Kleine Anfrage zum Antisemitismus in Deutschland – 28.01.2015 | Deutscher Bundestag

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Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Özcan Mutlu, Monika Lazar, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, Katja Keul, Renate Kün-ast, Irene Mihalic, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Antisemitismus in Deutschland | Deutscher Bundestag  – Drucksache 18/[…] – 18. Wahlperiode 28.01.2015

In Deutschland sind wir täglich mit allen Formen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit konfrontiert. Antisemitische Straftaten gehören zum traurigen Alltag. Jüdische Einrichtungen sind häufig auf einen dauerhaften Schutz durch die Polizei angewiesen. Nicht erst nach den Terroranschlägen von Paris leben viele Juden in Deutschland mit einer gewachsenen Sorge vor Anschlägen und Angriffen. Denn wie der Sommer 2014 zeigte, werden Auseinandersetzungen im Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern auch mit Gewalt auf deutsche Straßen getragen, was in teilweise antisemitischen und gewaltsamen Auseinandersetzungen endete.

Der Bundestag hat mehrfach seine Entschlossenheit gegen Antisemitismus und sein Ja zum jüdischen Leben hier bekundet (beispielsweise in folgenden Drucksachen 17/13885, 17/10775 Neu, 16/10776). Zudem hat im Januar 2015 der Expertenkreis Antisemitismus erneut seine Arbeit aufgenommen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie definiert die Bundesregierung Antisemitismus?
a. Falls sich diese Definition von der Arbeitsdefinition Antisemitismus der EUMC (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia) unterscheidet: Wie begründet dies die Bundesregierung?
b. Im Jahr 2004 gab es eine Einigung der EUMC auf eine „Arbeitsdefinition Antisemitismus“, die über die Website der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte abrufbar war. Online ist diese nicht mehr verfügbar (http://fra.europa.eu/en/fra/material/pub/AS/AS-WorkingDefinition-draft.pdf). Weshalb ist diese Arbeitsdefinition nicht mehr online verfügbar?
c. Gilt diese vereinbarte Arbeitsdefinition noch für die Bundesregierung?
d. Wird sich die Bundesregierung für die Wiederveröffentlichung dieser Arbeitsdefinition einsetzen?
e. Welche Kriterien werden bei der Neu-Definition antisemitischer Übergriffe für die Registrierung von Straftaten diskutiert (und wie findet diese Diskussion statt)?

2. Wäre aus Sicht der Bundesregierung ein jährlich erscheinender Antisemitismus-Bericht über antisemitische Straftaten, der parallel zu den Empfehlungen der Expertenkommission entsteht, sinnvoll und wenn nein, warum nicht?

3. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Verbreitung des so-genannten Alltagsantisemitismus, der laut dem letzten Antisemitismusbericht (Drucksache 17/7700) der Bundesregierung „antisemitische Stereotype oder Zuschreibungen gleichwohl in die Alltagswelt“ (S. 65) einwebt und welche Gegenmaßnahmen hat sie ergriffen?

4. Wie viele Menschen haben in Deutschland nach Kenntnis der Bundesregierung ein geschlossen-antisemitisches Weltbild? (Zahlen bitte begründen)

5. Wie viele antisemitische Straftaten hat die Bundesregierung seit 2000 gezählt? (Bitte nach Jahren aufführen)
a. Wieviele Straftaten ordnet die Bundesregierung dabei den Kategorien der politisch motivierten Kriminalität „Rechts“, „Links“ und „Ausländer“ zu?
b. Welches Alter hatten Täterinnen und Täter?
c. Welches Geschlecht hatten die Täterinnern und Täter?

6. Wie viele Opfer antisemitischer Straftaten zählt die Bundesregierung seit 2000?

7. Wie viele Opfer antisemitischer Gewalttaten zählt die Bundesregierung seit 2000?

8. In wie vielen Fällen wurde das Opfer nach Kenntnis der Bundesregierung angegriffen, weil es sich durch das Tragen des David-Stern, einer Kippa oder ähnlichem öffentlich als jüdisch erkennbar machte? (Bitte nach Jahren und Bundesländern aufgliedern)

9. Teilt in Bezug auf die letzte Frage die Bundesregierung die Sorge von vielen Jüdinnen und Juden in Deutschland, sich öffentlich als jüdisch erkennbar zu zeigen?

10. Hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung vor dem Hintergrund der islamistischen Anschlägen auf einen jüdischen Supermarkt in Paris am 9. Januar 2015 und auf das Jüdische Museum in Brüssel am 24. Mai 2014 auch die Anschlagsgefahr auf jüdische Einrichtungen in Deutschland erhöht, und wenn ja, in welchem Ausmaß?

11. Auf welche Höhe beläuft sich der jährliche Sachschaden durch antisemitische Straftaten seit 2000 nach Kenntnis der Bundesregierung?

12. Wie viele jüdische Friedhöfe wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2000 in Deutschland geschändet?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Gefährdung jüdischer Einrichtungen in Deutschland durch islamistische Terrororganisationen?

14. Wie arbeitet die Bundesregierung mit den EU-Partnern zusammen, um jüdische Einrichtungen nach den Terroranschlägen von Brüssel und Paris vor weiteren Anschlägen, auch in Deutschland, zu schützen?

15. Hat die Bundesregierung unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der so genannten PEGIDA-Demonstrationen und ihren Ablegerinnen in anderen deutschen Städten antisemitische Tendenzen/Aussagen/Slogans zur Kenntnis genommen und wenn ja, welche? (Einzeln aufzählen)

16. Hat die Bundesregierung antisemitische Tendenzen/Aussagen/Slogans unter Mitglieder/Funktionären der AfD zur Kenntnis genommen und wenn ja, welche?

17. Weshalb hat sich die Bundesregierung erst am 27.10.2014 mit einem Schreiben an die KMK gewandt, um diese über die in Punkt 4. beschlossenen Forderungen der interfraktionellen Resolution „Antisemitismus entschlossen bekämpfen, jüdisches Leben in Deutschland weiterhin nachhaltig fördern (Drucksache 17/13885) vom 11.06.2013 aufmerksam zu machen?
a. Hat die Bundesregierung im Bereich der Bildung und/oder Jugendsozialarbeit konzeptionelle Pläne für diese Legislaturperiode und wenn ja, welche?
b. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, damit die Bundesländer verstärkt den Kampf gegen Antisemitismus in ihre Bildungsprogramme einfließen lassen?
c. Inwieweit ist Antisemitismus nach Kenntnis der Bundesregierung Teil des Lehrkurrikulums in der Lehreraus- und fortbildung? Welche Koordinierungsmaßnahmen gegenüber den Bundesländern und der KMK ergreift die Bundesregierung da-bei?
d. Hat die Bundesregierung in der 16., 17. und 18. Legislaturperiode Forschungsprojekte in Auftrag gegeben, die sich mit dem Thema Antisemitismus in Bildungsinstitutionen befassen und liegen diesbezüglich Forschungsergebnisse vor?

18. Sieht die Bundesregierung in der formalen Änderung der so genannten „Extremismusklausel“ durch das BMFSFJ auch die Umsetzung der unter Punkt 2. in der Resolution (Drucksache 17/13885) geforderten Beseitigung von Hindernissen, die der Bekämpfung des Antisemitismus entgegenstehen?

19. In welcher Form und wann fand die Information von Polizei- und Strafverfolgungsbehörden sowie Nachrichtendiensten – auch im Zusammenwirken mit den Ländern – statt, um diese für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren wie unter Punkt 5. In Drucksache 17/13885 gefordert? (Bitte Kontaktaufnahmen einzeln aufzählen)

20. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung entsprechend des Bundestag-Antrages (17/13885), die Polizei- und Strafverfolgungsbehörden sowie die Nachrichtendienste effektiv für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren?

