Stellungnahme von Henryk M. Broder: ANTISEMITISMUS OHNE ANTISEMITEN

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Innenausschuss:
Öffentliche Anhörung von Sachverständigen am Montag, dem 16. Juni 2008 von 14.00 Uhr bis 17.30 Uhr zum Thema Antisemitismus in Deutschland

 

Stellungnahme von Henryk M. Broder:
ANTISEMITISMUS OHNE ANTISEMITEN

 

Meine damen und herreh (Mduh), liebe kollegen,
sehr geehrte frau köhler, sehr geehrter herr edathy,

ich danke ihnen für die einladung  zu dieser anhörung. es ist mir eine ehre, zu ihnen sprechen zu dürfen. ich weiss, dass es einige irritationen wegen meiner teilnahme gegeben hat, ich bin sicher, dass sie am ende meines statements es nicht bereuen werden, mich eingeladen zu haben.

es ist nicht die erste anhörung zum thema antisemitismus, und es wird nicht die letzte bleiben. seit der schriftsteller und bekennede judenfeind wilhelm marr im jahre 1879  die schrift „Der Sieg des Germanenthums über das Judenthum – Vom nichtconfessionellen Standpunkt aus betrachtet“ veröffentlichte und damit zum wortführer des politischen antisemitismus im kaiserreich avancierte, hat es zahllose versuche gegeben, den antisemitismus zu definieren, zu erklären und zu neutralisierten – sie sind alle gescheitert. wäre dem nicht so, säßen wir heute nicht hier. jede diskussion über den antisemitismus fängt mit einer begriffsbestimmung an, viele kommen nicht darüber hinaus, und am ende aller bemühungen, das phänomen in den griff zu bekommen, steht die erkenntnis: „antisemitismus ist, wenn man die juden  noch weniger leiden kann, als es an sich notwendig ist.“

ich möchte mich deswegen auf zwei punkte konzentrieren, auf die ich ihre aufmerksamkeit lenken möchte, zwei argumente, die man beachten muss, wenn man nicht eine virtuelle debatte führen will.

erstens: wir haben es beim antisemitismus nicht mit einem vorurteil, sondern mit einem ressentiment zu tun. vorurteile sind harmlos, man braucht sie, um sich im leben zurechtfinden. ich habe vorurteile, sie haben vorurteile, jeder mensch hat vorurteile. und wir stören uns nur an negativen vorurteilen. wenn ich ihnen sage, dass die deutschen fleißig, diszipliniert und gastfreundlich sind, werden sie mir erfreut zustimmen. wenn ich dagegen sage, dass die deutschen geizig, humorlos und kindisch sind, werden sie sich vermutlich empören. das, werden sie sagen, ist eine unzulässige verallgemeinerung. mit den juden ist es genauso. positive vorurteile – das volk des buches, das volk des witzes – hören wir uns gerne an,  negative, die unsere neigung zu schlechtem benehmen thematisieren, fassen wir als beleidigung auf.

der unterschied zwischen einem vorurteil und einem ressentiment ist folgender: ein vorurteil zielt auf das verhalten eines menschen, ein ressentiment auf  dessen existenz. der antisemitismus gehört in die kategorie der ressentiments. der antisemit nimmt dem juden nicht übel, wie er ist und was er tut, sondern dass er existiert. der antisemit nimmt dem juden sowohl die abgrenzung wie die anpassung übel. reiche juden sind ausbeuter, arme juden sind schmarotzer, kluge juden sind überheblich und dumme juden, ja, die gibt es auch, eine schande für das judentum. der antisemit nimmt dem juden prinzipiell alles übel, auch das gegenteil. deswegen bringt es nichts, mit antisemiten zu diskutieren, sie von der absurdität ihrer ansichten überzeugen zu wollen. man muss sie ausgrenzen, sie in eine art sozialer quarantäne isolieren. die gesellschaft muss klar machen, dass sie den antisemitis-mus und den antisemiten verachtet, so wie sie die prügelstrafe als mittel der erziehung und die vergewaltigung, auch die eheliche, verachtet, wohl wissend, dass sie nicht alles kontrollieren kann, was hinter zugezogenen gardinen und unter vier augen passiert.

zweitens: wenn sie dem antisemitismus beikommen wollen, müssen sie einsehen, dass er keine fixe größe ist, wie der urmeter in paris oder die defintion für volt, watt und ampere. wie alle sozialen phänomene unterliegt auch der antisemitismus einem wandel. auch armut ist heute nicht mehr das, was sie zur zeit von oliver twist oder aschenputtel war.

der antisemitismus, über den wir am liebsten reden, stammt aus der asservatenkammer des letzten und vorletzten jahrhunderts. es ist der antisemitismus der dummen kerle,   die noch immer einem phantom nachjagen. der gewöhnliche antisemit hat vom gegenstand seiner obsessionen keine vorstellung, nur eine diffuse ahnung.  er tobt sich aus, indem er hakenkreuze an bauzäune malt und „juda verrecke“ auf grabsteine schmiert – ein fall für die polizei und das örtliche amtsgericht, nicht mehr. niemand wird sich mit rabauken solidarisieren, die den arm zum hitlergruss heben und dabei „juden raus!“ schreien. diese art des antisemitismus ist hässlich, aber politisch irrelevant, ein nachruf auf sich selbst.

