Offener Brief

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Jerusalem – Ein deutscher Professor und Philosoph, Robert Spaemann, hat in der FAZ vom 2.6.2009 einige Erkenntnisse und Feststellungen abgelassen, die es lohnt, für die Nachwelt festzuhalten und vielleicht auch in deutsche Schulbücher einzufügen.
„Alle Schändlichkeiten, die Brenner aufzählt, haben ja tatsächlich stattgefunden“, schreibt Spaemann, um dann zu erwidern: „Aber bei der Beurteilung derselben muss man doch den historischen Kontext in Rechnung stellen. Erstens die Tatsache, dass zunächst und im Prinzip die Juden in jener Zeit einzigartig privilegiert waren. In einer religiös homogenen Zivilisation, in der christliche Häretiker verbrannt, die Katharer vernichtet wurden und in der keinem Nichtchristen dauerhaft zu leben erlaubt war, waren die Juden die einzige gesetzlich tolerierte Religionsgemeinschaft mit Gottesdiensträumen und freier Kultausübung.“
Unglaublich, wie „privilegiert“ die Juden doch in jener „religiös homogenen Zivilisation“ waren, dass sie nicht „verbrannt“ oder „vernichtet“ wurden, wie das im wörtlichen Sinne und mit genau diesem Sprachgebrauch mit ihnen geschah, als die  „religiös homogene Zivilisation“ in eine „rassisch homogene Zivilisation“ verwandelt wurde. Wie gesetzlich „toleriert“ sie waren, zeigen vor allem die Schutzbriefe und Dekrete, die immer wieder erneuert und dann auch wieder abgeschafft wurden, was zu immer wiederkehrenden Vertreibungen oder auch Massenmorden etwa in der Kreuzfahrerzeit führte. Vor lauter Privilegien sollten die Juden eigentlich dankbar sein, in ihren Ghettos „toleriert“ worden zu sein, so wie doch auch die Nazis hunderttausende Juden in Warschau und Lodz solange „toleriert“ haben, bis sie die Juden wie die Katharer „vernichtet“ und wie die christlichen Häretiker „verbrannt“ haben. Ohnehin war keinem einzigen Juden mehr erlaubt, im deutschen Herrschaftsbereich zu leben. Nicht einmal Edith Stein.  
Weiter schreibt Spaemann: „Die Juden waren die einzige geduldete religiös-kulturelle Minderheit. Ihr Schutz vor Schikanen, Ausplünderung, Ermordung oblag allein der Kirche.“ Eigentümlich, dass er eben noch „gesetzlich toleriert“ schreibt, und jetzt plötzlich behauptet, die Kirche habe die Juden geschützt. Waren es etwa Bischöfe, die die Dekrete im Mittelalter unterzeichneten, oder waren es nicht eher die Fürsten, die Schutzbriefe ausstellten und wieder aufhoben? Aber es mag ja sein, dass damals der Vatikan tatsächlich noch „Divisionen“ hatte, mit denen vor Allem Juden vor Schikanen, Ausplünderung und Ermordung geschützt wurden. Schade, dass unter Pius XII, während des 2. Weltkriegs, diese kirchlichen Divisionen plötzlich spurlos verschwunden waren.
Und lobenswert ist natürlich, dass Spaemann ein halbes Dutzend Päpste aufzählen kann, die das gefordert haben, was wir heute fast als Selbstverständlichkeit betrachten, nämlich Juden nicht zu verletzen oder deren Friedhöfe nicht zu schänden. Damit wäre erst einmal die Ehre der Christenheit gerettet.
Spaemann meint dann weiter: „wie im alten Rom, wo Juden mit der Staatsmacht kooperierten, um Christen zu beseitigen.“ Nun, dazu müssten wir erst mal einen Historiker befragen. Leichter ist es, auf seine nächste Behauptung einzugehen: „Nach dem babylonischen Talmud war das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias ein todeswürdiges Verbrechen.“ Dazu meint Rabbiner David Rosen, einer der profiliertesten Mittelsmänner zwischen Vatikan und Judentum auf Anfrage: „Es gibt zwar eine Passage, wo es um den Umgang mit jüdischen Häretikern geht, aber es gibt absolut keinerlei Aussage im Talmud, die der Behauptung entspräche, die Spaemann aufgestellt hat.“  Aber vielleicht ist Spaemann ja heimlich ein Talmudgelehrter, der dazu wenigstens eine Stellenangabe nachliefern könnte.
