Israel debattiert über Einmarsch in den Gazastreifen

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Jerusalem, 11. Juni 2008 – Ausnahmsweise hielten die israelischen Minister dicht. Was das sogenannte „Sicherheitskabinett“ besprochen hat, gelangte nicht an die Öffentlichkeit, sondern nur das Thema: die seit zwei Jahren angedrohte aber niemals vollzogene Großoffensive in den Gazastreifen.
Spätestens mit der Entführung des Soldaten Gilad Schalit durch die Hamas vor zwei Jahren reagiert Israel mit Säbelrasseln. Denn entführte Soldaten gelten in Israel mehr als tote Soldaten. Der Staat sieht sich gemäß jüdischer Tradition in der höchsten Pflicht, das Leben eines jeden Juden zu retten, fast für jeden Preis. Das israelische Militär darf den Soldaten nicht das Gefühl vermitteln, Kanonenfutter zu sein.
Um Kritik aus der Bevölkerung zu begegnen und zu demonstrieren, dass die Regierung „alles“ für die Befreiung von Gilad Schalit tue, bombardierten Kampfflugzeuge kurz nach der Entführung das Kraftwerk in Gaza, das etwa 20 Prozent des Stroms im übervölkerten Landstreifen liefert. Doch die Zerstörung der Generatoren war ein Schuss ins eigene Knie. Die Welt empörte sich, bezichtigte Israel der „Kollektivbestrafung“ der unschuldigen Zivilbevölkerung und schließlich musste Israel für die Reparaturkosten aufzukommen.
Das Säbelrasseln gegen den vor genau einem Jahr von der radikal-islamischen Hamas durch einen Putsch übernommenen Gazastreifen ging weiter. Israel massierte Panzer rund um Gaza, sperrte den Streifen hermetisch ab, verkündete einen Boykott und drohte mit einer Drosselung der Kochgas, Benzin, Strom und Wasserlieferungen als Gegenmaßnahme für jeden Raketenangriff auf israelische Ortschaften, Kibbuzim und sogar auf die Grenzübergänge, durch die hunderte Lastwagen humanitäre Hilfsgüter nach Gaza transportieren.
Nachdem Israel mehrere Tote durch die Raketen der Hamas zu beklagen hatte, wächst der Druck auf die Regierung, mit diesem „unerträglichen“ Zustand Schluss zu machen. Die Minister stehen vor einem unlösbaren Dilemma. Ein Einmarsch könnte das Leben der Hamas-Geisel Schalit gefährden, was keine israelische Regierung innenpolitisch rechtfertigen könnte. Linke Israelis warnen vor einer erneuten „Eroberung“ von Gaza, nachdem Premierminister Ariel Scharon doch Israel erfolgreich vom „Joch“ der Herrschaft über 1,5 Millionen feindselige Palästinenser befreit habe. „Es ist leicht, einzumarschieren, aber es muss auch der Weg raus bedacht werden, um nicht im Sumpf von Gaza zu versinken“, warnen Gegner einer Invasion mit vielen Toten auf beiden Seiten und ohne Erfolgsgarantie. Außenministerin Zipi Livni empfiehlt, der „Tahdija“, einer befristeten „Beruhigung“, eine Chance zu geben, zumal Ägypten bislang erfolglos einen Waffenstillstand vermittle. Innenminister Schimon Schitrit sieht eher einen üblen Trick der Hamas: „Hamas braucht Ruhe, um sich ungestört aufzurüsten und dann um so härter zuzuschlagen.“
Jede Entscheidung der Regierung, Nichtstun oder Einmarsch, gilt als verfehlt. Die bisherige Methode, bewaffnete Hamas-Kämpfer oder Schützen von Kassam-Raketen aus der Luft zu jagen und täglich mehrere zu töten, hat nicht viel gebracht. 
Verwirrung herrscht auch bei der Hamas-Führung. Jeder weitere Tote in Israel, oder gar ein Volltreffer  auf einen Kindergarten rückt den israelischen Einmarsch näher. Der Raketenbeschuss festigt die Macht der Hamas, aber durch eine Invasion könnte die Hamas auch wieder alles verlieren. Gemischte Gefühle in der palästinensischen Bevölkerung verursacht auch der regelmäßige Beschuss der Grenzübergänge. Die Hamas forciert so deren Schließung und beklagt sich andererseits darüber, dass weder Lebensmittel noch Benzin oder Kochgas nach Gaza gelangen.
Über den amerikanischen Ex-Präsidenten Jimmy Carter schickte die Hamas ein Lebenszeichen des entführten Soldaten Schalit, einen Brief an seine Familie. Diese Geste hat innerhalb der Hamas Unmut ausgelöst. Auf Internet-Foren der Hamas lassen Anhänger der Organisation ihre Wut aus, Israel ohne jede Gegenleistung etwas gegeben zu haben. Während der Brief in Israel riesige Schlagzeilen machte, wurde er in den Hamas-eigenen Medien heruntergespielt und nur versteckt gemeldet. In Israel hingegen wird über den Zeitpunkt der Übergabe des Briefes gerätselt. Will die Hamas so „Friedenswillen“ signalisieren oder Druck auf Israel ausüben, jetzt nicht einzumarschieren?

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