Benny Morris über die Gründungszeit Israels – Serie: 60 Jahre Israel

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Jerusalem, 22. April 2008 – „Wir wollen in Frieden leben. Wir wollen unseren Staat mit einer großen arabischen Minderheit errichten, entsprechend dem Teilungsplan der UNO. Wenn Ihr nicht auf uns schießt, werden wir nicht auf Euch schießen.“ Diese Erklärung der Jewish Agency, der jüdischen Regierung vor der Staatsgründung, wurde Anfang 1948 veröffentlicht.
Der Historiker Benny Morris sieht in diesen „unrealistischen, aber von Seiten der Juden ernst gemeinten“ Aufrufen einen Beweis dafür, dass die arabische Bevölkerung nicht systematisch vertrieben werden sollte.
Morris erwähnt ein frisch entdecktes Telegramm des Oberkommandos der Hagana (Vorläufer der israelischen Armee).  Der nationale Kommandeur Israel Galili befahl allen Einheiten: „Unsere Politik gegenüber den Arabern ist folgende: Araber leben unter uns in den für einen jüdischen Staat vorgesehenen Gebieten. Wir müssen uns der Politik der zionistischen Bewegung beugen, Koexistenz üben, die Rechte und das Eigentum der Araber respektieren.“ Dieses Telegramm vom 24. März 1948 wurde vier Monate nach Ausbruch des Bürgerkrieges verschickt.
Anfang April 1948, so Morris, wechselte die Hagana aus politischen und strategischen Gründen zur Offensive. Von diesem Augenblick an gab es Vertreibungen. „Ich würde es nicht eine Politik der Vertreibungen nennen, weil es niemals zur Politik erklärt worden ist.“
Die Juden eroberten arabische Viertel in Haifa und Jaffa und Dörfer. Ab April begleiteten diese Eroberungen Befehle, die arabische Bevölkerung zu vertreiben. Die Araber überfielen derweil entlang der Straßen nach Jerusalem, Tiberias, Akko, und Naharija die Konvois der Haganah und zerstörten sie. Der Jeschuw erstickte. Jerusalem mit 100.000 Juden von 600.000 im ganzen Land drohte zu fallen. „Deshalb mussten die Handschuhe ausgezogen werden“, so Morris.  Die Briten hatten ihre Truppen wegen des geplanten Abzugs so reduziert, dass sie nicht mehr eingreifen konnten. Der dritte Grund war eine amerikanische Erklärung am 19. März vor dem UNO-Sicherheitsrat: Der Teilungsplan könne wohl nicht umgesetzt werden. Nach dem Abzug der Briten sei mit blutigen Kämpfen zu rechnen. Deshalb sollte die UNO über eine Fortsetzung westlicher Herrschaft in Palästina nachdenken werden. Unter den Juden herrschte Angst, dass nach dieser amerikanischen Ablehnung eines jüdischen Staates auch die weltweite Unterstützung „wegrutschen könnte“. Die amerikanischen Bedenken waren eine Reaktion auf jüdische Niederlagen. „Wir mussten der Welt zeigen, dass wir gewinnen könnten“, so Morris. Zudem gelangten tschechische Waffen ins Land, was Kämpfe in großen Formationen ermöglichte.
Staatsgründer David Ben Gurion ließ die Frage der Vertreibungen offen und zwiespältig.  „Er sagte seinen Generalen: ich bin sicher, dass es besser ist, keine Araber unter uns zu haben. Sie sind strategisch und politisch schädigend. Aber er machte das nicht zu einem klaren Befehl“, sagt Morris. Niemand wurde bestraft, wenn er ohne Befehl Araber vertrieb, oder wenn er Befehle zur Vertreibung verweigerte. Im entscheidenden Monat Juli scheint Ben Gurion die Vertreibung aus Lod und Ramle genehmigt zu haben. Operation Dani führten Jitzhak Rabin und Jigal Allon aus. Zwei Tage wird Nazareth erobert. Kommandeur Chaim Laskow befiehlt, die Bewohner zu vertreiben. Aber Brigadekommandeur  Ben Dunkelmann, sagt: „Ich werde die Bewohner nicht vertreiben.“ Dunkelmann schickt seinen Widerspruch durch die Hierarchie hinauf zu Ben Gurion. Der antwortet: „Befehl nicht ausführen. Vertreibt nicht die Bevölkerung.“ Die ambivalente Haltung Ben Gurions sei allen Generalen bekannt gewesen. 
1948 bedeuteten die Araber eine unmittelbare existenzielle Bedrohung für den Jischuw. Ohne Flucht oder Vertreibung von 700.000 Arabern wäre der Staat Israel nicht zustande gekommen.  Morris will für die Zukunft nichts ausschließen: „Vielleicht wird es eines Tages einen schrecklichen Krieg geben, bei dem die Araber rebellieren und auf Konvois auf dem Weg an die Front schießen, hätten israelische Truppen keine Alternative, jene Palästinenser zu vertreiben.“
1948 wurden maximal 800 Palästinenser massakriert und zwischen 200 und 250 Juden. Es gab Massaker an Juden in den Raffinerien von Haifa und dem Konvoi auf den Skopusberg. Etwa 130 Gefangene des Etzion Blocks wurden ermordet.
Vergleichsweise wenige Juden erlitten Massaker, weil die Juden den Krieg gewannen. Während des Bürgerkriegs haben die Juden mehr als 400 Dörfer und gemischte Städte überrannt, die Araber jedoch kein einziges israelisches Dorf. Die arabischen Armeen haben später ein Dutzend israelische Ortschaften erobert, zwar gelegentlich Juden ermordet oder hingerichtet, aber auch sie veranstalteten keine Massaker, weil sie disziplinierte Truppen waren, teilweise unter britischer Führung. Eine Ausnahme bildete der Etzion Blok, trotz britischer Offiziere. Die israelische Armee hat nach Mai 1948 keine Bevölkerung massakriert, wobei es auch da Ausnahmen gab, sagt Morris.

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