Die Macht der Bilder: War der Tod des Palästinenserjungen Mohammed Al Durah Manipulation?

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Die Macht der Bilder (1) – War der Tod des Palästinenserjungen Mohammed Al Durah Manipulation?

Sendeanstalt und Sendedatum: HR, Sonntag, 25. Mai 2008

 

Mohammed Al-Dura (Bild: ARD)
Bildunterschrift: Mohammed Al-Dura (Bild: ARD) ]

Das Bild ging um die Welt: Ein kleiner Palästinenserjunge wird in den Armen seines Vaters von einer Kugel getroffen – abgefeuert von israelischen Soldaten. Und ein französischer Journalist kommentiert: „Mohammed ist tot, sein Vater schwer verletzt“.
Seitdem wird der kleinen Mohammed von der arabischen Welt als Märtyrer gefeiert und das Bild für politische Zwecke benutzt. Doch war es wirklich so? Nur 31 Sekunden sind Vater und Sohn im Bild – und tatsächlich zeigt das Material keinen einzigen Schuss und auch kein Blut. Mehr noch: Charles Enderlin, der Korrespondent, der den Film so folgenreich kommentierte, war selbst gar nicht vor Ort! Er verließ sich auf die Schilderung seines Kameramannes.
Acht Jahre später gibt es mehr Zweifel an der Szene als damals. Die vermeintliche Sicherheit, dass sich alles so zugetragen hat, ist dem Verdacht gewichen, möglicherweise auf einen gigantischen Propagandaschwindel herein gefallen zu sein, wie die Dokumentation des Hessischen Rundfunks „Drei Kugeln und ein totes Kind“ von Esther Schapira aus der Reihe „das Rote Quadrat“, bereits im Jahr 2002 aufgedeckt hat.
In Paris soll nun das Rätsel um das Bilddokument gerichtlich gelöst werden. Erstmals werden auch bislang unter Verschluss gehaltene Sequenzen des Filmbeitrages vorgelegt, die Vater und Sohn nach dem Schusswechsel zeigen: angeblich lebend…
ttt hat den Prozess um dem Fall „Mohammed Al Durah“ beobachtet und mit Zeugen und Sachverständigen gesprochen.
Bericht: Peter Gerhardt


Text des Beitrags:

Er hat es geschafft. David gegen Goliath – Philippe Karsenty, Betreiber einer Ein-Mann-Nachrichtenagentur, hat vor Gericht gerade das französische Staatsfernsehen besiegt. Es geht um diese Bilder: Mord vor laufender Kamera. Angeblich. Dieser Filmausschnitt sorgt vor acht Jahren weltweit für Entsetzen: Israelische Soldaten erschießen den Palästinenser-Jungen Mohamed Al Dura. Diese Aufnahmen prägen sich ein. Und die arabischen Welt hat fortan einen Märtyrer: Das Bild von Mohamed wird zur Ikone – verkitscht auf unzähligen Gemälden, Briefmarken und Postkarten. Im palästinensischen Schulunterricht dient es als Beleg für die mörderische Brutalität der Israelis.

Doch stimmt die Geschichte überhaupt? Darüber wurde in Paris bis jetzt jahrelang erbittert vor Gericht gestritten. Die Gegner: Charles Enderlin, journalistisches Schwergewicht, Nahost-Korrespondent des staatlichen französischen Fernsehens „France 2″. Er hat die Geschichte des Mordes am kleinen Mohamed zuerst veröffentlicht. Und eben: Philippe Karsenty, den die Bilder nicht mehr losließen. Und deshalb recherchierte er jahrelang – auf eigene Kosten. Und behauptet: Das Ganze ist ein Riesen-Schwindel.

Philippe Karsenty, Agentur „Media-Ratings“: „Ich habe meine eigenen Recherchen gemacht. Habe Dokumente, Filme und Zeugenaussagen gesammelt. Und habe festgestellt: Die ganze Sache ist komplett inszeniert.“

Charles Enderlin,
France 2 – Korrespondent: „Wir haben die Bilder nicht gefälscht. Dies ist ganz schlicht eine Schmierenkampagne von Leuten, die meine Veröffentlichungen nicht mögen.“

Das Krankenhaus in Gaza scheint die Version von France 2 zu bestätigen. Es veröffentlicht diese Fotos: Ein toter Junge, offensichtlich erschossen. Aber von wem? Die Ärzte haben keine Obduktion vorgenommen. Und: handelt es sich überhaupt um Mohamed Al Durah? Nein, sagt Philippe Karsenty: „Der Pathologe hat in der Tat einen toten Jungen untersucht, aber schon um 12 Uhr mittags. Mohamed Al Durah soll aber erst um drei Uhr nachmittags erschossen worden sein. Und überhaupt: Die Bilder aus dem Leichenschauhaus stimmen nicht mit den Bildern von Mohamed Al Durah überein. Das ist lächerlich.“

