Brief vom Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Herrn Klaus Wowereit

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30. April 2008

 

Israelfeindliche Mauerausstellung in Friedrichshain-Kreuzberg

 

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,

eine aus Vertretern der Fraktionen der Grünen und der Linkspartei bestehende Mehrheit der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg hat am 23. April 2008 gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und anderer beschlossen, eine antiisraelische Fotoausstellung durchzuführen. Mit Bildern der Antiterror-Sperranlage in Israel, genauer gesagt, ihrer ganz wenigen Teile, die zur Sicherung gegen Schusswaffenattentate als Mauer angelegt wurden, soll ein Vergleich mit der Berliner Mauer gezogen werden. Die Bilder und Fotos des Fotografen Kai Wiedenhöfer, der sich lange Zeit im Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde aufgehalten hat, sollen auf der „East Side Gallery“, dem längsten erhaltenen Stück der Berliner Mauer, auf einer Länge von 300 Metern angebracht werden. Im Verlauf der kontroversen Debatte über das israelfeindliche Projekt haben dessen Anhänger die Bilder von der israelischen Antiterror-Mauer um solche von den Sperranlagen in Belfast und zwischen den USA und Mexiko ergänzt, die jetzt als Alibielement ebenfalls auf der „East Side Gallery“ zu sehen sein sollen.

2007 hat Herr Wiedenhöfer, der zuvor auch einen anderen höchst einseitigen Bildband zum arabisch-israelischen Konflikt („Perfect Peace – The Palestinians from Intifada to Intifada“) veröffentlicht hatte, ein Buch mit dem Titel „Wall“ publiziert, das die für die Ausstellung vorgesehenen Bilder der Antiterror-Sperranlage in Israel enthält. Auf einem der Fotos dieses Buches ist eine auf die Antiterror-Mauer gesprühte Botschaft des folgenden Inhalts zu sehen: „Warsaw 1943“; als gesprühte Zeichen sind daneben ein Hakenkreuz und ein Davidstern beigefügt. Daran anschließend ist zu lesen: „American Money Israeli Apartheid“. Die politischen, Israel diffamierenden Texte und Botschaften werden vom Fotografen, wie auch alle anderen Bilder, nicht kommentiert. An keiner Stelle findet sich in dem Bildband „Wall“ ein Hinweis darauf, welchem Zweck die Antiterror-Sperranlage dient, dass sie nach der Beendigung der Terrorangriffe auf israelische Kinder, Frauen und Männer wieder abgebaut werden kann und nach wiederholten israelischen Erklärungen auch abgebaut werden wird. Es erübrigt sich fast, darauf hinzuweisen, dass Herr Wiedenhöfer seiner Fotosammlung „Wall“ kein einziges Bild beifügt, auf dem die israelischen Opfer eines arabischen Terroranschlags zu sehen sind. Ebenso wenig kann überraschen, dass Herr Wiedenhöfer, der sich selbst ein „schwäbisch-protestantisches Arbeitsethos“ zuschreibt, in dem Begleittext zu dem Bildband „Perfect Peace – The Palestinians from Intifada to Intifada“ den arabisch-palästinensischen Antisemitismus zwar einmal erwähnt („Hitler good, killed Jews„), ihn dabei aber sofort relativiert und „versteht“. Auch gegenüber diesem Verhalten ist festzustellen: Aus Auschwitz hat nichts gelernt, wer, wie Herr Wiedenhöfer, palästinensischem Judenhass nicht entgegentritt oder ihn gar unterstützt. In einer außerordentlich freundlichen website-Besprechung (mit dem Titel: „Kai’s Room“) seines Bildbandes „Wall“ durch Anis Hamadeh, die Herr Wiedenhöfer nicht kommentiert, werden, auf der gleichen Linie, indirekt die israelischen Zivilopfer des arabisch-palästinensischen Terrors für die vernichtungsantisemitischen Anschläge selbst verantwortlich gemacht.

Die Anhänger der Ausstellung mit den Israel diffamierenden Bildern haben sich in den Debatten häufiger auf die „Freiheit der Kunst“ berufen, aber natürlich auch Sympathie für die politischen Aussagen der Ausstellungsbilder gezeigt.

Herr Regierender Bürgermeister, wir haben kein Verständnis für die politische Absicht der Mehrheit der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, die Reste der Berliner Mauer für antiisraelische Propaganda  zu missbrauchen. Der gewählte Standort und das Thema der Bilder von Herrn Wiedenhöfer lassen trotz anderslautender, etwas scheinheilig klingender Beteuerungen der Hauptstadtkulturfond-Kuratorin Adrienne Goehler keinen Zweifel daran, dass eine Gleichsetzung der Antiterror-Sperranlage in Israel mit der Berliner Mauer beabsichtigt ist. Ein derartiger Akt politischer Propaganda, die vor allem mit dem Bezug auf Herrn Wiedenhöfer in der Nähe antisemitischer Agitation operiert, hat selbstverständlich nichts mit der Freiheit der Kunst zu tun und kann durch sie nicht geschützt sein; auch ein Produzent nazistischer Propaganda könnte sich nicht auf die Kunstfreiheit berufen. Frau Goehler schreibt in der Begründung zu dem Projekt, auch um damit die Intentionen von Künstlerinnen und Künstlern zu verdeutlichen, wie sie sie versteht, und den angeblichen Kunst-Charakter der geplanten Ausstellung zu betonen: „Jedes Land hält seine Mauer für unvergleichlich, obwohl sie sich alle formal ähneln, auch darin, dass sie allesamt keine Lösung der Gewalt gebracht haben, bestenfalls kann man sagen: des einen Schutz ist des anderen Leid.“ Vor dieser Behauptung (die als Begründung auch dem Mehrheitsbeschluss der Bezirksverordnetenversammlung beigefügt ist) muss sich Frau Goehler fragen lassen, ob sie auf diese oberflächliche und pauschalisierende Weise auch die chinesische Mauer, Offas Wall, den Hadrianswall, den Limes oder ebenso die britischen Küstensperranlagen gegen eine mögliche Invasion Hitlerdeutschlands deuten und erklären will.

