Zu den Teilnehmern zählten die Generalsekretärin der FDP, Nicola Beer, Annette Greilich, Schulleiterin aus Gießen, Dervis Hizarci, Vorsitzender des KIGa e-V. – Politische Bildung für die Migrationsgesellschaft, Salomon Korn, der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Omid Nouripour. Es moderierte Pfarrer Andreas Hannemann, Vorsitzender der Evangelischen Allianz Frankfurt. Veranstalter waren die Frankfurter Grünen und die Frankfurter FDP.
Ich hatte ursprünglich bedenken zur Veranstaltung zu gehen, da ich befürchtete, es wird wie fast immer, eher um Nahostpolitik gehen statt um Antisemitismus. Um so überraschter war ich als der Moderator Pfarrer Hanneman in seinen einleitenden Worten die Expertin Monika Schwarz Friesel zitierte. Er erwähnte, dass er in den Gesprächen zwischen dem Rat der Religionen sowie der jüdischen Gemeinde Frankfurt gelernt habe, dass Kritik an Israel auch antisemitisch sein kann (aber nicht sein muss).
Insgesamt war das Niveau der Diskussion überraschend hoch, man merkte, dass die meisten Podiumsteilnehmer sich intensiv mit Antisemitismus in D beschäftigt hatten. Der Nahostkonflikt wurde nur am Rande erwähnt, um den Blickwinkel von Muslimen bzw. Arabern zu verstehen, aber, evtl. weil die Zuschauerteilnehmerzahl so gering war, wurde nicht wieder ein Friedensplan in Frankfurt/Main „erarbeitet“ und man blieb ausnahmsweise beim eigentlichen Thema.
Ich war dankbar, als Nicola Beer (FDP) erwähnte, dass die Weigerung von ARTE/WDR die Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt“ zu senden, ein einschneidender Alarmschuß war, denn genauso empfand ich dies auch. Es war ein lauter Weckruf für die gesamte deutsche Gesellschaft, wenn uns nicht französische Zustände drohen sollen. Frau Beer konnte es nicht nachvollziehen, was an der Dokumentation „falsch“ gewesen sei. Es wurde deutlich, dass sie sich mit dem 2. Antisemitismusbericht der Bundesregierung intensiv außer einander gesetzt hat. Die Podiumsteilnehmer waren sich alle einig, dass BDS klar antisemitisch sei. Sie erzählte wie sie erstarte als junge Juden sie fragten, ob es für sie als Juden in Deutschland sicher sei in Zukunft zu leben und eine Familie zu gründen.
Herr Omid Nouripor (die Grünen) stammt ursprünglich aus dem Iran und kam vor mehr als 25 Jahren als Kind nach Deutschland. Er sagte offen, dass er damals voller antisemitischer Vorurteile war, aber mit der Hilfe zweier konsequenter Lehrkräfte, diese überwunden habe.
Etwas befremdend fand ich die Antwort von Herrn Professor Korn (Jüdische Gemeinde), als er gefragt wurde, ob er Antisemitismus in Deutschland erlebt habe und wie es sich als Jude lebe. Er verneinte dies; er wäre noch nie persönlich mit Antisemitismus konfrontiert worden. Dies gäbe es in Frankfurt/Main so gut wie gar nicht, vermutlich weil Frankfurt so multikulturell sei und man Unterschiede gewohnt sei. Frankfurt/Main wäre ein Vorbild für ganz Deutschland.
Ich musste nachdenken: Aber war da nicht was während des Gaza Krieges? Antisemitische Parolen auf der Hauptwache, Morddrohungen gegen alle Juden, und gab es nicht einige Vorfälle, wie z.B. die Attacke auf Rabbiner Gurewitz, eingeschlagene Fensterscheiben, Graffitischmierereien, usw…. Auch bei meiner eigenen Ankunft in Deutschland, hatte man mir mitgeteilt keine Kippa und keinen Magen David offen zu tragen; nicht wegen den Deutschen, sondern wegen hier lebenden Palästinensern und Arabern.
