Iran, ein neues Mitglied der Arabischen Liga?
Nachdem der Sprecher des iranischen Außenministeriums auf einer Sitzung des Golfkooperationsstaaten (GCC) am 30. November erklärt hatte, dass „Teheran darauf wartet, Mitglied in der Arabischen Liga zu werden” [1], ist im Iran eine öffentliche Diskussion über diese Frage in Gang gekommen. Darin kommt ein Identitätskonflikt zum Ausdruck, der die Iraner vor allem seit der Revolution beschäftigt: Soll sich der Iran mehr auf die eigene nationale Geschichte beziehen oder wird die iranische Identität vor allem von der schiitischen oder gar von einer panislamischen Identität bestimmt?
Diese Fragen entscheiden auch über die politische Orientierung des Landes. So versprechen sich manche Iraner von einer Mitgliedschaft in der Arabischen Liga eine größere Solidarität der arabischen Staaten in Konfliktsituationen. Beispielsweise habe der ägyptische Ex-Außenminister, Amr Mussa, der gegenwärtig den Vorsitz der Organisation innehat, den Iran in der Atomfrage besonders unterstützt. Obwohl es in der Debatte nur um eine Mitgliedschaft in Form eines Beobachterstatus geht, erklären andere Wissenschaftler und Politiker dagegen, dass eine Mitgliedschaft des Iran in der Arabischen Liga, den Interessen des Landes schaden würde.
Die Aussagen des Sprechers des iranischen Außenministeriums, Hamidresa Asefi, auf der letzten Sitzung der Golfkooperationsstaaten (GCC) machen deutlich, dass er darum bemüht war, Gemeinsamkeiten iranischer und arabischer Interessen hervorzuheben: „Die Sitzung der Golfkooperationsstaaten (GCC) findet in einer sehr sensiblen Zeit statt. Wir erwarten, dass unsere Brüder mit einer korrekten Vorstellung von den Realitäten der islamischen Welt die Hauptprobleme an der Wurzel packen. Alle islamischen Staaten werden von der Speerspitze des zionistischen Regimes bedroht.”[ebd.] Um die Relevanz der Anerkennung einer Mitgliedschaft des Iran als Beobachter in der Arabischen Liga im Rahmen der GCC-Sitzung zu unterstreichen, wies Hamidresa Asefi weiterhin auf die Verflechtungen der iranischen Außenpolitik mit den arabischen Ländern hin.
Auch der religiöse Führer des Iran, Ali Khamenei, betonte bei seinem Treffen mit dem Ministerpräsidenten von Djibuti, Ismail Omrgele, dass eine Verbesserung der Beziehung des Iran mit den islamischen Ländern die erste Priorität in der iranischen Außenpolitik habe. Ali Khamenei führte aus: „Dem Willen unserer Feinde zum Trotz, die die Widersprüche und die Distanz zwischen den islamischen Ländern vergrößern wollen, müssen sich die islamischen Länder mehr als je zuvor annähern und die islamische Umma im wahrsten Sinne des Wortes realisieren.” [2]
Auf der anderen Seite veröffentlichte die staatliche Presseagentur ILNA ein Interview zur Frage einer iranischen Mitgliedschaft in der Arabischen Liga mit Pirus Mojtahedsadeh, einem iranischen Wissenschaftler am Centre for Geopolitics and International Borders Studies der University of London[3]:
ILNA: „Welchen Einfluss hätte der Iran mit einem Beobachterstatus auf die Beschlüsse der Arabischen
Liga?” Mojtahedsadeh: „Was haben die Beschlüsse der Arabischen Liga mit uns zu tun? […] Wir sind doch keine Araber. Warum müssen wir unsere Persönlichkeit, unsere Identität, unsere Nationalität mit Füßen treten und Mitglied von Organisationen werden, die den arabischen Völkern gehören -nur um dort mit der
Infragestellung unserer nationalen Identität konfrontiert zu werden? Ich verstehe diese
Auseinandersetzung nicht […]. Warum wird nicht bedacht, dass die Arabische Liga vor dem Hintergrund
des Panarabismus entstanden ist und zwar um eine arabische Identität zu manifestieren.