der moderne antisemit dagegen tritt ganz anders auf. er hat keine glatze, dafür manieren, oft auch einen akademischen titel, er trauert um die juden, die im holocaust ums leben gekommen sind, stellt aber zugleich die frage, warum die überlebenden und ihre nachkommen aus der geschichte nichts gelernt haben und heute ein anderes volk so misshandeln, wie sie selber misshandelt wurden. der moderne antisemit glaubt nicht an die „protokolle der weisen von zion“, dafür phantasiert er über die „israel-lobby“, die amerikas politik bestimmt, so wie ein schwanz mit dem hund wedelt. der moderne antisemit gedenkt selbstverständlich jedes jahr der befreiung von auschwitz am 27. januar, zugleich aber tritt er für das recht des iran auf atomare bewaffnung ein. denn: „Was man Israel oder Pakistan gewährt hat, kann man dem Iran nicht verweigern.“ (norman paech) oder er dreht kausale zusammenhänge um und behauptet, die atomare bedrohung gehe nicht vom iran, sondern von israel aus – wie es prof. udo steinbach vor kurzem in einer sendung des wdr getan hat. der moderne antisemit findet den ordinären antisemitismus schrecklich, bekennt sich aber ganz unbefangen zum antizionismus, dankbar für die möglichkeit,  seine ressentiments in einer politisch korrekten form auszuleben. denn auch der antizionismus ist ein ressentiment wie es der klassische antisemitismus war. der antizionist hat die gleiche einstellung zu israel wie der antisemit zum juden. er stört sich nicht daran, was israel macht oder unterlässt, sondern daran, dass es israel gibt. und deswegen beteiligt er sich so leidenschaftlich an debatten über eine lösung der palästina-frage, die für israel eine endlösung bedeuten könnte. während ihn die zustände in darfur, in simbabwe, im kongo und in kambodscha kalt lassen, weil dort keine juden involviert sind. fragen sie doch mal den außenpolitischen sprecher der PDS, wie viele stellungnahmen er zu „palästina“ abgegeben hat und wiele zu tibet.

früher, sagen wir zur zeit von wilhelm marr, karl lueger und adolf stoecker, war alles ganz einfach. es gab die juden, die antisemiten und den antisemitismus. nach 1945 gab es dann aus den bekannten gründen einen antisemitismus ohne juden, und heute haben wir es wieder mit einem neuen phänomen zu tun: einem antisemitismus ohne antisemiten. neu ist auch das berufsbild des freizeitantisemiten, der tagsüber seiner regulären arbeit nachgeht, u.u. sogar bei einer bundesbehörde, und nach dienstschluss „israelkritische“ texte verfasst, die dann auf obskuren antizionistischen websites erscheinen. niemand will ein antisemit sein, aber in der hall of shame der antizionisten wird der platz langsam knapp. 

antisemitismus und antizionismus sind zwei seiten derselben münze. war der antisemit davon überzeugt, dass nicht er, der antisemit, sondern der jude am antisemitismus schuld ist, so ist der antizionist davon überzeugt, dass israel nicht nur für die leiden der palästinenser sondern auch dafür verantwortlich ist, was es selbst erleiden muss.

die älteren unter ihnen werden sich vielleicht noch an den satz erinnern, mit dem ein grüner politiker, der noch immer dem bundestag angehört, zur zeit des ersten golfkrieges die irakischen raketenangriffe auf israel anfang 1991 kommentierte. „Die irakische Raketenangriffe sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels.“ derselbe grüne politiker sprach sich damals auch gegen die lieferung von defensivwaffen wie den patriot-raketen an israel aus, weil diese ebenfalls zur eskalation der lage beitragen würden. heute, 17 jahre später, hören und lesen wir ähnliche sätze über raketenangriffe aus dem südlichen libanon und dem gaza-streifen auf israel – dass sie die logische, fast zwangsläufige folge der besatzungspolitik israels seien und dass israel gut daran täte, nicht zu reagieren, um eine eskalation zu vermeiden. denn der moderne antisemit verehrt juden, die seit 60 jahren tot sind, nimmt es aber lebenden juden übel, wenn sie sich zur wehr setzen. er ruft „wehret den anfängen!“, wenn eine handvoll  hobbynazis in cottbus aufmarschiert, rechtfertigt aber die politik des iranischen präsidenten und den fortgang der geschäfte mit dem iran.

mduh, wir werden das problem des antisemitismus nicht lösen, nicht bei dieser anhörung und nicht bei der nächsten. aber allein, dass sie sich mit diesem thema befassen, obwohl es andere und wichtigere probleme gibt, die behandelt werden wollen, ist ein gutes zeichen. wenn ich ihnen in aller demut und bescheidenheit eine empfehlung geben darf: überlassen sie die beschäftigung mit dem guten alten antisemitismus den archäologen, den antiquaren und den historikern. kümmern sie sich um den modernen antisemitismus im kostüm des antizionismus und dessen repräsentanten, die es auch in ihren reihen gibt. – ich danke ihnen, dass sie mir zugehört haben.

hmb, bloemendaal, 15.6.o8

 

 

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