Ein anderer russischer jüdischer Zuhörer, ebenfalls wohnhaft in Frankfurt, widersprach Professor Korn und erzählte von einigen seiner persönlichen Erlebnisse mit Antisemitismus in Frankfurt. Ich musste an den ehemaligen israelischen Botschafter denken, der richtigerweise sagte, man könne 20 Jahre lang mit Kippa in Deutschland herumlaufen und nie Probleme haben, während andere nur 2 Monate in Deutschland sein mochten und ständig Probleme hatten. Glück und Pechsache. Dennoch war die klare Tendenz, von Herrn Korn, sowie Frau Greilich (Schulleiterin) das Problem Antisemitismus zu verharmlosen. Wenn ein Hakenkreuz an eine Schule in Hessen gemalt würde, sei dies ja schon eine Straftat, und dies sei der Hintergrund für die meisten antisemitischen Vorfälle an Hessens Schulen, wie sie meinte. Auch wurde während der Diskussion klar, dass wenn behauptet wird, dass Juden z.B. für 9/11 verantwortlich gewesen sein, was für jeden klar als antisemitische Verschwörungstheorie erkennbar sein sollte, Frau Greillich solche Aussagen aber nicht als antisemitisch einstuft. Eventuell fehlt ihr hier einfach das nötige Wissen und Verständnis. Frau Beer hingegen, war in diesem Zusammenhang sehr gut vorbereitet, und hatte die genauen Statistiken von registrierten Vorfällen in Hessen parat.
Professor Korn verwies auf Statistiken, dass rund 20% der deutschen Bevölkerung antisemitische Vorurteile hätten, wurde aber von Herrn Hizarci (KIGA) korrigiert, der darauf hinwies, dass aktuellere Statistiken richtig wären, die belegen, dass etwa 40% (d.h. fast jeder 2.) antisemitische Vorurteile hat (insbesondere versteckt hinter anti-Zionismus/anti-Isrealismus). Von den Politikern und Herrn Hizarci wurde das Phänomen, dass sich oftmals hinter der so genannten „Israelkritik“ und Antizionismus nichts anderes als Antisemitismus verbirgt, nicht angezweifelt; jemand erwähnte auch die Obsession mit der man sich in Deutschland mit Israel beschäftige.
Sehr angenehm empfand ich auch Herrn Hizarci, der erzählte, wie wichtig es sei, dass wenn man junge Muslime über Antisemitismus aufklärt, man ihnen auch Raum geben müsse ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen zu äußern; nicht um einen Opfer Konkurrenzkampf zu entfachen, sondern um Empathie zu erzeugen. Auch würde dies dem Vorwurf entgegen treten, dass man sich „nur“ um jüdische Belange kümmern würde, was wiederum als Zeugnis der „Vorherrschaft der Juden“ von einigen interpretiert würde. Dies war durchaus einleuchtend. Wie oft hört man, ach ein jüdischer Schüler wurde in der Schule gemobbt, aber wenn andere Schüler gemobbt würden, interessiere sich niemand dafür. Er machte auch deutlich, dass Muslime ebenfalls eine Minderheit in Deutschland sind, und selbst wenn 60% der Muslime antisemitische Vorurteile hätten, diese nur ein kleiner Bruchteil der großen Masse Nicht-Muslimischer Menschen mit antisemitischen Vorurteilen wären. Die Tendenz sei, sich ausschließlich, oder zumindest vorwiegend auf Muslime beim Thema Antisemitismus zu fokussieren, während der Antisemitismus der „besseren“ Schicht (Bildungsklasse) überhaupt nicht erwähnt würde, wie eine Dame aus dem Publikum später meinte. Herr Korn ergänzte dies durch die Aussage, dass Antisemitismus allgemein „frecher“ und offener geworden sei. (Nicht angemerkt wurde in der Diskussion allerdings, dass der islamistische Antisemitismus sehr oft leider viel gewalttätiger ist, wie die traurige Bilanz in Frankreich, Belgien und Niederlande, zeigt.)
