Prof. Michael Wolffsohn – Endlich Israel kritisieren?

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Endlich Israel kritisieren?
von Prof. Michael Wolffsohn


Vom Kopf auf die Füße stellen wollen 25 deutsche „Politologen“ die „nicht ganz einfachen Beziehungen“ zwischen Israel und Deutschland. Einen Paradigmenwechsel forderten sie kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“.
Sie lehnen falsch verstandene Rücksichtnahme“ auf das heutige Israel ab, wollen die Freundschaft zum Jüdischen Staat erhalten, doch durch historisch-existentielle (keineswegs originelle) Zionismus- und nicht nur tagespolitische Israelkritik „belastungsfähig“ gestalten.
Das alles ist spätestens seit 1967/68 nicht neu und verdiente keine zusätzliche Beachtung. Beachtenswert ist hingegen erstens ihre Forderung, Deutschlands Beziehung zu Israel nicht mehr als „besondere“ zu pflegen; zweitens ihre (schon 1981 von Bundeskanzler Helmut Schmidt vorgetragene) Behauptung, Deutschland trage gegenüber den Palästinensern eine besondere Verantwortung und drittens ihre These vom „unausgesprochenen Verbot offener Kritik an israelischen Entscheidungen“.
Nebenbei: Unter den „Politologen“ findet man so gut wie keine national oder gar international ausgewiesenen Israel- oder Palästinaexperten und, anders als im redaktionellen Text angekündigt, haben sich Historiker, Philosophen, Literaturwissenschaftler, Soziologen und Pädagogen den vermeintlichen politikwissenschaftlichen Nahostfachleuten angeschlossen.
Im Klartext: Abgesehen von einigen Ausnahmen haben sich Hobby-Nahöstler zu Wort gemeldet, die durch ihre akademischen Grade die politische und mediale Öffentlichkeit beeindrucken, Expertise beanspruchen und durch ihre Universitätstitel Kritikimmunisierung sichern wollen.
Der „Experten“text ist voller Fehler, doch auf oberlehrerhaft-kleinliche Fehlerkritik sei verzichtet. Nicht verzichtet werden kann jedoch auf die Richtigstellung der These von der besonderen „deutschen Verantwortung gegenüber Palästina“. Ohne Hitler kein Israel, erfahren wir. „Es ist der Holocaust, der das seit sechs Jahrzehnten anhaltende und gegenwärtig bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Leid über die (…) Palästinenser gebracht hat… Und die palästinensische Bevölkerung hat an der Auslagerung eines Teils der europäischen Probleme in den Nahen Osten nicht den geringsten Anteil.“ Wegen des Holocaust habe Deutschland „auch eine Mitverantwortung für die … Zukunft des palästinensischen Volkes.“
Hitler, der millionenfache Judenmörder ein Werkzeug der Zionisten? Tatsache ist, dass der damalige politische und geistliche Führer der Palästinenser, Amin el-Husseini, der „Großmufti“ von Jerusalem, in seinem antizionistischen Kampf von Hitler-Deutschland nicht zuletzt durch Waffenlieferungen unterstützt wurde. Dieser Früh-Islamist zettelte im Mai 1941 mit irakischen Nationalisten einen Aufstand an, dem zahlreiche Juden zum Opfer fielen. Ihr „Verbrechen“: Sie waren Juden. Ebenso wie Husseinis palästinensische Revolte der Jahre 1936 bis 1939 schlugen die Briten 1941 den irakischen Aufstand nieder. Dessen Anführer, al-Gailani, und der Großmufti erhielten in Hitlers Deutschland politisches Asyl. Der seinerzeit unbestrittene Palästinenserführer zeigte sich für Hitlers Gastfreundschaft dankbar und versuchte Muslime in dessen Herrschaftsbereich für Deutschland und den Holocaust zu aktivieren. Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers haben jüngst dieses dunkle Kapitel der Palästinensergeschichte in ihrem quellengesättigten Buch „Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina“ (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006)beschrieben. Sieht so Deutschlands besondere „Verantwortung gegenüber Palästina“ aus?
Dass Juden und Araber bis 1933 in „Palästina“ friedlich neben- und miteinander lebten und erst seit Hitlers Judenvertreibungen im und ums Heilige Land unheilig gegeneinander kämpften, ist eine Behauptung, die ebenfalls in den Bereich des fiktiv Faktenlosen gehört. Man denke an die Judenmassaker der Palästinenser vom April 1920. Einer der Schlachtrufe lautete: „Palästina ist unser Land, und die Juden sind unsere Hunde!“ Im Mai 1921 folgte die nächste Etappe, und 1928/29 sowie 1936-1939 entfachte der Großmufti den palästinensischen Terror gegen die Juden Palästinas, Zionisten ebenso wie antizionistische, orthodoxe Juden. Nach 1945 fanden viele „Alte Kämpfer“, darunter hohe SS-Offiziere, Unterschlupf in der Arabischen Welt. In den 1970-er und 80-er Jahren bildeten Arafats Fatach und andere Palästinensergruppen vornehmlich im Libanon neben deutschen Links auch Rechtsterroristen aus, darunter die „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Welche und viele Palästinenser haben dagegen oder 1976 gegen die „Selektion“ jüdischer Geiseln durch deutsche und palästinensische Terroristen in Entebbe (Uganda) protestiert?
Ein Wort zum „unausgesprochen Verbot offener Kritik an israelischen Entscheidungen“. Ich lebe seit 50 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland und habe es weder in unserer Politik noch Publizistik oder Gesellschaft wahrgenommen. Sehr wohl wahrgenommen und wissenschaftlich analysiert habe ich seit rund 30 Jahren die deutsch-jüdisch-israelischen Beziehungen. Israel-Kritik, zum Teil sehr heftige, gehört seit 1949 zum bundesdeutschen Alltag. Das bestätigen seit Jahren regelmäßig auch die Auswertungen des methodisch hochkarätigen „Medien-Tenor“s, den die kritisierten Medien dann ihrerseits in schöner Regelmäßigkeit anzuprangern versuchen. Wer vom „Verbot“ einer deutschen Israel-Kritik redet, verwechselt Deutschland mit Wolkenkuckucksheim. Jene deutschen „Politologen“ bekennen sich zur Freundschaft mit Israel. Wer solche Freunde hat, bedarf keiner Feinde.


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