Aerger im Bonner Paradies

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Fast jeder kennt sie aus dem Unterricht, vor allem durch die von ihr herausgegebenen schwarzen Themenhefte: die Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB), gegründet 1952 vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur und dem damals noch existierenden „realsozialistischen“ Regime in Ostdeutschland. Im europäischen Raum kann man nach ihresgleichen lange suchen. Die dem Bundesinnenministerium nachgeschaltete Behörde hat laut eigenem Leitbild das Ziel, „das demokratische Bewusstsein in der Bevölkerung zu fördern und die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zu motivieren und zu befähigen, mündig, kritisch und aktiv am politischen Leben teilzunehmen.“

Zu diesem Zweck entwickelt sie „Bildungs- und Diskussionsangebote, mit denen … Kenntnisse, Einblick und Verständnis in geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge“ vielfältiger Prozesse vermittelt werden sollen. Ihr Anspruch ist es, „nachhaltige Bildungsprozesse [zu] initiieren, um innerhalb der Bevölkerung die Basis für eine auf Toleranz, Pluralismus und Friedfertigkeit gründende Gesellschaft zu schaffen und die Identifikation mit unserer freiheitlich verfassten Demokratie zu fördern.“1 Diesen hehren Zielen dienen auch Bildungsreisen für gesellschaftliche Multiplikatoren nach Israel seit Anfang der 1960er Jahre. Wohl mit kaum einem anderen Land hat sich die Bundeszentrale in ihren zahlreichen Publikationen derart intensiv beschäftigt wie mit Israel. Hintergrund sind die deutsch-jüdische Geschichte und der weltpolitisch wichtige Nahostkonflikt, doch vor allem sollen die Bildungsreisen der Stärkung der eigenen demokratischen Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik dienen.

Die Bundeszentrale hat sich – daran bestehen keine Zweifel – um die Schaffung eines demokratischen Bewusstseins verdient gemacht. Doch in jüngerer Zeit mehren sich die Indizien dafür, dass es – gerade was den für die Konstitution der eigenen deutschen Nachkriegsidentität bedeutsamen Staat der Juden betrifft – zu Verschiebungen gekommen ist, die nicht mehr als zufällige Ausrutscher zu entschuldigen sind, sondern auf strukturelle Probleme hinweisen.

Da ist zuallererst das von der Zentrale jüngst für den Unterricht an Schulen herausgegebene Heft2 zum Film „Paradise Now“, welcher sich mit zwei palästinensischen Selbstmordattentätern kurz vor der Tat beschäftigt. Der Film war bereits Thema zahlreicher Rezensionen – darunter auch einige wenige kritische und tiefgehende Analysen3 – und hat eine kontroverse öffentliche Diskussion hinsichtlich seiner Haltung zu Selbstmordattentaten ausgelöst. Der Regisseur, Hany Abu-Assad, nährte die Diskussionen durch provokante Statements in zwei Interviews: „Ich sage nicht Israel, weil das ein rassistischer Name ist“4 und „ich verurteile die Selbstmordattentäter nicht. Für mich ist das eine sehr menschliche Reaktion auf eine extreme Situation.“5 Dennoch wurde „Paradise Now“ neben anderen Preisen von der Deutschen Filmbewertungsstelle das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen.6

Allein schon die Entscheidung, zu einem solchen Film ein Heft für Schüler zu machen und ihn damit für den Unterricht zu empfehlen, erscheint fragwürdig. Dem Film selbst muss man ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit und politischer Einseitigkeit – an letzterer besteht kein Zweifel – zugestehen, wenngleich vielen der Widerspruch nicht aufgefallen zu sein scheint, dass der Regisseur je nach Interviewfrage mal Authentizität und mal Fiktivität für sein Werk in Anspruch nimmt.7 Doch die Broschüre der BPB ist pädagogisch problematisch. Auf mehr als 20 Seiten enthält sie Informationen zu Inhalt, Figuren, Thema und Ästhetik des Films,Fragen, Materialien, ein Sequenzprotokoll und Literaturhinweise und lässt sich auch aus dem Internet als „download“ abrufen. Hinter dem vom Präsidenten der BPB, Thomas Krüger (SPD), im Vorwort zum Heft gesetzten Anspruch, „Medienkompetenz“ zu vermitteln, welche auch „kritische Analyse“ von Medien umfasst, bleibt das Heft jedoch weit zurück. Zum einen enthält es zahlreiche sachliche Fehler, aus denen dann falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Zum anderen steckt es einen äußerst engen Spielraum für Diskussionen unter Schülern ab, der es diesen nicht ermöglicht, den Diskursrahmen des Films, der ein innerpalästinensischer ist, zu verlassen.