„Die Schmähkritik an den Christen war schon vor dem Mittelalter hemmunglos.“ Dem ist zweifellos zuzustimmen. Diese Literatur steht in nichts den bekannten Werken der Kirchenväter bis hin zu den „Lügen der Jüden“ von Martin Luther und natürlich „Mein Kampf“ nach. Die entscheidende Frage ist nicht nur, ob Umfang und die Auflagen dieser gegenseitigen Schmähschriften verglichen werden können. Vielmehr kann der Professor Spaemann gewiss aus dem Handgelenk schütteln, wie viele Christen wegen dieser „hemmungslosen Schmähschriften“ im Mittelalter und bis in die Neuzeit ihr Leben lassen mussten, wie viele jüdische Pogrome diese Schmähschriften gegen unschuldige Christen ausgelöst haben, und wie oft ganze Länder wie Spanien, Deutschland oder England über Jahrhunderte hinweg durch Juden „christenfrei“ gemacht worden sind.
Und nun kommt der Hammer des Philosophen: „Aber auch intern schreckten Juden bei der Ketzerverfolgung nicht vor der Kooperation mit der Inquisition zurück, von der sie den „Führer der Unschlüssigen“ des Moses Maimonides verbrennen ließen – eine Erklärung für den Antisemitismus der französischen Aufklärung, insbesondere Voltaires, der die Juden fast ebenso hasste wie die Kirche.“ Ja, ja „Juden“ schreckten nicht davor zurück, mit der Inquisition zu kollaborieren. Es waren genau drei Juden, die das Buch des Maimonides bei den Dominikanern, damals an der Spitze der Inquisition in Frankreich, „denunzierten“. Einer davon war Jonah Gerondi. Die Dominikaner seien daraufhin „freudig bereit“ gewesen, den „Führer der Unschlüssigen“ des Maimonides zu verbrennen. Aber als dann die gleichen Dominikaner „wagenweise“ Talmudbände anschleppten und verbrannten, bereute das Gerondi bitterlich. Und weil es eben drei Juden gab, die mit den Dominikanern „kollaborierten“, deshalb  sind „Juden“ auch schuld am Antisemitismus der Aufklärung. Denn hätten jene drei Juden nicht den Maimonides an die Dominikaner verpetzt, gäbe es heute keinen Antisemitismus! Und ohne Antisemitismus hätte es bekanntlich nicht den Holocaust mitsamt sechs Millionen toten Juden gegeben.
Da gab es doch schon mal so etwas in der Menschheitsgeschichte. Waren da nicht auch „Juden“ (vielleicht waren es zehn, zwanzig oder gar dreißig) im Hofe des römischen Prokurators Pontius Pilatus, die dem Jesus von Nazareth den Tod wünschten? Der arme Prokurator konnte nicht anders, wusch sich seine Hände in Unschuld, und ließ Jesus dann durch seine italienischen Legionäre ans Kreuz nageln (wozu unter der römischen Besatzungsmacht Juden freilich nicht befugt waren).
Und weil die nachfolgenden Juden eigentlich nichts mehr mit ihren alten Vorfahren zu tun haben, sondern (wie das Christentum) ein separater „Zweig“ des alten Judentums wurden, erklärt Spaemann sie letztlich zum Freiwild für christliche Missionare (wegen des christlichen Selbstverständnisses). Dabei merkt der deutsche Professor gar nicht, dass trotz dieser vermeintlichen Abzweigung die katholische Kirche bis zum Jahr 1965 am Dogma der Juden als Gottesmörder festhielt, gerade weil sie die Juden sehr wohl als die direkten Nachfolger der Juden in der Zeit Jesu hielt und für alles haftbar machte, was damals (auch nur ein paar) Juden verschuldet hätten.
Und so schließt sich der Kreis. „Juden“ haben erst Jesus umgebracht, dann haben „Juden“ die Talmudverbrennungen verschuldet und so der Aufklärung den Stoff für den Antisemitismus geliefert, weshalb „Juden“ unweigerlich auch für den Holocaust die Verantwortung tragen.
