Al-Jazeera Interview mit Hashemi Rafsanjani
Am 12. September 2003 gab der ehemalige iranische Staatspräsident Hashemi Rafsanjani auf Al-Jazeera ein Interview. Nachdem Rafsanjani 1989 mit 94,5 % der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde, schaffte er das Amt des Ministerpräsidenten ab und übernahm die Leitung der Regierung. Im Mai 1997 wurde er von Mohammad Khatamie abgelöst. Rafsanjani gilt ebenso wie sein Nachfolger Khatamie als moderater und liberaler Islamist. Das Interview wurde auf der Internetseite der Staatlichen Arbeiteragentur des Iran (ILNA) veröffentlicht:
Al-Jazeera: Amerika hat den Irak angegriffen, obwohl eine irakische Regierung an der Macht war. Für Amerika ist eine vorhandene Landesregierung kein Grund, nicht in dieses Land einzumarschieren. Was denken Sie darüber?
Rafsanjani: Wenn nur ein Prozent der Iraker die irakische Regierung unterstützt hätte, wären die Amerikaner nicht in der Lage gewesen, die despotische irakische Regierung zu stürzen. Die Iraker sind [trotzdem] nicht glücklich über die Präsenz der Amerikaner im Irak. Die Iraker sind Muslime und ein stolzes und mutiges Volk. Wir kennen kein Volk, das die Besetzung seines Landes durch seinen Feind begrüßen würde.
Al-Jazeera: Nehmen Sie die Drohungen der Amerikaner und der Israelis gegen Ihr Land ernst?
Rafsanjani: Wir werden seit 25 Jahren von Amerika bedroht und wir haben uns daran gewöhnt. Vor der Revolution regierten die Amerikaner im Iran und kontrollierten sogar das Militär und den SAVAK [ehemaliger Geheimdienst]. Wir kämpften allein gegen den Schah und hatten schon damals keine Angst vor Amerika. Natürlich kann Amerika auch Schaden anrichten. Sie haben Afghanistan und den Irak angegriffen und beide Länder besetzt. Daher sind wir stets auf der Hut, dass uns das nicht passiert. Wir haben aber keine Angst, nur weil Amerika überall präsent ist. Imam Khomeini sagte: “Man muss vor einem wilden Stier, der keine Hörner und keinen Verstand hat, Angst haben.”
Al-Jazeera: Israelische Zeitungen haben von der möglichen Bombardierung der iranischen Atomanlagen berichtet. Was meinen Sie dazu?
Rafsanjani: Wir machen uns überhaupt keine Sorgen. Wenn Israel solche Dummheiten tun würde, wird es eine Antwort erhalten, die nicht vergessen wird, solange es Geschichtsschreibung gibt. Sie stoßen diese Drohung nur im Rahmen ihres psychologischen Krieges aus.
Al-Jazeera: Was denken Sie über die Ereignisse in Palästina?
Rafsanjani: Die Lage in Palästina ist sehr schlecht. Ich sehe wie das genügsame palästinensische Volk nicht einmal Schutz in seinem eigenen Land findet. In Palästina haben die Amerikaner, die Europäer, die Russen und die Vereinten Nationen die “Road Map” ins Leben gerufen. Die arabischen Staaten unternehmen aus Angst und Verzweiflung nichts. Israel hört auf niemanden und hat die “Road Map” ignoriert. […] Israel baut weiter an der Mauer, die nur die ungerechte Behandlung der Palästinenser offenbart, wogegen aber niemand protestiert. Die einzige Hoffnung ist, dass die Palästinenser entschlossen sind, für die Realisierung ihrer Ziele ihr Leben zu opfern. Wenn die Palästinenser weiter so verfahren, wird Amerika schließlich besiegt werden.
Al-Jazeera: Glauben Sie an einen Frieden mit Israel?
