Iranische Presse über die Vergabe des Friedensnobelpreises an Shirin Ebadi

  • 0

Iranische Presse über die Vergabe des Friedens­nobelpreises an Shirin Ebadi

 

Am 10. Oktober 2003 wurde Schirin Ebadi vom Nobelkomitee in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die 56-jährige Juristin wurde 1969 als erst Frau Richterin im Iran. Nach der islamischen Revolution von 1979 verlor die säkulare Muslimin ihr Amt. Seither engagiert sich die Menschenrechtlerin als Anwältin für politisch Verfolgte und deren Angehörige sowie für die Rechte von Frauen und Kindern. Frau Ebadi war unter anderem maßgeblich am Kampf für die Ratifizierung der UNO-Konvention zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen im Iran beteiligt, der am Widerstand des Wächterrates und verschiedener religiöser Führer scheiterte. (Vgl. dazu MEMRI Special Dispatch vom 7. August 2003, in dem Frau Ebadi während eines Interviews mit ILNA harsche Kritik an den Gegnern der Konvention übt und ein flammendes Plädoyer für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen innerhalb des Islam hält.) (1)

Neben ihrem stetigen Ruf nach radikalen Reformen postuliert sie auch eine strikte Trennung von Staat und Religion. Dabei bezieht sie sich auf nicht-staatliche schiitische Kleriker, die einen Säkularismus befürworten. Eine solche Position wird allerdings von der staatlichen Kaste des Klerus im Iran nicht vertreten, so geht beispielsweise auch Präsident Khatami bei seinem Verständnis von „religiöser Demokratie“ von einer Einheit zwischen Staat und Religion aus.

Im folgenden dokumentieren wir Reaktionen aus der iranischen Presse während der letzten beiden Tage. Während die Fundamentalisten die Verleihung weitgehend als Einmischung in innere Angelegenheiten verurteilen, stehen auch die Reformer der Entscheidung keineswegs nur positiv gegenüber:

Die IRNA berichtete zunächst nur mit einer kurzen Meldung über die Preisverleihung und betonte, dass die Konkurrenten von Frau Ebadi, der Papst und der Ex-Präsident Wazlav Havel gewesen seien. (2)

Erst am darauf folgenden Tag wurde über die Gratulation von Abdollah Ramezanazdeh, dem Regierungssprecher des Iran, an Frau Ebadi berichtet, in der der Politiker die „hohen Potentiale der iranischen Kultur und Zivilisation“ hervorhob. (3)

Die staatliche Studentenagentur ISNA verfasste noch am Freitag mehrere Meldungen über Reaktionen iranischer Politiker und Intellektueller auf die Preisverleihung:

Seyyed Mohammad Ali Abtahi, parlamentarischer Sekretär des Präsidenten für Rechtsfragen begrüßte die Bemühungen für die Erreichung von „menschlichen Rechten“ überall auf der Welt: „Die Tatsache, dass eine Iranerin den Friedenspreis erhalten hat, ist ein starker Punkt für unser Land. Ich fühle, dass die Iraner die Fähigkeit besitzen auf allen Ebenen erfolgreich zu sein. Ich gratuliere Frau Ebadi und freue mich als Iraner. Iranische Frauen sind auf der internationalen und nationalen Bühne und bei verschiedenen Wahlen aktiv. Handlungsweisen, die Freiheiten einschränken, wurden auch stets von Reformkräften kritisiert.“ (4)

