Deutschland bekennt nicht Farbe zu „Palästina“

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Jerusalem, 13. September 2011
In der kommenden Woche ist die UNO gefordert, einen Staat „Palästina“ anzuerkennen. Aber Deutschland hat immer noch nicht Farbe bekannt und erklärt, wie es abstimmen will. Bundesaußenminister Guido Westerwelle reiste am 11. September in den Nahen Osten, traf in Jordaniens Hauptstadt den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas in dessen Gästehaus und den jordanischen König. Seine Majestät Abdullah hat gemäß Presseberichten dem palästinensischen Präsidenten Abbas dringend vom Gang zur UNO abgeraten. Jordanien sei nicht „Palästina“, sagte er, obgleich das Königreich 1921 vom britischen Mandatsgebiet „Palästina“ abgetrennt worden ist. 70 Prozent der jordanischen Bevölkerung sind Palästinenser, aber eine Ansiedlung von Palästinensern und palästinensischer Flüchtlinge bezeichnete der König vor Akademikern als „grundlose politische Fantasie“.
Gemäß einer Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin betonte Außenminister Westerwelle gegenüber Abbas, dass Deutschland wie bisher das Ziel eines lebensfähigen
palästinensischen Staates als Ergebnis von Verhandlungen mit Israel unterstütze. „Man sei jedoch gut beraten, Schritte zu vermeiden, die Fortschritte auf dem Weg zur Zwei-Staaten-Lösung erschweren.“ Hinter diesem Satz versteckt sich eine deutsche Ablehnung „einseitiger“ Schritte und palästinensischer Versuche, auch ohne Verhandlungen mit Israel einen Staat „in den Grenzen von 1967“ zu erlangen.
Westerwelle traf sich in Israel mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Präsident Schimon Peres und zu einem Abendessen mit Amtskollege Avigdor Lieberman. Doch der deutsche Außenminister vermied die Öffentlichkeit und hat keine Pressekonferenz gegeben.
Klar ist, dass Deutschland beim Nahostkonflikt eine entscheidende Rolle spielt. Neben der historischen Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Staat und seiner Sicherheit ist Deutschland einer der größten finanziellen Förderer der palästinensischen Autonomiebehörde.
„Jeder Beschluss, jeder Schritt, hat auch Konsequenzen“, philosophierte im Privatgespräch ein deutscher Diplomat, ohne konkret zu werden. Einseitige Schritte der Palästinenser könnten eine Sperre der finanziellen Hilfe nach sich ziehen, falls durch den Gang zur UNO eine Verhandlungslösung mit Israel unmöglich würde.
Deutschland hat bis zur Stunde nicht verraten, wie es in der UNO abstimmen will. Der Grund liegt auf der Hand. Noch ist unklar, ob sich die Palästinenser am 21. September mit einer Rede von Präsident Abbas nur an die Generalversammlung wenden wollen, oder auch an den Sicherheitsrat, wo ihnen ein schon angekündigtes Veto der Amerikaner blüht.
Schlimmer noch: Niemand weiß, was die Palästinenser eigentlich beantragen wollen. „Die Palästinenser wissen es selber noch nicht“, verriet ein erfahrener westlicher Diplomat in Ramallah.
Es gibt viele Alternativen. Jede von ihnen bedarf einer unterschiedlichen Beachtung und hätte andere Konsequenzen. Die Palästinenser könnten eine Anerkennung des 1988 in Algiers von Jassir Arafat ausgerufenen Staates fordern oder die Ersetzung der PLO als Repräsentantin aller Palästinenser durch die Autonomiebehörde. Das würde allerdings die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon, in Syrien, Jordanien und sogar innerhalb der Autonomiegebiete ausschließen. Sie könnten auf einen neuen Beobachterstatus oder auf den Status eines Nicht-Mitglieds-Staates pochen, ähnlich wie dem Vatikan. Deutschland schweigt, solange es nicht weiß, worüber es abstimmen soll.
Durch Pressemitteilungen zu Absprachen mit der EU-Außenministerin Catherine Ashton wird klar, dass Deutschland versucht, eine einheitliche Position der EU zu erreichen. Das ist aber bei einem Außenminister-Gipfel in Polen am Wochenende gescheitert. Ebenso ist sich das sogenannte Nahost-Quartett uneinig, nachdem Russland am Montag mitgeteilt hat, die Anerkennung eines palästinensischen Staates voll unterstützen zu wollen, während die USA, Deutschland und andere europäische Staaten dadurch den „Friedensprozess“ gefährdet sehen. Andere EU-Länder sind jedoch geneigt, den russischen Weg einzuschlagen.
Deutschland hat mit Reden von Westerwelle im Bundestag am Mittwoch und Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel klar gemacht, dass zwar die Zwei-Staaten-Lösung das Ziel sei, aber nur mittels direkter Verhandlungen zwischen Israel und Palästinensern. Klar ist auch, dass Deutschland jegliche Gewalt infolge des Ganges zu UNO ablehnt. Deutschland strebt eine gemeinschaftliche Haltung der EU sowie des Nahost-Quartetts an. Gleichzeitig besteht Deutschland auf „speziellen“ Beziehungen mit Israel.
Weil unbekannt ist, was die Palästinenser von der Generalversammlung oder vom UNO-Sicherheitsrat verlangen, reiste Westerwelle offenbar in den Nahen Osten, um die Palästinensern in letzter Minute durch Warnungen vor Konsequenzen zum Umdenken zu bewegen und um in Israel Umsicht einzufordern. Schließlich könnten die Palästinenser lediglich einen „feel well“ Schritt tun, also eine Demonstration zum Wohlfühlen.
Abbas und vor allem sein Ministerpräsident Salam Fayad dürften sich erst jetzt einer möglichen europäischen oder amerikanischen Finanzsperre bewusst werden. Für die palästinensische Bevölkerung käme ein Ausbleiben der Finanzierung der Autonomiebehörde einer wirtschaftlichen Katastrophe gleich. Die Anerkennung eines palästinensischen Staates, gleichgültig mit welcher Formel, könnte im Falle einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der palästinensischen Bevölkerung zu Unmut, Frustration und Aufstand gegen die eigene Regierung führen. Da sich selbst nach einer „erfolgreichen“ Abstimmung in der UNO weder die Siedlungen, noch die Besatzung oder die Vorherrschaft Israels in Luft auflösen würden, wäre auch mit Gewaltausbrüchen gegen Israel zu rechen. Eine Erneuerung der Verhandlungen dürfte dann auszuschließen sein. An all diesen vorhersehbaren Entwicklungen ist Deutschland keinesfalls interessiert und vermeidet deshalb eine Positionierung. Ob es Westerwelle gelingt, in letzter Minute noch ein Umlenken zu bewerkstelligen, dürfte allein dem deutschen „Prinzip Hoffnung“ zu verdanken sein.
(C) Ulrich W. Sahm

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