Warum leugnet der Iran den Holocaust? Anmerkungen zur Leugnerkonferenz in Teheran.

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Warum leugnet der Iran den Holocaust ?

Anmerkungen zur Leugnerkonferenz in Teheran

von Matthias Küntzel

 

 

Vor einer Woche beendete Irans Präsident Ahmadinejad die Konferenz der Holocaust-Leugner in Teheran. Es war schon eine obskure Parade, die hier zusammengekommen war: Der ehemaligen Ku-Klux-Klan-Führer David Duke, die durchgeknallten Anhänger der jüdischen Sekte Natorei Karta, deutsche NPD-Funktionäre sowie die bekannte Galerie der Holocaustleugner. Frederick Toeben hielt einen Vortrag unter dem Titel „Der Holocaust – Eine Mörderwaffe“ – offenbar war ihm Martin Walsers Wort von der „Auschwitzkeule“ nicht effektvoll genug, Robert Faurisson bezeichnete die Schoa als „Lügengeschichte“, seine Kollegin Veronika Clarke aus den USA erklärte: „Die Juden haben in Auschwitz Geld verdient“, ein Professor McNalley brachte „Zauberer und Hexen“ ins Spiel, an die zu glauben so lächerlich sei, wie den Holocaust für ein Faktum zu halten, während der Belgier Leonardo Clerici in seiner Kapazität als Muslim die folgende Erklärung abgab: „Ich glaube, dass der Wert der Metaphysik höher ist, als der der Geschichte.“[1]

 

Niemand hätte sich für diese Versammlung, wenn sie in irgendeiner Hafenkneipe von Melbourne getagt hätte, interessiert. Sie gewann nur deshalb Gewicht und historische Bedeutung, weil sie sich auf Einladung und in den Räumen des iranischen Außenministerium abspielte –  in den Räumen einer Regierung, deren Land über die nach Saudi-Arabien größten Ölvorkommen und die nach Russland größten Erdgasvorkommen der Welt verfügt, in Räumen, in denen das oben Zitierte kein Gelächter, sondern andächtiges Kopfnicken und Applaus hervorrief, in Räumen, deren Wände die Fotos von Leichen zeigen, die die Aufschrift „Mythos“ tragen, sowie Fotos von lachenden KZ-Überlebenden mit der Aufschrift „Wahrheit“.

 

Diese Leugner-Konferenz markiert eine Zäsur, weil hier erstmals die Führung eines großen und wichtigen Landes die Leugnung der Schoa in das Zentrum ihrer Außenpolitik gerückt hat. Und schon dies allein verändert die Welt. Warum? Weil sich die Vereinten Nationen, die einst als Antwort auf die Massaker des II. Weltkriegs gegründet wurden, mit dieser von Staats wegen betriebenen Verhöhnung der gesamten zivilisierten Welt offenkundig abfinden. Zwar bezeichnete der neue UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Leugner-Konferenz als „unakzeptabel“. Doch blieb seine Antwort auf die Frage nach möglichen Konsequenzen schwach: „Ich bin bereit, mit der iranischen Führung in einen Dialog einzutreten.“[2] Wie bitte? In einen Dialog darüber, ob es den Holocaust gab? Falls es in den nächsten Wochen und Monaten bei dieser Haltung bleiben sollte, hätte sich die Holocaust-Leugnung als immerhin mögliche Vergangenheitsbetrachtung etabliert. Dann könnte sich z.B. Venezuela anschließen, dann könnte es passieren, dass in absehbarer Zeit ein Drittel der Länder der Vereinten Nationen das jüdische Leid im Zweiten Weltkrieg  zum zionistischen Hirngespinst erklärt.

 

Die Leugnerkonferenz von Teheran markiert aber nicht nur aufgrund ihres staatlichen Charakters eine Zäsur, sondern auch wegen ihres Zwecks. Früher wollten Holocaust-Leugner die Vergangenheit revidieren. Heute wollen sie Zukunft gestalten, den nächsten Holocaust vorbereiten. Daran ließ Irans Außenminister Manucher Mottaki in seiner Eröffnungsrede keinen Zweifel: Wenn „die offizielle Version des Holocaust in Zweifel gezogen wird,“ so Mottaki, dann muss auch „die Natur und Identität Israels“ in Frage gestellt werden.[3] Die Spezifik der Judenverfolgung im Kontext der allgemeinen nationalsozialistischen Kriegsführung wird abgestritten, um ein zentrales Motiv der Gründung Israels zu entwerten. Die Befassung mit Auschwitz wird delegitimiert, um einen zweiten antijüdischen Genozid zu legitimieren. Wenn es den Holocaust aber doch gegeben habe, so die Rhetorik Ahmadinejads, habe Israel in Palästina erst recht nichts verloren. Das Ergebnis bleibt so oder so gleich: Israel muss verschwinden.

