Iran: Steinigung als Staatsgesetz

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Iran: Steinigung als Staatsgesetz*

Wahied Wahdat-Hagh von Wahied Wahdat-Hagh, Kolumnist für WELT DEBATTE

 
 
Mohammad Javad Larijani ist Vorsitzender des „Menschenrechtsstabes der iranischen Justiz“. Er besteht darauf, dass die Strafe der Steinigung weder Folter noch unangemessen sei. Er begründet dies damit, dass die Strafe der Steinigung auf einem religiösen Gesetz beruhe und in der Strafgesetzgebung des Iran festgeschrieben sei.

Mohammad Javad Larijani ist nicht irgendjemand. Er ist Mathematiker und hat an der Berkeley Universität in Kalifornien studiert. Er ist der Bruder des Atomunterhändlers Ali Larijani. Mohammad Javad Larijani ist Vorsitzender des Menschenrechtsstabes der iranischen Justiz. Über dieses staatliche Amt für „Menschenrechtsfragen“ sagte er:

„Der Menschenrechtsstab ist auf einer sehr hohen Ebene platziert und arbeitet unter der Führung von Ayatollah Hashemi Shahroudi. Der Außen-, Geheimdienst-, Staats- und Justizminister und der Minister für islamische Führung und Kultur sind Mitglieder dieser Institution. Aber auch Vertreter der Armee, der Gefängnisleitungen und des Justizministeriums sind vertreten.“

Wie die Nachrichtenagentur ISNA meldete, sei der „Menschenrechtsstab“ eine „nationale Instanz“, die auf Befehl des „großen Führers“ Ali Khamenei gegründet worden sei.

„Negative Propaganda des Westens“

Mohammad Javad Larijani ist der festen Überzeugung, dass der Westen negative Propaganda gegen den Iran betreibe, besonders wenn es um Themen wie Menschenrechtsfragen, Atomprogramm, Aufrüstung und Terrorismus gehe.

Larijani hat religiösen Anlass für seinen antiwestlichen Unmut: Ihm zufolge will der „Westen sein Verständnis von liberaler Demokratie und Menschenrechten propagieren.“ Ungewollt werden in seiner Problemanalyse zugleich die Probleme einer Reformierung des islamischen Staatsgesetzes deutlich. Er sagte:

„Wir haben eine Reihe von internationalen Dokumenten und Verpflichtungen unterzeichnet, die sich auf Menschenrechte beziehen. Wir sind aber der Überzeugung, dass die Auslegung dieser Dokumente nicht mehr den Westlern überlassen werden darf. Die Westler sind besorgt, weil wir die Themen unabhängig interpretieren. Sie wollen uns zusätzlich zu ihren juristischen Vorstellungen ihre Vorstellung einer liberalen Demokratie aufzwingen.“

Der promovierte Mathematiker wies auf eine Sitzung der Blockfreien in Teheran hin. Dort sei sehr positiv über die Fragen des eigenen „kulturellen“ Verständnisses diskutiert worden. Iran habe stets auf die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzung geantwortet. Allein an die UNO seien bisher über zweitausend Seiten Richtigstellungen übergeben worden. Mohammad Javad Larijani ist der festen Überzeugung, dass die Westler eurozentrisch seien.

„Bei einer Steinigung kann sich die Person retten, nicht aber bei einem Todesurteil“

Larijani ist für einen rigiden Umgang mit Ehebrechern. Seine frostigen Argumente begründet er islamisch:
„Sie kritisieren die Steinigung auf verschiedene Art und Weise. Sie sagen, dass die Steinigung keine Strafe sei, sondern Folter. Dabei ist die Grenze zwischen Folter und Strafe nicht geklärt. Sie sagen, dass dieses Urteil nicht im Verhältnis zur begangenen Straftat stünde. Sie sagen, warum eine Frau gesteinigt werden muss, wenn sie fremdgegangen ist. Das liegt natürlich daran, dass für sie diese abscheuliche [sexuelle] Tat nicht schlimm genug ist. Sie wollen uns ihre Sicht der Dinge einreden.“

Larijani fuhr fort: „Wenn wir keine Steinigung hätten und stattdessen Hinrichtungen, würden sie uns auch kritisieren. Es muss aber beachtet werden, dass Steinigung aus islamischer Perspektive als eine mindere Strafe anzusiedeln ist als eine Hinrichtung. Denn bei einer Steinigung kann die Person sich retten, nicht aber bei einem Todesurteil.“

Die Frau hat keine Fluchtmöglichkeit aus der Grube

An dieser Stelle muss doch gesagt werden: „Einspruch euer Ehren“. In Artikel 102 des iranischen Strafgesetzes heißt es: „Bei der Steinigung wird der Mann bis zum Gürtel und die Frau bis zur Brust in eine Grube eingegraben. Dann wird die Steinigung vollstreckt.“ Dem Mann gewähren die Sittenpolizisten damit eine Fluchtmöglichkeit, der Frau aber nicht. Gelingt dem Mann die Flucht, bestimmt Artikel 103, „so wird er, falls der unerlaubte Geschlechtsverkehr durch Zeugen bewiesen wurde, zur Vollstreckung zurückgebracht. Wurde dieser jedoch durch ein Geständnis bewiesen, so wird er nicht zurückgeholt.“ Es ist nicht erwünscht, dass die Verurteilten schnell sterben: „Die Steine dürfen bei einer Steinigung nicht so groß sein, dass die Person getötet wird, wenn sie von einem oder zwei davon getroffen wird und auch nicht so klein, dass man sie nicht mehr als Steine ansehen kann“ (Artikel 104).