Herr Hizarci erklärte, dass es durchaus Suren im Koran gäbe die antisemitisch seien, z.B. Medina, aber man diese in den historischen Kontext lesen könne und es auch positive Suren gäbe. Er bemängelte den Mangel an Unterstützung der Allgemeingesellschaft für „liberale“ Muslime – viele kommen nie zu Wort, oft müßten diese mehr oder weniger „untergetaucht“ leben wegen Drohungen. Er betonte, dass es im Islam verschiedene Strömungen gibt, und die meisten Muslime sich nicht ständig Gedanken über Juden machen würden. Es wurde in der Diskussion allerdings durchaus erwähnt, dass die meisten Syrischen Flüchtlinge antisemitische Vorurteile haben würden, ähnlich wie Omid Nouripour diese hatte, der als Kind eben auch in genau in diesem vorurteilsbehafteten Umfeld aufgewachsen war.
Frau Beer sowie Herr Pfarrer Hanneman waren sich einig, dass sie sehr viel durch ihre Reisen nach Israel gelernt haben, und wer nicht in Israel je gewesen ist, sollte mit Kritik vorsichtig sein und sich richtig informieren. Man sagte, natürlich darf und muss Israel kritisiert werden dürfen (um sich zu verbessern) wie jeder andere demokratische Staat, solange man den 3-D Test beachte, wie Herr Hannemann meinte. (Ich musste lachen… na ja, welcher andere Staat bekommt solche Aufmerksamkeit und wird nur annähernd so oft kritisiert, wie Israel!)
Es wurde diskutiert, ob man wirklich von neuem Antisemitismus reden könne und was hiermit gemeint wäre; der muslimische Antisemitismus? Man kam eher zum Ergebnis, die Form sei nur anders, das Phänomen bleibe das gleiche.
Weiter wurde diskutiert, wie man Antisemitismus wirksam bekämpfen könne. Ein Vorschlag war mehr Schüleraustausch mit Israel und Reisen nach Israel.
Als ein Fragesteller Herrn Hizarci herausforderte, die Eltern eines muslimischen Mädchens würden dieser doch niemals erlauben an einer Israelreise teilzunehmen, wenn diese nicht einmal zum Schwimmunterricht gehen dürfe, erzählte Herr Hizarci, dass KIGA in Berlin bereits seit Jahren Israel Reisen unternehmen würde. Am Anfang hätte es Probleme gegeben, aber inzwischen würden auch Eltern der Kinder fragen, ob sie nicht auch mal nach Israel reisen könnten. Er betonte, dass man nicht pauschalieren solle – immer qualifizieren – dass dies auch unfair gegen viele Muslime sei.
Wie die Shoah in Deutschland Schulen gelehrt wird, wurde auch besprochen. Zum einem, stünden wir vor einer Zeitenwende da es in absehbarer Zukunft keine Zeitzeugin mehr geben wird. Zum anderen, haben Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine andere Familiengeschichte und somit einen anderen Bezug zum 2. Weltkrieg. Ich stimme dem zu, allerdings wird die Shoah auch in australischen Schulen usw. gelehrt – eigentlich ein Muss für alle Schulen weltweit, da es für alle Menschen wichtig ist, über diesen Zivilisationsbruch zu lernen. Die Shoah ist Teil der Menschheitsgeschichte und eben nicht nur „deutsche Geschichte“ und „deutsches Monopol“. (Ich bin nie in Deutschland zur Schule gegangen, und frage mich, wie es in Deutschland gelehrt wird – mit Anweisung „du musst Dich schuldig“ fühlen oder weshalb dieses Bedenken, ob Migranten über die Shoah lernen sollen?)