Was also ist wirklich geschehen an diesem 30. September 2000? Das versucht Philippe Karsenty seit Jahren herauszufinden. Fest steht, es war ein Tag voller Gewalt. Palästinenser greifen einen israelischen Militärposten an. Steine fliegen, dann Molotowcocktails. Palästinenser schießen mit Kalaschnikows. Die Israelis schießen zurück. Karsenty erfährt, dass ausschließlich palästinensische Kameramänner vor Ort sind.
Unter ihnen auch Talal Abu Rahme, der für France 2 die Bilder von Mohamed Al Durah gedreht hat, für die er mehrere Auszeichnungen erhält. Immer wieder erzählt er, wie es sich zugetragen haben soll.

Talal Abu Rahme, Kameramann France 2: „Der Junge wurde in den Bauch getroffen, während ich einen Knall hörte und der Staub kam. Als sich der Staub legte, sah ich den Jungen im Schoß seines Vaters. Er blutete.“

Jerusalem. Das Büro von France 2. Korrespondent Charles Enderlin erfährt die Geschichte am Telefon und ist sofort elektrisiert. Die Bilder kommen wenig später per Satellit – und Enderlin hat keine Zweifel, dass sie echt sind.

Charles Enderlin: „Natürlich glaube ich meinem Kameramann. Ich arbeite seit zwölf Jahren mit ihm. Er ist ein erstklassiger Journalist. Er hat mir alles am Telefon genau berichtet. Hören Sie, ich kenne ihn. Ich glaube ihm zu 100 Prozent.“

Philippe Karsenty sieht diese Aussagen des Kameramannes und des Korrespondenten in einer Filmdokumentation, in der die ARD schon vor sechs Jahren auf Ungereimtheiten in der Geschichte hingewiesen hat. Gemeinsam mit seiner Anwältin forscht Karsenty dann weiter und holt ein ballistisches Gutachten ein. Alles führt ihn zu dem Schluss: Die Geschichte des Kameramanns kann nicht stimmen.

Philippe Karsenty: „Der Junge soll von drei Kugeln getroffen sein, aber man sieht keinen Tropfen Blut. Auch der Vater soll angeblich zwölf Kugeln abbekommen haben. Aber kein einziger Tropfen Blut. Außerdem: Alle Bewegungen der sogenannten Opfer passen nicht zur Geschichte von France 2.“

In der Tat: Auf den Bildern, die angeblich zeigen, dass Mohamed Al-Durah schwer verwundet ist, ist kein Blut zu sehen. Wie kommt es also, dass der Kameramann eine solche Geschichte erzählt, will Karsenty wissen.

Bei der Suche nach einer Antwort findet er diese Bilder im Internet. Ebenfalls aufgenommen in Gaza: Ein Palästinenser läuft über die Straße, übergibt einen Molotowcocktail. Dann wirft er sich plötzlich in die Arme seiner Freunde. Palästinensische Kameramänner stürzen herbei – mit dabei: derselbe Kameramann von France 2, von dem die Mohamed Bilder stammen. Auch er filmt, wie der kerngesunde Mann als „Schwerverletzter“ abtransportiert wird. Für diese Art der Verwundeten hat die israelische Armee einen Namen: „For camera only“ – nur für die Kamera. Reine Inszenierung. Liegt es da nicht nahe, dass die Geschichte von Mohamed Al Durah genauso inszeniert ist?

Das genau behauptet Karsenty und wird prompt von France 2 erfolgreich verklagt. Doch er geht in Berufung, präsentiert noch einmal seine Zweifel – und kann diesmal überzeugen. Das Gericht fordert France 2 auf, das gesamte Original-Kameramaterial zu veröffentlichen.

Und das ist wesentlich länger. Ungeschnitten ist in der letzten Einstellung von Vater und Sohn dies zu sehen – eine Sensation:
Mohamed bewegt sich – er lebt! Eindeutig.
Damit kann Philippe Karsenty die Richter jetzt überzeugen. Das Gericht schlägt die Klage von France 2 nieder. Karsenty darf weiter behaupten, die Geschichte vom Mord am kleinen Mohamed sei eine Fälschung.

Philippe Karsenty: „Das ist wichtig gerade auch für die moslemische Welt, damit sie nicht weiter manipuliert wird von Fanatikern, die Hand in Hand arbeiten mit naiven westlichen Journalisten, die falsche Nachrichten verbreiten. Es ist Zeit, dass die Lügen aufhören. Es ist Zeit für die Wahrheit.“

Was wirklich die Wahrheit hinter diesen Bildern ist, das konnte das Gericht allerdings nicht entscheiden. Eines aber steht fest: Einen Mord vor laufender Kamera hat es offensichtlich nicht gegeben.

 

 

 

 


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