Zunächst muss doch deutlich werden, dass der Antrag auf die Mitgliedschaft in einer solchen
Organisation, gleich unter welchem Motto, eine nationale Entscheidung sein muss. Wie kann denn ein
Staatsapparat wie das iranische Außenministerium eigenmächtig einen solchen Antrag stellen, ohne zu
berücksichtigen, dass ein derartiger Schritt die mehrtausendjährige Identität einer ganzen Nation verletzt.
[…] Wir müssen unsere Zusammenarbeit mit den arabischen Staaten erweitern. Wir müssen auch in
Fragen der nationalen Sicherheit und anderen Interessen mit den arabischen Staaten zusammenarbeiten.
Aber niemand darf einen Antrag stellen, in dessen Folge die eigene Identität für die Entwicklung der
iranisch-arabischen Beziehungen geopfert werden muss. […]”
ILNA: „Können wir nicht auf diesem Wege den Palästinensern helfen?”
Mojtahedsadeh: „Wer glaubt, dass auf diesem Wege den Palästinensern geholfen werden kann, irrt sich
gewaltig. Menschen dieser Meinung sollten ihre Augen öffnen und sich die Arabische Liga genau ansehen,
damit sie erkennen, wie viel Mühe sich diese Organisation in den letzten 40-50 Jahren tatsächlich mit den
Palästinenser gegeben hat.”
ILNA: „Erklärt nicht die Präsenz eines Vorsitzenden wie Amr Mussa den Antrag des Iran?”
Mojtahedsadeh: „Auch wenn der gegenwärtige Vorsitzende der Arabischen Liga ein besonders guter
Diplomat ist und sich mit den Problemen der gesamten Welt gut auskennt, rechtfertigt dies nicht, dass wir
unsere nationale Identität mit Füßen treten. Wir können nicht Mitglied einer Organisation werden, die die
Manifestation einer arabischen Identität verfolgt; einer Organisation, deren Prinzipien auf Nationalismus
und Panarabismus beruhen wie sie von Nasser und Saddam Hussein verfolgt wurden und die der
iranischen Identität stets feindselig gegenüberstanden.
Nasser agitierte auf dem Höhepunkt seiner panarabischen Politik fortgesetzt feindselig gegenüber dem
Iran und auch Saddam Hussein verhielt sich feindselig gegenüber allem, was sich persisch nannte. Es
waren genau diese Leute, die in der Arabischen Liga oft Resolutionen gegen den Iran beschlossen. Warum
sehen wir nicht, dass diese Liga sich prinzipiell feindselig gegenüber nicht-arabischen Identitäten und
insbesondere gegenüber der iranischen Identität verhält. Warum wollen wir nicht sehen, dass die Iraner
seit 1 400 Jahren dafür kämpfen, Iraner zu bleiben und nicht arabisiert werden wollen.”
ILNA: „Die Türkei will ja auch Mitglied der Europäischen Union werden.”
Mojtahedsadeh: „Die Türkei beabsichtigt Mitglied der EU zu werden und will damit eine angebliche
europäische Identität manifestieren. Wenn wir die Geschichte anschauen, sehen wir, dass dieses Volk
keine richtige Identität hat. Sonst müsste sich die Türkei ihrer eigenen Identität verpflichtet fühlen. Wir
dagegen beanspruchen eine unabhängige Identität und sind stolz darauf, moslemisch zu sein und dem
Islam mehr als die Araber gedient zu haben.” […]
ILNA: „Kann die Arabische Liga überhaupt einen solchen Antrag akzeptieren? Wie werden die iranisch-
arabischen Beziehungen aussehen, wenn dieser Antrag abgelehnt wird?”
Mojtahedsadeh: „Die Arabische Liga muss sehr konfus sein, wenn dieser Antrag angenommen wird. Zum
Glück ist dies bisher nicht geschehen. Wenn allerdings ein solcher Antrag in Zukunft akzeptiert wird,
glaube ich nicht, dass die iranische Bevölkerung diesen akzeptieren wird. Die Nachricht über den Antrag
kam sehr plötzlich und zurückhaltend, die Mehrheit der iranischen Bevölkerung hat davon gar nichts
mitbekommen.”
