Ahmadinedschads Mission

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Ahmadinedschads Mission

Auch wenn Mahmud Ahmadinedschad den Vorwurf des Antisemitismus zurückweist – es hat kein anderer Regierunsgchef seit Adolf Hitler so viel Antisemitismus verbreitet wie er. Ahmadinedschad sagt nicht, dass „Juden“ die Welt beherrschen. Er sagt: „Die Zionisten beherrschen die Welt.“ 
 

Von Matthias Küntzel  

„Sie haben eine schwarze und dreckige Mikrobe mit Namen ,zionistisches Regime‘ geschaffen, um sie wie ein wildes Tier auf die Völker der Nation loszulassen“, rief der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad am 20. Februar 2008 seinen Anhängern in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede zu. Kurz zuvor hatte einer der höchsten Funktionäre des Iran, General Dschaafari, vom „krebsartigen Gewächs Israel“ gesprochen und dessen „Verschwinden in naher Zukunft“ prophezeit.

Mikrobe, Krebsgewächs – die Wortwahl ist gerade in Deutschland bekannt. Zwar weist die gegenwärtige iranische Führung den Verdacht des Antisemitismus zurück: Demonstrativ umarmt Ahmadinedschad Juden, die Israel bekämpfen; medienwirksam nimmt er die 25 000 im Iran lebenden Juden als Beleg, dass das Regime die jüdische Religion achtet und schützt. Und doch hat bislang kein anderer Regierungschef seit Adolf Hitler so viel Antisemitismus verbreitet wie Ahmadinedschad. Er sagt nicht, dass „Juden“ die Welt beherrschen. Er sagt: „Die Zionisten beherrschen die Welt.“ „Die Zionisten“ hätten die Mohammed-Karikaturen in Dänemark produziert und die goldene Moschee im Iran zerstört. „Die Zionisten“ trügen „für einen großen Teil aller Ungerechtigkeiten in der Welt die Verantwortung. Wo sie sind, ist Krieg.“

Das Muster ist vertraut. Ahmadinedschad verwendet den Begriff „Zionist“ in derselben Bedeutung, in der Hitler das Wort „Jude“ benutzte: als Urgrund alles Bösen. Wer aber Juden für die Übel dieser Erde verantwortlich macht, ist vom Antisemitismus beherrscht. Er wird Israel als „Keimzelle des Bösen“ beseitigen wollen. Er wird den Holocaust leugnen, da der Massenmord seinem Weltbild widerspricht. Im Iran haben, erstmals seit dem „Dritten Reich“, die Machthaber eines großen Landes den Antisemitismus, die Holocaust-Leugnung und die Absicht, ein UN-Mitgliedsland zu liquidieren, ins Zentrum ihrer Außenpolitik gerückt.

Ihre Drohungen sind nicht auf Israel beschränkt. „Wir stehen inmitten eines historischen Krieges, der seit Hunderten von Jahren andauert“, hatte Ahmadinedschad im Oktober 2005 erklärt und damit deutlich gemacht, dass es um den Nahostkonflikt nicht geht. Überall auf der Welt will die Gottesdiktatur die säkulare und freiheitliche Orientierung des Westens durch eine Scharia-Ordnung ersetzen. Überall sollen Frauen, wie im Iran, unterdrückt, Schwule öffentlich gehängt, Gewerkschafter verfolgt, Zeitungen verboten und Sünder gesteinigt werden können. „Unsere Mission transzendiert die geografischen Grenzen der islamischen Welt“, erklärt Ahmadinedschad. „Unsere Geistlichen stehen in der Verantwortung, die Menschheit als Ganze dazu anzuhalten, die Prinzipien der monotheistischen Herrschaft zu übernehmen.“

Ahmadinedschad agiert als Weltpopulist, der Länder wie Kuba, Nicaragua oder Venezuela in die Revolutionsfront einbinden will. „Das Zeitalter der Dunkelheit wird enden“, schwärmte er im September 2007 vor dem Plenum der Vereinten Nationen, „und die Völker werden in Amerika und in Europa von den Lasten, die die Zionisten ihnen zufügen, befreit sein.“

