Sibirische Kälte und Schneepflüge gegen Olmert

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Jerusalem, 29. Januar 2008 – „Israel ist ein völlig anormales Land“, sagte am Dienstag früh der Rechtsexperte Mosche Hanegbi. Ein eisiger Wintersturm mit erwarteten Minus neun Grad und Sturmböen mit Geschwindigkeiten bis zu 100 Stundenkilometern fegen über das Land hinweg. Bei den „Hallen der Nation“ in Jerusalem parken in Schneepflüge umfunktionierte Planierraupen der Stadtverwaltung. Und das alles nur, damit Richter Winograd garantiert am Mittwoch um Punkt 17 Uhr MEZ vor laufenden Kameras seinen Report über die letzten drei Tage des Libanon-Krieges vom Sommer 2006 verlesen könne.
Zur Debatte steht nicht nur die Zukunft von Premierminister Ehud Olmert, sondern des gesamten innenpolitischen Gefüges des gebeutelten jüdischen Staates. Am letzten Freitag Abend des Libanonkrieges hatte Olmert plötzlich doch eine Bodeninvasion beschlossen. Nach Meinung von nachträglich klugen Militärexperten hätte sie eigentlich am Begin jenes 34-tägigen Krieges stehen müssen. Waren die Soldatenopfer der letzten Kriegstage politischer Leichtsinn, weil Olmert in letzter Minute sein Image aufbessern wollte, oder war die Bodenoffensive eine Notwendigkeit? Auch der Sohn des bekannten Schriftstellers David Grossmann fiel bei der umstrittenen Invasion „wie beim Tontaubenschießen“. Kritiker werfen Olmert vor, dass die UNO-Resolution 1701 längst für die Abstimmung bereit war und Israel ohnehin einen fragwürdigen Sieg bescherte. Während die Hisbollah die Zerstörung eines großen Teils der Infrastruktur des Libanons durch die israelische Luftwaffe provoziert hatte, konnte Israel im Grenzgebiet einen Zustand erzwingen, auf den es seit Ausbruch des Bürgerkriegs im Libanon 1976 gewartet hatte. Anstelle unkontrollierter Milizen stehen nun wieder libanesische Soldaten an der Grenze und wachen über die Souveränität des Zedernlandes, während eine maßgeblich verstärkte internationale UNO-Truppe die Einhaltung des Waffenstillstandes überwacht, unter Anderem mit der bundesdeutschen Marine vor der Küste des Libanon.
Doch wie schon nach anderen umstrittenen Ereignissen in der Geschichte Israels wurden die Meinungsverschiedenheiten über den Sinn oder Unsinn des Libanonkrieges nicht – wie in jeder anderen Demokratie der Welt – durch politisches Spiel und Neuwahlen ausgefochten, sondern einem Untersuchungsausschuss zur Entscheidung übertragen. Das „Urteil“ des Richters Winograd, nach einem Jahr Anhörung aller verantwortlichen Politiker und Militärs, wird am Mittwoch verlesen. Von seiner Einschätzung der „Verantwortung der Entscheidungsträger“ hängt ab, ob Olmert freiwillig zurücktreten sollte und ob weitere Köpfe rollen, nachdem der damalige Verteidigungsminister Amir Peretz und der Generalstabschef Dan Halutz längst ihren Hut genommen haben.
Je nach politischer Ausrichtung, fordern Politiker, vor allem der Opposition, einen umgehenden Sturz Olmerts, während die Mehrheit der Abgeordneten in der Knesset eine „Kontinuität der Herrschaft“ vorzieht. Israels Opposition hat gemäß ihrem Demokratieverständnis nicht nur die Aufgabe, Fehler der Regierung aufzudecken und ansonsten geduldig bis zu den nächsten Parlamentswahlen zu warten. Vielmehr glauben israelische Oppositionschefs, von ihren Wählern beauftragt zu sein, die jeweils amtierende Regierung zu stürzen. Vor nur wenigen Jahren führte die Knesset die im deutschen Bundestag übliche Regel eines „konstruktiven Misstrauensvotums“ ein. So sollte diesem ständigen Putsch-Zustand der Opposition einen Riegel vorgeschoben werden. Genau aus diesem Grund verpufften die Demonstrationen düpierter Kriegsveteranen und im Stich gelassener Bürger des von Raketen getroffenen Nordens Israels gegen Olmert. Denn niemand nannte eine Alternative zu Olmert. Zwar kocht es in der israelischen Innenpolitik, aber ernsthafte Kommentatoren rechnen weder mit einem Sturz Olmerts noch mit baldigen Neuwahlen. „Der Sturm um den Winograd-Report wird sich genau so schnell legen, wie der erwartete Schneesturm in Jerusalem“, prophezeit ein Experte. Denn jene, die Olmert jetzt los werden wollen, ihn für „unerfahren“, „korrupt“ und „unfähig“ halten, denken nicht nur an Olmerts vermeintliche Sünden während des Libanonkriegs. Sie wollen vielmehr mit einem Streich auch den regelmäßigen Treffen Olmerts mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas ein Ende setzen, die Diskussionen über eine Teilung Jerusalems unterbinden und die Verwirklichung der Bush-Vision einer Zwei-Staaten-Lösung innerhalb eines Jahres zum Scheitern bringen.

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