Honestly Concerned

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(überarbeiteter Text von 2003) Jerusalem, 13. März 2008 – Die Sponsoren einer Konferenz des BSJD, des Bundes jüdischer Studenten, in Frankfurt sparten im März 2002, auf dem Höhepunkt der El Aksa Intifada nicht mit Geld, um ihren Mitgliedern ein positives Bild Israels zu vermitteln. Der israelische Botschafter kam, israelische Minister wurden eingeflogen, Professor Michael Wolfssohn hielt einen Vortrag und brachte die vorhandenen Klischees erfolgreich durcheinander. Eingeladen war auch ich, Israel-Korrespondent verschiedener deutscher Medien. Ganz subjektiv hatte ich den Eindruck, als wenn nicht die offiziellen Vorträge diesen Studenten wirklich wichtig waren, sondern das, was im Flur, während der Pausen oder in der Lobby vor dem Essen beredet wurde. Viel Verzweiflung wurde da laut, das Gefühl, einer einseitigen, unfairen und teilweise sogar falschen und propagandistischen Medienberichterstattung ausgesetzt zu sein. Das interessierte diese Studenten mehr als ein gelehrter Vortrag über die Grenzprobleme Israels oder über die Gefahren des palästinensischen Terrors. Denn was in ARD und ZDF am Abend gezeigt wurde, mit entsprechendem Kommentar über die „israelischen Verbrechen“, bekamen die jüdischen Studenten in Form von Beschimpfungen am nächsten Tag auf dem Campus zu spüren, als seien sie für die Politik Scharons verantwortlich.
Der Vorschlag, Leserbriefe an die Redaktionen zu schreiben, aber sich tunlichst auf sachliche Kritik zu beschränken und keine emotionalen pro-israelischen Episteln zu verfassen, wurde von ihnen dankbar aufgenommen. Erst als die antisemitische Kampagne Möllemanns zusammen mit den Berichten über das mutmaßliche „Massaker“ in Dschenin, von Arafat gar als „Dscheningrad“ bezeichnet, die Lage der Juden in Deutschland aus ihrer Sicht immer prekärer machte,  griff Sacha Stawski aus Frankfurt, der an der BSJD-Konferenz gar nicht teilgenommen hatte, die „in der Luft liegende“ Idee von Leserbriefkampagnen auf. Er bediente sich dabei des modernsten, billigsten und einfachsten Kommunikationsmittels, das es heute gibt: Emails und Verteilerlisten. Zunächst etwas unbeholfen und bei Bekannten anfangend, begann er, im Internet verbreitete Zeitungsartikel zu sammeln: Berichte über jüdische Themen, Auseinandersetzungen mit Möllemann und Artikel über Israel. Er verfolgte dabei eine doppelte Strategie: einerseits umfassend informieren, indem er einfach Artikel zu sammelte und als Link oder im Wortlaut elektronisch verbreitete. Andererseits seine Email-Empfänger zu Kritik, Leserbriefen, Protesten aufzumuntern, in Fällen, wo schon ein einfacher Vergleich der Meldungen und Artikel zum gleichen Thema bewies, wer da die Wirklichkeit verdrehte oder tendenziöse Begriffe in eine ansonsten einwandfreie Berichterstattung einfließen ließ.
Die Emailliste der „aktiven Teilnehmer“, die selber Beiträge sammelten und Sacha zuschickten oder auch mal Kommentare verfassten, wurde „Honestly Concerned“ (aufrichtig besorgt) genannt, ohne sich jedoch als Klub oder „eingetragener Verein“ zu etablieren. Es reichte die Bitte, auf den Email-Verteiler gesetzt zu werden, um „Mitglied“ zu werden, wobei Herkunft oder Identität nicht geprüft wurden. So kam da ein buntgewürfelter Haufen von Christen und Juden, Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und politischer Ausrichtung zusammen. Ein zweiter Verteiler enthielt die Emailadressen von Redaktionen, Abgeordneten, Organisationen und anderen, die „angesprochen“ werden sollten.
Innerhalb eines Jahres war „honestly concerned“ zu einer vielbeachteten und teilweise auch öffentlich diskutierten Einrichtung in Deutschland geworden. Unvermeidbar war die Reaktion eines kritisierten Journalisten, der in hc (Honestly Concerned) eine christlich-jüdische Fundamentalistenverschwörung deutscher Likudniks sah und mit seiner im Hessischen Rundfunk veröffentlichten Attacke („es gibt zu viele Juden in New York“) dieser Emailliste zusätzliche Publizität verschaffte. Andere Israel-Korrespondenten und Redaktionen reagierten sachlich und ernsthaft auf die bei hc geäußerte Kritik oder auf die von „hc-Mitgliedern“ empfangenen Leserbriefe. Da die Leserbriefe wie die Reaktionen im vollen Wortlaut und unzensiert an hunderte Adressaten verteilt wurden, wobei viele Empfänger wiederum „Multiplikatoren“ an den Schaltzentralen der Bundesrepublik waren, blieb die Wirkung nicht aus. Da wurden Institutionen wie die Weltbank aufgefordert, zu erklären, wieso auf ihren Internet-Seiten alle Länder der Welt mit Adresse und Büro vertreten sind, nur Israel nicht. Da wurde „Die Welt“ darauf aufmerksam gemacht, dass sie auf einer Nahost-Landkarte „vergessen“ hatte, Israel namentlich zu erwähnen. Agenturberichte wurden auf Widersprüche und Widerlichkeiten geprüft, was dazu führte, dass einer der kritisierten Agenturjournalisten persönlich bei seiner Kritikerin anrief, sich entschuldigte, Besserung versprach und immerhin bei hc eine lobende Zusammenfassung des Gesprächs erhielt…bis zur nächsten Kritik.
Entscheidend bei hc ist die Durchsichtigkeit des Vorgehens. Es ist offensichtlich, dass die weitergegebenen Informationen, vor allem die gesammelten Artikel, nicht von einer Hand zusammengetragen werden können. Freiwillige Mitarbeiter schicken Stawsky, was sie entdeckt und für interessant befunden haben. Da es Links zu veröffentlichten Texten im Internet sind, kann hc auch als spezialisierter „Pressespiegel“ zu den Themen Antisemitismus, Israel, Nahost und neuerdings auch Iran bezeichnet werden. Gelegentlich kommt es zu Meinungsverschiedenheiten mit Stawsky, wenn er gewisse Artikel als „Links zum Ärgern“ einfügt.
Was die verzweifelten BSJD Studenten im März 2002 so sehr vermissten und wünschten, ist dank der Bemühungen von Sacha Stawsky als Privatinitiative Wirklichkeit geworden. Hc hat inzwischen viele interessierte Leser und Abnehmer, nicht nur persönlich betroffene Juden. Auch Pastoren und verantwortungsbewusste Deutsche, die sich der Gefahr eines Antisemitismus sowie einer verfälschenden Berichterstattung voll bewusst sind, lesen die immer länger und umfangreicher werdenden Emails mit wachsendem Interesse aber auch mit zunehmender Sorge. Denn was in dieser konzentrierten und geballten Form von hc allein aus dem deutschen Mediengeflecht im Internet ausgegraben wird, sollte jeden bedenklich stimmen: Politiker, die Kirchen und die demokratischen Parteien in Deutschland.


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