Wie die Zwangsverschleierung im Iran eingeführt wurde
Unverschleiert sein, heißt nackt sein
Am 16.1.1979 verließ der iranische Kaiser Mohammad Reza Pahlavi den Iran. Am selben Tag veröffentlichte die Zeitung Kayhan ein Interview mit Ayatollah Montazeri. Dieser erklärte das islamische Verständnis von „nackt” sein, bedeute das Fehlen einer Kopfbedeckung. Er plädierte für den islamischen Hijab für Frauen und die Geschlechtertrennung. Ansonsten würde der Islam die „rechtmäßigen” Freiheiten gewährleisten.
Einer historischen Analyse von Nima Namdari zufolge wurde dieser Begriff „nackt” seitdem in der „religiösen und revolutionären Literatur” des Iran wiederholt aufgegriffen. Zunächst reagierten viele Frauen in Leserbriefen, die Kayhan damals noch abdruckte. Darin brachten säkulare iranische Frauen und Männer ihre Sorge zum Ausdruck, dass „verschleierte Frauen unverschleierte Frauen auf der Straße beleidigten.” Die Lage eskalierte schon in der revolutionären Phase, als der Schah ausgereist war, aber die Islamische „Republik” noch nicht ausgerufen worden war. Kayhan wiederum veröffentlichte Auszüge aus Protestschreiben säkularer Organisationen, die sich beschwerten, dass manche „uninformierte Gruppen Frauen bedrohen, Mädchen mit Messer angreifen und ihre Kleidung anzünden und sie mit Säure bespritzten.”
„Sie werden aber daran gehindert werden gegen die Sitten zu verstoßen.”
Tatsächlich war Ayatollah Khomeini noch im Pariser Exil, als Kayhan am 21.1.1979 ein Interview mit ihm veröffentlichte, in dem er sagte, dass es in der Entscheidungsgewalt der Frauen selbst liege, ob sie einen „Schleier anziehen”.
Der Ton der neuen Machthaber änderte sich schnell: Am 23.1.1979 veröffentlichte dieselbe Zeitung ein weiteres Interview mit Ayatollah Khomeini. Eine unverschleierte Frau führte das Interview. Die Interviewerin fragte: „Dass Sie mich ohne Kopfbedeckung empfangen, deutet doch darauf hin, dass die Bewegung eine fortschrittliche Bewegung ist. Glauben Sie, dass wir Frauen alle einen Hijab tragen müssen?” Ayatollah Khomeini erwiderte: „Ich habe Sie nicht eingeladen. Ich wusste nicht, dass Sie kommen. Und wenn ich Sie empfange, hat dies nichts damit zu tun, ob der Islam fortschrittlich ist oder nicht. Fortschritt hat auch nichts mit den Vorstellungen mancher Männer oder Frauen zu tun. Fortschritt bedeutet ein vollkommener Mensch werden, nicht ob eine Frau ins Kino oder in die Disko geht. Diese Fortschritte hat euch der Schah verschafft, das war ein Rückschritt. Die Frauen werden frei sein zu studieren oder richtige Sachen zu tun. Sie werden aber daran gehindert werden gegen die Sitten zu verstoßen.”
Am 1.2.79 kehrte Ayatollah Khomeini in den Iran zurück. Der gesellschaftliche Diskurs über Frauen änderte sich. Schon am 3.2.1979 wollte Khomeini Frauen und Männer getrennt empfangen, morgens Männer, abends Frauen. Nur wenige Intellektuelle wandten sich gegen die Aufhebung eines Familiengesetzes, das unter dem Schah eingeführt wurde. Für Parvin Ardalan, die kürzlich den Olof-Palme-Preis gewann, bedeutet die Aufhebung des damaligen Familiengesetzes die Aufopferung der Errungenschaften der Frauenbewegung für eine Islamisierung der Gesellschaft.
Die Skizzierung des historischen Verlaufs gibt Parvin Ardalan recht. Ausgerechnet ein Tag vor dem Weltfrauentag, am 7.3.1979, gab der „Revolutionsführer Khomeini” den Befehl, dass „Frauen nicht nackt in islamischen Ministerien arbeiten dürfen.” Frauen dürften zwar in staatlichen Bürokratien arbeiten, aber nicht ohne islamischen Hijab.” Gleichzeitig wurde im staatlichen Fernsehen propagiert, der 8. März stünde in einer westlichen Tradition.