Die Unterschiede sind im vorliegenden Fall im Übrigen so deutlich wie in kaum einem anderen Vergleichsbeispiel: Die Antiterror-Sperranlage in Israel dient dazu, Terroristen abzuwehren, die Berliner Mauer hatte demgegenüber den Zweck, Bürgerinnen und Bürger der DDR am Verlassen der DDR zu hindern. Wenn man schon – über die Alibibeispiele amerikanisch-mexikanische Grenze und Belfast  hinaus – aktuelle Vergleiche ziehen wollte, läge eine Gegenüberstellung mit anderen Sperranlagen viel näher als die Mexiko-Belfast-Beispiele, z. B. ein Vergleich mit den Sperranlagen um die spanischen Städte Ceuta und Melilla an der nordafrikanischen Küste. Diese Anlagen wurden von der EU, also auch von Deutschland, mitfinanziert und sollen eine unkontrollierte Einwanderung verhindern; an ihren Abbau wird nicht gedacht – im Gegenteil, sie werden ständig erneuert und ausgebaut. An einem derartigen Vergleich, der den agitatorischen Zweck der Berlin-Israel-Gleichsetzung stören müsste, sind Herr Wiedenhöfer und die Mehrheit der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg aber offenbar nicht interessiert, da es ihnen von Anfang an nur darauf ankam und weiterhin ankommt, Israel zu diffamieren.

Wir sind der Auffassung, dass auch mit Rücksicht auf den internationalen Ruf Berlins als deutscher Hauptstadt keine politische Propaganda mit der Erinnerung an die Berliner Mauer und den entsprechenden Mauer-Monumenten betrieben werden darf, schon gar nicht eine israelfeindliche, den Grundprinzipien deutscher Politik widersprechende Agitation.

Wir bitten Sie daher, Herr Regierender Bürgermeister, zu verhindern, dass die von der Mehrheit der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg beschlossene israelfeindliche Propagandaaktion zum Schaden für ganz Berlin durchgeführt wird.

Mit freundlichen Grüßen

 


Daniel Kilpert  und Till Meyer
Sprecher des Koordinierungsrats  deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus

 

Lala Süsskind

Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

 

Levi Salomon

Beauftragter für die Bekämpfung des Antisemitismus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

 

Chana Steinwurz und Maya Zehden

Sprecherinnen des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus

 

 


 

 

Der Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus ist am 18. Juni 2007 von einer Konferenz eingesetzt worden, an der 37 deutsche Nicht-Regierungsorganisationen sowie Institutionen und Personen teilgenommen haben, die in der Antisemitismusbekämpfung engagiert sind. Die Konferenz hat die Bundesregierung aufgefordert, in Anlehnung an das Vorgehen anderer Staaten einen jährlichen Bericht zur Antisemitismusbekämpfung herauszugeben und dem Bundestag zuzuleiten. Der von der Konferenz gebildete Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus hat u. a. die Aufgabe, im Sinne der am 18. Juni 2007 verabschiedeten Grundsatzresolution die Geschäfte zu führen und eine zweite Koordinierungskonferenz im Jahre 2008 nach Berlin einzuberufen.

 

 

Mitglieder des Koordinierungsrats deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen  Antisemitismus:

 

Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam e. V., Prof. Dr. Lars Rensmann, MMZ-Fellow, University of Michigan, Ann Arbor

 

Amadeu-Antonio-Stiftung, Stiftungsvorstandsvorsitzende: Anetta Kahane

 

Claudia Korenke, Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

 

Daniel Kilpert M.A., Stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutsch-Israelischen Jugendforums

 

Honestly Concerned e.V., Chefredakteur: Sacha Stawski

 

Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V., Geschäftsführender Vorsitzender: St. a.D. Klaus Faber, RA

 

Initiative 9. November 1938, Abraham Dzialowski

 

Demokratie & Courage, Till Meyer

 

Mohammed Schams, Berlin, Senior Advisor IFI (Iranian Freedom Institute), Washington D.C.

 

Milena Uhlmann, Dipl.-Pol., Berlin

 

Peter Wirkner, Wissenschaftlicher Direktor, M.A., Mitarbeiter von MdB Prof. Gert Weisskirchen, Persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus

 

 

 

 


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