Angemerkt sei hier noch ein Kommentar zu einer weiteren überheblichen Aussage des Philosophen: „Insofern ist das heutige Judentum nicht die „Wurzel“ des Christentums, sondern selbst ein Zweig aus dieser Wurzel, der im ersten Jahrhundert nach Christus entstand und sich von Anfang an in seiner Identität definiert durch die Unvereinbarkeit mit dem christlichen Glauben.“ Dieses vermeintliche neue Judentum, jener Zweig aus der gleichen Wurzel, hat damals seine Zentren keineswegs nur in christlichen Ländern gehabt, die es freilich erst ab dem vierten Jahrhundert gibt. Der von Spaemann selber erwähnte Talmud wird „babylonische Talmud“ genannt. Babylon, der heutige Irak, war nie ein christliches Land. Und warum wohl schrieb der ebenfalls schon erwähnte Maimonides einige seiner Schriften auf Arabisch? Weil der nämlich im muslimischen Spanien lebte. Das Judentum hatte sich nach jener vermeintlichen Abzweigung bestenfalls am Rande mit dem Christentum auseinandergesetzt. Die mittelalterlichen Polemiken, also die erwähnten Schmähschriften, waren eher eine Reaktion auf christliche Versuche, die eigene Weisheit als die einzig wahre darzustellen, mit Sicherheit aber kein Bedürfnis der Juden, ihre Identität zu definieren. Oder waren etwa die christlichen Schmähschriften gegen den Islam, aus denen der Papst bekanntlich in Regensburg zitierte und einen Aufstand in der Welt des Islam auslöste, ein Versuch der Christenheit, die eigene Identität durch die Unvereinbarkeit mit dem muslimischen Glauben zu definieren?

F.A.Z. – 02.06.2009, Nr. 125 / Seite 34 – Gott ist Jude geworden
Schon die Päpste des Mittelalters haben  ungebührlichen Eifer in der Missionierung der Juden verboten. Wie die Christen Zeugnis geben, ist eine Frage des Takts. Eine Antwort  auf Michael Brenner. Von Robert Spaemann
Gott ist kein Christ – darüber sind Juden, Christen und alle an Gott glaubenden Menschen einig. Aber Christen glauben etwas, worüber sie mit den jüdischen Juden nicht einig sind: Sie glauben, dass Gott ein Jude ist, seit nämlich die zweite Person der Trinität in Jesus von Nazareth Mensch wurde. Christen glauben ferner, dass Jesus der ist, von dem Jesaja sagt: „Er trug unsere Sünden, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Und wenn Jesus von seinem Blut spricht, das „für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“, dann wollte er – so glauben wiederum die Christen – nicht ausgerechnet die Angehörigen seines Volkes ausnehmen. Er dachte vielmehr vor allem und zuerst an sie. Das alles muss niemand glauben. Aber wer es nicht glaubt, sollte doch nicht beleidigt sein, wenn Christen, die glauben, dass Jesus der Messias, der Erlöser der Menschen und der Sohn Gottes ist, in ihrem Gottesdienst darum bitten, dass alle Menschen zu dem kommen, was sie, die Christen, für eine Einsicht in die Wahrheit halten.
Sollen sie doch darum bitten, meint Michael Brenner (F.A.Z. vom 28. April). Aber nur in dieser allgemeinen Form und nicht speziell für die Juden. Aber Christen können nun einmal nicht die Juden unter die „Ungläubigen“ subsumieren, ohne ihr Selbstverständnis aufzugeben. Sie betrachten auch nicht, wie Moses Mendelssohn, alle Religionen als gleichwertige Wege zu Gott, sondern sie glauben an einen privilegierten Zugang des Volkes Israel, bis zu dem Tag, an dem der Messias Jesus durch seinen Tod den Bund erneuert und geöffnet hat für jeden Menschen. Das universal gewordene Israel wird nun auch „Kirche“ genannt, die Kirche aus Juden und Heiden. Wenn die katholische Kirche in ihrer Liturgie für alle Menschen Gott bittet, dann folgt aus der Einzigartigkeit ihres Verhältnisses zu dem „älteren Bruder“, dass sie es für die Juden in gesonderter Weise tun muss. Wie Papst Gregor der Große es den Christen verbot, die Juden zu Änderungen ihrer gottesdienstlichen Riten zu drängen, so sollten sich auch die Christen selbst nicht vorschreiben lassen, in welcher Weise sie ihrer Liebe zu den Juden im Gebet Ausdruck geben.
