Krücken für Ahmadinejad

  • 0

Krücken für Ahmadinejad

 

Von Henryk M. Broder

Zuerst veröffentlicht bei DIE WELTWOCHE

 

 

Es ist jetzt über 20 Jahre her, da hatte ich eine Begegnung der besonderen Art mit dem damaligen Intendanten des Frankfurter Schauspiels, Günther Rühle. Im Zusammenhang mit den Diskussionen und Protesten über und gegen die Aufführung des Fassbinder-Stücks „Die Stadt, der Müll und der Tod“, das von einem reichen und rücksichtslosen jüdischen Spekulanten handelt, war Rühle von mehreren Zeitungen, darunter der taz und der NYT, mit dem Satz zitiert worden, das „Ende der Schonzeit“ für die Juden sei gekommen. Rühle widersprach nicht. Erst nachdem ich dieses Zitat in einen Buchtext aufgenommen hatte, ging Rühle vor Gericht – u.a. mit der Begründung, ein Buch sei langlebiger als eine Zeitung.

Das Verfahren endete mit einem Vergleich, der im Richterzimmer ausgehandelt wurde. Rühle erklärte, er habe nicht von einem „Ende der Schonzeit“, sondern von einem „Ende des Schonbezirks“ für die Juden gesprochen; ich verpflichtete mich, ihn nur noch dementspre-chend zu zitieren.

Das Ganze war eine Posse, wie sie vor dem königlich-bayerischen Amtsgericht zur Zeit Ludwig II hätte stattfinden können, eine rechtliche Haarspalterei. „Zeit“ oder „Bezirk“ – was Rühle sagen wollte, war klar. Vierzig Jahre nach dem Ende des Holocaust gab es keinen Grund mehr, die Juden zu schonen.

Zwanzig Jahre später spielt sich eine ähnliche Posse auf einer noch größeren Bühne ab. Diesmal geht es nicht um einen deutschen Theaterintendanten und dessen Beziehung zu Raum und Zeit, sondern um den iranischen Präsidenten Ahmadinejad und dessen Verhältnis zu Israel, das bekanntlich kein freundliches ist. Bei einer Kundgebung zum Thema „The World without Zionism“ hielt Ahmadinejad am 26. Oktober 2005 in Teheran eine Rede, in der er u.a. sagte, Israel sollte „von der Landkarte“ getilgt werden – so zumindest wurde er von allen großen Nachrichtenagenturen, einschließlich der iranischen IRNA, zitiert. Weder Ahmadeinejad noch dessen Botschafter legten gegen diese Übersetzung Protest ein, denn es war weder das erste noch das letzte Mal, dass der iranische Präsident das baldige Ende des zionistischen Gebildes herbeiphantasierte. Das taten, wenn auch mit erheblicher Verspätung, seine deutschen Freunde und Verehrer, die ihm dafür verbunden sind, dass er das offen ausspricht, was sie nur heimlich denken.

Nachdem die „Bundeszentrale für politische Bildung“, eine dem Innenministerium unterstehende Behörde, den iranischen Präsidenten mit dem Satz zitiert hatte, Israel solle von der Landkarte getilgt werden, trat ein Bündnis von Nationalpsychopathen in Aktion, um Ahmadinejads guten Ruf wiederherzustellen. Es waren die üblichen Verdächtigten, die auch sonst keine Gelegenheit auslassen, andere Despoten und Diktatoren, von Castro bis Chavez, ihrer Solidarität zu versichern. Präsident Ahmadeinejad, so schrieben sie in einem Offenen Brief an die Bundeszentrale und bald darauf in einer Eingabe an den Petitionsausschuss des Bundestages, habe nie davon gesprochen, Israel müsse „von der Landkarte getilgt“ werden, er habe  vielmehr gesagt: „Das Besatzungsregime muss von den Seiten der Geschichte verschwinden“, und deswegen wäre es vollkommen ungerechtfertig, dem iranischen Präsidenten aggressive Absichten gegenüber Israel zu unterstellen.

Nicht einmal Ahmadinejad wäre jemals so weit gegangen. Denn er weiss, und seine deutschen Freunde wissen es auch, dass mit „Besatzungsregime“ nicht die israelische Präsenz in Nablus, Ramalla und Hebron gemeint ist, sondern in ganz Palästina, also auch Haifa, Tel Aviv und Jerusalem. Deswegen hat er auch mehrmals vorgeschlagen, Israel nach Europa oder Amerika zu verlegen. Daraus aggressive Absichten abzuleiten, wäre so gemein, wie Zweifel an der friedlichen Nutzung der Atomkraft durch das Mullah-Regime zu äußern. Allah bewahre!

Mit obsessiver Beharrlichkeit schafften es die deutschen Freunde des iranischen Präsidenten, die Bundeszentrale in Zugzwang zu bringen. Sie ließ die Rede vom 26.1o.2005 vollständig übersetzen. Und nun steht fest, was Ahmadinejad tatsächlich gesagt hat: „Unser lieber Imam [Khomeini] sagte auch: Das Regime, das Jerusalem besetzt hält, muss aus den Annalen der Geschichte getilgt werden. In diesem Satz steckt viel Weisheit.“ Und schaut man sich den Satz im Kontext der Rede an, können nur bekiffte Hamster daran zweifeln, wie er gemeint war. Die Neufassung hat das Zitat nur noch verschlimmbessert.

Trotzdem jubeln Ahmadinejads deutsche Freunde über ihren Erfolg. Es sei „ein ganz großer Stein ins Rollen gebracht worden“ schreiben sie und: Die Bundeszentrale sei zu einer Richtigstellung gezwungen worden. Das ganze Schauspiel erinnert an die Debatten, ob der Führer über die „Endlösung“ bescheid wusste oder ob sie hinter seinem Rücken durchgeführt wurde, was ihn erheblich entlasten würde.

Die eigentliche Geschichte freilich geht weiter. Anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung Israels sagte der iranische Präsident, Israel sei ein „terroristischer und krimineller Staat“, der bald von den Palästinensern „weggeschwemmt“ werde; die Feiern seien „zwecklos“, da der Judenstaat „bereits tot“ sei.

Auch das war sicher nicht böse gemeint. Jetzt müssen wir nur noch die richtige Übersetzung dieser Rede abwarten.

HMB, Augsburg, 17.5.08

 

 

 

 

 

 


Hinterlasse eine Antwort