Die Verbindung von Befreiung und Antisemitismus, für die der Historiker Saul Friedländer in Bezug auf den Nationalsozialismus den Begriff des „Erlösungsantisemitismus“ geprägt hat, ist gefährlich genug. Im Falle des Iran kommt etwas Drittes hinzu: der Glaube an die Wiederkehr des „Zwölften Imam“. Mit dieser mythischen Figur ist der letzte unmittelbare Nachkomme Mohammeds in zwölfter Generation gemeint, der im Jahr 874 als kleiner Junge spurlos verschwand. Die Schia stützt sich auf den Glauben, dass dieser „Imam“ irgendwann aus seiner Verborgenheit hervortreten und die Welt von allen Übeln befreien werde. Diese abstrakte Vision von einer Befreiung der Welt haben Ahmadinedschad und seine Freunde in ein tagespolitisches Programm verkehrt. So gehörte Anfang 2008 der Bau einer Prachtstraße für den „Messias, der demnächst kommen wird“ zu den Wahlkampfversprechungen Ahmadinedschads, mit deren Hilfe er die manipulierten Parlamentswahlen im März 2008 gewann.

Irans Präsident betrachtet sich als den unmittelbaren Wegbereiter des Zwölften Imam. Für ihn ist die Vorbereitung auf dessen Wiederkehr „die wichtigste Aufgabe unserer Revolution.“ Er charakterisiert seine Politik als „jene Art von Mission, die auch den göttlichen Propheten anvertraut gewesen war. Sie erlaubt es nicht, dass wir uns ausruhen oder auch nur einen Moment schlafen.“

Solch intimer Kontakt zu übernatürlichen Kräften macht Politik unberechenbar. Warum sollte sich ein Politiker um die strategischen Realitäten dieser Welt Sorgen machen, wenn er weiß, dass in Kürze der Messias kommen und die Geschicke dieser Welt übernehmen wird? Noch weniger kann der Umstand beruhigen, dass Ahmadinedschad und seine Freunde zwischen dem Herannahen des schiitischen Messias und der Zerstörung Israels einen Zusammenhang sehen. „Das Wiedererscheinen des Zwölften Imam“, prophezeite im November 2006 ein Sprecher des Revolutionsführers Ali Chamenei, „wird einen Krieg zwischen Israel und der Schia mit sich bringen. Der Hauptkrieg wird über das Schicksal der Menschheit entscheiden.“

Es ist dieses einzigartige ideologische Gebräu – Antisemitismus, Revolutionsideologie, Messianismus –, das die iranische Nuklearentwicklung so gefährlich macht. Warum treibt der Iran sein Atomprogramm um jeden Preis voran? Ahmadinedschad hat dazu im August 2007 gesagt: „Die Nuklearisierung Irans ist der Beginn einer grundlegenden Veränderung in der Welt“. Irans Atomtechnik, versprach er, werde „in den Dienst derer gestellt, die entschlossen sind, den brutalen Mächten und Aggressoren entgegenzutreten.“ Diese Aussage zeigt, dass das iranische Atomprogramm weder für Energiezwecke noch für den Zweck der Abschreckung oder der Verteidigung konzipiert ist, sondern als ein Instrument „grundlegender Veränderungen“ nicht nur in der Region, sondern in der Welt. Ahmadinedschads Worte führen zweitens vor Augen, dass der Iran seine nuklearen Fähigkeiten an andere Bewegungen weitergeben will. Teheran lässt keinen Zweifel, an welchem Punkt der Erde es seine „Revolution“ zu beginnen gedenkt. „Das zionistische Regime wird wegradiert und die Menschheit befreit“, versprach der iranische Präsident den Teilnehmern der Holocaust-Leugner-Konferenz im Dezember 2006 in Teheran.

Seit 1945 hat sich die Welt an die Vorstellung von Atomwaffen im Besitz von säkularen oder halbsäkularen Mächten gewöhnt. Im Iran aber sind wir mit etwas Neuem konfrontiert. Hier wird das Zerstörungspotenzial der Bombe mit dem Furor des Religionskrieges, mit Paradiesglaube und Märtyrerideologie, vereint. Es ist diese Ankopplung an eine globale religiöse Mission, die das iranische Atomprogramm zur größten Gefahr auf dem Globus macht.

Der Autor ist Politikwissenschaftler und Vorstandsmitglied der internationalen Wissenschaftlervereinigung „Scholars for Peace in the Middle East.“

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 09.05.2008)

 

 


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