 

Nur aus diesem Grund wertete der Iran die Delegation der jüdische Sekte Neturei Karta, die den Holocaust nicht leugnet, derart auf: Weil sie die Zerstörung Israels begrüßt. Diese Zielsetzung war der gemeinsame Nenner, der die Teilnehmer dieser Konferenz miteinander verband. Ahmadinejad brachte ihn in seinem Schlusswort auf den Punkt. „Die Existenzkurve des zionistischen Regimes geht nach unten“, erklärte er vor der Versammlung, „es stürzt bald zusammen. …. Das zionistische Regime wird wegradiert und die Menschheit befreit werden.“[4]

 

Holocaust-Leugnung und Atomprogramm

 

So wie Hitler mit dem Mord an den Juden die Menschheit in seinem Sinne zu „befreien“ suchte, so glaubt Ahmadinejad die Menschheit durch die  gewaltsame Auslöschung Israels „befreien“ zu können. Untrennbar ist die Leugner-Konferenz als Instrument der Propaganda mit dem Atomprogramm als Instrument der Ausführung verknüpft. Vor fünf Jahren, im Dezember 2001, hatte der ehemalige iranische Präsident Hashemi Rafsanjani erstmals damit geprahlte, dass „eine einzige Atombombe innerhalb Israels alles zerstören“ würde, während der Schaden eines potentiellen nuklearen Gegenschlags für die  islamische Welt begrenzbar sei. „Solch eine Möglichkeit in Betracht zu ziehen, ist nicht irrational.“[5] Während die islamische Welt beim israelischen Gegenschlag Hunderttausende „Märtyrer“ opfern könnte, ohne unterzugehen, so die Logik Rafsanjanis, wäre Israel schon nach der ersten Bombe Vergangenheit.

 

Es ist eben diese Suizid-Mentalität, die das iranische Atomwaffenprogramm von den Programmen aller anderen Länder unterscheidet und so gefährlich macht. 1980 brachte Khomeini diese Mentalität auf den Punkt: „Wir verehren Gott, nicht den Iran. Patriotismus ist nur ein anderer Name für Heidentum. Ich sage: Lasst dieses Land [den Iran] ruhig in Rauch und Flammen aufgehen, sofern nur der Islam in der übrigen Welt triumphiert.“[6] Denen, die dazu neigen, derartige Aussagen für bedeutungslos zu halten, möchte ich die Ankündigung von Mohammad Hassan Rahimian, dem Vertreter des iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei, der in der iranischen Hierarchie noch höher als Ahmadinejad steht, nicht vorenthalten: Rahimian erklärte vor einem Monat,  am 16. November 2006: „Der Jude“ – nicht der Zionist, sondern: der Jude! – „ist der hartnäckigste Feind des Frommen. Und der Hauptkrieg wird über das Schicksal der Menschheit bestimmen. … Das Wiedererscheinen des 12. Imam wird einen Krieg zwischen Israel und der Schia mit sich bringen.“[7] Niemand kann bestreiten, dass das Land, dass als erstes die Holocaust-Leugnung zum Gegenstand seiner Außenpolitik macht identisch ist mit dem Land, dass als erstes einem anderen UN-Mitgliedstaat unverblümt mit der Vernichtung droht.

 

Warum wird dann aber der Holocaust in Abrede gestellt, statt ihn zu feiern? Den meisten Zuspruch fand Ahmadinejads Holocaust-Leugung in der arabischen Welt, wo ihn besonders die Hisbollah, die ägyptische Muslimbruderschaft und die Hamas hierfür lobten. Doch gerade hier wird Hitler nicht wegen der Autobahn bewundert und auch nicht wegen des Einmarschs in Paris, sondern wegen des Judenmords. Warum also wird der Holocaust ausgerechnet dort am meisten geleugnet, wo die Bewunderung für Hitler bis heute die höchsten Blüten schlägt? Wie gehen Holocaust-Leugnung und Hitler-Bewunderung zusammen? Den Schlüssel zur Auflösung dieses Paradox liefert ein Blick auf die antisemitische Mentalität.