Hojatoleslam Tof Hashemi, Herausgeber der Reformzeitung Entekhab äußerte gegenüber der ISNA seine Überzeugung, dass es zwar ein Grund für Freude sei, dass eine Iranerin den Preis erhalte, er aber trotzdem einige Bedenken habe: „In unserem Land leben sehr viele qualifizierte Persönlichkeiten, die einen solchen Preis verdient hätten. Es scheint, dass es Kräfte gibt, die eine solche Lage ausnutzen wollen. Wenn die Welt die Wahrheit sagen würde, müssten sie Herrn Khatami einen solchen Preis geben, damit die Welt sich im Zeichen des Dialogs und des Friedens bewegt. Wie wir aber sehen, gibt es [uns gegenüber] sehr feindselige Einstellungen, die nach einer Monopolisierung der Politik streben. Dieser Preis wäre auf keinen Fall ohne den Willen und ohne die Aufsicht der Amerikaner an Ebadi verliehen worden. Wir freuen uns, wenn Frau Ebadi den Namen des Iran mit diesem Preis aufwerten will, wenn dieser Preis aber als ein Druckmittel gegen unser Volk instrumentalisiert wird, wird dies zum Nachdenken anregen.“ (5)

In einem am Samstag veröffentlichten Kommentar der Zeitung Entekhab selbst heißt es, dass der Preis das „Ergebnis der kulturellen Hegemonie der westlichen Zivilisation“ sei. (6)

Es gab allerdings auch rundum positive Reaktionen. So erklärte neben dem Majlessmitglied, Rajbali Mosrui, der Herausgeber der Zeitung Mardomsalari seine Freude über die Preisvergabe an Frau Ebadi: „Ich kenne [zwar] nicht die wahren Ursachen der Preisvergabe an Frau Ebadi, aber ich freue mich, dass eine Iranerin diesen Preis bekommen hat und gratuliere ihr.“

Ähnlich äußerte sich auch Fariba Dawudimohajer, Mitglied des Zentralkomitees eines Frauen-Journalisten-Verbandes: „Der Sieg von Frau Ebadi erfreut alle iranischen Frauen.“ So auch Mariam Behrusi von der Frauenorganisation Seinab: „Wir hoffen, dass die iranischen Frauen auf allen Gebieten der Wissenschaft, der Politik und der Wirtschaft Erfolge erzielen werden. Auf jeden Fall bin ich froh, dass eine iranische Frau diesen internationalen Erfolg erzielen konnte.“

Mohammad Kianushrad, Mitglied des nationalen Sicherheitsrates des Majless, betont, dass „die Friedensnobelpreisvergabe an eine iranische Frau sehr wichtig ist und beweist, wie reich die iranische Geschichte ist, die durch die [Einführung des] Islam noch reicher geworden ist. In der iranischen Gesellschaft gibt es viele Menschen, die einen solchen Preis verdient haben. Shirin Ebadi hat die Kultur der Friedfertigkeit, die ein kulturelles Prinzip des Islam ist, unter Beweis gestellt. Die Hypothek der reichen iranischen und islamischen Kultur ist das beste Modell für die Welt, das die Botschaft der Liebe und des Frieden mit sich bringt.“ Elahe Kolai, ebenfalls Mitglied des Sicherheitsrates, lobte Frau Ebadi und konstatierte, dass die Nobelpreisvergabe zeige, wie die „Demokratisierung der iranischen Gesellschaft nicht nur einen Einfluss auf die Region und auf die islamische, sondern auf die ganze Welt“ habe. Auch die Majlessabgeordnete, Fateme Haqiqatju, gratulierte Ebadi: „Der Friedensnobelpreis weckt den Stolz der Iraner, insbesondere der freiheitsliebenden Frauen, damit diese einstimmig schreien, dass Frieden, Freiheit und Liebe, in Wahrheit für Iran stehen.“

Weniger begeistert kommentierte Hojatoleslam Ali Saidi, Mitglied des Zentralkomitees der Organisation der „Kämpfenden Geistlichkeit“, die politische Stossrichtung der Preisvergabe: „Der Preis wird keinen besonderen Einfluss auf die iranische Bevölkerung haben. Denn die Iraner kennen den Zweck solcher Instrumente.“ Saidi sieht die Vergabe auch von „zionistischen Kreisen“ instrumentalisiert: „Sie benutzen Hebel, wie den Friedensnobelpreis, um bestimmte Elemente im Land politisch zu unterstützen.“

