Stellungnahme von Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Committee Berlin

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Innenausschuss: Öffentliche Anhörung von Sachverständigen am Montag, dem 16. Juni 2008 zum Thema „Antisemitismus in Deutschland“

 

 

Stellungnahme von:
Deidre Berger,
Direktorin des American Jewish Committee Berlin / Lawrence & Lee Ramer Center for German-Jewish Relations

 

 Stand: 16. Juni 2008

 

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren Ausschussmitglieder!

 

Es ehrt mich sehr, dass Sie mich gebeten haben, heute meine Vorstellungen zum Kampf gegen Antisemitismus darzulegen. Menschen- und Bürgerrechte als Grundlage einer demokratischen Regierungsform werden von diesem uraltem Hass fundamental angegriffen. Der Schwelbrand des Hasses muss gelöscht/erstickt werden, bevor er, wie sooft in der Vergangenheit, Flammen schlägt. Ich gratuliere Ihnen zur Abhaltung dieser Anhörung.

 

Der schockierende Ausbruch antisemitischer Gewalt im Jahre 2000 in Europa und die unselige anti-israelische Agenda vieler Staaten bei der Durban-Konferenz 2001 waren Weckrufe, den Kampf gegen Antisemitismus mit aktiveren und besser strukturierten Mitteln zu intensivieren.

 

Es ist erfreulich, dass die deutsche Regierung in enger Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und der Zivilgesellschaft energisch auf diese Krise reagiert hat. Die deutsche Regierung war die treibende Kraft in der Verankerung von Antisemitismus als eine Priorität in der Arbeit multilateraler Organisationen, einschließlich der OSZE, als Resultat einer denkwürdigen Konferenz 2004. Die „Berliner Erklärung“ definierte den Kampf gegen Antisemitismus. Dazu gehörte dezidiert das Aufzeigen der Gefahren immer virulenterer Formen des Antisemitismus, einschließlich einseitiger Kritik an Israel, Hetze gegenüber Juden durch islamische Extremisten und Verschwörungstheorien gegen angebliche jüdische Mächte.

 

Im deutschen Außenministerium wurde die Stelle eines Sonderbeauftragten für Beziehungen zu jüdischen Organisationen eingerichtet, entsprechend ähnlichen Positionen in den Vereinigten Staaten und Frankreich. Im deutschen Bundestag fanden 2006 und 2008 zwei internationale Anhörungen zum Antisemitismus statt. Weiterhin gab es eine Sonderanhörung mit Mitgliedern der britischen Parlamentarierkommission zu Antisemitismus.

 

Auf Seiten der Zivilgesellschaft riefen das American Jewish Committee und der Zentralrat der Juden in Deutschland das „NGO Forum Berlin“ ein, um wichtige deutsche Institutionen und Organisationen, die sich mit Antisemitismus beschäftigen, zusammen zu bringen. Die „Task Force: Education on Antisemitism“ spielte in den letzten sechs Jahren eine wichtige Rolle, in dem sie Pädagogen, die Bildungsstrategien im Kampf gegen Antisemitismus entwickeln, untereinander vernetzt. Seitdem wurden andere wichtige Netzwerke gegründet, beispielsweise durch die Amadeo-Antonio Stiftung, Honestly Concerned und die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Wissenschaftler am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin stellen wichtige Forschungsdaten und Unterrichtsmaterialien bereit.  Darunter befindet sich eine interaktive CD-ROM für Lehrer und Schüler, die im Herbst erscheinen wird.  Das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) erarbeitet mit Partnerorganisationen Modellprogramme für Youth Leadership und Lehrerausbildung.

 

Trotz der Fortschritte im Kampf gegen Antisemitismus bleibt die Situation ernst. Täter decken das politische Spektrum von linksextrem bis rechtsextrem ab. Sie schlagen Kapital aus anti-jüdischen Vorurteilen und Stereotypen, die überall in der Gesellschaft zu finden sind.

 

Bei den Rechtsextremen bleibt der Antisemitismus ein zentraler Bestandteil ihrer Ideologie. Im sächsischen Parlament bezeichnete ein NPD-Abgeordneter die Bombardierung Dresdens als „Bomben-Holocaust“. Auf einer NPD-Veranstaltung im Juli 2007 in Frankfurt wurde die Stadt als „Jerusalem am Main“ verunglimpft, und eine nur minimal verschleierte Anspielung auf Juden mit „Kräfte, die schon seit Jahrhunderten hinter dem Kapitalismus stehen“ gemacht. Im linken Spektrum fordern einige Politiker den Dialog mit terroristischen Organisationen, die die Zerstörung Israels forcieren. Im linken akademischen Diskurs forderten 2006 25 deutsche Professoren, dass das Verständnis von Antisemitismus auf Deutschland zu begrenzen sei und dass Deutschland keine besondere Verantwortung für Israel habe. Die Bezeichnung von Kapitalisten als „Heuschrecken“, von prominenten Politikern, vielfach in der linksorientierten Presse aufgegriffen, ist insofern gefährlich, als dass sie Stereotypen über jüdische Kapitalisten verstärkt.

