Beziehungen zwischen der Türkei und dem Iran

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Beziehungen zwischen der Türkei und dem Iran 

 

Die Türkei und der Iran sind die bevölkerungsreichsten Länder im Nahen Osten und haben 64 bzw. 70 Millionen Einwohner. Obwohl die Türkei und der Iran, aus historischer und auch aus heutiger Sicht betrachtet, Rivalen sind, haben beide Länder zunehmende wirtschaftliche Beziehungen und verhandeln derzeit über eine Erweiterung der Zusammenarbeit im Energiebereich.  

Am 14. August 2008 reist der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad in die Türkei, um dort mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gul das iranische Atomprogramm sowie die wachsenden Beziehungen zu besprechen. Die Türkei hat angeboten, bei der Lösung des Konfliktes zwischen dem Iran und dem Westen bezüglich des von Teheran betriebenen nuklearen Programms zu helfen. Das säkulare Establishment in der Türkei begegnet Ahmadinedschad mit Misstrauen; der vorherige Präsident der Türkei, Ahmet Necdet, hatte sich geweigert, im Verlauf seiner Amtszeit Ahmadinedschad zu empfangen. Eine radikale Zeitung berichtet, dass die türkischen Behörden dazu gezwungen waren, den Besuch von Ahmadinedschad nach Istanbul zu verlegen und den Besuch von einer offiziellen Visite in einen Arbeitsaufenthalt umzubennen, da er nicht beabsichtigte, das Grab von Mustafa Kemal Atatürk, dem weltlich orientierten Gründer der modernen Türkei, zu besichtigen. [1]

Militärische und wirtschaftliche Dimensionen:

• Als historische Gegnerin des Iran gelang es der Türkei in der Tat, in den vergangenen Jahren in der Außenpolitik einen bemerkenswerten Kurs zu fahren und freundschaftliche Beziehungen mit Teheran aufrecht zu erhalten. Obwohl die Türkei ein wichtiger Verbündeter der USA und das einzige moslemische Land weit und breit ist, das mit Israel, dem Erzrivalen des Iran, militärisch zusammenarbeitet. [2] Augenblicklich bedeuten die vorgesehenen Verhandlungen der Europäischen Union in Hinblick auf eine mögliche Mitgliedschaft der Türkei, dass Europa schon bald eine gemeinsame Grenze mit dem Iran haben könnte. [3]

• Die Türkei steht allerdings einer Reihe neuer Herausforderungen gegenüber, die es zu bewältigen gilt, um ihre ausgleichende Rolle in der Region auch in Zukunft aufrecht erhalten zu können. Die Bestrebungen des Iran nach Kernwaffen – von denen Analytiker befürchten, dass sie regionale Mächte wie etwa Saudi Arabien und Ägypten, sowie die Türkei selbst dazu veranlassen könnten, eine nukleare Abschreckung zu entwickeln – sind dafür ein klares Zeugnis.

• Als moslemische, aber säkulare und nicht arabische Nation, ist die Türkei in der Lage, den Iran auf einer glaubhafteren Ebene zu beraten, als Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die EU-3  haben bislangen erfolglos versuchten, Teheran davon zu überzeugen, sein Nuklear-Programm zu unterbinden. Sollten diplomatische Bemühungen bezüglich des iranischen Atomprogramms jedoch scheitern, wäre die Türkei das einzige Land in angrenzender Nähe zum Iran, auf dessen Gebiet die USA im Voraus taktische Kernwaffen stationiert haben (schätzungsweise 90 an der Zahl), die sie gegen iranische Einrichtungen einsetzen könnten. [4]

• Ankara und Teheran haben Abkommen im Umfang von $ 1,5 Milliarden Dollar unterzeichnet, die die gemeinsame Errichtung von drei Kraftwerken mit einer Kapazität von jeweils 2.000 Megawatt vorsehen – zwei davon im Iran und eines in der Türkei, sowie eine Anzahl von hydroelektrischen Kraftwerken mit einer Gesamtkapazität von 10.000 Megawatt. Unter den Bedingungen des Abkommens wird Ankara pro Jahr drei bis sechs Milliarden Kilowattstunden elektrischer Energie aus dem Iran in die Türkei importieren. Gegenwärtig exportiert der Iran mit Hilfe von zwei Übertragungsleitungen elektrische Energie in die Türkei, deren Gesamtvolumen sich auf 250 Megawatt beläuft. [5]