21. Welche Organisationen oder Einzelpersonen haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Al Quds-Demonstrationen der vergangenen 10 Jahre in Berlin angemeldet?
a. Sind Verbindungen den erfragten Personen und/oder Gruppen zu ausländischen Regierungen bekannt und wenn ja, welche?
b. Welche Organisationen haben nach Kenntnis der Bundesregierung an den Demonstrationen teilgenommen?
c. Werden anmeldende oder teilnehmende Organisationen oder Einzelpersonen vom Bundesamt für Verfassungsschutz oder anderen staatlichen Stellen beobachtet, wenn ja welche?

22. Gegen wie viele teilnehmende Personen wurde wegen Verdachts auf welche Straftaten nach Kenntnis der Bundesregierung im Nachgang zu den Demonstrationen ermittelt und in welchen Fällen kam es zu einer Verurteilung?

23. Welche Fahnen und Symbole von welchen politischen und/oder religiösen Organisationen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung auf den Al Quds-Demonstrationen mitgeführt?

24. Wie beurteilt die Bundesregierung rechtlich das Tragen von Fahnen und Symbolen von Hamas und Hisbollah?

25. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung zum Islamischen Zent-rum Hamburg e.V. (Schöne Aussicht 36; 22085 Hamburg) vor und bestehen Kontakte zu den Al Quds-Marsch organisierenden oder teilnehmenden Personen oder Organisationen und wenn ja, welche?

26. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Beteiligung iranischer Botschaftsangehöriger bei der Al Quds –Demonstration 2015?

27. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung einen veränderten Zulauf zu Hamas oder Hisbollah-nahestehenden Organisationen oder Gruppen seit Sommer 2014?

28. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verbreitung anti-semitischer Hasspropaganda in Moscheen und Moscheegemeinden? (Moscheen, Moscheegemeinden einzeln aufführen)

29. Stuft die Bundesregierung die sogenannte BDS-Kampagne gegen Israel (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) als antisemitisch ein? (Wenn ja, warum?/wenn Nein, warum nicht?)
a. Wie viele Anhängerinnen und Anhänger hat diese Kampagne nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland?
b. Werden die BDS-Kampagne bzw. ihre Anhängerinnen und Anhänger nach Kenntnis der Bundesregierung vom Bundesamt für Verfassungsschutz oder einem Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet? (Wenn ja, warum?/warum nicht?)

30. Stuft die Bundesregierung die Pius Bruderschaft als antisemitisch ein? (Wenn ja, warum? Warum nicht?)
a. Wie viele Anhängerinnen und Anhänger hat die Pius Bruderschaft nach Kenntnis der Bundesregierung?
b. Wie verteilen sich nach Kenntnis der Bundesregierung die An-hängerinnen und Anhänger der Pius Bruderschaft auf Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland?

31. Welche Punkte der „Berliner Erklärung“ der OSZE gegen Antisemitismus aus dem Jahr 2004 hat die Bundesregierung konkret umgesetzt? (einzeln aufführen)

32. In wie vielen Fällen kam es nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2000 in Deutschland zur Anzeige wegen des Verdachts antisemitischer Straftaten im Internet und in wie vielen Fällen kam es seitdem zur Verurteilung? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln)

33. Welche Konsequenzen zieht der Breg aus dem Zwischenbericht der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission, die ein einseitiges Bild Israels in deutschen Schulbüchern attestieren?

34. Welche Konsequenzen und konkreten Umsetzungspläne zieht die Bundesregierung aus der „OSCE Berlin Conference on Anti-Semitism“ vom 12. 11.2014 und des „OSCE Civil Society Forum“ vom 11.11.2014?

35. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, den Vorschlag von Außenminister Steinmeier nach einem europäischen „Ausschuss gegen Antisemitismus und Extremismus“ (Frankfurter Rundschau, 2.7.2014) umzusetzen?

36. Welche finanziellen Summen hat die Bundesregierung der Bundeszent-rale für Politische Bildung für Bildungsarbeit gegen Antisemitismus seit 2005 zur Verfügung gestellt? (bitte nach Jahren aufschlüsseln)

 

Berlin, den 28. Januar 2015
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion


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