Komisch aber gewissermaßen „typisch deutsch“ (Tendenz ins Extreme zu gehen) fand ich Frau Greilichs Vorstoß, dass man durch die Massen-Einwanderung, die gesamte Geschichte des Mittelalters usw. anders lehren müsse. Warum? In Australien käme niemand auf die Idee, die Geschichte von allen Herkunftsländern durchzunehmen und den australischen Lehrplan zu ändern…..
Die Frage wurde aufgeworfen, ob durch die Migrationswelle aus Syrien, Nahost, sowie Nordafrika einen Anstieg in Antisemitismus zu befürchten sei. Herr Korn verneinte dies, mit der Begründung a) die meisten Muslime sein türkischer Herkunft in Deutschland (obwohl seit Erdogan, Antisemitismus auch in der Türkei grassiert und obwohl wir alle den nazistischen türkischen islamischen Antisemitismus im Internet während der Flottila Saga erleben durften), b) in Frankreich lebten die meisten Muslime bereits seit Generationen und Frankreich hätte eine Kolonialgeschichte, Deutschland nicht und c) anders als in Frankreich, seien Muslime relativ gut im Arbeitsmarkt in Deutschland integriert (was ist mit den 2 Million Zuwanderern?) – Für mich war diese Antwort eher unbefriedigend: klar wir haben glücklicherweise (noch) keine französischen Verhältnisse, aber wie die meisten, fürchte ich, wenn nicht sofort starke Weichen gestellt werden, dies durchaus der Fall werden könnte. Die Uhr tickt.
Ein weiterer Vorschlag war, daß alle Schüler für ein oder zwei Jahre über alle Weltreligionen lernen.
Nach der Diskussion konnte ich kurz mit Frau Beer sprechen und fragte direkt, weshalb keine einzige Forderung des 1. Antisemitismusberichts umgesetzt worden war. Man sagte mir, es würde derzeit in den Kultusbildungsministerien bearbeitet, dauere einfach lange und man müsse auch Lösungen finden, wie die Shoah ohne Zeitzeugen gelehrt werden solle. Ich sagte, das AJC Berlin hätte doch ein erfolgreiches Lehrstoffprogramm in Berlin erarbeitet, welches nach erfolgreichen Pilottests, bereits in ganz Berlin verwendet wird. Warum kann dieses nicht bundesweit verwendet werden? Man vertröstete mich. Ich erzählte, dass der Sohn einer jüdischen Freundin in Düsseldorf antisemitisch angefeindet wird, und dies von Schülern türkischer Herkunft, usw., und dass es auch in Frankfurt nicht immer alles so „rosig“ sei. Ich erzählte, dass man dazu tendieren würde „nicht auffallen“ zu wollen. Auch sprach ich an, dass wenn man antisemitische Graffiti meldet, diese von der Justiz als „politisch“ eingestuft wird (also überhaupt nicht als Antisemitismus) und man oft ohnehin nichts melden würde, da dies zumeist nichts bringt. So warnte ich vor einer hohen Dunkelziffer, die keine Beachtung in den Statistiken findet. Genauso erwähnte ich den Fall einer nicht-jüdischen Freundin, die, als diese (naiver Weise) offen mit Israel Fahne in der Hand von einer Solidaritätskundgebung nach Hause ging, angegriffen worden war. Aber in Frankfurt am Main gibt es ja kein Antisemitismus…. Zu guter letzt, fragte ich auch, weshalb es in Frankfurt kein KIGA gibt… man wusste es nicht. Durch ein Gespräch mit dem katholischen Mitglied des Frankfurter Rats der Religionen vor einigen Jahren erfuhr ich, dass es zumindest damals von offizieller muslimischer Seite keine Interesse gegeben hätte, und wenn es nicht von den muslimischen Gemeinden selbst kommen würde, es nichts bringen würde. Dennoch, eventuell sollte man in Erwägung ziehen die offiziellen „Vertreter“ einfach zu übergehen? Die Arbeit von Organisationen wie KIGA ist wichtiger denn je….
Sacha Stawski
http://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-der-judenhass-der-anderen-a-1339916