Assadolah Badamchian, Direktor des politischen Zentrums der islamischen Organisation der Jamiyate Motalefeye Eslami, hält die Interessen der westlichen Welt für ausschlaggebend für die Wahl von Frau Ebadi: „Wenn ein wissenschaftlicher Preis einem Menschen, wegen seiner Dienste an der Menschheit zukomme, ist es lobenswert, wenn aber ein Preis einer Person dazu dienen sollte, den Interessen des Kolonialismus und der verdorbenen Welt zu dienen, ist es ein Zeichen der Schande.“ Badamchian wies auf die Rolle des Nobelpreisträgers Sadat hin, der in Camp David Palästina verraten habe. Kaum jemand, der den Nobelpreis erhalten habe, habe dies wegen seiner Dienste an der Heimat bekommen, so Badamchian: „Es ist natürlich, dass der Friedensnobelpreis an eine Frau vergeben wird, die sich Reformerin nennt und von Powell, Blair, Bush und von den Führern der ‚Weltarroganz‘ unterstützt wird.

(7)

Zu einem späteren Zeitpunkt dokumentierte ISNA weitere Stellungnahmen, z.B. die von Seyyed Abadi, Mitglied der juristischen Kommission des Majless. Dieser äußerte ebenfalls sein Missfallen über die Preisvergabe: „Der Friedensnobelpreis wird nicht an Personen übergeben, die wegen ihres fairen Friedenswillens einen solchen Preis verdient haben. […] Wenn wir gerecht urteilen würden, müssten wir zugeben, dass der iranische Präsident unter den gegebene Umständen der einzige ist, der den ‚Dialog der Zivilisationen‘ vor den Vereinten Nationen im Jahre 2002 propagiert hat. Wenn sie den Friedensnobelpreis wirklich gerecht und fair hätten vergeben wollen, damit er der Grundstein der weltweiten Friedenspolitik sein könnte, hätte ihn der iranische Präsident erhalten müssen. Die existierenden Feindseligkeiten innerhalb der internationalen Institutionen haben diese Tatsachen jedoch nicht berücksichtigt.“

Auch Mohssen Yahyawi, stellvertretender Vorsitzender der „Gesellschaft der Ingenieure“ sieht in der Preisvergabe eher einen Angriff auf den Iran: „Die westlichen Staaten, an ihrer Spitze insbesondere die USA, versuchen gemäß ihrer Feindschaft gegen die Revolution, die namhaften Reformkräfte zu unterstützen, um auf diese Weise gegen die Ordnung der Islamischen Republik zu kämpfen.“ Shirin Ebadi fordere in ihren Reden die Abschaffung vieler islamischer Gesetze. „Meines Erachtens bedeutet die Verleihung des Friedensnobelpreises ein hämisches Lachen und ist das Zeichen einer feindseligen Haltung gegen die Islamische Republik. Präsident Khatami hat den Dialog der Kulturen formuliert. Dieser Entwurf wurde zunächst von allen westlichen Staaten, sogar von den USA begrüßt. Aber die Preisvergabe an Shirin Ebadi ist nicht auf der Grundlage ihrer Eignung erfolgt. Zumindest verstehen wir unter Eignung etwas anderes.“ (8)

Am Samstag lassen sich in der ISNA aber auch positive Meinungen über die Verleihung finden: Laut Ayatollah Seyyed Mohammad Bojnurdi, Mitglied der Kommission der Menschenrechte des Majless, habe Frau Ebadi den Preis erhalten, da sie „gute Bücher über Kinderrechte“ geschrieben habe. Mohammad Ali Dadkhah, Sprecher des Vereins zur Verteidigung der Menschenrechte, vertrat die Position, dass dieser Preis an die langjährigen Kämpfe der Iraner gegen Ungerechtigkeit und für Frieden erinnere. Die Bemühungen von Frau Ebadi für Frauen- und Kinderrechte, ihre unentgeltliche Verteidigung der Rechte ihres politischen Klientels hätten sie für den Preis qualifiziert.