Einige Beispiele mögen die ideologische Fesselung verdeutlichen. Es ist z.B. von „israelischen Vergeltungsschlägen“ die Rede, wodurch das Konzept von „Rache“ impliziert wird. Kein Hinweis darauf, dass die israelische Seite meist von „gezielten Tötungen“ bzw. „Präventivschlägen“ spricht, mit denen weitere Attentate verhindert werden sollen. „Vergeltung“ würde hingegen bedeuten, dass die Israelis analog zu den Palästinensern darum bemüht sind, möglichst viele Zivilisten der Gegenseite zu töten. Diesem Interpretationsschema folgt auch die Behauptung, „Israel versuchte, durch militärische Präsenz, gezielte Tötung von Hintermännern der Attentate und vorübergehende Abriegelung der besetzten Gebiete den Aufstand zu unterdrücken.“ Es fehlt der Hinweis auf das Hauptziel der israelischen Maßnahmen, nämlich die eigene Bevölkerung vor Terror zu schützen. Ein „Unterdrücken“ der Intifada galt auf israelischer Seite als unrealistisch, solange Arafat sie fortführen wollte. Lediglich internationale diplomatische Initiativen zielten in Richtung ihrer Beendigung.

Die selbst von offizieller palästinensischer Seite nicht mehr aufrecht gehaltene Propagandalegende, Ariel Scharons Besuch auf dem Tempelberg sei der Auslöser für den Ausbruch der Intifada gewesen, wird dennoch in der Broschüre wiedergegeben. Auf entsprechende Kritik bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion reagierte BPB-Präsident Krüger mit dem Argument, man unterscheide in der Geschichtswissenschaft durchaus zwischen Auslöser und Ursache. Doch gerade auf letztere geht das Heft nicht ein. Nicht einmal die Verhandlungen von Camp David im Jahr 2000 werden erwähnt.

Irreführend sind ebenfalls die im Heft angegeben Opferzahlen. So ist laut israelischen Angaben von etwa 2000 israelischen Toten durch Selbstmordanschläge bis zum Jahr 2004 – fast die Hälfte davon seit Ausbruch der zweiten Intifada – und 3000 Toten auf palästinensischer Seite zwischen Januar 2001 und Juni 2004 die Rede. Bei den Palästinensern werden zudem 40.000 Verletzte durch israelische Angriffe angegeben, aber für die israelische Seite fehlt eine solche Angabe. Hier stimmt jedoch weder die Zahl der israelischen Toten, noch sind sie ausschließlich durch Selbstmordanschläge ums Leben gekommen. Die Schlussfolgerung in der Broschüre aus diesen Zahlen: „Beide Völker stehen also unter permanenter Bedrohung.“ Doch dieses Fazit erweist sich bei einem genaueren Blick auf die Daten als falsch. Während die meisten getöteten Palästinenser bewaffnete Kombattanten waren, handelte es sich bei der überwiegenden Zahl der getöteten Israelis um unbewaffnete Zivilisten.

Ebenfalls problematisch ist die Schlussfolgerung, Israelis und Palästinenser würden „gleichermaßen als Opfer eines tragischen Konflikts“ erscheinen. Denn dieses Resümee ergibt sich für die Verfasser der Broschüre aus der Tatsache, dass einer der beiden Attentäter im Film nach einem abgebrochenen Attentatsversuch gegen einen israelischen Bus nach Nablus zurückkehrt und mit dem Sprengstoff am Körper „plötzlich seinem eigenen Volk zur Gefahr“ wird. Der Konflikt reduziert sich in dieser Interpretation plötzlich auf den Attentäter einerseits und die beiden Bevölkerungen andererseits.

