Dieser Aufsatz erschien, leicht gekürzt, im Feuilleton der FAZ vom 18.September 2008 und zwar unter dem Titel „Jüdischer Antisemitismus – Kurzer Lehrgang über den Selbsthass“ mit folgender Einführung:
„Juden wie Evelyn Hecht-Galinski und Alfred Grosser, die ihre chronischen Identitätsprobleme auf andere Juden projizieren, gibt es nicht erst seit der Gründung des Staates Israel.”
Untenstehend der Originaltext.
Über Antisemitismus, Israel-Kritik und jüdischen Selbsthaß
Von Prof. Dr. h.c. Arno Lustiger
Die Judenfeindschaft ist so alt, wie die jüdische Diaspora, über 2000 Jahre. Schon um das Jahr 100 n.Chr. widerlegte der jüdisch-römische Historiker Josephus Flavius in seinem wenig bekannten Werk „Contra Apionem” eindrucksvoll die kruden judenfeindlichen Ergüsse des alexandrinischen Schriftstellers und Hetzers Apion, eines antiken Julius Streicher. Apions römischer Zeitgenosse Plinius d.J. bezeichnete ihn als „mendax et delator” – Lügner und Angeber.
Schon immer waren Judenfeinde sehr flexibel in der Auswahl ihrer Argumente, die sie ständig den Umständen und dem jeweiligen Zeitgeist anpassten. Es gab und gibt den rassistischen, links- und rechtsgerichteten, kirchlichen, islamischen und den mörderischen, eliminatorischen Antisemitismus, der Millionen von Juden das Leben kostete.
Diverse Facetten des Antisemitismus
Da nach dem Holocaust offener Antisemitismus kurzfristig nicht mehr opportun war, versteckt er sich heute hinter der Maske des Antizionismus. Jean Amery betrachtete den elitären Antizionismus der Linken als banalen Antisemitismus. In einer Rede im Jahre 1969 schleuderte Jean Amery seinen linken Gesinnungsgenossen den Satz entgegen: „Es gibt keinen ehrbaren Antisemitismus”. Einige Jahre später beging der ehemalige KZ-Häftling Selbstmord.
Der bekannte Literaturhistoriker und engagierte Linke Hans Mayer schrieb in dem 1975 erschienenen Buch „Außenseiter”, das als sein Hauptwerk betrachtet wird:
„Wer den „Zionismus” angreift, aber beileibe nichts gegen „die Juden” sagen möchte, macht sich und anderen etwas vor. Der Staat Israel ist ein Judenstaat. Wer ihn zerstören möchte, erklärtermaßen oder durch eine Politik, die nichts anderes bewirken kann als solche Vernichtung, betreibt den Judenhaß von einst und von jeher “
Für mein „Rotbuch: Stalin und die Juden” erforschte ich den sowjetischen Antisemitismus und die Judenverfolgungen in den Staaten des Ostblocks. Folgerichtig wurde ich gebeten, die Ausstellung „Das hat’s bei uns nicht gegeben – Antisemitismus in der DDR” in mehreren Städten zu eröffnen, u.a. in Berlin und Trier.
Die Medien, manche Politiker und sogar Geistliche stilisierten Israel zum kollektiven Juden. Norbert Blüm, die Bischöfe Gregor Maria Hanke und Walter Mixa vergleichen den um sein Überleben kämpfenden Staat Israel mit dem verbrecherischen Naziregime und die Palästinensergebiete mit Ghettos.
Kurzer Lehrgang über den jüdischen Selbshaß
Das Wortpaar „selbst” und „Haß” ist eine contradictio in adiecto, denn warum soll man sich selbst hassen, wenn die anderen es sowieso tun. Trotzdem schmerzt uns Juden der jüdische Selbsthaß am meisten. Die als Juden geborenen christlichen Konvertiten, wie Pablo Christiani, Nicholas Donin und Johannes Pfeferkorn, begründeten schon im Mittelalter die Judenverfolgungen der Kirche als Kronzeugen gegen die Juden. Karl Marx verfasste 1843, im Alter von 25 Jahren, die antisemitische Schrift „Zur Judenfrage”. Der russisch-jüdische Apostat Jakow Brafman war Autor des antisemitischen Machwerkes von 1869 „Das Buch vom Kahal”.
Arnold Zweig schrieb 1927, dass der jüdische Selbsthaß eine Form der Ich-Entwertung und Verneinung des eigenen Wesens sei. Der Kulturphilosph Theodor Lessing, der vor 75 Jahren von bezahlten Nazi-Killern in Marienbad ermordet wurde, verfasste das 1930 erschienene Buch „Der jüdische Selbsthaß”, den er als psychopathologisches Problem definierte. Er schilderte die Leidensgeschichte von Juden, die das Fremde mehr liebten als sich selbst, die das Jude-Sein als Makel und Belastung betrachteten, weil sie die christlich-antijüdischen Stereotype übernahmen und daran zugrund gingen. Es waren Juden wie Arthur Trebitsch und Maximilian Harden. Paul Rée, Max Steiner Walter Calé und Otto Weininger hielten diese Spannung nicht aus und begingen Selbstmord.
Für den getauften Wiener Juden Karl Kraus galt das Judentum als Inbegriff alles Negativen der modernen Zivilisation. In seiner Zeitschrift „Die Fackel” kam der Antisemit, esoterische Spinner und Rassentheoretiker Jörg Lanz von Liebenfels oft zu Wort, von welchem Hitler seine verqueren rassistisch-nationalistischen Ideen, z.B. auch das Hakenkreuz-Symbol, geklaut hat. Kein Wunder, dass dem witzlosen Witzbold Kraus nach 1933 zu Herrn Hitler „nichts einfallen” konnte.