Die Zeitung Sharq setzte die kontroverse Debatte am 2. Dezember fort. Zunächst begrüßte Mashallah
Shamsolwaezin, Chefredakteur der verbotenen Zeitung Jamee, eine iranische Mitgliedschaft in der
Arabischen Liga:
„Eine Mitgliedschaft in der Arabischen Liga bedeutet nicht, dass wir auf unsere nationalen Interessen verzichten. Es geht vielmehr um die Aufhebung der Isolation und um die diplomatischen Aktivitäten des Iran in der Region und weltweit.” Eine Mitgliedschaft in der Arabischen Liga habe eine strategische Bedeutung und eröffne eine neue Seite der iranisch-arabischen Beziehungen, meinte Shamsolwaezin und fügte hinzu: „Viele Gemeinsamkeiten, wie Religion, Kultur und ein gemeinsames Schicksal gegenüber den Weltproblemen und insbesondere gegenüber Israel verbindet uns mit den arabischen Staaten.” Shamsolwaezin geht davon aus, dass die arabischen Staaten, die gute Beziehungen zu den USA pflegen, versuchen werden, den Beobachterstatus des Iran in der Arabischen Liga zu verhindern. Denn das politische Gewicht des Iran würde mit einer Mitgliedschaft in der Arabischen Liga größer werden: „Die Gegner des Iran wollen, dass die Arabische Liga in ihrem nationalistischen Rahmen bleibt.” Für Shamsolwaezin ist der Iran hingegen ein Stabilitätsfaktor in der Region: „Eine Mitgliedschaft in der Arabischen Liga könnte statt nationalistischer Tendenzen eine regionale Entwicklung fördern. Dies würde sowohl den Iranern als auch den Arabern nutzen. Denn mit unserer Mitgliedschaft würde die regionale Stabilität wachsen.”
Dagegen äußerte sich einer der Sprecher der nationalreligiösen Bewegung der Nehsate Asadi, Ibrahim Yasdi. Seiner Meinung nach würde eine Mitgliedschaft des Iran in der Arabischen Liga eine „Demütigung” des Iran bedeuten. Yasdi zufolge habe der Iran bisher noch nicht einmal eine Zustimmung für seine „berechtigte Mitgliedschaft im Golfkooperationsrat” bekommen. Er kritisiert weiter: „Es wird nicht deutlich, wie die iranische Regierung eine solche Mitgliedschaft legitimiert, wenn manche arabischen Staaten ernsthafte Feindschaft gegenüber dem Iran hegen. Außerdem hat die Arabische Liga während einer Sitzung in Beirut auf Vorschlag Saudi-Arabiens die Resolution 240 der Vereinten Nationen akzeptiert, wonach die Anerkennung Israels, der Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten von 1967 und die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates festgelegt worden ist. Die Präsenz des Iran in dieser Liga könnte diese Entscheidung keineswegs rückgängig machen. Im Gegenteil würde dies zu einer Versöhnung der iranischen Positionen gegenüber Israel und dem Friedensprozess im Mittleren Osten führen.” [4]
Auch Babak Siawashi äußert sich in einem Kommentar in der Sharq kritisch zu einer Mitgliedschaft des Iran in der Arabischen Liga: „Stellen Sie sich vor, dass sich die Balkan-Staaten mit einer slawischen Mehrheit in einer Liga organisieren und diese ‚Slawische Liga’ nennen würden. Es wäre doch sehr lächerlich und fragwürdig, wenn das deutsche Außenministerium einen Antrag auf Mitgliedschaft in dieser Liga stellen würde.” [5]
[1] Sharq, 1.12.2003.
[2] Kayhan, 4. 12. 2003.
[3] ILNA, 1.12.2003.
[4] Sharq, 2.12.2003.
[5] Sharq, 9.12.2003.
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