Falsch ist die Behauptung der Verfasser, „PARADISE NOW beschränkt sich auf die minutiöse Chronik dessen, was vor dem Selbstmordattentat geschieht“. Leider zeigt der Film nämlich weder die Gründe, warum die beiden Selbstmordattentäter ausgewählt werden, noch geht er auf die gesamte zugrunde liegende Ideologie ein. Anstatt hier anzusetzen und auch die an einigen Stellen im Film vorhandenen Antisemitismen zu problematisieren, überwindet das Heft die Perspektive des Films nicht. Vielmehr werden unter Berufung auf nicht genannte „israelische und palästinensische Psychologen/innen“ Kategorien wie „Fatalismus, individuelles Leid, Perspektivlosigkeit als zentrale Antriebesmomente“ angeboten – als ob dies den Mord an Unschuldigen erklären könnte. In geradezu auffälliger Weise meiden die Verfasser jedoch den Begriff „Antisemitismus“: Er kommt an keiner Stelle vor, obwohl er bekanntermaßen ein zentrales Element in der Ideologie von Selbstmordattentätern und in der palästinensischen Öffentlichkeit allgegenwärtig ist. Entsprechend wird auch die Motivationslage der Hintermänner nicht thematisiert. Selbst die Hisbollah erscheint lediglich als „antizionistisch“, obwohl bekannt sein müsste, dass sie sich dem Nationalsozialismus entliehener judenfeindlicher Ideologieelemente bedient.

Es heißt lediglich, sie bekämpfe die bis zum Jahr 2000 im Südlibanon stationierten israelischen Truppen. Nicht hinterfragt wird dagegen, warum die Hisbollah auch nach dem Rückzug gegen Israel kämpft und welche ihre Ziele sein mögen. Die Behandlung so genannter palästinensischer „Kollaborateure“ stellt man ebenso wenig infrage wie die Verantwortlichmachung Israels für die Tötung von Palästinensern durch Palästinenser, wie sie Said, die Hauptfigur des Films, postuliert.

Die Figur der Suha wird als Person gezeigt, die „Gewalt und Terror“ ablehnt. Sie scheint das friedliche Gegenstück zu den beiden Attentätern darzustellen. „Im Glauben an die Macht der Vernunft engagiert sie sich stattdessen in einer Menschenrechtsorganisation und vertraut auf den ‚moralischen Sieg'“ der Palästinenser im Nahost-Konflikt. Es wird nicht deutlich, dass Suha eine Außenseiterin ist und bleibt, die aus dem Exil kommend die Realitäten in den palästinensischen Gebieten nicht selber hautnah miterlebt hat und als emanzipierte und sexuell selbstbewusste junge Frau zudem keine Glaubwürdigkeit in der palästinensischen Gesellschaft fordern kann. Wichtiger noch: Suha lehnt die Attentate vor allem aus taktischen Gründen ab. Aus verschiedenen Gründen sind sie aus ihrer Sicht kontraproduktiv für die Palästinenser, nicht jedoch an sich moralisch falsch. Auch in ihrer Argumentation bleiben die Israelis das absolut Böse, dem man sich durch Gewalt nicht gleichmachen und dem man keine Vorwände liefern dürfe, um „weiter zu töten“. Dies wird in der Broschüre ebenfalls nicht problematisiert.

Pädagogisch bedenklich sind nun die auf den dargelegten Hintergrundinformationen basierenden Unterrichtsvorschläge, so z.B.: „Entwickeln Sie mithilfe von Suhas Äußerungen ein Plädoyer, das ein Familienmitglied eines Selbstmordattentäters gegen ein solches Attentat schreibt.“ In einer anderen Aufgabe sollen die Schüler Argumente sammeln, um programmatische Aussagen der Attentäter und Suhas zu stärken bzw. zu entkräften. Diese Aussagen lauten: „Wer den Tod fürchtet, ist schon tot“, „Ohne Kampf keine Freiheit“ und „Widerstand kann vielerlei Formen haben.“ Damit verlässt die Didaktik des Hefts den durch den Film vorgegebenen Diskurs nicht, sondern reproduziert ihn. Weder werden die anti-israelischen Grundannahmen hinterfragt noch die Möglichkeit einer Position der moralischen Ablehnung von Attentaten oder einer Politik des Dialogs und der Verhandlungen mit Israel skizziert. Den Vorschlägen folgend kann so von Schülern lediglich diskutiert werden, ob Selbstmordattentate gerechtfertigt oder aber taktisch unklug sind. Selbstmordterror wird zum legitimen Verhandlungsobjekt im Rahmen eines gesellschaftlichen Diskurses hierzulande, der sich wiederum darauf beschränkt, die effektivste Art der Bekämpfung Israels auszuloten.