 

Das Problem besteht aber auch in der Mitte der Gesellschaft. Weiterhin gibt es eine Vielzahl von Vorurteilen, in denen Juden unterstellt wird, raffgierig, rachelüstern, mächtig, verschwörerisch und vor allem nach Weltherrschaft zu streben. Kürzlich wurden diese Vorurteile in einem kritischen Artikel über die Arbeit der Claims Conference hervorgerufen. Das Antisemitismus Problem ist auch im Fußball sehr sichtbar, besonders in den unteren Ligen. So gibt es kaum ein Spiel für des jüdischen Fußballclubs TuS Makkabi Berlin ohne antisemitische Gesänge und Schmähungen.

 

Antisemitismus äußert sich auch in gewalttätigen und extremen Formen. In den letzten 18 Monaten wurde ein Rabbiner auf dem Weg zur Synagoge niedergestochen, auf einen jüdischen Kindergarten in Berlin wurde ein Rauchbombenanschlag verübt und die Räumlichkeiten beschmiert, auf Europas größtem jüdischen Friedhof in Berlin-Weissensee wurden innerhalb einer Woche nicht ein Mal sondern zwei Mal Grabsteine umgeworfen. Es wechseln regelmäßig jüdische Kinder an die jüdische Oberschule in Berlin, weil sie dem Antisemitismus an ihren Einzugsschulen entgehen möchten.

 

Die Verbreitung von Antisemitismus in der muslimischen Welt beeinflusst auch in Deutschland lebende Muslime. Auf einer jährlich in Berlin-Kreuzberg stattfindenden türkischsprachigen Buchmesse wurde offen antisemitisches Material ausgestellt. Auf Webseiten, beispielsweise „Muslim-Markt“, werden laut Bericht des Verfassungsschutz 2007 direkt und indirekt anti-zionistische und anti-israelische Inhalte verbreitet.

 

Wirklich problematische Darstellungen des modernen Israel finden sich überall, von den Medien bis hin zu deutschen Kinderbüchern. Viele Antipathien werden unbewusst genährt. Zum Beispiel erschien kürzlich eine politische Karikatur im Berliner Tagesspiegel, die den israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert mit stereotypischem jüdischen Gesicht darstellte, in einem Auge den Davidstern, im anderen das Dollarsymbol. Der Umschlag der deutschen Ausgabe des Buches „Die Israel-Lobby“ von Stephan Walt und John Mearsheimer über die angebliche Existenz dieser Lobby stellt die amerikanische Flagge mit Davidsternen dar.

 

In dem Kinderbuch „Rahel lebt in Israel, Nasser im Westjordanland“ steht, dass die Israelis angeblich schon vor 1948 die meisten Palästinenser vertrieben haben. Die Aussage „[d]ie Auseinandersetzung zwischen einem arabischen Bündnis der Staaten Ägypten, Jordanien sowie Syrien und Israel dauerte vom 5 Juni bis zum 10. Juni 1967″[,] trivialisiert den Sechstagekrieg. Der kontroverse Film „Paradise Now“ über die Motive palästinensischer Selbstmordattentäter enthält viele Klischees und Stereotypen über Israelis. Dafür erhielt er den „Amnesty International Friedenspreis“ bei den Berliner Filmfestspielen und eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis. Im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain möchte die Verwaltung eine Ausstellung unterstützen, die die Berliner Mauer mit Fotos des Sicherheitszaunes im heutigen Israel vergleicht. Dabei werden die grundlegenden Unterschiede dieser beiden Anlagen übersehen.

 

 

Was kann nun getan werden, um das Problem des Antisemitismus darzustellen?

 

1) Regierungen und Nichtregierungs-Organisationen sollten sich auf eine gemeinsame Definition von Antisemitismus verständigen, um die Erkennung und Beobachtung zu verbessern.

