60 JAHRE ISRAEL
Die vergifteten Glückwünsche deutscher Schlauberger
Von Henryk M. Broder
aus SPIEGEL ONLINE
Israels Existenz wird täglich aufs Neue hinterfragt – nicht nur von radikalen Palästinensern, sondern auch von namhaften Intellektuellen. Zum Jubiläum verschicken sie ihre Klage als Glückwunsch getarnt. Doch ihre Sorge um den Frieden in Nahost ist nur der Mantel für eigene Schuldkomplexe.
Fährt man von Tel Aviv in Richtung Norden, kommt man nach etwa einer Viertelstunde an Herzliya vorbei, einer Siedlung, die 1924 von sieben Einwandererfamilien gegründet und nach Theodor Herzl, dem Vater des modernen Zionismus, benannt wurde. Heute leben in der Stadt am Meer über 80.000 Menschen, dazu kommen jedes Jahr zahllose Touristen. Herzliya hat eine lange Strandpromenade mit vielen Hotels, einen Yachthafen, sogar einen kleinen Flughafen.
Und natürlich ein Denkmal für Theodor Herzl. Es ist ein riesiger Wassertank direkt an der Autobahn, auf der Kuppel steht eine schlanke männliche Figur in einem schwarzen Gehrock und schaut mit verschränkten Armen auf “seine” Stadt. Es ist die Pose, in der Herzl oft dargestellt wurde: Der Visionär.
Der Mann, der den “Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage” geschrieben hat, wurde nur 44 Jahre alt, er starb 1904, 44 Jahre vor der Gründung Israels. Wer an Kabbala und Zahlenmystik glaubt, mag darin eine versteckte Botschaft sehen; der Frage, was Herzl heute denken würde, käme er zu Besuch nach Herzliya, kann man sich jedenfalls nicht entziehen.
Wahrscheinlich dies: “So habe ich es mir nicht vorgestellt, aber es gefällt mir.” Denn er blickt auf ein Hightech-Zentrum mit Labors, in denen Hunderte von Experten für Microsoft, Motorola und Nokia arbeiten, umgeben von Shopping-Malls und Restaurants; vor 20 Jahren war hier noch ein Gewerbegebiet mit Autoreparaturwerkstätten und Lagerhallen, vor 40 Jahren pfiff nur der Wind zwischen den Wanderdünen.
Und so wie das kleine Herzliya hat sich auch das ganze Land verändert. Wozu andere Gesellschaften 150 Jahre brauchten, den Sprung aus der Agrarwirtschaft in das postindustrielle Zeitalter, dafür brauchte man in Israel nur 60 Jahre – manchmal kann es auch von Vorteil sein, bei null anzufangen.
Israel “hält die Welt zum Narren”
Es gibt allerdings etwas, das sich nicht geändert hat, eine seltsame Konstante im Leben der kleinsten Großmacht der Welt, die mehr Krisen und Nachrichten produziert, als sie selbst verarbeiten kann. Etwas, das auch ein Visionär wie Herzl nicht voraussehen konnte. Israels Existenz wird jeden Tag aufs neue hinterfragt, nicht nur von militanten Palästinensergruppen wie der Fatah und der Hisbollah und dem Präsidenten Irans, sondern auch von liebenswürdigen europäischen Intellektuellen, die sich mit einer Hingabe der Lösung der “Nahost-Frage” widmen, als hätten sie alle anderen Hausaufgaben längst erledigt.
Vor kurzem hat eine Gruppe deutscher Geistesarbeiter, unter ihnen der Pen-Präsident Johano Strasser, die grüne Abgeordnete Claudia Roth und der Schriftsteller Gert Heidenreich, einen Aufruf zum 60. Geburtstag Israels veröffentlicht: “Glückwünsche und Sorgen”. Darin drücken sie ihre Anerkennung für “die Aufbauleistungen, die kulturelle Vielfalt, die wissenschaftlich-technischen Erfolge, die intellektuelle Produktivität und den demokratisch organisierten Pluralismus” des Geburtstagskindes aus, melden aber zugleich Bedenken an, ob die Israelis sich wirklich genug Mühe geben, den Konflikt mit ihren Nachbarn beizulegen.
Israel, so die Lageanalyse der Absender, gefährde “seine eigene Existenz”, halte “die Welt zum Narren” und merke nicht, “dass es sich damit selbst betrügt”. Auch die deutsche Politik wird ermahnt, “den Zusammenhang zwischen der extrem schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage der Palästinenser auf der einen und der Unsicherheit und Bedrohung Israels auf der anderen Seite nicht aus den Augen (zu) verlieren”.
So ist der ganze Aufruf: Eine Ansammlung von preiswerten Plattitüden, verfasst von Hobby-Astronauten, die auf ihrer Spielkonsole durchs All rasen und davon überzeugt sind, dass es auf ihre Navigationskünste entscheidend ankommt.