Rafsanjani: Meines Erachtens will Israel gar keinen Frieden. Israel und Amerika haben einige ihrer Ziele schon realisiert. Es ist überhaupt nicht eindeutig klar, ob der Irak nicht besetzt worden ist, um Israel zu schützen. Die Israelis haben nichts unternommen, was beweisen könnte, dass sie eine friedliche Koexistenz mit den Palästinensern und ihren Nachbarländern wollen. So lange sie nicht bereit sind, an die fünf bis sechs Millionen palästinensischen Flüchtlinge zu denken, wird es nie einen Frieden geben. Die Flüchtlinge wollen in ihr Land zurückkehren, aber Israel lehnt dies ab und bietet keine andere Lösung. Wir haben Wahlen unter der Aufsicht Amerikas, Englands und der UNO gefordert, an der alle Palästinenser und [alle] Juden beteiligt sein sollten. Das ist der einzig gangbare Weg.
Al-Jazeera: Was könnte der Iran und die arabische und islamische Welt gegenwärtig unternehmen bis die von ihnen geforderten Wahlen durchgeführt werden? Ich glaube nicht, dass Israel von seiner Position abrücken wird, denn das Ergebnis solcher Wahlen wird die israelische Regierung vorhersehen können. Aber weder der Iran noch die arabische und die islamische Welt unternehmen etwas. Worauf warten sie?
Rafsanjani: Wir können nur die Palästinenser, die für ihre Unabhängigkeit kämpfen, unterstützen. Die [anderen] Muslime und die Regierungen anderer Staaten sollten dies auch tun. Wenn dies passiert, können die Palästinenser hoffen, ihr Ziel zu erreichen.
Al-Jazeera: Es wird behauptet, Amerika habe den Einfluss des Iran im Ausland eingedämmt. Ebenso wird behauptet, dass Amerika die Europäer davon überzeugt habe, der atomaren Bedrohung des Iran zu begegnen. Xavier Solana, Sprecher der europäischen Außenpolitik, hat in Teheran Drohungen gegen den Iran ausgesprochen. Was denken Sie darüber?
Rafsanjani: Wir haben Erfahrungen mit Krieg und Wirtschaftsboykott gemacht. Wir sind aber unseren Prinzipien treu geblieben. Wir haben große Fortschritte gemacht: Die Atomtechnologie gehört dazu. Die Amerikaner sorgen unnötigerweise für sehr viel Aufregung. Der Bau von atomaren Reaktoren hat schon vor der Revolution begonnen. Vor der Revolution sollten 20 Reaktoren gebaut werden, dafür wurden Milliarden Dollar freigestellt. Angefangen wurde mit dem Bau von zwei Reaktoren in Bushehr und einem Reaktor in Darkhuin. Nach dem Krieg gegen den Irak haben wir statt zwanzig nur sieben Reaktoren geplant. Jeder Reaktor sollte 7000 Megawatt Energie produzieren. […] Wir haben friedliche Ziele, nur wollen die Amerikaner nicht, dass wir diesen Stand der Technik erreichen. Wir sind entschlossen, die Reaktoren in Betrieb zu nehmen und niemand kann uns von dieser Position abbringen.
Al-Jazeera: Was halten Sie von den europäischen Positionen?
Rafsanjani: Wir haben keine Angst vor Drohungen. Wir werden unsere Arbeit machen und unsere Wissenschaftler werden ihre Arbeit machen. Sie sind damit beschäftigt, den Energiebedarf unseres Landes zu decken.
Al-Jazeera: Glauben Sie nicht, dass dies Ihren Beziehungen zu Europa schadet?
Rafsanjani: Wir erwarten, dass die Europäer keine Fehler machen. Die Amerikaner haben mehrfach versucht unseren Interessen zu schaden. Die Europäer wissen dies und müssen die Interessen ihrer Völker berücksichtigen. Wenn wir merken, dass sie es ernst meinen mit ihren Drohungen, werden wir trotzdem unseren Weg gehen.
Al-Jazeera: Was fordern Sie gegenwärtig von Amerika?
