ULRICH W. SAHM – Unwürdiger Zirkus

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FotoJerusalem, 15. Mai 2015 – Am Donnerstagabend wurde die 34. israelische Regierung in der Knesset vereidigt. Doch anstelle einer würdigen und feierlichen Sitzung mit Anwesenheit des Staatspräsidenten und Gästen auf der prall gefüllten Besuchertribüne wurde der zeremonielle Akt immer wieder verschoben und endete in einem unwürdigen Chaos.

Bis zur letzten Minute wussten die künftigen Minister nicht einmal, ob und welchen Posten sie erhalten würden. Und weil sich die Gespräche mit den Koalitionspartnern beim Premierminister in die Länge zogen, musste die zunächst auf 19 Uhr angesetzte Vereidigung immer wieder vertagt werden.

Vor allem weil der ehemalige Außenminister Avigdor Lieberman mit seiner bei den letzten Wahlen wegen Korruptionsvorwürfen stark geschrumpften Partei dem Premierminister eine gehässige Absage erteilt hatte, verfügt Benjamin Netanjahu nur noch über eine einzige Stimme Mehrheit im Parlament von 120 Abgeordneten. Die entscheidend gestärkte Opposition versprach Netanjahu, das Leben zur Hölle zu machen. Seine Gefolgsleute dürften nicht einmal auf die Toilette gehen, geschweige denn ins Ausland reisen. Bei Abstimmungen könnten sie leicht unterliegen, wenn auch nur ein einziger Abgeordneter im Plenarsaal fehle.

Einen Vorgeschmack der unsicheren Verhältnisse gab es schon im Laufe des Tages, als Netanjahu die fast unmögliche Aufgabe vornahm, die Ministerposten zu verteilen. Denn eine falsche Entscheidung hätte im Handumdrehen dazu führen können, dass sogar ein Koalitionsmitglied abspringt und der Regierung das Vertrauen versagt.

Am Mittag brach Panik aus, als sich Ayub Kara, ein arabischer Abgeordnete des Likud-Blocks, in seinem Büro an die Brust fasste. Seine Mitarbeiter riefen sofort eine Ambulanz und ließen ihn sicherheitshalber ins Hadassa-Hospital abtransportieren. Es war nichts passiert. Aber es sah schon so aus, als würde Netanjahu die eine entscheidende Stimme für die Bestätigung der Regierung am Abend fehlen.

Im Laufe des Tages gab es nur Gerüchte zu der Verteilung der Pöstchen, wobei Netanjahu sowohl seine eigene Partei, den Likud, wie die Koalitionspartner anderer Parteien zufrieden stellen musste. Einige erhielten abgespeckte Posten, oder halbe Ministerien, während Netanjahu ein halbes Dutzend Ämter für sich reservierte, darunter das Außenministerium. Er wollte auch künftig freie Hand für mögliche Koalitionsverhandlungen behalten. Klagen und Beschwerden gab es allemal, bis Netanjahu die Ministerliste fertig gestellt hatte. Gila Gamliel, eine junge Abgeordnete, wollte sich nicht mit „alten Sachen“ begnügen, dem Ministerium für Senioren. So wurden ihren Aufgabenbereich auch noch Jugendliche hinzuformuliert. Namhafte Politiker und Veteranen des Likud, darunter Ofir Akunis und Benni Begin, wurden „Minister ohne Aufgabenbereich“. Das Strategieministerium, früher in den Händen von Netanjahus Vertrautem Juval Steinitz, wurde Israel Katz zugeschlagen, der nun den schönen Titel trägt: Verkehrsminister, verantwortlich auch für Verkehrssicherheit, Geheimdienste und die Kommission für Atomenergie. Netanjahu selber ernannte sich zum Regierungschef, Gesundheitsminister, Außenminister, „Minister im Kommunikationsministerium“ und Minister für regionale Kooperation.

Um 22 Uhr war es endlich so weit. Netanjahu trat ans Podium, um seine Regierung vorzustellen. Er hob an mit der Regierungserklärung: „Wir werden für die Sicherheit der Bürger Israels sorgen und für Frieden…“

Kaum hatte er das Wort „Frieden“ ausgesprochen, brachen Tumulte aus. Ganz laut brüllte der Abgeordnete Ahmed Tibi von der arabischen „Gemeinsamen Liste“ in den Saal „Frieden? Welcher Frieden“. Andere arabische Abgeordnete bezichtigten Netanjahu der Lüge. Er mache sich lächerlich. Einen nach dem anderen rief der Knesset Vorsitzende Juli Edelstein „zur Ordnung“ auf. Ein erstes, ein zweites und ein drittes Mal. Die lauten Zwischenrufe wollten nicht enden. Ordner wurden gerufen. Sie komplimentierten erst einen und dann weitere arabische Parlamentarier hinaus, bis schließlich fast die ganze Truppe der 13 Abgeordneten der „Gemeinsamen Liste“ den Saal verlassen hatte.

Erst zur namentlichen Abstimmung, dem Vertrauensvotum, wurden die rausgeworfenen Abgeordneten wieder zugelassen.

Der Rest des Abends verlief wie üblich. 61 Parlamentarier stimmten für die neue Regierung, 59 dagegen. Netanjahu und seine Minister traten einzeln ans Podium, um den vorgefassten Eid zu sprechen, den Gesetzen und dem Staat Israel treu zu dienen. Das verlief ohne weitere Zwischenfälle, auch sich als der ehemalige Gesetzesbrecher Arieh Machluf Derri nach abgesessener Gefängnisstrafe zum neuen „Wirtschaftsminister mitsamt der Entwicklung von Galiläa und dem Negev“ vereidigen ließ.

Inzwischen hatte der Staatspräsident den Plenarsaal verlassen. Netanjahu rief ihn noch an, und fragte, ob er noch in der Nacht, inzwischen weit nach Mitternacht, mit seinen Ministern für das traditionelle „Familienfoto“ im Präsidentenpalais vorbei kommen dürfe. Doch Rivlin ist nicht mehr der Jüngste und beschied Netanjahu, dass er schlafen gegangen sei. Das Familienfoto mit allen Ministern, dem Regierungschef und Präsidenten wurde auf die nächste Woche verschoben.


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