120 Akademiker forderten Wissenschaftsboykott
Dem Aufruf “Glückwünsche und Sorgen” war ein anderes Positionspapier vorausgegangen: “Freundschaft und Kritik”, auf den Weg gebracht von 25 Politologen, die Israel den Vorwurf machten, den Holocaust für politische Zwecke zu instrumentalisieren und dazu aufriefen, die “besonderen Beziehungen” zwischen Deutschland und Israel zu überdenken, um auch den “binnendeutschen Diskurs” zwischen “nicht-jüdischen, jüdischen und muslimischen Deutschen” breiter und unbefangener führen zu können.
Von moralischem Kredit der Juden und der deutschen Hypothek
Für europaweites Aufsehen sorgte schon im Jahre 2002 ein von 120 Akademikern unterzeichneter offener Brief, in dem dazu aufgerufen wurde, als Reaktion auf die israelische Politik die Wissenschaftsbeziehungen zwischen Israel und den europäischen Ländern einzufrieren, also die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit zu beenden. Dass der Brief in Deutschland weitgehend unbemerkt blieb, hatte einen einfachen Grund: Er war von nur zwei deutschen Professoren unterschrieben.
“Die Gaskammern kommen noch”
Inzwischen gibt es kaum noch einen namhaften Schriftsteller, der sich nicht zu Israel geäußert hätte. Von Jostein Gaarder (“Sofies Welt”), der mit den Worten “Wir erkennen den Staat Israel nicht länger an” Israel aus der Geschichte verabschiedete, über den in Italien lebenden Exil-Amerikaner Gore Vidal (“Ben Hur”), bis zu dem Südafrikaner Breyten Breytenbach und seinem portugiesischen Kollegen Jose Saramago, der die Situation in Ramallah mit der in Auschwitz verglich und auf die Frage “Und wo sind die Gaskammern?” antwortete: “Die kommen noch.”
Eine Treppe tiefer ist auch der ehemalige Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, Thilo Bode, der Meinung: “Verzicht auf Kritik an Israel ist unmoralisch.” Deutschland sollte dazu beitragen, “dass Israel eine Lektion lernt, die Deutschland selber erfolgreich gelernt hat: nämlich welche die historischen Kosten der Unterwerfung anderer sind”.
Besonders eindrucksvoll an solchen Äußerungen ist nicht allein die totale Selbstgewissheit, mit der sie abgegeben werden, sondern auch der völlige Mangel an historischer Substanz: Dieselben Leute, die sich für das Schicksal der Palästinenser zuständig und berufen fühlen, Israel Ratschläge zu erteilen, möchten von der historischen Verantwortung für das Schicksal der Juden entbunden werden, die auf ihnen seit über 60 Jahren wie eine Hypothek lastet. Schon Ende der sechziger Jahre hat der Berliner Revolutionär Dieter Kunzelmann die Deutschen aufgerufen, ihren “Judenknax” zu überwinden.
Und daran hat sich bis heute wenig geändert, nur dass die Sprache ein wenig subtiler geworden ist. Wesentliche Teile der deutschen Intelligenz sehen ihre Aufgabe darin, Tag und Nacht darauf zu achten, dass die Juden (beziehungsweise Israelis) nicht rückfällig werden und den moralischen Kredit, den sie sich als Opfer der Nazis verdient haben, nicht verspielen. Israels Sündenfall besteht nicht darin, dass es die Palästinenser schlecht behandelt, sondern darin, dass es den guten Deutschen so schwer macht, die Juden zu mögen.
Vor vielen Jahren erschien in der “Zeit” ein Artikel, der mit einem Appell an die “verantwortlichen Männer der Regierung Israels” schloss: Sie mögen innehalten und erkennen, “wie weit sie auf jenem Weg bereits gelangt sind, der erst vor kurzem ein anderes Volk ins Verhängnis geführt hat”.
Das war am 23. September 1948, nur vier Monate nach der Gründung Israels. Die Autorin war: Marion Gräfin Dönhoff.
ISRAEL’S 60TH ANNIVERSARY
The Poisoned Congratulations of German Know-It-Alls
By Henryk M. Broder
from SPIEGEL ONLINE
Israel’s right to exist is questioned on a daily basis — not just by radical Palestinians, but also by prominent intellectuals. As the country celebrates its 60th anniversary, they are sending their case against Israel in messages disguised as birthday greetings. But their supposed concern about the Middle East is really just a cloak for their own guilt complexes.
If you drive north out of Tel Aviv for about 15 minutes you come across Herzliya, a settlement founded in 1924 by seven immigrant families and named after Theodor Herzl, the father of modern Zionism. More than 80,000 people live there today, and countless tourists visit each year. Herzliya has a long seafront promenade with many hotels, a harbor for yachts and even a small airport.
And of course there’s a monument to Theodor Herzl. It’s a huge water tank next to the motorway, with a slim male figure standing on top of it with his arms crossed and looking down at “his” town in a pose in which Herzl is often portrayed — the visionary.