• Im Zuge einer gemeinsamen Pressekonferenz in Istanbul mit dem iranischen Energieminister Parviz Fattah, die im November 2007 stattfand, gab der türkische Minister für Energie, Hilmi Guler, an: „Die Unterzeichnung (von Abkommen) wird weiter stattfinden. Unsere Bemühungen werden fortgesetzt.“ [6]

• Die Türkei importiert zur Zeit 90 % ihres Energiebedarfs — dies zu einem Zeitpunkt, an welchem die Ölpreise auf dem Höhepunkt stehen. Unter Bezugnahme auf diese wirtschaftliche Realität gab der türkische Premierminister Tayyip Erdogan am 20. September 2007 an, dass sich die Türkei auf Importe aus dem Iran und Russland verlasse, und dass es „außer Frage stünde, die Einfuhr aus einem oder beiden Ländern abzubrechen.“ [7]

• Die frühere Zusammenarbeit zwischen dem Iran und der Türkei hat ihre Wurzeln in der ECO (Economic Cooperation Organization, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit) – einer regionalen Organisation der Zusammenarbeit zwischen Regierungen, die 1985 vom Iran, von Pakistan und der Türkei ins Leben gerufen wurde, um die wirtschaftliche, technische und kulturelle Kooperation unter den Mitgliedstaaten zu fördern. Es war die Nachfolgeorganisation der vormaligen RCD (Regional Cooperation for Development – Regionale Zusammenarbeit bei der Entwicklung), die 1962 gegründet worden war, und die ihre Aktivitäten 1979 mit dem Aufstieg von Khomeini im Iran einstellte. [8]

• Die gegenwärtige Ebene der Zusammenarbeit zwischen Teheran und Ankara sei bisher beispiellos in der Geschichte der Beziehungen zwischen beiden Ländern, stellte Mottaki im Verlauf seines Zusammentreffens mit dem Vorsitzenden des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des türkischen Parlaments fest. Der ranghohe Diplomat fügte hinzu, dass die erweiterte Kooperation in der Öl- und Gasindustrie auch als Modell für den Ausbau der Beziehungen in anderen Bereichen dienen könne. [9]

• Irans Außenminister Mottaki sagte im Zuge eines Treffens mit einer türkischen Delegation im Dezember 2007: „Eine mächtige und moderne Türkei ist im Interesse des Iran. Das gegenwärtige Niveau der Zusammenarbeit zwischen Teheran und Ankara ist in der Geschichte der Beziehungen zwischen beiden Ländern noch nie dagewesen. Die erweiterte Kooperation in der Öl- und Gasindustrie kann als Modell für den Ausbau der Beziehungen in anderen Bereichen dienen.“ Die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Iran haben sich während der Regierungszeit der AKP deutlich verbessert. [10]

• Die Türkei hat keinerlei Absichten, die Handelsbeziehungen mit dem Iran zu gefährden. Der bilaterale Handel stieg von $ 1 Milliarde  im Jahr 2000 auf $ 4 Milliarden im Jahr 2005 an und neue Abkommen zwischen beiden Staaten sollen die wirtschaftlichen Beziehungen weiter festigen.

• Im August 2007 entsandte der Premierminister der Türkei, Tayyip Erdogan, seinen Energieminister Hilmi Guler in den Iran für den Abschluss von Vertragsentwürfen. Diese umfassen die Einrichtung einer gemeinsamen Firma für den Transport von bis zu 35 Milliarden Kubikmetern Naturgas aus dem Iran durch die Türkei nach Europa, sowie den Bau von drei thermalen Kraftwerken im Iran mit Hilfe türkischer Unternehmen.

• Im Juni 2007 unterzeichneten die Türkei und der Iran ein Memorandum des gegenseitigen Einverständnisses, dem zufolge die regierungseigene türkische Gesellschaft TPAO (Turkish Petroleum Corporation) im Iran arbeiten und drei Gebiete mit natürlichen Gasvorkommen in der Region des SouthPars ausbauen wird. Das Unternehmen hat vor, für den Betrieb dieser Gasfelder einen Betrag von $ 3,5 Milliarden zu investieren. Darüber hinaus werden sich beide Länder mit einer Rohrleitung von 2000 km Länge verbinden, um das iranische Gas nach Europa zu leiten. [11]

• Die Türkei besteht darauf, dass sie das Recht zur Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Interessen habe. Und der Iran ist hoch erfreut: „Nichts kann zwischen den Iran und die Türkei kommen“, sagte der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad kürzlich. [12]

• Dennoch haben die wirtschaftlichen Verbindungen die Befürchtungen in Ankara bezüglich eines mit Atomwaffen ausgerüsteten Iran nicht gedämpft. Bis vor kurzem unterstützten türkische Beamte öffentlich die Bestrebungen des Iran nach Kernenergie, während sie auf privater Ebene ihre Bedenken zum Ausdruck brachten.

