Opfer treffen Opfer

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Opfer treffen Opfer*

Von Henryk M. Broder
Zuerst erschienen in der WELTWOCHE[1]

 

Kennen Sie den? Ein Deutscher und ein Israeli, beide nach dem Krieg geboren, treffen sich an einem Strand in der Türkei und kommen miteinander ins Gespräch. Der Deutsche wundert sich, dass der Israeli so gut Deutsch spricht. Das komme daher, sagt der Israeli, dass seine Vorfahren deutsche Juden gewesen wären, die meisten seien im Holocaust ums Leben gekommen. „Ist ja schrecklich“, sagt der Deutsche, „ich weiß, wovon du redest, mein Opa ist auch im KZ gestorben, er ist besoffen vom Wachturm gefallen“.

Ein geschmackloser Witz, gewiss, dafür aber sehr nah an der Wirklichkeit. Denn je länger der Zweite Weltkrieg zurückliegt, umso mehr greift die Überzeugung um sich, dass nicht nur die Polen, die Russen, die Juden, die Zigeuner und noch einige andere Ethnien Opfer der von den Nazis initiierten Ereignisse wurden, sondern vor allem die Deutschen selbst. Eine Erkenntnis, die nicht einmal falsch wäre, wenn sie die zeitliche Abfolge berücksichtigen würde: erst stand die Wehr-macht vor Stalingrad, später wurde Berlin von der Sowjetarmee belagert.

Aber solche chronologischen Petitessen können vernachlässigt werden, wenn es darum geht, sich im großen Opfer-Karaoke nach vorne zu singen. Nicht erst seit dem letzten Libanon-Krieg sind die meisten Deutschen davon überzeugt, dass sie, im Gegensatz zu den Israelis, die richtigen Lehren aus der Geschichte gelernt haben, wozu auch die Überzeugung gehört, dass man alle Konflikte friedlich auf dem Verhandlungswege lösen kann, egal mit wem man es zu tun hat.

Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck wollte mit „moderaten Taliban“ in einen Dialog treten, es gibt auch kaum einen politischen Analysten oder Kommentator, der den Israelis nicht empfehlen würde, sich mit der Hamas und der Hisbollah an einen Tisch zu setzen, um einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts näher zu kommen. Und dass man mit dem iranischen Präsidenten „verhandeln“ müsse, um ihm seine atomaren  Ambitionen auszureden oder abzukaufen, ist ein geheiligtes Prinzip der deutschen Politik, das auch ein extrem unkooperativer Ahmadineschad nicht zu erschüttern vermag.

Bei dem Bemühen, auf die richtige Seite der Geschichte zu wechseln, wird nicht nur der Holocaust von Auschwitz mit dem „Bombenholo-caust“ von Dresden verrechnet, es wird auch eine Welt errichtet, in der es nur noch Opfer gibt. Was vor allem dem deutschen Reha-Programm entgegenkommt.

Das Amt für Kinder- und Jugendarbeit in Berlin/Stadtmitte organisiert vom 27. August bis zum 8. September eine „internationale Jugend-begegnung“ mit Teilnehmern aus „Palästina, Israel, Polen und Deutschland“. Das Motto des Quadrilogs lautet: „Opfer treffen Opfer“.

Nun weiss jeder, der selbst einmal jung war, dass Jugendliche alles tun, um von Zuhause wegzukommen. Sogar eine Klassenreise in ein KZ erscheint attraktiver als ein langes Wochenende mit den Eltern.

Da nehmen sie es auch hin, als „Opfer“ qualifiziert zu werden, obwohl sie bestenfalls die Opfer ihrer Eltern und nicht der Geschichte sind. Im vorliegenden Fall kommt eine Mission dazu, die  noch verlockender ist als die Aussicht auf wilde Parties nach vollendeter Trauerarbeit. Die Jugendlichen, so heißt es in der Projektbeschreibung, „begegnen sich in Berlin und lernen vom europäischen bzw. deutsch-polnischen Versöhnungsprozess, um Lösungsansätze für den Konflikt in Palästina und Israel zu erarbeiten“. Danach werden die Ergebnisse „in verschiedenen Einrichtungen einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht“. Die Teilnehmer „sollen erkennen, dass nur zusammen eine friedliche und bessere Welt geschaffen werden kann“.

Was sie bei dieser Gelegenheit vor allem erkennen und lernen werden, ist, dass man mit einigen wohlfeilen Phrasen Eindruck schinden und Geld abzocken kann. Die Begegnung wird von der EU gefördert, als „Unterstützer“ konnten der aschkenasische Oberrabbiner von Israel und der Großmufti von Jerusalem gewonnen werden, die eigentlich nicht auf die Initiatives des Kinder- und Jugendamtes von Berlin-Mitte angewiesen sind, wenn sie eine friedliche und bessere Welt schaffen möchten. Der dritte Unterstützer verleiht dem „Projekt“ die moralische Weihe. Es ist ein „Shoa-Überlebender“, Salomon Perel, bekannt geworden als „Hitlerjunge Salomo“.

So kann nichts schief gehen. Die Jugendlichen aus Palästina, Israel, Polen und Deutschland werden „Lösungsansätze für den Konflikt“ im Nahen Osten erarbeiten und sie „einer breiten Öffentlichkeit“ präsentieren. Ein Kinderkreuzzug aus virtuellen Opfern unter der Regie einiger hyperventilierender Sozialarbeiter wird in ein paar Tagen etwas zuwege bringen, woran sich Scharen von Militärs, Politikern und  Vermittlern seit über 1oo Jahren vergeblich abarbeiten. Jetzt legen „Opfer“ Hand an das Problem, vorneweg die Deutschen. Sie schaffen es zwar nicht, marodierende Nazis daran zu hindern, Ausländer auf Volksfesten zu verhauen, aber Rezepte für die Lösung des Nahostkonflikts zu fabrizieren, das trauen sie sich zu. 

Früher war der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert. Heute führt der Weg ins Paradies über einen Projekt-Förderungsantrag in Brüssel.

HMB, Tel Aviv, 26.8.07

 

 

*Für die Rechte zur Weiterveröffentlichung bedanken wir uns beim Autor.

 




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