Interview – Ein hohes Gut

  • 0

Interview:
Ein hohes Gut
Professor Micha Brumlik über Idee und Realität des Staates Israel, über Antisemitismus und Katholizismus.

FRANKFURTER RUNDSCHAU

 
 
60 Jahre Israel – in in der Paulskirche wurde gefeiert und auf dem Römerberg getrauert. Sie, Herr Brumlik, zählten mit schwarzem Luftballon eher zu den Trauernden?
Ich habe mich wesentlich mehr für die palästinensische Kundgebung auf dem Römerberg interessiert, weil ich wissen wollte, wie Palästinenser heute die politische Lage einschätzen. Die Äußerungen der Palästinenser waren politisch korrekt, ausgewogen und weiterführend.

Sie haben sich eindeutig für die Zwei-Staaten-Lösung und den Rückzug Israels aus dem Westjordanland und Erleichterungen in Gaza ausgesprochen. Weniger glücklich waren der Moderator und eine jüdische Menschenrechtsvertreterin, die in sehr undifferenzierter Weise den Staat Israel pauschal als Unrechtsstaat bezeichnete, was der Realität des Landes – sieht man einmal von den besetzten Gebieten ab – in keiner Weise gerecht wird.
Und der schwarze Luftballon?
Den hat mir jemand in die Hand gedrückt, ein demonstratives Mittel, um an die vielen arabischen Dörfer zu erinnern, die im Zuge des Krieges von 1948 zerstört wurden.
Teilen Sie diese Trauer der Palästinenser ein Stück weit?
Nein, die teile ich nicht. Ich bin kein Palästinenser, es ist nicht meine Heimat, die verlorengegangen ist. Aber auch die Palästinenser haben ein Recht auf Trauer.
Sie sind für Ihre Anwesenheit auf dem Römerberg angegriffen worden…
In zwei, drei Internet-Foren, die ich allerdings für unerheblich, weil unseriös, halte.
Als es nach Shoa und Zweitem Weltkrieg um die Gründung Israels ging, gab es nicht wenige, die die Vision eines binationalen Staates für Juden und Palästinenser entwickelten. Die Realität heute lässt nur noch zwei Staaten zu?
Ja. Aber nach allem, was ich höre ist die Siedlungstätigkeit und der Straßenbau im Westjordanland so weit fortgeschritten, dass eine physische Trennung nicht mehr gelingen wird. Die Zwei-Staaten-Lösung wird nur noch eine symbolische Bedeutung haben: infrastrukturell, ökonomisch und demographisch sind die israelische und die
palästinensische Gesellschaft nicht mehr zu trennen.
Es wird immer wieder die besondere Verantwortung Deutschlands Israel gegenüber betont. Was wäre in Ihren Augen verantwortliches Handeln?
In einem Hamburger Wochenmagazin war gerade zu lesen, dass Israel an engeren Beziehungen zur EU interessiert ist. Ich habe schon seit längerem vorgeschlagen, dass Deutschland sich dafür einsetzt, dass Israel Mitglied der EU wird und in diesem Rahmen dann eben auch den menschenrechtlichen Kriterien der EU genügt.
Ist die Zeit reif dafür?
Das Öl im Nahen und Mittleren Osten wird für die USA längerfristig aus ökonomischen und ökologischen Gründen an Bedeutung verlieren, sie werden sich aus der Region zurückziehen und dem pazifischen Raum zuwenden.
Dann fällt das Problem den Europäern auf die Füße. Etwas anderes kommt hinzu: Das iranische Streben nach Atomwaffen ist ein reelles unerträgliches Risiko. Ich bin der Meinung, dass Deutschland und Österreich viel zu wenig tun, um die am Horizont aufziehende Bedrohung zu bekämpfen.
Sie haben sich 2007 in einem Buch kritisch mit dem Zionismus auseinandergesetzt. Ist die Idee, mittels eines Staates Sicherheit für Menschen jüdischen Glaubens zu schaffen, gescheitert?
Sie ist insofern gescheitert, als sie einfach nicht funktioniert hat. Leib und Leben von Juden in Israel und speziell im Westjordanland sind gefährdeter als anderswo. Man kann natürlich sagen, es ist besser, in Würde in Gefahr zu leben, denn als abhängige Minderheit in der Diaspora.
Aber Tatsache ist, dass – außer im arabisch-islamischen Raum -Juden weltweit in einer besseren Situation leben als in hunderten, tausenden Jahren zuvor. Das ist ein hohes Gut, auch wenn wir mit Trauer feststellen müssen, dass diese Sicherheit und Anerkennung erst nach dem Mord an sechs Millionen Juden Wirklichkeit wurde.
In Frankfurt wurde ein Rabbiner angegriffen und schwer verletzt. Eine Einzeltat, die Entsetzen hervorrief. Ist sie ein Anzeichen für wiedererstarkenden Antisemitismus?
Bei einem Teil der jungen Männer aus der arabisch-islamischen Emigration gibt es einen massiven islamistischen Judenhass. Auch die ethnisch deutsche Bevölkerung zeigt in hohem Ausmaß als Antizionismus verkleidete antisemitische Gefühle.
Im konkreten Fall würde ich das aber anders beurteilen. Derlei Gewalttätigkeiten kommen bei benachteiligten männlichen Jugendlichen immer wieder vor. Als Symptom einer generellen Verschlechterung des gesellschaftlichen Klimas werte ich das nicht. Als Erziehungswissenschaftler füge ich hinzu: Das Strafmaß von dreieinhalb Jahren ist für einen jungen Mann sehr hoch, zumal der hiesige Strafvollzug im allgemeinen nicht zur moralischen Besserung der Verurteilten beiträgt.
Sie sind dem Katholikentag ferngeblieben, aus Protest gegen die neue Karfreitagsfürbitte, die um Erleuchtung für die Juden bittet, damit sie Jesus als Retter erkennen. Wie viel Porzellan ist damit zerschlagen worden?
Sehr viel. Die auf dem Katholikentag vollzogene Versöhnung ist anerkennenswert, aber wertlos, weil der Papst sich nicht bewegt hat. Unser Fernbleiben hat doch mehr ausgelöst, als wenn wir stillschweigend hingegangen wären. Im Übrigen diskutieren wir weiter.
Interview: Susanne Schmidt-Lüer