 

„Bruder Hitler“, „Märtyrer Eichmann“

 

Jede Holocaust-Leugnung ist ein auf die Spitze getriebener Antisemitismus. Wer Auschwitz zum „Mythos“ erklärt, zeichnet die Juden als einen universellen Feind, der die Menschheit um des schnöden Mammons willen seit 60 Jahren fortlaufend betrügt. Wer vom „sogenannten“ Holocaust spricht, unterstellt, dass über 90 Prozent der Lehrstühle und Medien der Welt von Juden kontrolliert und hermetisch gegen die „eigentliche“ Wahrheit abgeschottet werden. Wer Juden derartiger Untaten bezichtigt, kann Hitlers Endlösung schlecht kritisieren. Schon deshalb ist in jeder Leugnung des Holocaust die Aufforderung, ihn zu wiederholen, implizit enthalten.

 

Im April 2002 schrieb ein ägyptischer Kolumnist in der zweitgrößten, staatlich kontrollierten ägyptischen Tageszeitung, Al Akhbar: „Hinsichtlich des Schwindels mit dem Holocaust haben viele französische Studien bewiesen, dass dies nichts als Fabrikation, Lüge und Betrug ist. Ich aber beschwere mich bei Hitler und erkläre ihm vom tiefsten Grund meines Herzens: ,Wenn du es nur getan hättest, mein Bruder, wenn es doch nur wirklich geschehen wäre, sodass die Welt ohne ihr [der Juden] Übel und ihre Sünde erleichtert aufseufzen könnte.“[8] Hier wird vorgeführt, wie man den Holocaust in einem Atemzug leugnen und feiern kann.

 

Oft wird jedoch die Begeisterung für die Schoa auch ohne Einschränkung formuliert. Sie wurde erstmals 1961, als der Prozess gegen Adolf Eichmann hohe Wellen schlug, evident. Damals publizierte die jordanische Jerusalem Times einen „Offen Brief an Eichmann“, in dem es hieß: „Mit der Liquidierung von 6 Millionen (Juden) haben Sie der Menschheit einen wahren Dienst erwiesen. … Es wird Sie trösten, dass dieser Prozess eines Tages in der Liquidierung der verbliebenen sechs Millionen gipfeln wird, um Ihr Blut zu rächen.“ Arabische Autoren wie Abdallah al-Tall rühmten „den Märtyrer Eichmann“, der „im Heiligen Krieg gefallen“ sei. [9] In ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ fasste Hannah Arendt diese Stimmung wie folgt zusammen: „Die Zeitungen in Damaskus und Beirut, in Kairo und Jordanien verhehlten weder ihre Sympathie für Eichmann noch ihr Bedauern, dass er ,sein Geschäft nicht zu Ende geführt‘ habe; eine Rundfunksendung aus Kairo am Tag des Prozessbeginns enthielt sogar einen kleinen Seitenhieb auf die Deutschen, denen jetzt noch vorgeworfen wurde, dass ,im letzten Krieg nicht ein deutsches Flugzeug je eine jüdische Siedlung überflogen und bombardiert‘ hätte.“[10]

 

Dieser Herzenswunsch, alle Juden vernichtet zu sehen, wurde im April 2001 in der ägyptischen Tageszeitung Al-Akhbar  wiederholt. „Lasst uns bei Hitler bedanken“, schlug hier der Kolumnist Achmad Ragab vor. „Er hatte sich an den Israelis im Voraus gerächt. Wir machen ihm nur den einen Vorwurf, dass seine Rache nicht vollständig genug gewesen ist.“[11]

 

Es liegt auf der Hand, dass diese Begeisterung über den Holocaust, logisch betrachtet, mit dessen Leugnung unvereinbar ist. Diese Erkenntnis verfehlt jedoch den Punkt. Antisemitismus basiert auf einer emotionalen Infrastruktur. Diese setzt an die Stelle von Logik und Vernunft eine irrlichterne Kombination von sich ausschließenden Zuschreibungen, deren einziger gemeinsamer Nenner der eliminatorische Hass auf alles Jüdische ist. Aus diesem Grund werden alle Versionen einer antijüdischen Interpretation des Holocaust gleichzeitig und quer durcheinander benutzt:

