Simone Hofmann: Offener Brief zu den Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag der Befreiung

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10603395_797595246965279_1482828417116034720_nSehr geehrte Damen und Herren,

ich schreibe Ihnen als Tochter eines Überlebenden des Holocaust, der wie so viele sehr viel erlebt und erleiden musste. Ihre Stimme muss nun die zweite Generation sein und wir dürfen nie vergessen, was unsere Familien erlebt haben.

Natürlich ist es eine große Ehre, dass so viele hochrangige Politiker zu den Gedenkfeiern kommen und Reden halten. Es ist auch sehr wichtig, dass die Überlebenden zu Wort kommen und wir ihnen zuhören. Nur, ich höre die Reden der deutschen Politiker, die im Grunde alle den gleichen Tenor haben, nämlich, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland geschützt werden muss und dass jüdisches Leben in Deutschland wichtig und unverzichtbar ist, dass der braune Mob keinen Platz in der Gesellschaft haben darf und dass man nicht hinnehmen kann, dass jüdische Menschen auf der Strasse angegriffen werden. Aber wo bleibt in den Reden die Aussage, dass es nicht nur die rechte Brut ist sondern heute auch ganz massiv einen Antisemitismus von muslimischer Seite gibt. Auch dieser sollte in der Gesellschaft keinen Platz haben geschweige denn geduldet werden. Aber dieser Antisemitismus wird geduldet.

Ich stelle mir die Frage, warum dann nicht im letzten Sommer mehr getan wurde um uns, die jüdische Gemeinschaft in Deutschland zu schützen? Nicht nur vor tätlichen Angriffen sondern vor den unzähligen Schlachtrufen, die dazu aufriefen, Juden ins Gas zu schicken oder sie abzuschlachten. Warum hat in ganz Deutschland keine Staatsanwaltschaft diese Personen die „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ oder „Chaibar, Chaibar Ya Yahud“ (Synonym für das Morden von Ungläubigen – hier Yahud – auf Juden bezogen) riefen angeklagt? Es gab nicht einen Fall ganz Deutschland, in welchem irgendeine Staatsanwaltschaft Anklage wegen Volksverhetzung oder Aufruf zum Mord erhoben hat. DAS WAR FALSCH UND HIER HAT DIE JUSTIZ IN DEUTSCHLAND AUF GANZER LINIE VERSAGT!!

Ich selbst habe mich an die Staatsanwaltschaft in Berlin gewandt. Der Staatsanwalt sah in dem Ausruf „Chaibar, Chaibar Ya Yahud“ keine Volksverhetzung und auch keinen Aufruf zum Mord.

Dies obwohl ich von einem anerkannten Gerichtsgutachter und Orientalisten eine genaue Erklärung hierzu beifügte. Die Antwort war, dass sich der Staatsanwalt auf Wikipedia informiert hätte und somit keinen Anlass für die Eröffnung eines Strafverfahrens sieht ist für mich ein Armutszeugnis. Dies ist kein Einzelfall. Nirgendwo wurde auch nur ein Demonstrant angeklagt. Auch nicht die, die schrien „Hamas, Hamas Juden ins Gas“ oder gar Schilder mit dem Slogan trugen. Die Polizei nahm ihnen das Schild nicht weg und verhaftete diese Personen auch nicht.

Was ich damit sagen will ist, wenn man schon solche Reden anlässlich der Gedenkfeiern hält, dann muss man auch konsequent sein und sagen, dass die deutsche Justiz im Sommer 2014 geschlafen hat oder im Urlaub war. Nur wer sich der Verantwortung auch im Heute stellt, wer sich zu den lebenden Juden bekennt, der wirkt auch glaubwürdig was er oder sie in Bezug auf die Vergangenheit bzw. in Bezug auf die 6 Millionen ermordeter Juden sagt. Ansonsten sind die Reden leer und könnten auch genau so gut nicht gehalten werden. Denn wenn die deutsche Justiz auf dem Auge blind ist, wie bei den Hassdemonstrationen im Sommer 2014 und nicht reagiert, dann sind wir Juden Freiwild und können vom wütenden Mob angegriffen werden ohne dass es für die Angreifer Konsequenzen hätte. Dann nützen die schönsten und bewegenden Reden bei den Gedenkfeiern nichts, denn nur wenn man das umsetzt, was gesagt wird, nur dann wird man dem gerecht was man sagt und nur dann wirkt man glaubwürdig.

Wir haben es heute mit einer anderen Art von Antisemitismus zu tun. Versteckt und getarnt unter dem Deckmantel der „Israelkritik“ wurde dieser Antisemitismus offenkundig bei den Hassdemonstrationen im Sommer 2014.

Wie gesagt, die Staatsanwaltschaften waren wohl geschlossen im Urlaub und haben die Schlachtrufe nicht gehört. Anders kann ich mir diese Reaktion der deutschen Justiz nicht erklären.

Dieser Brief gibt nur meine persönliche Meinung wieder. Ich spreche nicht im Namen der jüdischen Gemeinschaft sondern ausschließlich in meinem Namen

 

Simone Hofmann

 


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