Rafsanjani: Der islamische Staat im Iran verträgt sich nicht so sehr mit der westlichen Politik, besonders nicht mit der amerikanischen Politik. Für die Amerikaner ist der Islam nicht wichtig. Das war schon immer so. Und wenn sie davon sprechen, dass wir unser Verhalten ändern müssten, meinen sie, dass wir uns den Amerikanern ergeben sollten. Etwas anderes wird sie nicht zufrieden stellen. Wir wollen nichts Besonderes von Amerika. Wir erwarten nur, dass Amerika keine Schande über den Iran bringt und dass Amerika akzeptiert, dass es in unserem Land eine Revolution gab und die Bevölkerung ihre Regierungsform selbst gewählt hat.
Al-Jazeera: Washington hat erklärt, dass ein Dialog mit dem Iran nutzlos ist. Wie schätzen Sie die Fortsetzung des Dialoges mit Amerika ein?
Rafsanjani: Wir gehen davon aus, dass Amerika sehr gerne mit dem Iran ins Gespräch kommen würde. George Bush senior, Ronald Reagen und Bob Dulles haben uns signierte Bibeln zugeschickt. Der Berater des Weißen Hauses, Mac Farren, hat uns sogar Kuchen und Blumen geschickt. Trotzdem muss Amerika zuerst seine guten Absichten unter Beweis stellen, was es bisher nicht getan hat.
Al-Jazeera: Aus verschiedenen Quellen ist zu entnehmen, dass Sie eine Delegation nach Washington geschickt haben, um Gespräche mit Washington aufzunehmen. Washington soll jedoch kein Interesse an Gesprächen gezeigt haben. Können Sie diese Nachricht bestätigen?
Rafsanjani: Das ist eine glatte Lüge und psychologische Kriegsführung. Es steht überhaupt nicht in meiner Verantwortung, solche Gruppen zu entsenden. Ich kann solche Aktivitäten nicht im Alleingang unternehmen. Und wenn etwas unternommen werden soll, wird zuerst der religiöse Führer unterrichtet, der darüber entscheidet. Ein solches Unternehmen muss von der Regierung beschlossen werden. […]
Al-Jazeera: Was denken Sie über die Verhaftung des iranischen Ex-Botschafters in London durch die Londoner Polizei? Wie will der Iran ein solches Problem lösen?
Rafsanjani: Für mich handelt es sich dabei um einen [rein] politischen Akt. Die Verhaftung steht in einer Reihe mit anderen Vorwürfen [gegen den Iran]: Militärische Sicherheitsprobleme, atomare Gefahr, Unterstützung des Terrorismus und Al Qaida. Sie wollen Druck auf uns ausüben. Wenn dies ein juristischer Fall wäre, warum wird erst nach neun Jahre etwas unternommen? Wir sind davon überzeugt, dass die Engländer lügen. Auch daran haben wir uns gewöhnt.
Al-Jazeera: Was werden Sie gegenüber Argentinien unternehmen?
Rafsanjani: Wir beabsichtigen das Problem friedlich zu lösen. Wir werden sowohl mit den Engländern als auch mit den Argentiniern verhandeln. Sobald wir aber realisieren, dass sie unlogisch handeln, werden wir nicht tatenlos zusehen, sondern das Notwendige unternehmen.
Al-Jazeera: Was denn beispielsweise?
Rafsanjani: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wenn wir etwas unternehmen sollten, werden Sie es schon erfahren.
Al-Jazeera: Sie haben in den letzten Jahren mehrmals eine Stärkung der iranisch-arabischen Beziehungen betont. Gibt es dabei Fortschritte? Entsprechen die unternommenen Schritte ihren Erwartungen?
Rafsanjani: In Bezug auf die islamischen und arabischen Staaten gehen wir von freundschaftlichen Beziehungen aus, insbesondere mit den Arabern. Dies ist sogar in unserer Verfassung festgelegt. Aber stets haben bestimmte Kräfte versucht, diese Politik zu unterlaufen. Manche Araber glauben, dass die Gefahr, die vom Iran ausgeht nicht geringer ist als die Gefahr, die von Israel ausgeht. Deswegen konnte der Irak auch einen Krieg gegen uns führen. Unsere gemeinsamen Feinde, die Feinde der Araber und unsere eigenen, haben uns viele Steine in den Weg gelegt.