Auf den Straßen wurden Frauen immer mehr mit der Parole von islamistischen Männern und Frauen beschimpft: „Ja Rusari, ja tusari,” was so viel bedeutet, wie „entweder Kopftuch oder ein Schlag auf den Kopf”. Iranische Frauen wurden immer häufiger auf offener Straße angegriffen und mit Steinen beworfen.
Es ist interessant, dass am 8.3.1979 ein Interview mit Hojatoleslam Eshraqi veröffentlicht wurde, der mit der Tochter von Ayatollah Khomeini verheiratet war. Eshraqi gab die Anweisung, dass Hijab nicht das gleiche wie Schleier bedeute. Ein Kopftuch reiche aus und zwar auch in Universitäten und in allen öffentlichen Institutionen. Es wäre auch besser, wenn Frauen, die einer religiösen Minderheit angehören, sich dieser Regelung anpassen. Im übrigen ist die Tochter des in Vergessenheit geratenen Hojatoleslam Eshraqi mit dem Ex-Präsidenten Mohammad Khatami verheiratet.
Der Druck auf Lehrerinnen und Schülerinnen wuchs damit auch täglich. Es gab Demonstrationen und Kundgebungen. Der Ernst der Lage war für viele immer noch nicht sichtbar. Homa Nateq, eine säkular und demokratisch orientierte Historikerin, sagte in diesen Tagen, dass die säkularen Frauen nichts gegen den Hijab hätten, sie seien lediglich gegen eine Zwangsverschleierung. Die Frauen sollten selber entscheiden, ob sie ihren Kopf bedecken wollen oder nicht. Kayhan zitierte am 10.3.1979 auch eine andere bekannte Frau, Simin Daneshwar, die den Wiederaufbau des Landes als das Hauptziel erachtete und nicht die Nebenfrage des Kopftuches.
Abas Amir Entesam, der Sprecher der provisorischen Regierung, 1981 unter dem Vorwurf der Spionage für die USA verhaftet, gehörte zu den Wenigen, die offiziell eine Zwangsverschleierung ablehnten, denn er pochte auf das Prinzip der Zwanglosigkeit im Islam. Dagegen sagte Ayatollah Taleqani am 11. März, die Frauen sollten doch ihren Kopf bedecken. Er wies auf die Gefühle eines armen jungen Mannes hin, der keine Arbeit und kein Geld habe. Ein solcher Mann würde doch „geplagt” werden, wenn er eine 50-Jährige sehen würde, die sich schön mache wie eine 15-Jährige. Derselbe Ayatollah Taleqani verteidigte die „revolutionären” Hinrichtungen und forderte gar, man müsse viel mehr „ehemalige Polizisten” hinrichten, um „Gerechtigkeit zu schaffen.”
Mojtahed Schabasteri trat im staatlichen Fernsehen auf, das damals noch unter der Leitung des später hingerichteten Sadeq Qotbsadeh stand. Shabasteri warnte damals die protestierenden säkularen Frauen, die doch alle nur Anhängerinnen des Schahregimes seien.
Am 12. März berichtete Kayhan von Frauendemonstrationen gegen „staatliche 13 Punkte Verordnungen” , die die Zwangsverschleierung vorschrieben. Frauen aller Altersklassen protestierten, Studentinnen und Schülerinnen. Dennoch wurde das Kopftuchproblem auch weiterhin von laizistischen Intellektuellen als nebensächlich betrachtet.
Die Proteste ließen nach, da die provisorische Regierung von Basargan noch nicht die Zwangsverschleierung als staatliches Gesetz einführte. Laizisten und Khomeinisten wollten zunächst den großen Feind besiegen.
