Iran: Geständnisse unter Zwang

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Iran: Geständnisse unter Zwang*
 
Wahied Wahdat-Hagh von Wahied Wahdat-Hagh, Kolumnist für WELT DEBATTE
 
 
Nachdem zwei US-Bürger iranischer Abstammung im Staatsfernsehen Zwangsgeständnisse abliefern mussten, äußerte sich Shirin Ebadi, die 2003 den Friedensnobelpreis erhielt und heute als Anwältin der inhaftierten Hale Esfandiari tätig ist.

Shirin Ebadi, Anwältin der inhaftierten Hale Esfandiari, äußerte sich gegenüber der Exilzeitung Rooz, ihre Mandantin verfüge über keine Rechte. Ebadi zufolge habe die Wissenschaftlerin in einem Telefongespräch mit ihrer Mutter zwei Tage nach den öffentlichen Schauprozessen im staatlichen Fernsehen gesagt: „Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Ich bin sehr müde. Rettet mich von diesem Ort.“

Tatsächlich erinnern solche Sendungen an stalinistische Schauprozesse. In psychischer Folterhaft werden die Menschen zermürbt, unter Todesängsten werden ihnen Hoffnungen suggeriert, wenn sie Geständnisse abgeben. In Sendungen, die beispielsweise den zynischen Titel tragen, wie „Im Namen der Demokratie“, werden sie vorgeführt.

Shirin Ebadi beschrieb die Malaise: Seit über zweieinhalb Monaten bemühe sie sich, den Kontakt zu ihrer Mandantin aufzubauen. Dies sei ihr bislang nicht gelungen. Nur in der Anwesenheit einer Anwältin könne wirklich festgestellt werden, ob Frau Esfandiari unter psychischem Druck ausgesagt habe. Daher seien alle „rechtlichen Schritte gegen sie ungültig.“

Frau Ebadi meint, dass auch die Aussagen des Sprechers der Judikative und des Geheimdienstministeriums bezüglich der „Gefährdung der inneren Sicherheit“ und „Teilnahme an sanften und samtenen umstürzlerischen Aktivitäten“ schließlich die Verletzung der Rechte der Gefangenen bedeuten würden. Denn man könne doch nicht jemanden ohne anwältlichen Beistand verurteilen, ohne eine Beweislage zu liefern, ohne ein wirkliches Urteil zu haben. Frau Esfandiari genieße noch nicht einmal die geltenden Rechte.

Schirin Ebadi sagte: „Alles, was bisher Frau Hale Esfandiari und vielen anderen politischen Beschuldigten widerfahren ist, widerspricht der Strafgesetzgebung und den internationalen Menschenrechtsnormen. In diesen Fällen können die Verantwortlichen wegen Menschenrechtsverletzungen belangt werden. Vielleicht ist es deswegen, warum bisher mehrfach die Vereinten Nationen Resolutionen gegen den Iran beschlossen haben und Iran Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen haben.“ Frau Ebadi sagte weiterhin, dass sogar all diejenigen Medien, die in Iran erscheinen, und in den letzten Wochen Frau Esfandiari als Spionin bezeichnet haben, „gerichtlich verfolgt werden können.“

Mit dieser Argumentationsform beweist Frau Ebadi, dass ihr Rechtsverständnis weit über das herrschende Strafgesetz der Scharia im Iran hinausgeht.

Auf die Frage, was sie denn gedacht und gefühlt habe, als sie ihre Mandantin im Fernsehen gesehen habe, sagte sie: „Ich habe absichtlich diesen Film nicht gesehen. Denn das alleinige Zuschauen von illegalen Geschehnissen kann als eine Billigung verstanden werden. Ich hätte es lieber gesehen, wenn alle Bürger aus Achtung vor dem Gesetz ihr Fernsehen ausgeschaltet hätten, sobald diese Sendung ausgestrahlt wurde. Sie hätten damit gegen ein illegales Handeln protestiert. Ich habe mein Fernsehen ausgeschaltet und war nicht bereit zuzuschauen, wie manche mit illegalen Methoden die Reputation anderer Menschen zerstören.“

Ebadi erinnerte daran, dass diese Sendungen Tradition in der Islamischen Republik haben und ein Beweis dafür seien, dass die staatlichen Medienanstalten nicht unabhängig seien.

Mehrangiz Kar, Juristin und Frauenrechtlerin, die inzwischen im Exil lebt, schrieb: „Geständnisse, die ein Mensch gegen sich vor einer Kamera in einem Gefängnis ablegt, sind falsch, ungültig und nicht erträglich. Die Geständnisse von Hale Esfandiari und Kian Tajbaksh widersprechen nicht nur den Menschenrechtsstandards, sondern sogar den islamischen Gesetzen.“ Gemäß Paragraph 1262 des iranischen Zivilrechts, das über 80 Jahre alt sei und gänzlich auf dem islamischem Gesetz beruhe, werde betont, dass wenn ein „Geständnis nicht freiwillig“ sei und die „Geständnis liefernde Person mit Ekel oder in einer Notlage etwas aussagt, die Aussagen ungültig sind.“

Tatsächlich haben die islamischen Juristen das Zivilrecht aus der Schahzeit übernommen, aber das Strafgesetz vollständig islamisiert. Das islamische Gesetz gehe, trotz aller Defizite, davon aus, so Mehrangiz Kar, dass derjenige, der ein Geständnis liefert, „volljährig und bei vollem Verstand sei und freiwillig handle.“ Sie fragt, wie denn unter den vorherrschenden Verhältnissen, die Aussagen der beiden iranisch-amerikanischen Wissenschaftler „authentisch“ sein können?

Mhrangiz Kar konstatiert: „Beim Anblick des gebrochenen und verwandelten Gesichts, das geistlos wirkt, kann man mit Leichtigkeit feststellen, dass dieses Gesicht ‚gezwungen‘ worden ist, etwas zu tun, das den Gefängniswärtern, die es umzingeln, gefällt, in Hoffnung auf Befreiung aus der Hölle.“

Auch die Studentenorganisation der Teheraner polytechnischen Universität befürchtet, dass die 18 Studenten, die am 9. Juli verhaftet wurden und in der berüchtigten Abteilung 209 des Evingefängnisses in Einzelhaft sitzen, Zwangsgeständnisse liefern müssen. Daher betonen sie, dass jedes erzwungene Geständnis illegal sei.

Sogar der Geistliche Hussein Borujerdi, Enkelsohn von Großayatollah Borujerdi, musste unter Druck ein Zwangsgeständnis abgeben. Er hatte sich für die Trennung von Staat und Religion ausgesprochen. Borujerdi musste absurderweise „gestehen“ gar nicht der Enkelsohn des Großayatollahs zu sein. Er habe „Kontakte mit Fremden“ gehabt und „aufrührerische Schritte unternommen. Er sei „von ausländischen Konterrevolutionären getäuscht worden.“

Der Realsozialismus ist inzwischen Geschichte und doch hält nicht zuletzt eine solche Staatspraxis, die den Kontakt mit dem „imperialistischen Feind“ unter harte Strafe stellt, die Erinnerung daran wach.

 
 
*Zuerst veröffentlicht bei WELT Online. Für die Rechte zur Weiterveröffentlichung bedanken wir uns beim Autor.
 
 
 

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