  • FR – Zur Person
    Micha Brumlik, 1947 in Davos geboren, lebte nach seinem Abitur am Frankfurter Lessing- Gymnasium von 1967 bis 1969 in Israel.
    Der Pädagoge und Philosoph lehrt seit dem Jahr 2000 an der Johann Wolfgang Goethe- Universität.
    Das Fritz- Bauer- Institut leitete Brumlik zwischen 2000 und 2005.


     
    • KOMMENTAR VON SACHA S.:
      Auch wenn ich der festen Meinung bin, daß Prof. Brumlik es sich hier viel zu leicht macht, mit seiner Erklärung über die fröhliche Anwesenheit auf der Frankfurter Al-Nakba Demonstration, soll seine Darlegung selbstverständlich entsprechend wiedergegeben und dokumentiert werden…

      Zu guter letzt, sei darauf hingewiesen, daß Honestly Concerned zwar zugegebenermaßen über den Besuch Micha Brumliks auf der Al Nakba Demo berichtet hat, wir aber absichtlich weitergehende Kommentare, wie z.B. die von einigen unseren Lesern geforderte Absetzung Prof. Brumliks als (Erziehungs-)Berater für die Jüdische Schule in Frankfurt, weggelassen hatten. 

      Unabhängig dessen, möchten wir durchaus anregen, daß sich i.B. auch die Jüdischen Schulen und Jüdischen Institutionen allgemein, intensiver mit dem Thema Zionismus und der Bedeutung des Staates Israel für die hier lebenden Juden auseinandersetzen sollten. Auch wenn die uns bislang bekannten Redetexte der Zentralratsvorsitzenden (Charlotte Knobloch, Salomon Korn und Dieter Graumann) aus unserer Sicht diesbezüglich immer sehr deutlich waren, ist festzustellen, daß diese generell wohlwollende Haltung durch Berater untermauert wird und in der Erziehung ungenügend weitergegeben wird. Die Erosion in der früher, neben aller Kritik existierenden, pro-Israelischen Grundhaltung und die Erosion in der Wertschätzung des Staates Israel für Juden, i.B. Europäische Juden, ist mehr als beunruhigend (i.B. auch bei Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion)… Sacha S. 
       