Was die jüngste Geschichte dieses Gebetes am Karfreitag betrifft, so wiederholt Brenner leider, was ich in meinem vorigen Artikel (F.A.Z. vom 20. April) richtiggestellt hatte: dass Benedikt XVI. mit seiner Neuformulierung „hinter Johannes Paul II. zurückgegangen“ sei. Tatsache ist, dass Johannes Paul II. bei der Wiederzulassung der alten römischen Liturgie auch das alte Karfreitagsgebet in unveränderter Form wieder zuließ. Benedikt, dessen jüdische Kontakte übrigens viel enger sind als die seines verehrungswürdigen Vorgängers, fasste das Gebet neu, und zwar so, dass es der Sicht des Zweiten Vatikanums genauer entspricht. Das bedeutet aber auch, dass er den Namen Jesus nicht, wie das Messbuch Pauls VI., verschwinden lässt. Zu wünschen wäre, dass diese untadelige Neufassung auch in die neue Form der Liturgie eingeführt würde. Übrigens hat das nachkonziliare Stundenbuch die am Karfreitag eliminierte Bitte in die Vesper des 2. Mittwochs der Osterwoche sinngemäß neu eingefügt. Dort wird nun darum gebetet, dass Gott die Juden erleuchten möge, damit sie „den Sinn der Verheißung verstehen, die ihren Vätern gegeben wurde“.
Päpstliche Beschützer
Worum es dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und Brenner in erster Linie geht, ist nicht das liturgische Gebet selbst, sondern der aus ihm angeblich folgende Versuch von Christen, jüdischen und nichtjüdischen, andere Juden zu überzeugen. Begründet wird dessen Verurteilung damit, dass die Christen das Recht hierzu schon durch die schlechte Behandlung der Juden im Mittelalter verwirkt hätten. Dazu wäre viel zu sagen. Alle Schändlichkeiten, die Brenner aufzählt, haben ja tatsächlich stattgefunden.
Aber bei der Beurteilung derselben muss man doch den historischen Kontext in Rechnung stellen. Erstens die Tatsache, dass zunächst und im Prinzip die Juden in jener Zeit einzigartig privilegiert waren. In einer religiös homogenen Zivilisation, in der christliche Häretiker verbrannt, die Katharer vernichtet wurden und in der keinem Nichtchristen dauerhaft zu leben erlaubt war, waren die Juden die einzige gesetzlich tolerierte Religionsgemeinschaft mit Gottesdiensträumen und freier Kultausübung.
Die Juden waren die einzige geduldete religiös-kulturelle Minderheit. Ihr Schutz vor Schikanen, Ausplünderung, Ermordung oblag allein der Kirche. Er war vor allem Anliegen der Päpste, angefangen von Gregor I. im siebten Jahrhundert, der dem Bischof von Neapel die uneingeschränkte Freiheit der jüdischen Religionsausübung zur Pflicht machte, über Alexander II. (1061 bis 1073), der „ungebührlichen Eifer bei der Bekehrung der Juden“ tadelt und stattdessen „demütige Ermahnung“ empfiehlt, „wobei einem jeden die Freiheit der Entscheidung behalten bleibt“, bis zum „Dekret für die Juden“ Innozenz‘ III. von 1199, der mit Exkommunikation jeden Christen bedroht, der Juden leichtfertig verletzt, ihre „Zeremonien verändert“, „ungeschuldete Dienste einfordert“oder „wagt, einen Judenfriedhof zu schänden“. Der Papst beruft sich für seine von den Juden erbetene Intervention auf sechs seiner Vorgänger.
Ich erwähne noch den Bischof von Mainz, der vom Pöbel aus seinem Palais vertrieben wurde, weil er dieses den pogrombedrohten Juden als Zufluchtsstätte geöffnet hatte, und Papst Benedikt XIV., der im achtzehnten Jahrhundert unter Berufung auf Thomas von Aquin jede Taufe von jüdischen Kindern gegen den Willen ihrer Eltern streng verbietet. Das alles weiß fast niemand, aber es ist nicht fair, immer wieder über die gedemütigte und gefährdete Existenz der Juden im Mittelalter zu berichten und kurzerhand für alle Aktionen von Obrigkeiten und Pöbel „die Kirche“ verantwortlich zu machen.