„Steinigung ist weder Folter noch eine inadäquate Strafe.“

Zurück zu Larijani, der weiterhin meinte: „Wenn wir nur die Methode der Hinrichtung anwenden würden, würden sie kritisieren, dass die Strafe nicht adäquat zum begangenen Verbrechen sei. Den Westlern können wir die Entscheidung nicht überlassen, wie hässlich der außereheliche Geschlechtsverkehr ist. Wir werden diese Tat gemäß den Maßstäben, die in unserem Staat herrschen, bemessen. Sie sagen uns, dass ihr gemäß den internationalen Vereinbarungen keine Folter anwenden dürft oder dass keine inadäquaten Strafen verhängt werden dürfen. Wir sagen, dass wir dies akzeptieren, antworten ihnen aber, dass Steinigung weder Folter noch eine inadäquate Strafe bedeutet.“

„Es gibt Diskussionen über die Steinigung“

Der staatliche Menschenrechtsbeauftragte des Iran gab noch einige Erklärungen über die Steinigung ab:
„Die Steinigung gehört zu den Strafmaßnahmen, die ein Richter im Zusammenhang mit außerehelichem Geschlechtsverkehr als Urteil verkünden kann. Und es ist natürlich, dass, so lange dieses Gesetz in unserer Strafgesetzgebung vorhanden ist, es dem Richter überlassen ist, auch dieses Urteil zu verkünden. Es gibt diverse Rechtsdiskussionen über die Steinigung. Manche Geistliche sagen, dass die Steinigung im Koran gar nicht vorkommt. Manche diskutieren auch wie die Keuschheit eines Menschen überhaupt erkannt werden kann. Und manche fragen, ob zu Zeiten des Propheten Mohammad gesteinigt worden ist oder nicht? In anderen göttlichen Religionen, wie im Judentum, gab es auch dieses Problem. Es gibt viel Spielraum. In unserem Rechtssystem gibt es auch keine Sackgassen und wir können darüber diskutieren. Ayatollah Hassemi Shahroudi (Vorsitzender der Justiz) hat befohlen, dass der Maßstab für eine Steinigung sehr genau sein muss. Die Frage nach der Keuschheit muss faktisch während des außerehelichen Geschlechtsverkehrs bewiesen werden.“

Wenn beispielsweise ein Mann oder eine Frau aus bestimmten Gründen den außerehelichen Verkehr aufgegeben haben, dann seien neue Bedingungen geschaffen. Dann könnten auch andere Strafen als die Steinigung verhängt werden, so Larijani, der staatliche Menschenrechtsbeauftragte aus dem Iran.

Schändliche Wollust

Im Falle einer kürzlich ausgeführten Steinigung in der Provinz Takistan räumte Larijani einen Fehler ein. Der Staatsführer, Ali Khamenei, habe ausdrücklich eine genaue Überprüfung eines Falles angeordnet, dennoch sei die Steinigung vollzogen worden. Die zwei Personen seien zuvor Nachbarn gewesen und seien in ein anderes Dorf geflüchtet und hätten sich sogar neue Identitäten gegeben. Diese seien sehr depressiv und auf jeden Fall sei es eindeutig, dass diese Personen nicht aus reiner „Wollust“ gehandelt haben. Vielmehr hätten sie vollkommen „irrational“ gehandelt. Der islamische Menschenrechtler Larijani sprach dennoch von einer „schändlichen“ Tat und fügte hinzu, dass „Verrückte“ anders behandelt werden, als Menschen, die bewusst nach reiner „Wollust“ handeln:

„Ich will ihre schändliche Tat keineswegs verteidigen. Aber dieser Fall ist doch ganz anders, als wenn zwei Personen nur aus Spaß und Wollust eine solche schändliche Tat begehen. Meiner Meinung nach haben diese zwei Personen vom Verstand her Probleme gehabt. Sie waren nicht in einem guten geistigen Zustand. Sie haben wie Verrückte gehandelt.“

Das Gericht sei zwar verpflichtet, sofort einen Haftbefehl gegen diese zu erlassen, meinte der Menschenrechtler des Gottesstaates und fügte hinzu: „Manche denken, dass wir uns schämen, wenn die Westler uns wegen der Steinigung beschimpfen, wenn wir nur die Gesetze befolgen. Aber es ist keineswegs so. Für das religiöse Gesetz braucht man sich nicht zu schämen.“ Die Richter müssten jedoch mehr aufpassen und die Gesetze genauer befolgen.

Tag gegen die Todesstrafe

Am 27. September berichtete eine iranische Zeitung, dass eine Frau in der Stadt Mashad, wegen Ehebruchs von einem Gericht zur Steinigung verurteilt worden ist. Der Mann soll dagegen 100 Peitschenhiebe bekommen.

Am 10. Oktober wird der internationale Tag gegen die Todesstrafe begangen. Die Steinigung ist eine der primitiven Formen der Todesstrafe, die Folter einschließt. In der iranischen Strafgesetzgebung, bei den Hadd-Strafen sind Abschneiden von Hand oder Fuß und Blutgeld ebenfalls vorgesehen.

*Zuerst veröffentlicht bei WELT Online. Für die Rechte zur Weiterveröffentlichung bedanken wir uns beim Autor.

 

 


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