       

    • KOMMENTAR VON THOMAS S.:

      „Aber Tatsache ist, dass – außer im arabisch-islamischen Raum -Juden weltweit in einer besseren Situation leben als in hunderten, tausenden Jahren zuvor. Das ist ein hohes Gut, auch wenn wir mit Trauer feststellen müssen, dass diese Sicherheit und Anerkennung erst nach dem Mord an sechs Millionen Juden Wirklichkeit wurde.“
      Wie wahr!
      Nach schweren Pogromen ausgerechnet in Polen 1956 flohen die letzten Überlebenden des Holocaust von dort nach Israel
      Warum mussten nach dem Holocaust die Juden Rumäniens heimlich nach Israel gebracht werden? Weil sie dort so sicher und anerkannt waren?
      Warum wohl kamen über eine Million „jevreji“ von der zusammengebrochenen Sowjetunion nach Israel?
      Warum mussten tausende äthiopische Juden auf dem Weg durch die Wüste des Sudan sterben, als sie nach Israel in den achtziger Jahren flohen, und warum hat Israel die verbliebenen 14.000 Äthiopier 1991 an einem Tag mit einer Riesenaktion nach Israel in Sicherheit bringen müssen.
      Warum gibt es eine heimliche Masseneinwanderung von französischen Juden nach Israel seit etwa drei Jahren?
      Sicherheit und Anerkennung für lebende Juden gewiss nicht in allen Ländern der Welt. Und wie steht es mit den toten Juden, sprich mit den geschändeten Friedhöfen, darunter auch in Deutschland????
      Und wenn die Juden besonders im Westjordanland angeblich gefährdeter als sonstwo sind, wieso starben dann die meisten Israelis während der Intifada ausgerechnet in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem, zumal doch „die Äußerungen der Palästinenser politisch korrekt, ausgewogen und weiterführend waren“ womit Brumlik sicherlich auch die täglichen Raketenangriffe aus dem längst von Israel geräumten Gazastreifen meint. . 

       
       
  • FRANKFURTER RUNDSCHAU – „60 Jahre Israel“ – Akademische Sogwirkung – VON SUSANNE SCHMIDT-LÜER
    Was es heißt, in Israel zu leben, dem gelobten und zugleich umkämpften Land, möchte eine hochkarätig besetzte Tagung ausleuchten, die das Haus am Dom am Samstag, 7. Juni, gemeinsam mit der Herbert-Quandt-Stiftung veranstaltet.
    Unter dem Titel „60 Jahre Israel – Zionistische Identität im Wandel“ soll die innere Entwicklung dieses besonderen Staates auf den Feldern Politik, Kultur und Religion „mit historischem Tiefgang“ ausgeleuchtet werden, so der Direktor des Hauses am Dom, Joachim Valentin.

    Er spricht von einem „Sog Israel“, der zu lebenslanger Beschäftigung herausfordert und kritisiert zugleich im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt eine „sehr israel-kritische stark vereinfachende Berichterstattung“ hierzulande.
    Vorurteilsfreie Informationen aus erster Hand möchte der Studientag daher vermitteln. Zum Einstieg präsentiert der Journalist und Quandt-Stipendiat Johannes Honsell um 9.45 Uhr einen Dokumentarfilm zu Lebensbildern aus 60 Jahren Israel. Anschließend um 10.15 Uhr referiert Reinhard Meier vom Auslandsressort der Neuen Zürcher Zeitung über die politische Entwicklung Israels.
    Tamar Hermann, Direktorin des Steinmetz Center for Peace Research in Tel Aviv, beleuchtet um 11.15 Uhr das Verhältnis der Israelis zu ihrem Staat. Um 12 Uhr referiert Micha Brumlik über Diaspora-Judentum, Zionismus und den Staat Israel. Eine Podiumsdiskussion der Referenten, zu der auch der ehemalige Chefredakteur der Jerusalem Post, Ari Rath, stößt, beginnt um 12.30 Uhr.
    Der israelische Filmregisseur Amos Gitai zeigt im Werkgespräch mit Joachim Valentin von 14.15 bis 16.15 Uhr Filmausschnitte unter anderem aus seinem Film zum Jom-Kippur-Krieg und über ein Haus in Jerusalem, das erst Palästinensern gehörte und heute von Israelis bewohnt wird.
    Michael Krupp, seit fast 30 Jahren in Israel lebender Theologe und Publizist, eröffnet um 16.30 Uhr den Dialog über religiöses Leben in Israel,der dann in eine Podiumsdiskussion münden soll. Neben Krupp und der Professorin Tamar Hermann diskutieren die Journalistin Ranna Khalil von AP Television News Jerusalem und Raif Hussein, Vorsitzender der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft.
    60 Jahre Israel, Studientag im Haus Am Dom, Domplatz 3, Samstag, 7. Juni,
    9 bis 18 Uhr. Eintritt 19 Euro, ermäßigt zehn Euro. Es ist möglich, nur vormittags von 9 bis 13.15 Uhr oder nur nachmittags von 14.15 bis 18 Uhr teilzunehmen, der Eintritt halbiert sich dann.  
     


Hinterlasse eine Antwort