Fehler und Auslassungen finden sich auch in der Zeittafel am Ende des Hefts. Die arabische Ablehnung des Teilungsplans von 1947 wird nicht erwähnt. Der Krieg von 1948/49 endet mit „Geländegewinnen Israels“, der Verlust israelischer Ortschaften wird jedoch verschwiegen. Während hinsichtlich der Palästinenser im Zuge der Geschehnisse jener Jahre von Flucht die Rede ist, verwendet man für die Migration der jüdischen Bevölkerung aus arabischen Staaten den Begriff der „Masseneinwanderung“. Der Sechs-Tage-Krieg erscheint als israelische Aggression gegen die Nachbarstaaten, und auch aus der Resolution 242 des Sicherheitsrats wird lediglich die an Israel gerichtete Forderung nach Abzug aus den besetzten Gebieten, nicht jedoch die damit verbundenen Forderungen an die anderen Konfliktparteien erwähnt. Die Passage über die Massaker von Sabra und Schatila im Libanon suggeriert, die Israelis selber hätten sie zu verantworten. Die israelische Operation „Früchte des Zorns“ von 1996 im Südlibanon wird fälschlicherweise als Reaktion auf palästinensische Selbstmordattentate statt auf Raketenbeschuss durch die Hisbollah dargestellt. Einmal mehr werden zudem ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang Scharons Besuch auf dem Tempelberg und der Intifada konstruiert sowie die Camp-David-Verhandlungen von 2000 unterschlagen. Dafür verwandelt sich der ägyptisch-israelische Friedensvertrag von Camp David aus dem Jahre 1978 in ein palästinensisch-israelisches Abkommen. Selbst der israelische Rückzug aus dem Südlibanon wird fälschlich als „vertraglich vereinbarter“ dargestellt. Und die Al-Aksa-Intifada gilt seit 2005 als „beendet“. Mittlerweile hat die Bundeszentrale eine überarbeitete Fassung der Zeitleiste ins Internet gestellt, in der sich jedoch immer noch einige der erwähnten Fehler finden.

Völlig fehl am Platz ist die Erwähnung der Samson-Geschichte aus dem Alten Testament als ältester Beleg für die Ideengeschichte des Selbstmordattentats. Was sollen die Schüler daraus lernen? Etwa, dass die Juden selbst die Erfinder solcher Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind und über eine entsprechende Tradition verfügen?

Krüger selbst gab öffentlich zu, dass das Filmheft Mängel habe, doch würde dessen Grundstruktur stimmen. Es sei keinesfalls antiisraelisch. Das Problem sei, dass das Filmheft kein Buch sei, sondern nur eine Anregung zum Arbeiten mit dem Film. Insofern sei weiteres Arbeitsmaterial nötig. So biete die Bundeszentrale z.B. auch ein Israel-Themenheft an. Das Filmheft werde somit nicht isoliert rezipiert.8 Es stellt sich allerdings die Frage, ob ein solch informeller und loser Interpretationsverbund in der oft knappen Unterrichtszeit wirklich genutzt werden kann und wird.

Schwer nachvollziehbar ist auch Krügers Vorstellung, das Filmheft könnte gerade im Hinblick auf islamische Migrantenkinder positive Reflektionseffekte erzielen. „Wenn Lehrer den Film kritisch diskutierten, könne dies verhindern, dass Schüler türkischer oder arabischer Herkunft den Film mit naivem Blick schauen. Ihrem möglichen Bedürfnis, sich mit den Hauptfiguren zu identifizieren, werde so die Grundlage entzogen.“9 Dieses Potential gelte es auszuloten, bekräftigte er bei der Podiumsdiskussion. So sei Suha eine Identifikationsfigur. „Paradise Now“ komme emphatisch und emotional daher und führe in die Psychologie ein, problematisiere dabei jedoch auch.10 Das kann man durchaus anders sehen.

Auf einer Veranstaltung versprach Krüger, der Printversion des Hefts die überarbeitete Zeitleiste als Addendum beizulegen. Die Fehler hätten sich aufgrund des Zeitdrucks bei der Erstellung der Broschüre ergeben.11 Dies ist allerdings nicht nur eine sehr späte Entschuldigung, sondern auch ein unzureichendes Korrektiv.