Trotzdem kann man sagen, dass unsere Beziehung zu den arabischen Staaten, wenn nicht sogar sehr gut, dann doch gut ist. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass unsere Beziehungen noch besser und gefestigter werden müssen.
Nehmen wir zum Beispiel Ägypten. Als Ägypten das Camp David-Arrangement akzeptierte, waren wir gezwungen, unsere Beziehungen zu Ägypten abzubrechen. Denn wir waren der Meinung, dass Camp David den Palästinensern geschadet und darüber hinaus den Jihad gegen Israel gebrochen hat. Imam Khomeini beschloss damals sofort, die Beziehungen mit Ägypten abzubrechen. Wir konnten nicht einfach die politische Linie des Imam Khomeini ändern. Jetzt hat sich die Lage allerdings geändert. Viele unserer Politiker und auch ich glauben, dass sich die Beziehungen zu Ägypten normalisieren sollten.
Al-Jazeera: Gegenwärtig wird Druck auf die Hisbollah ausgeübt. Betrachtet der Iran die libanesische Hisbollah als einen ernstzunehmende Machtfaktor und einen Verbündeten oder könnten Sie auf diese Partei verzichten?
Rafsanjani: Die libanesische Hisbollah gehört zu unseren guten Freunden im Ausland. Wir haben sehr ähnliche Glaubensvorstellungen. Sie sind gute Mojaheds, aufopferungsbereit, sehr mutig und ihre Pflicht ist die Verteidigung ihres Landes. Israel ist eine ernsthafte Gefahr und sie kennen dieses Land besser als wir. Die Hisbollah genießt großes Ansehen in der arabischen Welt. Ein Beweis für ihre große Macht ist die Tatsache, dass sie Israel aus Süd-Libanon vertrieben haben. Die Regierung im Libanon unterhält freundschaftliche Beziehungen zur Hisbollah. Aber die Hisbollah ist unabhängig von uns, sie sind lediglich unsere Freunde.
Al-Jazeera: Sind ihre Beziehungen zur Hisbollah wirklich ausschließlich freundschaftlich?
Rafsanjani: Sie sind ebenso wie wir Schiiten. Wir helfen ihnen und das leugnen wir nicht. Aber wir mischen uns nicht in ihre Angelegenheiten ein. Sollen doch manche glauben, dass sie unter der Regie des Iran arbeiten. Aber das stimmt nicht. Sie haben eine Kommission, die sie selber gewählt haben. Es gibt keinen Grund, warum uns erwachsene Menschen um Rat fragen sollten.
Al-Jazeera: Im Iran gibt es das Problem der so genannten Reformen. Was soll ihrer Meinung nach aus diesen Reformen werden?
Rafsanjani: Jede Regierung, jede Gruppierung, jede Familie muss sich stets korrigieren und an die Zukunft denken, die besser als die Gegenwart sein sollte. Wenn es keinen Maßstab für die Reformen und deren Durchführung gibt, dann ist das problematisch. Aber es hat schon immer Reformen im Iran gegeben.
Al-Jazeera: Glauben Sie, dass die Bevölkerung mit der Islamischen Republik und der politischen Führung einverstanden ist?
Rafsanjani: Sicherlich steht der wichtigste Teil der Bevölkerung hinter uns und der Revolution. Natürlich gibt auch welche, die etwas anderes wollen, das war schon am Anfang der Revolution der Fall.
Al-Jazeera: Wollen Sie abschließend etwas zu den gegenwärtigen Problemen im Inland und Ausland sagen?
Rafsanjani: Die Menschen müssen wissen, dass mit dem Einmarsch der Amerikaner und der Engländer in unsere Region, die islamische Gesellschaft und die Länder der Region einer großen Schande ausgesetzt sind. Manche glauben, dass Amerika eine Supermacht ist und die irakische und afghanische Bevölkerung mit guten Ansichten befreien wollte. Die Kriege haben aber gezeigt, dass dies eine Illusion war. Die Amerikaner verfolgen lediglich ihre eigenen Ziele. […]
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