 

Erstens das Hurra über die millionenfache Vernichtung, zweitens der empörte „Nachweis“, dass diese millionenfache Vernichtung eine Erfindung der Zionisten sei; drittens die Behauptung einer jüdischen Verschwörung gegen Deutschland, die Hitler konsequent vereitelt und bestraft habe; viertens die Gewissheit, dass der Holocaust vom Zionismus und den Nazis in Gemeinschaftsarbeit eingefädelt worden sei; fünftens der Vorwurf, dass eben jene Zionisten den Judenmord mit ihrer „Holocaust-Industrie“ aus durchsichtigen Motiven aufbauschten, sechstens, dass der wahre Holocaust das Vorgehen der Israelis gegen die Palästinenser sei –  und so weiter und so fort.

 

Wir haben es mit einem fantastischen Parallel-Universum zu tun, in dem das Realitätsprinzip ständig verletzt wird und in dem lauter sich eklatant widersprechende Phantasievorstellungen über Juden ihren Platz haben, solange sie nur die antisemitische Paranoia und den antisemitischen Hass bestätigen – ein Universum, in dem die Gesetze der Vernunft eliminiert und alle seelischen Energien in den Dienst des Antisemitismus eingespannt sind. Dieses Universum zeichnet sich bei all dem Durcheinander durch zwei Konstanten aus: Erstens durch die Weigerung, den tatsächlich stattgefundenen Judenmord zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn zu verurteilen. Zweitens durch die Bereitschaft, im Holocaust, wie gebrochen auch immer, eine Quelle der Ermutigung und der Inspiration zu sehen, eine Art Präzedenzfall, der beweist, dass es geht, dass man Juden millionenfach ermorden kann. Deshalb kommt es bei Ahmadinejad auf den genauen Wortlaut seiner Holocaust-Tiraden nicht an. Er ist von diesem Thema besessen, weil ihn die Möglichkeit eines zweiten Holocaust fasziniert. Warum aber umarmte dann Ahmadinejad die ultraorthodoxen Juden mehrfach, öffentlich und somit demonstrativ? Warum begrüßte er jeden auf der Konferenz anwesenden Juden einzeln und erklärt: „Der Zionismus sollte vom jüdischen Glauben strikt getrennt werden“? Werfen wir zunächst einen Blick auf den modernen Antisemitismus im Iran.

 

Ahmadinejad und die Juden

 

Ayatollah Khomeini, Ahmadinejads großes Vorbild, wurde schon in den 30er Jahren vom Antisemitismus der Nazis infiziert.[12] Seit 1963 hatte er die mobilisierende Bedeutung des Antisemitismus im Kampf gegen den Schah nicht nur erkannt, sondern auch genutzt. „Ich weiß, dass ihr nicht wollt, dass der Iran unter den Stiefeln der Juden liegt“, rief er am 13. April 1963 seinen Anhängern zu.[13] Noch im selben Jahr griff er den Schah persönlich als einen verkappten Juden und Befehlsempfänger Israels an.[14] Die Resonanz war riesig: Khomeini hatte sein Kampagnenthema gefunden. „Jetzt war der Ayatollah davon überzeugt“, schreibt der Khomeini-Biograph Amir Taheri, „dass das zentrale politische Thema des gegenwärtigen Lebens eine ausgeklügelte und hochkomplexe Verschwörung der Juden sein müsse“, eine Verschwörung, um „den Islam zu entmannen und die Welt mithilfe der natürlichen Reichtümer der Muslime zu kontrollieren“.[15] Als sich im Juni 1963 Tausende von Khomeini beeinflusste Religionsstudenten zu einem Protestmarsch nach Teheran aufmachten und von Sicherheitskräften des Schah brutal gestoppt wurden, lenkte Khomeini alle Wut auf die jüdische Nation: „Israel will nicht, dass der Koran in diesem Land überlebt. … Es vernichtet uns. Es vernichtet euch und die Nation. Es möchte die Wirtschaft übernehmen. Es will unseren Handel und die Landwirtschaft zerstören. Es will den Wohlstand des Landes an sich reißen.“[16]