Antisemitische Aufklärer
Brenner entwirft ein fiktives Szenario, in dem die Rollen von Juden und Christen vertauscht sind. Man muss annehmen, dass es den Christen in diesem fiktiven Mittelalter schlimmer ergangen wäre, als es den Juden im tatsächlichen erging. Christentum wäre so wenig eine erlaubte Religion gewesen wie im alten Rom, wo Juden mit der Staatsmacht kooperierten, um Christen zu beseitigen. Nach dem babylonischen Talmud war das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias ein todeswürdiges Verbrechen. Die Schmähkritik an den Christen war schon vor dem Mittelalter hemmunglos. Aber auch intern schreckten Juden bei der Ketzerverfolgung nicht vor der Kooperation mit der Inquisition zurück, von der sie den „Führer der Unschlüssigen“ des Moses Maimonides verbrennen ließen – eine Erklärung für den Antisemitismus der französischen Aufklärung, insbesondere Voltaires, der die Juden fast ebenso hasste wie die Kirche.
Aber mag das alles sein, wie es will – ich kann der Logik nicht folgen, nach welcher, weil einmal Juden von Christen diskriminiert wurden, sie jetzt weiter diskriminiert werden sollen, indem die Kirche Christi sich zur Heidenkirche erklärt, in der die Angehörigen des Volkes Jesu nichts mehr zu suchen haben. Es ist einfach unnatürlich, der Frau im Gleichnis Jesu, die ihre verlorene Drachme wiedergefunden hat, zu verbieten, ihre Freunde und Nachbarn zur Feier dieses Glücksfalls zusammenzurufen.
Wie das Zeugnis für Christus gegenüber Juden auszusehen hat, das ist eine eher psychologische Frage, eine Frage des Taktes. Schon die Apostel haben sich Heidenmission und Judenmission aufgeteilt. Paulus hat seinen „griechischen“ Mitarbeiter sogar beschneiden lassen, um ihm Zugang zu den Synagogen zu verschaffen. Judenchristen sollten Juden für den Glauben an den Messias Jesus gewinnen. Und das gilt ja in der Regel wohl auch noch heute; zumindest aber sollten Heidenchristen, die in der Zeit der Diskriminierung und Deportation der Juden ihren jüdischen Mitbürgern und Mitmenschen keine Solidarität bezeugt haben, jetzt nicht versuchen, Juden von der Wahrheit des christlichen Glaubens zu überzeugen.
Im Übrigen aber muss das Zeugnis nicht immer verbal sein. Schon das Wort „Judenmission“ hat einen indiskreten Beigeschmack. Es schmeckt nach Aufdringlichkeit, nach jenem Eifer, den schon vor mehr als tausend Jahren der Papst verurteilte. Dass „ganz Israel gerettet wird“, erwartet Paulus erst für das Ende der Geschichte. Die Struktur des Zeugnisses aber bleibt von den Ereignissen der Jahrhunderte unberührt. Sie ist vorgezeichnet in der Geschichte der Berufung der Jünger im Johannesevangelium. „Philipus findet Nathanael und spricht zu ihm: ,Wir haben den gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten gesprochen haben, Jesus, Josefs Sohn, von Nazareth.‘ Und Nathanael sprach: ,Was kann schon von Nazareth Gutes kommen?‘ Philipus antwortete: ,Komm und sieh.'“
Einen wichtigen Gesichtspunkt macht Matthias Morgenstern (F.A.Z. vom 27. Mai) geltend, der die ganze Debatte auf einen realistischeren Boden stellen könnte und zu dem, wie er schreibt, ein Katholik eher Zugang hat als ein biblizistischer Protestant. Zwar verstehe ich nicht, wieso Paulus nicht wissen konnte, „wie die Tora den Gottesgedanken fasst“, wo er selbst als Schüler Gamaliels die Tora als Jude lange genug studiert hatte. Aber richtig ist, dass Morgenstern verlangt, das heutige Judentum nicht als biblische, sondern als nachbiblische Religion wahrzunehmen, die sich nicht durch Christen vorschreiben lässt, wie ihr Heilsweg auszusehen hat. Insofern ist das heutige Judentum nicht die „Wurzel“ des Christentums, sondern selbst ein Zweig aus dieser Wurzel, der im ersten Jahrhundert nach Christus entstand und sich von Anfang an in seiner Identität definiert durch die Unvereinbarkeit mit dem christlichen Glauben. Das Judentum kann das Christentum ignorieren, aber das Christentum nicht das Judentum.
Der Philosoph Robert Spaemann veröffentlichte zuletzt das Buch „Rousseau – Mensch oder Bürger: Das Dilemma der Moderne“. Über die Frage „Dürfen Christen Juden bekehren?“ wird er morgen im Frankfurter Haus am Dom mit Gregor Maria Hoff und Micha Brumlik diskutieren.


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