Dass die Bundeszentrale in anderen Fällen durchaus in der Lage ist, eigene Publikationen selbstkritisch zu betrachten und als Reaktion sogar einstampfen zu lassen, hat sie 2004 bewiesen. In dem von der BPA herausgegebenen Periodikum „Deutschland-Archiv“ hatte der emeritierte Politikwissenschaftsprofessor Konrad Löw einen revisionistischen und antisemitischen Beitrag veröffentlicht. Wenngleich die Entschuldigung des verantwortlichen Redakteurs Marc Dietrich Ohse, ihm sei die Brisanz des Textes nicht bewusst gewesen, etwas dürftig erscheint – schließlich sind Löws publizistische Aktivitäten im neorechten Spektrum durch eine einfache Internetrecherche in Erfahrung zu bringen – war die Bundeszentrale konsequent, ließ 1000 Exemplare der Ausgabe einstampfen und distanzierte sich in einem Rundbrief an die Abonnenten „aufs Schärfste“ von Löws klar antisemitischen Ansichten.12

Man distanzierte sich ebenfallsvom Nahost-Experten der Bundeszentrale, Ludwig Watzal, nachdem dieser wegen eines antisemitisch konnotierten Beitrags für die Deutsche Welle über den Medienunternehmer Haim Saban in die Kritik geraten war.13 Watzal hatte mit den Klischees von Israel-Lobbyismus, Medienmacht, Geld und „Holocaust-Industrie“ gespielt.14 Der Fachbereichleiter Print der Bundeszentrale, Jürgen Faulenbach, argumentierte damals, Watzal habe diesen Beitrag nicht als Mitarbeiter der Bundeszentrale, sondern vielmehr als Privatperson verfasst.15 Als letzterer ist es ihm scheinbar auch gestattet, in extremistischen Publikationen wie dem Internetmagazin „Intifada“16 der linken Antiimperialistischen Koordination, deren Website in den USA aufgrund ihrer pro-terroristischen Inhalte (u.a. wird der Terror im Irak dort als unterstützenswerter „Widerstand“ gepriesen17 und zur Solidarität mit der Hamas aufgerufen18 ) gesperrt wurde19. Ebenso ist Watzal bei Veranstaltungen der trotzkistischen Gruppe „Linksruck“ aufgetreten und bedient auch sonst ein antizionistisches und revisionistisches Milieu, so etwa, wenn er den Oslo-Prozess als „palästinensisches Versailles“ und die Camp-David-Verhandlungen 2000 als Versuch eines amerikanisch-israelischen „Diktatfriede[ns]“ bezeichnet20 oder von der Hamas als „primär sozialer Bewegung“ spricht21. Kaum verwunderlich, dass Watzal auch im neurechten Spektrum seine publizistischen Spuren hinterlassen hat, etwa im ‚ersten programmatischen Sammelband gegen die Westbindung‘, in welchem er den ‚falschen Weg‘ der Europäischen Union beklagt, welche die ‚nationale Identität‘ und den ‚gesunden Patriotismus‘ untergrabe.“22 Das Buch „Blumen aus Galiläa“ des angeblich zum Christentum konvertierten jüdischen Israelis Israel Shamir, das in Frankreich im revisionistischen Milieu veröffentlicht wurde und zahlreiche eindeutig antisemitische Passagen enthält23, nannte Watzal „eine freimütige Darstellung Israels und seiner Politik, die viele so nicht sehen und wahrhaben wollen.“ Shamirs religiöser Übertritt „wird ihm seitens des Judentums niemals verziehen“.24 Der Antisemitismusforscher Lars Rensmann nennt Watzal einen „Ideologe[n] der neuen Rechten, der in der politischen Bildung der Bundesrepublik etabliert ist, und den Brückenschlag zu den antiamerikanischen und antisemitischen Teilen der radikalen Linken praktiziert…“25

Watzal war bereits früher aufgefallen. Im Mai 1997 hatte ihm das Bundesinnenministerium untersagt, eine Studienreise nach Israel zu leiten.26 Auch war er u.a. für eine Ausgabe von „Aus Politik und Zeitgeschichte“ mit verantwortlich, die sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt befasste und einen Beitrag enthielt, dessen Fehlstellen und Tendenziösität im Ergebnis deutlich gegen Israel gerichtet waren. Watzal hingegen pries ihn im Vorwort der Ausgabe als „historisch-deskriptiven Überblick“.27

