Zynische Kriegsführung

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Jerusalem, 16. Juli 2008 – Bis zur letzten Minute hielt die libanesische Hisbollah-Miliz die Israelis und vor allem die Familienangehörigen der beiden am 12. Juli 2006 in den Libanon entführten Soldaten im Finsteren. Selbst eine halbe Stunde vor Beginn des vom BND-Vize Gerhard Konrad vermittelten Austauschs erklärte die Vertreterin des IKRK (Internationales Komitee des Roten Kreuzes): „Wir haben keine Ahnung, was die Hisbollah übergeben wird.“
Während die israelische Seite des Grenzübergangs in Rosch Hanikra zum militärischen Sperrgebiet erklärt und völlig abgeschirmt worden war, entstand auf der libanesischen Seite plötzlich Bewegung. Ein Vertreter des IKRK sprach vor laufenden Kameras mit Vertretern der Hisbollah und dem libanesischen Geheimdienstchef. Und dann erschienen Herren im dunklen Anzug und mit Sonnenbrille. Sie trugen zwei lackierte schwarze Kästen und stellten sie vor einer Bühne mit Orchester auf den Boden. Die Bühne stand schon bereit für die Siegesfeiern der Hisbollah, in Erwartung der Freilassung fünf lebender Gefangene  aus israelischen Gefängnissen. Unter ihnen ist auf der Druse Samir Kuntar, der vor dreißig Jahren mit äußerster Brutalität bei einem Terroranschlag in Naharija eigenhändig eine ganze israelische Familie auslöschte. Kuntar war in Israel zum Symbol des Terrors geworden, wegen der langen Haftzeit aber im Libanon zum Symbol des Widerstandes gegen Israel.
So wurde die Mitteilung vom Tod der Soldaten Udi Goldwasser und Eldad Regev Teil einer zynischen psychologischen Kriegsführung der Hisbollah gegen Israel. „Die Familien brachen zusammen. Sie hatten nicht mit soviel zusätzlicher Grausamkeit gerechnet“, sagt ein Angehöriger wenige Minuten, nachdem per Fernsehen die Gewissheit um den Tod der Soldaten übermittelt worden ist.
Mit so viel Zynismus hatte man in Israel nicht gerechnet. Anstatt die Särge in einem geschlossenen Lastwagen des Roten Kreuzes über die Grenze zu bringen, damit sie von Experten für die endgültige Identifizierung durch Pathologen geprüft werden könnten, war die fernsehgerechte Präsentation der beiden schwarzen Särge ein weiterer „Gipfel der Brutalität“, wie es ein ehemaliger Militärrabbiner formulierte. Denn eigentlich sollten die Familien Goldwasser und Regev von einem General, begleitet von Ärzten und Psychologen, einfühlsam über den Tod der Soldaten informiert werden, nachdem sie identifiziert worden sind. „Schaut doch, wie die uns bis zum letzten Augenblick seelisch quälen“, sagt der Vater eines im Libanon 1982 verschollenen Soldaten. „Heute Nachmittag wird Israel 199 Leichen von Hisbollahkämpfern an den Libanon übergeben, aber pietätvoll, abgeschirmt und mit Hilfe des Roten Kreuzes, ohne daraus eine Fernsehshow zu machen.“
In Israel gab es zwei Jahre lang immer noch einen Funken der Hoffnung, dass die Soldaten ihre schweren Verletzungen vielleicht doch überlebt hätten. Doch in internen Reports des Geheimdienstes war der Tod der Soldaten schon während ihrer Verschleppung in den Libanon ziemlich sicher, nachdem man festgestellt hatte, dass die Soldaten schon während des Überfalls auf ihren Humvie-Jeep sehr viel Blut verloren hätten. Gleichwohl hielt das offizielle Israel am Standpunkt fest, dass sie noch leben, solange es keine Gewissheit über ihren Tod gebe.
Die ganze Bevölkerung bangte mit. Es gab Demonstrationen und Liederabende in Tel Aviv, Marathonläufe und Kundgebungen, um die Regierung zu drängen, alles in ihrer Kraft stehende zu tun, die beiden „Jungs“ nach Hause zu bringen, im schlimmsten Fall auch tot, um sie ordentlich begraben zu können.
Nachdem nun die Mitteilung vom Tod der Soldaten per Fernsehen im grellen Sonnenlicht übermittelt worden war, kamen in Israel erste Stimmen auf, den weiteren Ablauf des Austausches zu stornieren. Denn der ausgehandelte Preis, fünf lebende „Terroristen“ plus 199 Leichen libanesischer Kämpfer, im Tausch für zwei Tote sei zu hoch.
Und während in Israel Gedenkkerzen unter Plakaten mit den Bildern der beiden Soldaten angezündet wurden gingen in Beirut und auf der libanesischen Seite der Grenze die Vorbreitungen für die angesagten „Siegesfeiern“ weiter.

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