„Ein Schlag – und fertig“ gibt es nicht

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„Ein Schlag – und fertig“ gibt es nicht

Kommentar von Yoel Marcus, Ha’aretz, 04.03.2008
übersetzt von Daniela Marcus

Die erste Kassam-Rakete wurde am 16. April 2001 abgefeuert. Seitdem wurden im Verlauf von sieben Jahren Raketenbeschuss auf einen immer größer werdenden Kreis israelischer Städte 12 Israelis getötet. Es gab Zeiten, da innerhalb einer einzigen Woche mehr Menschen bei Verkehrsunfällen auf israelischen Straßen starben. Doch die Opferstatistik ist nicht das Thema. Das Thema ist, dass eine israelische Stadt –Sderot- und zunehmend weitere jüdische Bevölkerungszentren zur leichten Beute der Hamas-Raketen aus dem Gazastreifen geworden sind. Sieben Jahre der Angst, der schlaflosen Nächte, der Beschädigung von Häusern und Eigentum, des Rennens in die Bunker und Schutzbereiche und der Alpträume, dass eines Tages ein Kindergarten von einer Kassam-Rakete getroffen wird und blutige, herzzerreißende Szenen verursacht.

Es ist nicht wirklich klar, warum sich das Verteidigungsministerium mit diesem pausenlosen Raketenhagel abfindet. Wenn die Raketen auf Ramat Aviv fielen, würde das ganze Land aufstehen, schimpften die verbitterten Einwohner von Sderot in der Regel gegenüber den Medien. Und Recht hatten sie. Nun, da auch Ashkelon angegriffen wird, nun, da aus kleinen Kassam-Raketen Grad-Raketen wurden, nun, da die Projektile eine Reichweite von 20 km haben und Hamas täglich 50 von ihnen auf israelisches Gebiet schießen kann, hat sich die Nonchalance der Führungsschicht in öffentliche Wut verwandelt, in einen Wunsch nach Rache und Vergeltungsoperationen, der zum Teil soweit geht, dass man dazu aufruft, in den Gazastreifen einzudringen und alle zu Brei zu schlagen.

Auf Grund der Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas –nachdem die Fatah mit Gewalt vertrieben worden war- wurde die Annapolis-Initiative zur Zielscheibe des Spotts. Die Szenen eines eleganten Mahmoud Abbas, der Küsse mit Ehud Olmert austauschte während sie beide und ihre Berater an Tischen mit feinem chinesischem Porzellan und Kristallgläsern saßen, um über ein Abkommen zu diskutieren, haben keine Bedeutung. Abbas mag die Mukata kontrollieren (wenn überhaupt), doch er hat die Hälfte seines Volkes verloren. Dieses fährt damit fort, aktiven Krieg gegen Israel zu führen.

Der von der Hamas kontrollierte Gazastreifen hat ein paar Dinge aus dem Zweiten Libanonkrieg gelernt: die Armee der Zionisten hat ihre Abschreckungsmacht verloren, sie ist nicht so unbesiegbar wie jeder gedacht hatte, Israels Achillesferse ist die Heimatfront und Israel reagiert äußerst sensibel, wenn es um das Leben seiner Soldaten geht. Die Hamas musste nur den Winograd-Bericht lesen. Niemals zuvor wurden die israelische Armee, deren Kommandeure, ihr Generalstabschef und Premierminister Ehud Olmert so sehr beschämt wie in diesem Bericht.

Israel hat dem Gazastreifen Sanktionen auferlegt indem es den Stecker aus der Dose der Stromversorgung zog und die Treibstofflieferungen stoppte. Doch die Welt, die immer tolerant ist, wenn Israel angegriffen wird, behauptet, diese Reaktion Israels sei unverhältnismäßig. Wir werden als stark betrachtet während Gaza die Heimat von eineinhalb Millionen armen und unterdrückten Seelen ist. Die Tatsache, dass eine extremistische Guerillaorganisation, die die Aussicht dieser Seelen auf die Gründung eines Staates basierend auf den 1967er Linien sabotiert, verantwortlich für das Leiden ist, zählt nicht.

Der Aufruf, nach Gaza vorzudringen und die Hamas windelweich zu schlagen, ist ein Bauchgefühl. Israelis erinnern sich an ihre militärischen Siege, doch sie leiden an Amnesie wenn es um ihre Niederlagen geht. Die israelische Armee ging in den Libanon um eine Operation durchzuführen, die nicht länger als 48 Stunden dauern sollte, jedoch 18 Jahre lang durch Bomben, Hinterhalte und Minen das Blut der israelischen Soldaten vergoss bis die Armee sich schließlich innerhalb eines Tages wie ein Dieb in der Nacht aus dem Libanon zurückzog.

Eine massive Operation im Gazastreifen von der Art, nach der politisch rechtsgerichtete Personen wie Moshe Arens, Avigdor Lieberman und Benjamin Netanyahu streben, ist eine gefährliche und blutige Falle. Hineinzugehen ist einfach. Das Problem liegt darin, wieder herauszukommen. Glücklicherweise sind die derzeitigen Köpfe der Verteidigungseinrichtungen keine Dummköpfe. Der Verteidigungsminister und der Generalstabschef sind klar denkende und gut kalkulierende Personen und lassen sich nicht von populistischen Schreien, Gaza zu stürmen und zum Teufel zu jagen, mitziehen. Im Gegensatz zur Operation „Schutzschild“, bei der wir wussten, wie wir hinein- und wieder herauskommen würden, besteht in Gaza ein großes Risiko, hineingezogen zu werden und einen enormen Preis an Menschenleben zu zahlen.

Shaul Mofaz, einer der Gegner eines massiven Eindringens in Gaza, glaubt uneingeschränkt an gezielte Operationen gegen Stellungen, von denen Raketen abgefeuert werden, und daran, Regierungsgebäude außer Gefecht zu setzen und Hamasführer gezielt zu töten. Sie mögen etwas anderes behaupten, doch sie werden nervös und ängstlich, wenn ihr Leben bedroht ist.

Ehud Barak lässt hier und da Hinweise fallen, dass Israel dabei sei, in Gaza einzumarschieren. Und Militärkorrespondenten berichten, dass die israelische Armee nur noch zwei Minuten von dem Punkt entfernt ist, von dem es keine Rückkehr mehr gibt. Doch derzeit sind die Besetzung des Gazastreifens und die Zerstörung der Hamas mehr Wunschdenken als eine wahrscheinliche militärische Option.

In der Praxis verhandelt Israel indirekt mit der Hamas um die Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit, und es hat Botschaften über eine dritte Partei bezüglich der Bereitschaft der Hamas, über eine Feuerpause zu diskutieren, erhalten. Beides sind Möglichkeiten, einen Dialog mit der Hamas zu beginnen. Einen Versuch wäre es wert.

Heute können wir nur wiederholen, was wir an früheren Wendepunkten in unseren Beziehungen zu den Arabern bereits gesagt haben: „Ein Schlag – und fertig“ gibt es nicht.

Englische Version: http://www.haaretz.com/hasen/spages/960434.html
Hebräische Version:
http://www.haaretz.co.il/hasite/spages/960557.html

 


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