Die Einleitung personalrechtlicher Schritte gegen Watzal ist laut Faulenbach auch im Zusammenhang mit seinem Beitrag für DeutschlandRadio geprüft worden; es habe keine Möglichkeit gegeben, „gegen den Mitarbeiter vorzugehen.“28 Wie berichtet wurde, soll Krüger selbst im Mai dieses Jahres gesagt haben: „Der Herr Watzal wird sich im Rahmen der Bundeszentrale für Politische Bildung nicht mehr zu Israel äußern dürfen.“ Aufgrund des öffentlichen Dienstrechts sei es jedoch schwierig, Watzal loszuwerden.29 Trotzdem durfte sich Watzal erst kürzlich erneut in einer Nahost-Themenausgabe der Zeitung „Das Parlament“, die in Abstimmung mit der Bundeszentrale herausgegeben wurde, zu Wort melden. In seinem Beitrag über Israel zitiert er u.a. zustimmend aus dem Buch eines ehemaligen Sekretärs der linken Mapam-Partei, welches jüngst im Verlag Abraham Melzer30 erschienen ist. Am Ende des Textes ist lediglich angegeben, dass Watzal als Redakteur in Bonn arbeitet31 – die Verbindung der „Privatperson“ Watzal zur Bundeszentrale bleibt so außen vor.

Ein anderer von der BPB eingesetzter Nahostexperte ist Kinan Jäger. Ebenso wie Watzal hat er einen Lehrauftrag an der Bonner Universität. Er schreibt für „Das Parlament“, wirkt darüber hinaus jedoch auch bei der Soldatenausbildung in der Bundeswehr mit. Bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schwerin bediente er jüngst die antisemitischen Ideologeme vom „deutschen Zahlmeister“, einem den Deutschen aufgezwungenen „Schweigen“ (suggeriert: gegenüber der Politik Israels, die man angeblich nicht kritisieren dürfe) und der aus der Vergangenheit resultierenden, aber bislang angeblich unzureichend wahrgenommenen deutschen Verantwortung gegenüber den Palästinensern (suggeriert: als den Opfern der Opfer). Geschickt bediente er sich dabei vor allem der Frageform, um seine Thesen vorzutragen. Dabei griff er u.a. auch ein von Jürgen Möllemann bekannt gemachtes Bonmot auf: „Das Vorgehen Israels, kann man dies nicht als Staatsterrorismus bezeichnen?“ Die Frage, ob er nicht teilweise antisemitisch argumentieren würde, wies Jäger kurzerhand von sich mit der Entgegnung, „er könne doch kein Antisemit sein, er habe syrische Vorfahren, und sei somit selbst Semit. Ja er habe sogar jüngst herausgefunden, dass er auch einen jüdischen Vorfahren habe.“32 Schon 1995 hatte Jäger in einem Beitrag für „Aus Politik und Zeitgeschichte“ behauptet: „Die Fesselung durch das ‚Auschwitz-Syndrom‘, der oftmals vernommene israelische Vorwurf deutscher Untreue… beeinflußten die bundesdeutsche Politik in erheblichem Maße“.33

Auch bei externen Nahostexperten finden sich problematische Äußerungen. Werner Stüber von der Universität Düsseldorf – früher bei der Universität Bir-Zeit – hielt einen Vortrag bei einer Veranstaltung der Bundeszentrale im Dezember 2002 zur Medienberichterstattung über den Nahostkonflikt. Er sprach davon, „dass es in den USA ‚eine große jüdische Lobby gibt'“ und bemerkte dazu: „Was das bedeutet, können Sie sich selber denken“. Als ein Vertreter von „Honestly Concerned“ sich kritisch über die von der Bundeszentrale vorgestellte Studie zur TV-Berichterstattung äußerste, ergänzte der Moderator der Diskussion, BPB-Mitarbeiter Heino Gröf, „dass ‚Honestly Concerned‚ eine Gruppe sei, die kritische Israelberichterstattung diskreditiere“. Hingegen blieb die Einlassung des ZDF-Korrespondenten Alexander von Sobeck unkommentiert, „dass er Schwierigkeiten habe, einzusehen, dass Israel der einzige demokratische Rechtstaat im Nahen Osten sei, wenn der Staat gegen die Menschenrechte verstoße.“34

