Sargnägel, Pressezensur und Kämpfe

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Jerusalem, 3. August 2008 – Das Viertel Sadschaije zwischen Gaza-Stadt und der Grenze bei Kibbuz Nahal Oz wurde von der Hamas zum „militärischen Sperrgebiet“ erklärt. Hamas-Kämpfer stürmten die letzte Hochburg Fatah-Getreuen des Präsidenten Mahmoud Abbas: der Hilles-Clan hatte sich in dem von Hamas kontrollierten Gazastreifen ihr eigenes verschanztes Areal geschaffen, ein „illegales militärisches Trainingslager“, wie es der Sprecher der Hamas-Polizei Islam Shahwan bezeichnete.
Am Freitag vor einer Woche ging am Strand von Gaza vor einem Café eine Autobombe los. Fünf El Qassam Kämpfer der Hamas wurden getötet, und ein sechs Jahre altes Mädchen. Für die Hamas erübrigten sich Ermittlungen. Ihr war klar, dass nur die im Gazastreifen verbliebenen Fatah-Leute Rache verüben könnten. Der Hauptverdacht fiel auf Ahmad Hilles, Chef des Hilles-Clans.
Die Hamas gab das Zeichen zum Angriff. Mindestens 600 Männer wurden verhaftet, darunter auch der Gouverneur von Gaza, ein Mitglied des ZK der PLO und andere tatsächliche oder vermeintliche Fatah-Anhänger. Die „Sicherheitszone“ der mächtigen Hilles-Familie wurde mit Mörsern, Raketen und Maschinengewehrsalven angegriffen. Die Hilles-Kämpfer erwiderten das Feuer mit ebenso schwerem Kriegsgerät und Straßenbomben. Mindestens drei Hamaskämpfer  und sechs andere starben bei den schweren Gefechten. Über 80 Menschen, darunter 16 Kinder, seien durch Splitter der Mörsergranaten verletzt worden. Am Samstag fiel schließlich die Fatah-Enklave. Zunächst wollten die Männer des Hilles-Clan „bis zum letzten Mann“ kämpfen. Doch bis zum Nachmittag hatten sich die meisten der Hamas ergeben. Etwa 180 geschlagene Hilles-Leute flüchteten in Richtung Israel, einige von ihnen schwer verletzt. Die Hamas schoss weiter. Präsident Abbas rief beim israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak an und flehte ihn an, die Fatah-Kämpfer nach Israel einzulassen. Ahmad Hilles, Chef des Clans, wurde angeblich von den Israelis ins Bein geschossen, als er sich der Todeszone entlang des Grenzzauns näherte. Die israelischen Soldaten wollten nicht ihr Leben riskieren. Die Rettungsaktion wurde vom Nachmittag auf die Nacht, nach Einbruch der Dunkelheit, verschoben. Die bewaffneten Fatah-Leute legten ihre Gewehre auf der palästinensischen Seite der Grenze ab und wurden durch den Sicherheitszaun eingelassen. Sie mussten sich bis auf die Unterhose ausziehen. Ihre Hände wurden mit Plastikbanden auf dem Rücken gefesselt. Mit verbundenen Augen wurden sie auf Militärlager rund um den Gazastreifen verteilt, zwecks Verhör. Die Schwerverletzten wurden in israelische Krankenhäuser geflogen.
Vierzig geflohene Fatah-Leute wollten jedoch nicht das gleiche Schicksal erleiden, wie hunderte Fatah-Kämpfer, die nach dem Putsch der Hamas vor einem Jahr nach Ägypten oder über Israel nach Ramallah geflohen waren.  Sie wollten in den Gazastreifen zurückkehren, um bei ihren Familien zu sein. Am Sonntag hieß es, dass die Hamas sie verhaftet habe.
Für die Hamas mit ihren schätzungsweise 10.000 Mann unter Waffen war das ein großer „Sieg“, zumal sie in der Hilles-Hochburg nach eigenen Angaben Waffen aus Beständen der israelischen Armee entdeckten. Schon kamen Gerüchte auf, dass Israel auf Seiten der Fatah einen Aufstand gegen die Hamas in Gaza schüre.
„Das ist ein weiterer Sargnagel für Präsident Abbas“, kommentiert der arabische Journalist Khaled Abu Toameh den Fall des letzten Fatah-Stützpunktes im Gazastreifen. Die Hoffnung der PLO in Ramallah, den Gazastreifen zurückzuerobern, müsse endgültig begraben werden. Die Hamas hatte nach ihrem Putsch nicht alle Milizen entwaffnet, darunter die El Aksa Brigaden und die Extremisten des islamischen Dschihad. Die härteste Nuss für die Hamas und ihrem Streben nach exklusiver Herrschaft im Gazastreifen bleibt der berüchtigte Durmusch-Clan mitsamt seiner „Islamischen Armee“. Seit dem Anschlag vor einer Woche, wolle die Hamas durchgreifen und den Gazastreifen von allen „feindseligen“ Elementen säubern.
Aus israelischer Sicht unterschieden sich die extremistischen Organisation weder in ihrer Ideologie noch in ihrem Bemühen, israelische Grenzorte mit Raketen zu treffen.
Welches Schicksal die nach Gaza zurückgekehrten Fatah-Leute und hunderte Festgenommene erwartet, lässt sich nur erraten. Denn aus dem Gazastreifen dringen kaum noch zuverlässige Informationen. Die Kämpfe dürfen nicht gefilmt werden. Neue Fernsehaufnahmen zeigen nur bärtige Hamas-Polizisten, wie sie den dürftigen Verkehr regeln. Mehrere Journalisten, darunter ein Kameramann der ARD, wurden zeitweilig bei Razzien festgenommen. Nur über den ARD-Mann wurde berichtet, dass er nach schwerer Folter in einem „sehr schlechten Zustand“ wieder freigelassen worden sei. Er sei befragt worden, wieso die ARD so „negativ“ über die Hamas berichte. Ein anderer Journalist, der für den Hisbollah-Sender Al Manar  und die palästinensische Nachrichtenagentur Maan berichtete, wurde ebenfalls verhaftet. Dr Hassan Abu Haschisch, Leiter des Pressebüros der Hamas-„de facto Regierung“ (so die palästinensische Bezeichnung) bezichtigte die Presse, „fehlerhaft“ berichtet zu haben, indem sie die Maßnahmen der (Hamas) Sicherheitskräfte als „klare Gesetzesverstöße“ bezeichnet hätte.
Die Feindseligkeiten bleiben nicht auf den Gazastreifen beschränkt. Aus Rache oder als Druckmittel, um die Freilassung der gefangenen Fatahleute in Gaza zu erzwingen, veranstalteten auch die Fatahtreuen Sicherheitskräfte im Westjordanland Razzien und verhafteten Hamas-Leute. Sollte Abbas nicht deren sofortige Freilassung anordnen, so ein Hamas-Sprecher in Gaza, werde die Hamas bald auch das Westjordanland übernehmen. Wohl auch, um Druck auf Israel auszuüben, drohte Abbas im Laufe der Woche mit einer Auflösung der Autonomiebehörde, oder mit der einseitigen Ausrufung eines palästinensischen Staates. Israel mischt sich im Augenblick nicht offen in das innerpalästinensische Chaos ein. Am Kabinettstisch wurde am Sonntag die Einführung biometrischer Daten in Ausweispapiere debattiert.

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