• Im Jahr 2006 jedoch wechselte der türkische Botschafter in den Vereinigten Staaten, Faruk Logoglu, den Kurs. Im Zuge einer öffentlichen Ansprache im „Potomac Institute for Policy Studies“ sagte er, dass die Kernwaffen des Iran eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit im Nahen Osten darstellen würden.[13]

Die Nabucco Pipeline

• Um die gegenseitigen gemeinsamen Interessen an diesem Projekt zu zementieren, unterzeichneten der Iran und die Türkei am 14. Juli 2007 ein Memorandum des gegenseitigen Einverständnisses (MoU – Memorandum of Understanding), das sich auf den Transit von Gas und Öl sowie auf gemeinsame Investitionen im Energiebereich bezieht. Die Rohrleitung soll 3.500 km lang werden und jedes Jahr bis zu 40 Milliarden Kubikmeter Gas transportieren. Die geschätzten Baukosten belaufen sich auf 5 Milliarden Euro, die zu gleichen Teilen durch ein Konsortium von fünf Ländern getragen werden sollen – in Österreich durch die OMV AG, in Ungarn durch die MOL, in Rumänien durch die Fa. Transgas, in Bulgarien durch Bulgargaz und in der Türkei durch BOTAS (die türkische Rohrleitungsgesellschaft). Die Türkei spielt dabei eine zentrale Rolle, da die Rohrleitung das Hoheitsgebiet der Türkei durchlaufen muss. Die Türkei wird dabei in vierfacher Weise profitieren: Zunächst wird das Land eine Zufuhr von Naturgas sicherstellen; außerdem wird das Land Transitgebühren erheben; überdies wird die Türkei mit dem Iran Vorzugspreise aushandeln und außerdem wird die Türkei, als führendes Transitland für den Gastransport nach Europa ihre zukünftige Integration in die Europäische Union dadurch fördern, dass sie Pluspunkte für ihren Beitrag zur Erweiterung der Transportrouten und zur Ablenkung der Zufuhr von Russland gewinnt. [14]

• Im Juli 2008 gab der Ölminister des Iran, Gholam-Hossein Nozari, bekannt, dass sich Ankara und Teheran in Verhandlungen über eine Erhöhung der Exporte von Naturgas in die Türkei und über die Belieferung des Landes mit größeren Mengen von Gas im Verlauf des kommenden Winters befänden. [15] Der in Kürze stattfindende Besuch von Ahmadinedschad in der Türkei sendet eine deutliche Botschaft aus, die darauf abzielt, die Zusammenarbeit beider Länder im Bereich der Energieversorgung zu akzentuieren.

Historische und kulturelle Dimensionen:

• Heute werden die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Iran durch die historische Rivalität zwischen dem alten osmanischen Reich und dem Reich der Perser geprägt. Das osmanische Reich, dem die moderne Türkei entspringt, kontrollierte einst alle Länder Zentralasiens. Unter Arabern, Türken und anderen moslemischen Nationen im weiteren Bereich des Nahen Ostens bestand stets Misstrauen gegenüber dem Iran. Im Verlauf der osmanischen Zeit konnten das Persische und das Türkische Reich keine Verbündeten sein und auf Grund dessen auch keine ernsthafte wirtschaftliche oder politische Zusammenarbeit aufbauen. Bis zum heutigen Tag ist die Türkei über die Einmischung des Iran in die Angelegenheiten des Nahen Ostens verärgert. [16] 

• Zudem werden die Beziehungen durch seit langem bestehende kulturelle und religiöse Unterschiede beeinflusst. Die Türken sind in der Mehrheit sunnitische Moslems, allerdings gibt es in der Türkei auch eine schiitische Minderheit, die weitgehend als „Zweite Klasse “ betrachtet wird. 