Zurück zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen, nämlich „Paradise Now“ und seine Aufarbeitung, sei auf die Feststellung von Matthias Küntzel verwiesen. Er konstatierte, dass die Bundeszentrale im Unterschied zur Filmcrew nicht unter Druck bewaffneter Banden stand, als sie die Entscheidung für die Broschüre zum Film traf. Nicht nur müsse letztere aus dem Verkehr gezogen werden, vielmehr seien personelle Konsequenzen nötig, da es nicht länger möglich sei, weiterhin Vertrauen in die Seriosität der pädagogischen Arbeit der Verantwortlichen zu haben.35 Solche Forderungen können nicht überraschen, lässt man die hier präsentierten Betrachtungen zu einigen Aspekten der Israel-Arbeit der BPB in jüngerer Zeit Revue passieren. Es wird eine Aufgabe des neuen Bundesinnenministers – als Chef der vorgesetzten Behörde – sein, die offensichtlichen Probleme in der Bundeszentrale für Politische Bildung untersuchen zu lassen und personelle wie strukturelle Konsequenzen daraus zu ziehen. Hoffentlich geht die Angelegenheit nicht unter in den unvermeidlichen Aufregungen eines Amtswechsels.

1 www.bpb.de/die_bpb/WHOLJ2.html, Leitbild der Bundeszentrale für politische Bildung

2 http://www.bpb.de/files/8ROB5J.pdf , bpb: filmheft. Paradise Now

3 Zu erwähnen sind vor allem Marcus Engländer & Matthias Naumann: Erlösung durch Mord. In: Tribüne, 3/2005; www.typoskript.net, Tobias Ebbrecht: Der Selbstmordattentäter als mythischer Held. In: Kunstsinn & Barbarei. Judenmord verstehen lernen. Pressemappe zur Kritik an »Paradise Now«; http://www.hagalil.com/archiv/2005/10/paradise-now.htm , 06.10.2005, Matthias Küntzel: Der Schwächling als Held. Notizen zu „Paradise Now“

4 Rhein-Zeitung, 28. September 2005, Regisseur Abu-Assad: Selbstmordattentäter im Blick

5 www.qantara.de, Interview Hany Abu-Assad

6 www.filmzeitung.de, 07.05.2005, Prädikat der Woche: 3 x bw + 2 x w

7 Netzeitung.de, 11. Oktober 2005, Keine Sympathie mit den Attentätern

8 Vgl. auch Tagesspiegel online www.tagesspiegel.de, 13.10.05, Clemens Wergin: Starrköpfig im Paradies

9 taz, 29.09.2005, Christina Nord: Körper in Sprengstoffgürteln

10 Thomas Krüger auf der Veranstaltung „Der Weg ins Paradies: Attentate zwischen Leinwand und Wirklichkeit“ der Heinrich Böll Stiftung und des American Jewish Committees am 11.10.2005

11 Thomas Krüger auf der Veranstaltung „Der Weg ins Paradies: Attentate zwischen Leinwand und Wirklichkeit“ der Heinrich Böll Stiftung und des American Jewish Committees am 11.10.2005

12 Die Welt, 15.04.2004, Sven Felix Kellerhoff: Eine Ansammlung antijüdischer Klischees; Telepolis, 13.06.2004, Marcus Hammerschmitt, Hohmann reloaded; IDGR – Lexikon Rechtsextremismus – Konrad Löw, http://lexikon.idgr.de/l/l_o/loew-konrad/loew-konrad.php

13 http://www.arendt-art.de/deutsch/palestina/Honestly_Concerned/honestly_concerned_ludwig_watzal.htm , Stellungnahme der Bundeszentrale für Politische Bildung vom 23.09.2004

14 Deutschland Radio Berlin, 16.09.2004, Ludwig Watzal. Haim Saban, die Medien und Israel; Trotz einer Welle der öffentlichen Kritik durch einige Medien und Initiativen – Vgl. www.honestly-concerned.org, Mailingliste von Honestly Concerned, 21 09. 2004 erschien wenige Tage später eine gekürzte Fassung von Watzals Beitrag in der Zeitschrift „Freitag“. Vgl. Freitag, 24.09.2004, Ludwig Watzal: Machtbewusst und abgeklärt; Unfreiwillig komisch wirkt Watzals öffentliche Verteidigung in einem Interview, die mehr den Charakter einer Behauptung als den einer überprüfbaren Begründung hat: „Antisemitismus ist nicht in meinem Kopf, also ist er auch nicht in meinen Texten.“, Taz, 06.10.2004, „Eine Lobby ist legitim“

15 www.NEUENACHRICHT.de, 23.10.2005, Matthias Schmitz: Antisemitismus-Vorwurf gegen einen Mitarbeiter der Bundeszentrale für Politische Bildung

16 http://www.antiimperialista.com/de/view.shtml?category=31&id=1042360761&keyword=+ , Intifada 11, 12.01.2003, Ludwig Watzal: Steht den Palästinensern eine neue Vertreibung bevor?; www.antiimperialista.org/de/view.shtml?category=31&id=1071150184&keyword, Intifada 14, 11.12.2003, Ludwig Watzal: Zur Nahost- und Israelpolitik der USA und der Macht der Neokonservativen (Neocons) auf die Außenpolitik. Vom ehrlichen Makler zur Partei Israels

17 http://www.antiimperialista.com/view.shtml?category=44&id=1067790557&keyword=+, 02.11.2003, Campo Antiimperialista: Spendet 10 Euro für den irakischen Widerstand!