 

Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 wurde die antisemitische Agitation, die zwischen Juden und Israelis keine Unterschiede machte, verstärkt. „Seid achtsam, sie sind Monster“, schrieb Khomeini 1970 in seinem Hauptwerk Islamische Regierung. „Die Juden waren es, die als erste mit der anti-islamischen Propaganda und mit geistigen Verschwörungen begannen und das dauert, wie jeder sehen kann, bis zur Gegenwart an.“[17] „Die Juden“, rief er schließlich im September 1977, „haben sich mit beiden Händen auf die Welt gestürzt und sind dabei, sie mit unersättlichem Appetit zu verschlingen. Sie haben Amerika verschlungen und haben sich als nächstes dem Iran zugewandt und sind immer noch nicht zufrieden.“[18] Zwei Jahre später war Khomeini der unangefochtene Führer der iranischen Revolution. Seine antisemitischen Attacken stießen bei den Gegnern der Shah, ob in der Linken oder im Lager der Islamisten, auf positive Resonanz. Sie lagen auf einer Linie mit den Protokollen der Weisen von Zion, die im Sommer 1978 auf persisch veröffentlicht und als Waffe gegen den Schah, Israel und die Juden verbreitet worden waren. 1984 druckte die von der iranischen Botschaft in London herausgegebene Zeitung Imam Auszüge aus den Protokollen nach.[19] 1985 produzierten die staatlichen iranischen Stellen in hoher Auflage eine weitere Ausgabe dieser Schrift. Später wurde dieser Text unter der Überschrift „Der Geruch von Blut. Jüdische Verschwörungen“ von der Zeitschrift Eslami als Serie nachgedruckt. Noch im Jahr 2005 konnte ich am Stand der iranischen Aussteller auf der Frankfurter Buchmesse die von der Islamic Propagation Organization der Islamic Republic Iran herausgegeben Ausgabe der Protokolle in englischer Sprache problemlos erwerben, neben anderer antisemitischer Literatur wie Henry Fords Traktat The International Jew, oder das Machwerk Tale of the ,Chosen People‘ and the Legend of ,Historical Right‘ von Mohammad Taqi Taqipour, das mir schon aufgrund seines grellen Titels ins Auge fiel: Ein roter Davidstern über einem grauen Totenkopf und einer gelben Weltkarte. [20] Wir sehen, dass die weltweite Verbreitung des Antisemitismus durch den Iran auch nach dem Tode Khomeinis im Jahr 1989 kein Ende nahm.

 

Die Tatsache, dass heute im Iran mit 25.000 Menschen die weltweit größte jüdische Gemeinde lebt, die ein islamisches Land weltweit aufzuweisen hat, steht hierzu nicht im Widerspruch. Man lässt die Juden im Iran ihren Dhimmi-Status der Unterlegenheit deutlich spüren: So dürfen sie Muslimen gegenüber keine höheren Positionen bekleiden und sind zum Beispiel von hohen Funktionen in Politik und Armee ausgeschlossen. Sie dürfen vor Gericht keine Zeugenaussage abgeben, ihre jüdischen Schulen müssen von Muslimen geleitet werden sowie am Schabbat geöffnet sein und Bücher auf Hebräisch sind verboten. Bislang hat das Regime, das immer wieder antisemitische Schriften und Karikaturen veröffentlicht, verhindert, dass diese Anstachelung in Gewalt gegen Juden umgeschlagen ist. Man konfrontiert die jüdische Gemeinde jedoch mit einer Mischung aus Anstiftung und Zurückhaltung, die einen permanenten Status der Unsicherheit nach sich zieht.[21] Heute erfüllt die jüdische Gemeinde im Machtspiel Ahmadinejads nicht nur eine Alibi-, sondern zunehmend auch eine Abschreckungsfunktion: Sie befände sich im Falle eines israelischen Angriffs auf iranische Atomanlagen in einer Art Geiselhaft und könnte Racheakten ausgesetzt sein.

