Jerusalem, 27. Juni 2016 – Zeitgleich haben der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und der türkische Präsident Tayip Erdogan bei Pressekonferenzen in Rom und Ankara den „Versöhnungs-Vertrag“ zwischen Israel und der Türkei vorgestellt.
Netanjahu betonte die „enorme Bedeutung“ des Abkommens für die israelische Wirtschaft, vor allem wegen der Möglichkeit, der Türkei Erdgas verkaufen und es über die Türkei nach Europa weiterzuleiten. Der Vertrag zwischen beiden nahöstlichen „Großmächten“ habe eine strategische Bedeutung, weil er Stabilität bringe inmitten einer chaotischen Region.
Erdogan betonte die türkische Errungenschaft, die israelische „Blockade“ des Gazastreifens durchbrochen zu haben, zum Wohle der Palästinenser. Netanjahu hingegen behauptete das Gegenteil. Die Seeblockade, von der UNO als legitim bezeichnet, bleibe bestehen. Wie schon vorher könne die Türkei Hilfsgüter über den israelischen Hafen Aschdod nach Gaza bringen lassen. Für die Israelis besteht so die Möglichkeit, die Hilfesendungen nach Waffen oder Sprengstoff zu durchsuchen. Nach türkischen Angaben werde das erste Schiff, beladen mit Dutzenden Tonnen Waren schon am Freitag in Aschdod anlegen.
Türkische Bemühungen, die Strom- und Wasserversorgung im Gazastreifen zu verbessern, begrüßte Netanjahu. Das liege auch im Interesse Israels, denn Seuchen oder verschmutztes Grundwasser machten keinen Halt an den Grenzen. Weiter werde die Türkei Israel Zugang zu internationalen Organisation verschaffen. Erst kürzlich habe die Türkei ihr Veto gegen die Eröffnung eines Verbindungsbüros zur NATO in Brüssel aufgehoben.
Kritik an dem Vertrag
In Israel und bei der Palästinenserbehörde in Ramallah hat der Vertrag teilweise Empörung und Widerstände hervorgerufen.
Der ehemalige Minister im Kabinett Netanjahus, Gilead Scher, kritisierte die Bereitschaft Israels, 21 Millionen US-Dollar an die Türkei zu überweisen, um die 9 Todesopfer auf der blockadebrechenden „Mavi Marmara“ zu kompensieren. Die getöteten IHH Aktivisten seien mit Messern und Pistolen bewaffnete „Terroristen“ gewesen, die Israel Entschädigung zahlen müssten. Zudem sei die Entsendung der „Mavi Marmara“ 2010 eine bewusste Provokation der Türkei gewesen. Netanjahu betonte hingegen, dass die Türkei im Tausch versprochen habe und im türkischen Parlament ein entsprechendes Gesetz verabschieden wolle, damit israelische Soldaten in der Türkei nicht vor Gericht gestellt werden könnten.
Scher kritisierte auch, dass Netanjahu den Vertrag schon unterschrieben habe, ohne ihn vorher seinem Kabinett zur Einsicht und Diskussion vorgelegt zu haben.
Protest meldeten die Angehörigen von Soldaten an, die im Gazastreifen während des Krieges von 2014 gefallen seien, deren Leichen aber noch nicht an Israel übergeben worden sind. Mit ihnen protestierten die Familie eines Beduinen aus Israel und eines geisteskranken israelischen Äthiopiers, die sich nach Gaza begeben hätten und dort gefangen gehalten werden.
In Ramallah wird der Vertrag als eine Stärkung der im Gazastreifen herrschenden Hamas gesehen. Die Fatah-Partei von Präsident Mahmoud Abbas und die Hamas sind zutiefst verfeindet.
Hintergrund
Die Türkei war lange Jahre das erste und einzige muslimische Land, das Israel diplomatisch anerkannt hatte. Es bestanden engste wirtschaftliche wie militärische Beziehungen. So konnten israelische Piloten über den Weiten Anatoliens Manöver abhalten. Mit der Machtübernahme Erdogans kam es zu einem tiefen Bruch, zuerst bei einem Treffen mit dem 2009 schon sehr alten israelischen Präsidenten Schimon Peres. Erdogan erniedrigte ihn und wurde nach seiner Heimkehr wie ein Held gefeiert. Zum völligen Bruch und einem Einfrieren der diplomatischen Beziehungen kam es nach der Entsendung der „Mavi Marmara“.
Immer wieder bemühten sich die Amerikaner, die schlechten Beziehungen zwischen Israel und dem NATO-Partner Türkei zu kitten. Der Erfolg der Verhandlungen jetzt liege vor allem an der politischen Isolierung Ankaras infolge der Großmachtpolitik Erdogans. Anstatt Führungsmacht in der islamischen Welt zu werden, habe sich die Türkei mit fast allen arabischen Ländern überworfen, darunter mit Ägypten und Syrien. Problematisch sind auch die Beziehungen Ankaras mit der EU und speziell mit Deutschland.
Der Vertrag mit Israel könnte den Türken dazu dienen, ihr schlechtes Ansehen in der Welt wieder zu verbessern.
Sacha Stawski
http://www.nytimes.com/2016/06/27/world/middleeast/israel-and-turkey-agree-to-resume-full-diplomatic-ties.html?_r=0