Zum Teil werden antisemitische Vorfälle noch immer nicht auf der gleichen Grundlagen gesammelt, was die Vergleichbarkeit erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Dabei gibt es seit dem Jahr 2005 eine Arbeitsdefinition von Antisemitismus, die im Rahmen des damaligen European Union Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) entworfen wurde. Sie wird von der Nachfolgeorganisation der EUMC, der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA), aber auch vom OSZE Office of Democratic Institutions and Human Rights verwendet. Dennoch werden von staatlichen Stellen in Deutschland häufig andere Definitionen zugrunde gelegt So fehlt etwa auch im kürzlich vom Bundesinnenminister vorgestellten Verfassungsschutzbericht 2007 der Bezug auf diese Definition. Die Basis der Erhebungen auf Länderebene ist zum Teil noch unklarer – und damit auch die Vergleichbarkeit.

 

Es freut mich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass die Webseite des European Forums on Antisemitism (www.european-forum-on-antisemitism.org) gegenwärtig Definitionen in 20 Sprachen, darunter Deutsch, enthält. Somit kann sie auch in Deutschland helfen, die Definition zur Grundlage der Aufzeichnung von Vorfällen zu machen.

 

Ich möchte auch auf ein System der Datenerhebung zu Antisemitismus in Schulen aufmerksam machen, dass gerade in Frankreich eingeführt worden ist. Deutsche Schulverwalter haben uns darauf hingewiesen, dass ihnen und der Justiz viele Vorfälle nicht angezeigt werden, weil es weder eine Definition noch ein effektives System der Überwachung gibt. Hinzu kommt bei etlichen Lehrern Unkenntnis über jüdisches Leben, Geschichte und Kultur und den Nahostkonflikt.

 

2) Forschungsprojekte zur besseren Definition und Bekämpfung von Antisemitismus sollten konzipiert und in Auftrag gegeben werden.

Trotz wichtiger Arbeiten am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin und der Universität Bielefeld, wird relativ wenig zu dem Thema geforscht. Eine großangelegte Studie zum Antisemitismus hülfe sowohl Regierungen wie Nichtregierungs-Organisationen bei der Erarbeitung von Gegenstrategien.

 

3) Dringend gebraucht werden Lehrpläne in Schulen, um Wissen über jüdisches Leben und Geschichte und über das heutige Israel zu verbessern.

Das Material sollte berücksichtigen, dass ein Drittel der heutigen Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund haben und wenig bis nichts über das Judentum und den Holocaust wissen.

 

4) Lehrer, Mitarbeiter von Verwaltungen, Polizisten und Justizmitarbeiter, Journalisten, Religionsvertreter und andere benötigen Schulungen, damit sie für Ausdrucksformen des Antisemitismus sensibilisiert werden.

Schulungen sollten Bestandteil der Ausbildung von Juristen, Pädagogen, Journalisten, Theologen, Polizisten und anderen Bildungsforen sein, die sich mit Antisemitismus befassen. Darüber hinaus würden Schulungen der heute tätigen Mitarbeiter der Verwaltungen, Polizei, Justiz, Medien, Schulen und religiösen Institutionen die Sensibilisierung und Bereitschaft zur Bekämpfung des Antisemitismus verbessern. Unwissen und zu wenig Erfahrung im Umgang mit Verbrechen aus Hass führt dazu, dass sie oft nicht erkannt und somit nicht angezeigt werden. Wünschenswert wäre beispielsweise die Übernahme Law Enforcement Officer Programme on Combating Hate Crime (LEOP) auf Länderebene. LEOP wurde vom OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte entwickelt.

 

5) Programme zur Bekämpfung von Antisemitismus benötigen langfristige Strategien.

Es wurden in den letzten Jahren einige Modellprojekte entwickelt und durchgeführt, doch aus Finanzierungsgründen wurden nur wenige fortgesetzt. Regierungsmittel werden bevorzugt für kurzfristige Projekte gewährt und sind mit hohem bürokratischem Aufwand zu dokumentieren. Dies erschwert es kleinen und experimentierfreudigeren NGOs stabile Arbeitsstrukturen aufzubauen, um ihre Arbeit konstant zu verrichten.

 

6) Es ist sehr wünschenswert, einen Bundesbeauftragten auf Parlaments- oder Regierungsebene einzusetzen.

Diese Person würde die Überprüfung verbessern, Gegenstrategien umsetzen, die verschiedenen Ebenen der Regierung koordinieren und jedes Jahr einen Bericht vorlegen, in dem die Vorfälle, Trends und Aktionen gegen Antisemitismus dargelegt werden.

 

Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, meine Erfahrungen und Vorschläge darzustellen. Trotz des sichtbaren Fortschritts bei der Bekämpfung des Antisemitismus bleibt noch viel zu tun. Ich bin sicher, dass die hier anwesenden angesehenen Abgeordneten Wege finden werden, längerfristige Mechanismen zu finden, um das schädliche Problem des Antisemitismus anzugehen.

 

 

 

 


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