The man who wrote “The Jewish State” died at the age of 44 in 1904, 44 years before the foundation of the state of Israel. Those who believe in Kabbalah and the mysticism of numbers may see a hidden message in those digits: It’s hard not to ask oneself what Herzl would think were he to visit Herzliya today.
He’d probably think: “This isn’t how I imagined it, but I like it.” Because he would see a high-tech center with laboratories in which hundreds of experts work for Microsoft, Motorola and Nokia, surrounded by shopping malls and restaurants. Some 20 years ago this was an area of auto repair workshops and warehouses, and 40 years ago there was nothing but the wind whistling between the dunes.
The whole country has changed as rapidly as the small town of Herzliya. Other societies took 150 years to develop from agricultural economies to the post-industrial age, but Israel managed it in 60. Sometimes starting from scratch can be an advantage.
But there is something that hasn’t changed, a strangely constant element in the turbulent, crisis-ridden life of the world’s smallest major power. Something that not even the visionary Herzl could foresee. Israel’s existence is called into question day after day — not just by militant Palestinian organizations such as Fatah and Hezbollah and the president of Iran, but also by congenial European intellectuals who devote themselves to the “Middle East question” with the dedication of someone who has long since completed all his other homework.
Recently a group of German thinkers including the political scientist Johano Strasser, Green Party parliamentarian Claudia Roth and writer Gert Heidenreich published a paper to mark Israel’s 60th birthday entitled “Congratulations and Concerns.”
In it they praise Israel’s “development, the cultural diversity, the scientific and technological successes, the intellectual productivity and the democratically organized pluralism.” But they also voice doubt about whether the Israelis are really doing enough to settle the conflict with their neighbors.
Israel, the writers warn, is endangering “its own existence”, “making a fool of the whole world,” and “deceiving itself.” The paper calls on German politicians “not to lose sight of the connection between the extremely difficult economic and political situation of the Palestinians on the one hand and the uncertainty and menace facing Israel on the other.”
The entire paper is a collection of cheap platitudes concocted by hobby astronauts zooming through virtual space on their games consoles, convinced that everything hinges on their navigation skills.
The paper “Congratulations and Concerns” was preceded by another position statement: “Friendship and Criticism,” written by 25 political scientists who accuse Israel of instrumentalizing the Holocaust for its own political ends and who call for a rethink of the “special relationship” between Germany and Israel in order to render the “internal German discourse” between “non-Jewish, Jewish and Muslim Germans” broader and more impartial.
‘A Total Lack of Historical Substance’
An open letter signed by 120 academics caused a Europe-wide stir in 2002. The letter called for academic relations to be frozen between Israel and European countries in protest against Israel’s policies. In other words, the cultural and scientific cooperation between the countries should be stopped. The letter went largely unnoticed in Germany, for a very simple reason — only two of the 120 signatories were German.
Meanwhile, there is hardly any well-known writer who has not made some kind of statement about Israel. Jostein Gaarder, the Norwegian author of the bestseller “Sophie’s World,” wrote Israel out of the pages of history with the words: “We no longer recognize the State of Israel.” Gore Vidal, the American author who lives in self-imposed exile in Italy, South Africa’s Breyten Breytenbach and the Portuguese author Jose Saramago have all also expressed their opinions, with latter comparing the situation in Ramallah to Auschwitz. When asked where the gas chambers were, he reportedly replied: “There are no gas chambers, yet.”
One floor lower, we find people such as Thilo Bode, the former director of Greenpeace Germany. Bode believes that “refraining from criticizing Israel is immoral.” Germany, Bode feels, should help “Israel to learn a lesson which Germany itself has successfully learned, namely the historical costs of subjugating others.”
The most striking thing about such statements is not just the total self-assurance with which they are made, but also the total lack of historical substance: The same people who feel responsible for the fate of the Palestinians and feel driven to give Israel advice, want to be released from the historical responsibility for the fate of the Jews, which has weighed on them for over 60 years as a heavy burden. As early as the late 1960s, the Berlin revolutionary Dieter Kunzelmann called on the Germans to get over their “Jewish problem.”
And little changed has until now, except that the language has become a little more subtle. Significant parts of the German intelligentsia see it as their task to watch day and night to make sure that the Jews (in other words, Israelis) do not backslide and do not gamble away the moral credit that they gained by being the victim of the Nazis. But Israel’s original sin isn’t its poor treatment of the Palestinians but rather the fact that it makes it so hard for those nice Germans to like the Jews.
Many years ago, an article appeared in German weekly Die Zeit, with an appeal to the “responsible men of the government of Israel.” The author said they should pause and recognize “how far they have already come along that path which recently led another people to doom.”
That was on Sept. 23, 1948, just four months after the founding of Israel. The author? The German journalist and intellectual Marion Dönhoff.
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