Am 17. März berichtete Kayhan, dass ein junges Paar öffentlich ausgepeitscht wurde. Grund: Unkeusche Beziehung. Es war die Zeit der Ruhe vor dem großen Sturm. Nun demonstrierten auch islamische Frauen für die Zwangsverschleierung. Qotbsadeh, der Leiter des staatlichen Fernsehens, kündigte die neuen Aufgaben der Medien an: Die Propagierung der islamischen Sitten. Die staatliche Zwangsverschleierung sollte langsam aber sicher eingeführt werden. Bis zur endgültigen Einführung der staatlichen Zwangsverschleierung gab es einen regelrechten Kulturkampf um den Schleier. Beispielsweise argumentierte die Anti-Hijab-Fraktion, eine Kopfbedeckung würde die Frau bei der Arbeit behindern. Die Islamisten argumentierten mit der Geschlechtertrennung. Wenn diese vollständig eingeführt werde, würden Frauen, wenn sie unter sich sind, auch mal den Schleier ablegen dürfen.
Die erste staatlich organisierte Geschlechtertrennung fand am 1.4.1979 statt, als Khomeini das Volk scheinbar per Referendum wählen ließ. Es sollte sich für oder gegen die Monarchie entscheiden, ohne zu wissen, was eine Islamische „Republik” mit sich bringen würde. Wichtig war aber, dass Männer und Frauen, sich getrennt nach ihrem Geschlecht einreihen mussten, um zu wählen, an manchen Orten gab es sogar unterschiedliche Wahlurnen für Männer und Frauen.
Am 27.6.1979 wurde staatlich angeordnet, dass am Kaspischen Meer nur geschlechtergetrennt geschwommen werden darf. Und natürlich gingen die Zeiten des Bikinis und der Badeanzüge für Frauen auch zu Ende. Mit Schleier geht die Islamistin ins Wasser, ins Vergnügen, weil es angeblich sittlich ist.
Kayhan berichtete am 29.7.1979, Schülerinnen aus den armen südlichen Gebieten von Teheran forderten auf Demonstrationen die Geschlechtertrennung in Schulen. Es waren Schülerinnen einer reinen Mädchenschule, die für eine konsequente islamische Revolution demonstrierten.
Im Sommer 1979 verschärfte sich der Prozess der Zwangsverschleierung durch die staatlichen „Säuberungskomitees”. Sie „säuberten” staatliche und nicht staatliche Institutionen, Medienanstalten etc.. Hojatoleslam Khodai forderte im Oktober 1979 Schülerinnen auf nur mit Kopftücher in die Schule zu gehen. Frauen gingen mit Kopftüchern zur Arbeit, da sie ihre Arbeit nicht verlieren wollten.
Im Jahr 1979 wurden rund 600 Frauen, wegen angeblicher „sexueller Vergehen” hingerichtet. Täglich wurden junge Menschen öffentlich ausgepeitscht.
Nima Namdari schreibt, dass das Modell der neuen revolutionären Kleidung für die Frauen, der lange Mantel, schon vor der Revolution von den revolutionären islamischen Bewegung der Volksmudschahein eingeführt worden war. Diese Uniform wurde sogar von Einheiten der Revolutionsgardisten übernommen. Es galt nicht nur das Wort des charismatischen Führers Ayatollah Khomeini, auch revolutionäre islamische Intellektuelle, wie Ali Schariati, haben das Bild der revolutionären verschleierten Frau geprägt. Die islamisch-republikanische Partei wählte den Geburtstag von Fatima Zahra, jüngste Tochter des Propheten Mohammad, zum Tag der Frau. Fatima war schon für Ali Schariati das Vorbild der islamischen Frau. Fatima in Uniform wurde nun mit gehobenen Fäusten abgebildet. Ali Schariati hatte vor der Revolution den bewaffneten Kampf, als den wahren islamischen Weg, propagiert.
Das Kopftuch wurde ideologisiert und war in der Tat auch ein Zeichen der Loyalität zur neuen Herrschaft. Frau Zahra Rahnaward war der intellektuelle Kopf der neuen islamischen Frau. Unter dem Schah trug sie keine Kopfbedeckung, nun propagierte sie das Kopftuch bis zum Erscheinen des Messias. Sie predigte auch, dass das Nicht-Tragen von Kopftüchern das Zeichen für die Nicht-Befolgung der revolutionären Ziele sei.
Schon im Sommer 1979 galt die Nicht-Bedeckung der Haare der Frauen als ein Zeichen der Treue zum Schah.
Und als am 5. November 1979 die provisorische Regierung von Basargan aufgab, war die Zwangsverschleierung endgültig ein historisches Faktum.
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