Amir Mohebian, Leiter der moslemischen Journalisten und Redakteur der Zeitung Resalat, kommentiert nicht nur durch die Auszeichnung selbst, sondern auch die politische Implikation der Reaktionen der iranischen Regierung darauf: Denn obwohl Frau Ebadi nicht zum Khatami-Flügel gehöre und für feministische und säkulare Strömungen im Iran stehe, freue sich die Khatami-Fraktion ganz gegen ihren sonstigen Reaktionen so, als sei Frau Ebadi eine nicht-offizielle Botschafterin des Iran in Europa. „Ich habe nicht vor pessimistisch zu sein, aber ich vermute, dass die Regierung sehr spontan reagiert hat. In Anbetracht der Auswahl der Preisgewinnerin und dem bekannten radikalen Abstand, den sie von den staatlichen Reformern hat, scheint es so zu sein, als ob eine Polnisierung des Iran geplant ist“. Man sei bemüht eine neue Propagandafront gegen den Iran zu organisieren. Die Positionen von Frau Ebadi werde in absehbarer Zeit beweisen, in wiefern der Regierungssprecher genau und korrekt und gemäß den nationalen Interessen gesprochen hat. (9)

Optimistischer hingegen klingt Hamidresa Jalaipur. Als Hochschullehrer im Fach Sozialwissenschaften führte er die Auszeichnung von Frau Ebadi auf ihre unermüdliche und konzentrierte Arbeit auf dem Gebiet der Menschenrechte zurück. Die besondere Leistung der Preisträgerin liege darin, dass sie als Frau diesen schwierigen Weg während der letzten 20 Jahre gegangen sei. (10)

Besonders misstrauisch titelte die Zeitung Jomhuriye Eslami: „Westen vergibt Schirin Ebadi Friedensnobelpreis“. Diese Zeitung hebt hervor, dass Ebadi zu den Teilnehmern der Berlin-Konferenz gehört habe und bei der iranischen Justiz eine dicke Akte über sie vorliege. Jomhuriye Eslami wirft Frau Ebadi vor, mit „amerikanischen Gruppierungen“ zusammen gearbeitet zu haben. (11)

Die der religiösen Führung nahe stehende Zeitung Kayhan erwähnt in einem kurzen Artikel, dass neben dem Regierungssprecher Ramesansadeh, und dem Sprecher des Außenministeriums Asefi auch der neue Minister für religiöse Führung Masjed Jamei Frau Ebadi gratuliert habe. In diesem Artikel wurde hervorgehoben wurde, dass sie unter dem Schah eine „leitende“ Funktion in der Justiz inne hatte und wegen „Propaganda gegen die Islamische Republik Iran“ verurteilt worden sei. Ihr war damals vorgeworfen worden Videointerviews gefälscht zu haben. In den Videos wurde dokumentiert, dass Angehörige militanter Gruppen mit staatlicher Unterstützung verschiedene Reformisten bedroht und unter Druck gesetzt haben. (12)

 

                        (1) MEMRI Special Dispatch – 7. August 2003 „Iran: Debatte über Frauenrechte“, http://www.memri.de/uebersetzungen_analysen/laender/iran/iran_frauen_07_08_03.html

                        (2) IRNA, 10.10.2003.

                        (3) IRNA, 11.10.2003.

                        (4) ISNA, 10.10.2003, 17.24.

                        (5) ISNA, 10.10.2003, 18.04.

                        (6) Entekhab, 11.10.2003.

                        (7) ISNA, 10.10.2003, 18.06.

                        (8) ISNA, 10.10.2003, 18:54.

                        (9) ISNA, 11.10.2003.

                        (10) ISNA, 11.10.2003.

                        (11) Jomhuriye Eslami, 11.10.2003.

                        (12) Kayhan, 11.10.2003.


Hinterlasse eine Antwort