Antisemitismus der klugen Kerle

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Antisemitismus der klugen Kerle

 

Von Henryk M. Broder

 

Weltwoche, 02.07.2008

 

 

Zu den Sätzen, mit denen man auf jeder Party Punkte sammeln kann, gehören Gemeinplätze wie „Die Basis ist die Grundlage des Fundaments“, „die Armut kommt von der Powerteh“ und „Antisemitismus ist eine Frage der Bildung“. Während die beiden ersten Behauptungen über jeden Zweifel erhaben und richtig sind, erweist sich die dritte immer wieder als reines Wunschdenken. Antisemitismus hat so viel mit Bildung bzw. Unbildung zu tun wie Durchfall mit der politischen Haltung des Betroffenen. Dennoch ist die Überraschung jedes mal groß, wenn ein Angehöriger der gebildeten Schichten mit beiden Beinen im antisemitischen Fettnapf erwischt wird.

Wie der Direktor des Sportwissenschaftlichen Instituts an der Universität Göttingen, Prof. Dr. Arnd Krüger, ein bekannter und anerkannter Sporthistoriker. Er hat Hunderte von Beiträgen zur Kulturgeschichte des Sports und angrenzender Disziplinen veröffentlicht – über Nudismus in Nazi-Deutschland, internationalen Arbeitersport, Sport, Politik und Appeasement in den 30er Jahren, die Anfänge der olympischen Bewegung in Europa.

In der Juni-Ausgabe des Göttinger Hochschulsportmagazins „Seitenwechsel“ erschien ein Interview mit Krüger, in dem er u.a. auch gefragt wurde, ob es stimmen würde, dass er 1972 „als Betreuer der israelischen Olympiamannschaft“ einem der Ringer „zur Flucht verholfen“ habe, als die Israelis von einem palästinensischen Terrorkommando überfallen wurden. Das sei so nicht gewesen, antwortete Krüger, er habe die israelischen Leichtathleten 1971 bei den „Vorolympischen Spielen“ betreut. Ob er auch ein Jahr später in München dabei war, ließ Krüger offen, trotzdem erzählte er eine Geschichte, die bis dahin niemand je gehört hatte.

„Als die Attentäter in das Olympische Dorf eindrangen, flüchtete einer der Geher als letzter aus dem israelischen Quartier über den Balkon. Er hatte zentimeterdicke Brillengläser, d.h. er war praktisch blind ohne Brille. Und wenn jemand wie er flüchten konnte, hätte jeder flüchten können. Aber die Anderen wollten nicht, sie hatten sich freiwillig gemeldet und wussten, dass die Palästinenser kommen würden. Nicht wann – aber dass.“

Der Interviewer wollte weder wissen, woher diese Informationen stammten, noch warum Krüger sie 36 Jahre für sich behalten hatte; das Interview wurde gedruckt und blieb unbemerkt, obwohl „Seitenwechsel“ mit einer Auflage von immerhin 12.500 Exemplaren erscheint und auch außerhalb von Göttingen gelesen wird.

Kurz darauf nahm Prof. Dr. Arnd Krüger an einer Tagung der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft in Göttingen teil, wo er  über das Olympia-Attentat von 1972 in München sprach – sozusagen die Fortsetzung des Interview-Statements. Seine Kollegen trauten ihren Ohren nicht, als Krüger seine Version des Anschlags vor ihnen ausbreitete. Er habe gesagt, erinnert sich ein Teilnehmer der Tagung, „die jüdischen Sportler hätten gewusst, dass es ein Attentat geben werde, sie seien freiwillig in den Tod gegangen für eine größere jüdische Sache“, Krügers Beitrag „war ein Skandal, der mit Wissenschaft nichts zu tun hatte, eine antijüdische Räubergeschichte“.

Freilich: Zu einem richtigen Skandal wurde die „Räubergeschichte“ erst, nachdem sie von einigen Medien, u.a. dem Deutschlandfunk und Spiegel online, aufgegriffen wurde. Es ging nicht nur um Krügers Ruf, auch das Ansehen der Göttinger Uni war in Gefahr, die zu den Hochschulen mit „Exzellenz“-Status gehört.

Während Krüger abtauchte und telefonisch nicht zu erreichen war, gingen auch seine Kollegen vom Institut für Sportwissenschaften auf Distanz. Professor Schröder sei auf Dienstreise, hieß es aus dem Sekretariat, Professor Buss nur während seiner Sprechstunde, dienstags von 12 bis 13, zu erreichen. Anfragen beim Rektorat wurden an die Pressestelle weiter geleitet, dort war zu erfahren, der Präsident der Universität habe die Ombudskommission beauftragt, die Äußerungen von Krüger entsprechend den Regeln „guter wissenschaftlicher Praxis“ zu prüfen, das könnte aber eine Weile dauern. In einer „Erklärung“, die der Präsident der Universität am Montagabend herausgab, hieß es, „Thesen oder Hypothesen von Angehörigen der Universität (müssen) im wissenschaftlichen Diskurs behandelt und bewertet werden, bevor sie von der Hochschulleitung kommentiert werden“. Zugleich distanzierte sich das Präsidium „entschieden von allen Äußerungen rassistischen oder auch antisemitischen Inhaltes innerhalb und außerhalb der Universität“ und bedauerte es „zutiefst, dass Äußerungen eines Göttinger Wissenschaftlers Anlass dazu gegeben haben, als Angriff auf den Staat Israel und seine Bürger oder als antisemitische Positionen verstanden zu werden“.

Im Klartext: Das Präsidium der Göttinger Uni distanzierte sich von allem, nur nicht von den Ansichten Krügers. Und es bedauerte, dass seine Äußerungen missverstanden worden sein könnten. Krüger selbst meldete sich zeitgleich mit einer mail zu Wort, in der er versicherte: „Ich bedaure sehr, dass der Eindruck entstanden ist, als sei ich ein Anti-Semit.“ 

Früher war der Antisemitismus der „Sozialismus der dummen Kerle“ (Bebel), heute kommt der Antisemitismus der klugen Kerle auch in besseren Kreisen vor.

C: Weltwoche, 3.7.2008

 

 

 

 


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