 

Unabhängig von dem Spielraum, den Ahmadinejad den iranischen Juden vorerst gelassen hat, ist seine Rhetorik von einem Antisemitismus durchtränkt, wie er für einen Staatsführer nach dem II. Weltkrieg einzelartig ist. Ahmadinejad spricht nicht von Juden. Er sagt: „Zweitausend Zionisten wollen die Welt beherrschen.“[22] Er sagt: „Die Zionisten“ haben in den letzten 60 Jahren „alle westlichen Regierungen“ erpresst.[23]  „Die Zionisten“ haben in den USA „einen beträchtlichen Anteil der Banken, des Finanzwesen, der Kulturindustrie und der Medien an sich gerissen.“[24] „Die Zionisten“ haben die dänischen Karikaturen fabriziert. „Die Zionisten“ haben die schiitische Kuppelmoschee im Irak zerstört.“[25]

 

Man erkennt das Muster. Ahmadinejad ist kein rassistischer Sozialdarwinist, der wie Hitler noch das letzte „jüdische Blut“ vernichten will. Das Wort vom „Halbjuden“ kommt im Islamismus nicht vor. Und doch benutzt er die Vokabel „Zionist“ genau in dem Sinn, in dem einst Hitler die Vokabel „Jude“ benutzte: Als Inkarnation alles Bösen auf dieser Welt.

 

Da mag das Regime die jüdischen Israelhasser von Natorei Karta noch so hofieren und umarmen: Wer Juden – ob als „Judas“ oder „Zionist“ – für alles Böse der Welt verantwortlich macht, ist vom Antisemitismus der genozidalen Natur beherrscht. Dämonisierung der Juden, Leugnung der Holocaust und der Wille, Israel zu liquidieren – dies sind die Seiten eines ideologischen Dreiecks, dass sich nicht hält, wenn auch nur eine der drei Seiten fehlt. Ahmadinejad ist in einer hermetisch abgeriegelten Welt des Wahns eingeschlossen. Je lauter die aufgeklärte Welt gegen die Leugnung des Holocaust oder die Absicht, Israel zu vernichten, protestiert, desto eindeutiger ist für ihn der Nachweis zionistischer Vorherrschaft erbracht. Im Gespräch mit der Redaktion des Spiegel reagierte der iranische Präsident auf den Hinweis, dass der Spiegel das Existenzrecht Israels nicht in Frage stelle, wie folgt:  „Ich freue mich, dass Sie ehrliche Menschen sind und sagen, dass Sie verpflichtet sind, die Zionisten zu unterstützen.“[26] Nur dann, wenn auch wir endlich begreifen, dass der Holocaust eine jüdische Lüge ist, nur dann, wenn auch wir Israel vernichten wollen, nur dann wäre für Ahmadinejad erwiesen, dass wir wissenschaftlich glaubwürdig sind und politisch frei. Es ist aber dieser Irrsinn, der der revolutionären Mission der iranischen Führung ihre Gefährlichkeit verleiht. Damit sind wir bei der Frage der Bedeutung der Holocaust-Leugnung im weiteren Sinne angelangt. Die islamistische Mission ist auf Israel keineswegs beschränkt.

 

„Historischer Krieg“

 

Dies machte Ahmadinejad schon in seiner ersten Grundsatzrede klar: „Wir stehen inmitten eines historischen Krieges, der seit Hunderten von Jahren andauert“ rief er im Oktober 2005 aus – eines Kriegs also, der mit dem Nahostkonflikt ursprünglich nichts zu tun hat und der mit Israels Eliminierung längst nicht beendet sein wird. Er fuhr fort: „Wir müssen uns die Niedrigkeit unseres Feindes bewusst machen, damit sich unser heiliger Hass wie eine Welle immer weiter ausbreitet.“ Dieser „heilige Hass“ ist grenzen- und bedingungslos. Er lässt sich durch keine Variante jüdischen oder nicht-jüdischen Verhaltens abmildern – sofern es sich nicht um die Unterordnung unter die Scharia oder den Koran handelt – wovon nicht nur die iranischen Studenten ein Lied zu singen wissen.