• Die staatliche Religion im Iran ist der schiitische Islam; die meisten Bewohner des Landes sind ethnisch gesehen Perser, doch die Minderheiten mit unterschiedlichem ethnischen, religiösem und sprachlichem Hintergrund belaufen sich auf einige Millionen — darunter Kurden, Belutschen und Aseris, die größte ethnische Minderheit. [17] Die Aseris umfassen ein Viertel der iranischen Bevölkerung und sind ethnisch gesehen Türken; ihre Sprache ist ein türkischer Dialekt. Der Iran und die Türkei teilen das gleiche Problem mit ihren kurdischen Minderheiten, obgleich dieses Problem mehr Gewicht für die Türkei als für den Iran besitzt. Die Standpunkte der Türkei sind denen der iranischen Revolution in fast allen Bereichen direkt entgegengesetzt. Für zahlreiche Iraner entwickelt sich die Türkei zum neuen Vorbild. [18]

• Während beide Staaten moslemische Länder sind, blickt die Türkei auf die lange Tradition eines weltlichen und demokratischen politischen Systems zurück. Die in der Türkei in den vergangenen Jahren unter der Regierung der AKP erfolgten Veränderungen haben die Wirtschaftspolitik des Landes nicht beeinflusst, die sich weiterhin am freien Markt orientiert. Im Gegensatz dazu ist der Iran ein theokratischer Staat mit Bestrebungen nach einer Hegemonie in der Region und ein Förderer des Terrorismus. [19]

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Quellenangaben:

[1] Elci, Zerin: „Ahmadinejad to visit Turkey for nuclear talks,“ Reuters, August 4, 2008. http://www.reuters.com/article/worldNews/idUKL433438920080804?sp=true

[2] Athanasiadis, Iason: „Turkey Feels Iran Chill,“ Asia Times Online, January 24, 2006, http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/HA24Ak02.html

[3] Ottolenghi, Emanuele: „Europe: See No Evil,“ The Transatlantic Institute, November 3, 2004, http://www.transatlanticinstitute.org/html/pu_articles.html?id=104

[4] Athanasiadis, Iason: „Turkey Feels Iran Chill,“ Asia Times Online, January 24, 2006, http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/HA24Ak02.html

[5] Daly, John C.K.: „Analysis: Turkey-Iran energy ties,“ United Press International, November 30, 2007,
http://www.upi.com/International_Security/Energy/Analysis/2007/11/30/
analysis_turkey-iran_energy_ties/2595/

[6] Ibid.

[7] Ibid.

[8] Raphaeli, Nimrod: „The growing economic relations between Iran and Turkey,“ MEMRI, January 6, 2008, http://memri.org/bin/articles.cgi?Page=subjects&Area=economic&ID=IA41408

[9] Iran, Turkey play key role in regional security: Turkish MP,“ Tehran Times, December 26, 2007, http://www.tehrantimes.com/index_View.asp?code=159983

[10] Iran, Turkey Most Significant Regional Powers,“ Fars News Agency, December 27, 2007, http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=8610060226

[11] Ozertem Hasan Selim: „Pipeline Politics and Turkey, “ The Journal of Turkish Weekly, July 31, 2007, http://www.turkishweekly.net/comments.php?id=2683

[12] „Too Energetic a Friendship,“ The Economist, August 23, 2007, http://www.economist.com/world/europe/displaystory.cfm?story_id=9687845

[13] Athanasiadis, Iason: „Turkey feels Iran chill,“ Asia Times Online, January 24th, 2006, http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/HA24Ak02.html

[14] Raphaeli, Nimrod: „The growing economic relations between Iran and Turkey,“ MEMRI, January 6, 2008, http://memri.org/bin/articles.cgi?Page=subjects&Area=economic&ID=IA41408

[15] New Iran-Turkey gas pipeline in the works,“ PressTV, July 5, 2008, http://www.presstv.ir/detail.aspx?id=62634&sectionid=351020103

[16] Laciner, Sedat: „Mistrust Problem in Turkey-Iran relations,“ The Journal of Turkish Weekly, February 21, 2008, http://www.turkishweekly.net/comments.php?id=2839

[17] Beehner, Lionel: „Iran´s Ethnic Groups,“ Council on Foreign Relations — Backgrounder, November 29, 2006, http://www.cfr.org/publication/12118/

[18] Ibid.

[19] Raphaeli, Nimrod: „The growing economic relations between Iran and Turkey,“ MEMRI, January 6, 2008, http://memri.org/bin/articles.cgi?Page=subjects&Area=economic&ID=IA41408

 

 


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