18 http://www.antiimperialista.org/view.shtml?category=2&id=1063447151&keyword=+, 13.09.2003, Campo Antiimperialista: Solidarität mit der Hamas!

19 www.antiimperialista.org/de/view.shtml?category=2&id=1122559734&keyword=+, 28.07.2005, Antiimperialistische Koordination: Website des Antiimperialistischen Lagers gesperrt wegen „Unterstützung des Terrorismus“

20 Ludwig Watzal: Das palästinensische Versailles. In: FriZ, Nr. 6/2000; Watzals pro-palästinensische Einstellung äußerte sich u.a. in Form einer Kritik am Oslo-Friedensprozess, die nicht einmal vom offiziellen palästinensischen Vertreter in der Bundesrepublik, Abdallah Frangi geteilt wurde. Siehe: Abdallah Frangi: Der Osloer Friedensprozess als ein Weg zum Frieden. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B.35-36 / 2002

21 Ludwig Watzal im Deutschlandradio am 12.12.2001, zitiert nach http://www.geocities.com/gruppenobirds/friedensfreund.html , gruppe no birds: Ein deutscher Friedensfreund. Ludwig Watzal und die Deutsche Volksfront zur Befreiung Palästinas; Vgl. auch Freitag, 26. März 2004, Ludwig Watzal: Auch Arafat ist gemeint

22 Lars Rensmann: Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland (VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004, Wiesbaden), S. 295; Siehe auch: Süddeutsche Zeitung, 11.11.1994, Geopolitische Irritationen. Die Zeitschrift Limes plant europaweit

23 http://www.eussner.net/artikel_2005-08-07_02-05-28.html , Gudrun Eussner: Israel Shamir und andere antisemitische Blumen aus Galiläa – Stand: 17. September 2005

24 Freitag, 03.06.2005, Ludwig Watzal: Die echten und die falschen Juden

25 Lars Rensmann: Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland (VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004, Wiesbaden), S. 296

26 Die Neue Ordnung, Jahrgang 53, Nr. 3/1999 Juni, Peter Mossmann: Friedensfeinde: Israel und Palästina

27 www.hagalil.com/archiv/2004/08/politische-bildung.htm, 27.08.2004, Karl Pfeifer: Lehrbehelfe zur Politschen Bildung? „Aus Politik und Zeitgeschichte

28 www.NEUENACHRICHT.de, 23.10.2005, Matthias Schmitz: Antisemitismus-Vorwurf gegen einen Mitarbeiter der Bundeszentrale für Politische Bildung

29 www.juedische.at, 04.07.05 Jäger gegen Israel. Auf den »Israelkritiker« Ludwig Watzal folgt endlich ein sympathischer Nahost-Experte

30 http://www.henryk-broder.de/tagebuch/abi2005.html , Henryk M. Broder: Abi 2005. Der Irre aus Neu-Isenburg – Rächer der Entehrten

31 Das Parlament Nr. 32-33 /08.08.2005, Ludwig Watzal: Frieden ist möglich – aber unwahrscheinlich

32 www.juedische.at, 04.07.2005, Ralf Schröder: Jäger gegen Israel. Auf den »Israelkritiker« Ludwig Watzal folgt endlich ein sympathischer Nahost-Experte.

33 Kinan Jäger: Die Bedeutung des Palästinenser-Problems für die deutsch-israelischen Beziehungen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 16, 1995

34 http://www.talmud.de/aktuell/bpb2002.htm , Chajm Guski: Den Bildern misstrauen lernen?

35 www.hagalil.com/archiv/2005/10/bpb.htm, 06.10.2005, Matthias Küntzel: Selbstmord „für ein höheres ideelles Gut“?

36 Der Spiegel, 14.05.2005, Aktion Abendsonne

C: TRIBUENE, Frankfurt/M.


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