 

Ausgerechnet in seinem Brief an George W. Bush vom Mai 2006 beschrieb  der iranische Präsident das Ziel seiner Mission:  „Die Einsichtigen hören schon, wie die Ideologie und das Gedankengut liberaler demokratischer Systeme zerbrechen und untergehen.“ Und wir erfahren in diesem Brief, auf welche Weise er die liberalen Demokratien zu zerbrechen gedenkt, wird doch selbst hier noch die Märtyrerideologie – jenes Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod – in nur leicht abgeschwächter Version propagiert: „Ein böses Ende haben nur die, die das Leben des Diesseits bevorzugt haben. … Ewige Glückseligkeit des Paradieses gehört denen, die ihren Herren fürchten und nicht ihren Gelüsten folgen.“

 

Wir haben es beim schiitischen Islamismus mit einem Gegner zu tun, der die Errungenschaften der Moderne als das Werk des Satans bekämpft, der das nach 1945 geschaffene System der internationalen Beziehungen als „christlich-jüdische Konspiration“ anfeindet und der auch aus diesem Grund die in diesem System geltende Geschichtsschreibung radikal umstoßen will. Das Problem bestehe darin, erklärte der iranische Außenminister Mottaki zu Beginn der Leugner-Konferenz, dass die „Formulierung von historischen Ereignissen und deren Analyse aus der Perspektive des Westens“ geschrieben werde.[27] Der Islamismus will demgegenüber eine neue Weltordnung und eine neue geschichtliche „Wahrheit“ kreieren, die den Holocaust zum Mythos, den Zwölften Imam hingegen zur Realität erklärt. Während man das Wahnsystem der Holocaust-Leugnung  zur gültigen Norm erheben will, wird jede Abweichung davon als Symptom der „Judenherrschaft“ denunziert.

 

Ahmadinejad führt einen Religionskrieg und agiert gleichwohl als Weltpopulist. Seine Reden sind an die „Unterdrückten“ in aller Welt adressiert. Er kümmert sich um gute Beziehungen zu Fidel Casto und Hugo Chávez und biedert sich mit antiamerikanischen Phasen bei der westlichen Linken an. Auch deshalb ist für ihn die Wortwahl „Zionist“ so relevant. Er nutzt dieses Stichwort als ein trojanisches Pferd, um seinen Antisemitismus respektabel zu machen, um als Antisemit und Holocaust-Leugner gleichzeitig auch der Sprecher sogenannter „unterdrückter Völker“ zu sein.

 

Zwar wäre der Iran zur Verfolgung seiner Ziele auf die Holocaust-Leugung gar nicht angewiesen. Gleichwohl kapriziert sich darauf, um die Zerstörung Israels ideologisch zu forcieren und weil er bei diesem Projekt auf die Zustimmung der Europäer spekuliert. Schließlich findet in Europa die Delegitimierung Israels schon seit langem statt – wenn auch mit anderen Begründungen. Die BBC veranstaltete ein Symposium über die Frage, ob Israel in 50 Jahren noch existieren werde,  in der EU sahen 59 Prozent der vor drei Jahren Befragten in Israel „die größte Gefahr für Weltfrieden“ und selbst in den USA bekennt sich eine zunehmende Zahl von Intellektuellen zu der Überzeugung, dass Israel und dessen amerikanische Unterstützer die eigentlich Verursacher der Probleme der amerikanischen Außenpolitik seien.[28] Wenn auch Ahmadinejad ein wenig anders argumentiert, ergänzen sich doch die divergierenden Sichtweisen und arbeiten sich gegenseitig in die Hand.

 

Wenn es stimmt, was Adorno als den neuen kategorischen Imperativ formuliert hat, wenn es stimmt, dass „Hitler … den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen (hat): ihr Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“, dann ist heute eine neue Dimension der gesellschaftlichen Intervention, des „Einrichtens“ von Handeln, gefragt. Heute kann unserer Stimme nicht alarmistisch genug sein. Schon bei der bevorstehenden Berliner Demonstration gegen die Politik des Iran am 27. Januar 2007, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, kommt es auf jede Teilnehmerin, auf jeden Teilnehmer an. Wenn der Iran nicht unverzüglich massiv unter Druck gesetzt und vor die Alternative gestellt wird, entweder seinen Kurs zu ändern oder aber verheerende ökonomische Schäden zu erleiden, bleibt nur noch die Wahl zwischen einer schlechten Lösung – der militärische Option – oder einer schrecklichen, der iranischen Bombe. Heute geht es darum, unser Denken und Handeln so einzurichten, dass der Iran sein erklärtes erstes Ziel, Israel zu vernichten, nicht verwirklichen kann. (20. Dezember 2006)

 



[1] Die Zitate entstammen der bislang umfangreichsten Dokumentation der Tagung, die von der  Honestly Concerned Iran Forschung am 15. Dezember 2006 unter dem Titel „ Die staatlich organisierte Teheraner Hasspropagandakonferenz….“ veröffentlicht wurde.

