, 4.September 2003 9) Yaase Now, 28. August 2003 24) Resalat, 4.September 2003 10) ISNA, 1.September 2003 25) Kayhan, 3.September 2003 11) Aftabe Yasd, 2.September 2003 26) Resalat, 6.September, S.2 12) Entekhab, 2.September 2003, S.2 27) Kayhan, 6.September 13) Aftabe Yasd, 5.September 2003 S.5 28) Entekhab, 7.September, S.1 14) Aftabe Yasd, 7.September 2003, S.1 29) Entekhab, 7.September, S.3 15) Aftabe Yasd, 7.September 2003, S.2 30) ISNA, 5. September 2003


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