[2] Evelyn Leopold, U.N.’s Ban denounces Iran on Holocaust, Israel, in: Reuters, December 14, 2006.

[3] Boris Kalnoky, Iran versammelt die Holocaust-Leugner, in: Die Welt, 12. Dezember 2006.

[4] Yigal Carmon, The Role of Holocaust Denial in the Ideology and Strategy of The Iranian Regime, in: The Middle East Media Research Institute (MEMRI), Inquiry and Analysis Series, No. 307, December 15, 2006.

[5] Zit. nach: MEMRI,  Special Dispatch Series, No. 324, 3 January 2002.

[6] Aus: „A Selection of the Imam’s Speeches,
Tehran, 1981, vol.
III, p.109, zit. nach Amir Taheri, Nest of  Spies. America’s Journey to Disaster in Iran,  London et.al. (Hutchinson) 1988, S. 269.

[7] ISNA, 16.11.2006, http://isna.ir/Main/NewsViews.aspx?ID=News-825902 , zit. nach: Honestly Concerned  Iran-Forschung. Übersetzung aus Iranischen Medien, Berlin, 17. November 2006.

[8] Zit. nach MEMRI, Bericht Nr. 375, May, 3,  2002.

[9] Zit. nach Yehoshafat Harkabi, Arab Attitudes to Israel, Jerusalem (Keter Pubs.) 1972, S. 279.

[10] Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, München 1986, S. 81.

[11] So Ragab in der Ausgabe vom 20. April 2001. Er wiederholte diesen Standpunkt an Al-Akhbar am 25.4.2001 und am 27. 5. 2001. Vgl. Anti-Defamation League, Holocaust Denial in the Middle East: The Latest Anti-Israel Propaganda Theme, New York, 2001, S. 2. (www.adl.org)

[13] Cheryl Benard und Zalmay Khalilzad, Gott in Teheran. Irans Islamische Republik, Frankfurt a. M. (Suhrkamp), S. 260, Fn. 26.

[14] Amir Taheri, The Spirit of Allah. Khomeini & the Islamic Revolution, New York (Adler & Adler) 1986,  S. 131f.

[15] Taheri, a.a.O., S. 159.

[16] Henner Fürtig, Die Bedeutung der iranischen Revolution von 1979 als Ausgangspunkt für eine antijüdisch orientierte Islamisierung, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung Bd. 12, Berlin ( Metropol), 2003, S. S. 77.

[17] Fürtig, a.a.O., S. 79.

[18] The Institute for the Compolation and Publication of the Works of Imam Khomeini, International Affairs Division, Kauthar. Vol. I. An anthology of the speeches of Imam Khomeini (s.a.) 1962-1978, Tehran 1995, S. 370.

[19] Robert Wistrich, Der antisemitische Wahn, München (Max Hueber) 1987,  S. 320f.

[21] Wahied Wahdathagh, Fremd in der Heimat, in: Jungle World, 12. Februar 2004; Rachel Silverman, It’s not the best place for Jews, but Iran’s home to a sizeable community, in: Jewish Telegraph Agency (JTA), 5. Juni, 2006.

[22] Hooman Majd, Mahmoud and Me, New York Observer, October 2, 2006.

[23] MEMRI, Special Dispatch Series, No. 1091, February 14, 2006.

[24] So in seinem „Letter to the Noble Americans“, unter: http://edition.cnn.com/2006/WORLD/meast/11/29/ahmadinejad.letter/  

[25] WorldNetDaily, 11. Februar 2006.

[26] „Wir sind entschlossen“, Spiegel-Interview mit Mahmud Ahmadinedschad, in: Spiegel 22/2006, 29. Mai 2006.

[27] Honestly Concerned Iran Forschung,  Die staatlich organisierte Teheraner Hasspropagandakonferenz, S. 2.

[28] Vgl. Bret Stephens, The Road to Tehran, in: Wall Street Journal (OpinionJournal), December 16, 2006.

 

 

 


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