Hugo von Hofmansthal versuchte seine Abstammung vom Hoffaktor Isaak Löw Hofmann zu kaschieren. Auch das Leben des gefeierten Theaterkritikers, Essayisten und Autors der dreibändigen „Kulturgeschichte der Neuzeit“ von 1927 Egon Friedell (eigentlich Friedmann) war von jüdischen Selbsthaß geprägt. Nach 1933 erfand er eine eigene Rassentheorie, nach welcher er Arier wäre. Er wollte sich mit den Nazis arrangieren, was jedoch misslang. Als er im März 1938 in Wien verhaftet werden sollte, sprang er aus dem Fenster in den Tod.
1986 erschien das Standardwerk von Sander L. Gilman „Jewish Self-Hatred” über das Selbstverständnis von Juden, die alles Jüdische und die jeweiligen Aspirationen des jüdischen Volkes bekämpften und hassten, sei es Religion, Emanzipation oder Zionismus. 1993 erschien das Werk auch im „Jüdischen Verlag”
Für die heutigen jüdischen Selbsthasser stellt der Staat Israel die ideale Projektionsfläche für ihre Probleme dar. Zu den virulententesten jüdischen Selbsthassern gehört der amerikanische Sprachwissenschaftler Noam Chomsky. Zu ihnen zählt auch Moshe Menuhin, Vater von Yehudi Menuhin, der als Rechtsradikaler und ständiger Autor für Dr. Freys Neonazi National Zeitung schrieb. Gerard Menuhin, Yehudis Sohn, perpetuierte die rechtslastige Veranlagung seines Grossvaters und war Autor einer Kolumne „Menuhin und wie er die Welt sieht”, auch in der National Zeitung.
Was ist Antisemitismus?
Kann oder darf der Antizionismus als Antisemitismus betrachtet und definiert werden? Die von der Europaunion geschaffene Arbeitsstelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien EUMC hat am 18.März 2005 die von allen EU-Staaten nach vielen Beratungen verabschiedete Definition, was Antisemitismus sei, veröffentlicht.
Danach ist ist Antisemitismus:
wenn man dem jüdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung abspricht, etwa durch die Behauptung, Israel sei ein rassistischer Staat,
wenn man einen doppelten Standard anwendet, indem man an Israel Verhaltensansprüche stellt, die von keiner anderer demokratischen Nation erwartet werden,
wenn man zur Charakterisierung Israels oder der Israelis Symbole und Bilder des klassischen Antisemitismus, wie dem Vorwurf, Juden hätten Jesus getötet oder Blutsbeschuldigung verwendet,
wenn man die heutige Politik Israels mit der Politik der Nazis vergleicht oder gar gleichsetzt,
wenn man Juden kollektiv für das Verhalten des Staates Israel verantwortlich macht.
Der Dissident und langjährige Gulag-Häftling Anatoli Scharanski definierte den Antisemitismus wie folgt: „Doppelte Moral gegenüber Israel, dem jüdischen Volk oder dem einzelnen Juden, Dämonisierung und Delegitimierung Israels”
Neu-alter Judenhaß
In dem von Klaus Faber, Julius Schoeps und Sacha Stawski in Berlin erschienen Sammelband „Neu-alter Judenhaß” haben sich 31 Autoren ganz unterschiedlicher Orientierung geäussert. Es sind Juden und Nichtjuden, Wissenschaftler, Politiker und andere im Kampf gegen den Antisemitismus Engagierte, die zu verschiedenen Aspekten des neu-alten Judenhaßes Stellung beziehen: deutsche Medien und Nahostkonflikt, islamischer Antisemitismus und Handlungsbedarf in der Politik.
In meinem Vorwort schrieb ich dort u.a. „
„Die Existenz Israels in sicheren Grenzen und die Unterstützung des Judenstaates gehören zu den Konstanten der bundesrepublikanischen Politik. Deutschland ist nach den USA der wichtigste Verbündete und Partner Israels. Das war und ist hier immer Konsens gewesen und dafür bin ich als deutscher Jude sehr dankbar. Beachtliche Teile der radikalen deutschen Linken und anderer politischer Formationen, auch in den Volksparteien, haben leider oft an diesem politischen Konsens gerüttelt.”
In einem Brief, der allen Bundestagsabgeordneten, zusammen mit einem Buchexemplar zuging, schlug ich eine jährliche Anhörung im Bundestag zum Thema Antisemitismus vor. In der ersten Anhörung am 17.Juni d.J. meinte Henryk M. Broder, dass man beim Antisemitismus nicht mit einem Vorurteil, sondern mit einem Ressentiment zu tun habe. Ein Vorurteil zielt auf das Verhalten eines Menschen, ein Ressentiment auf dessen Existenz. Der Antisemitismus gehört in die Kategorie der Ressentiments. Der Antisemit nimmt dem Juden nicht übel, wie er ist und was er tut, sondern dass er existiert.
Der Galinski, Broder und Grosser-Streit
Im aktuellen Streit der chronischen Tochter Galinski gegen Henryk Broder ist ein neuer Akteur erschienen, der chronische Sohn, Prof. Alfred Grosser, dessen Vater Prof. Paul Grosser von 1908 bis 1933 in Frankfurt wirkte, zuletzt als Chefarzt des Clementine (Rothschild) Kinderkrankenhauses.
In einem umfangreichen Artikel in der „Frankfurter Rundschau” vom 19. Februar 2007 schilderte Grosser, der viele Jahre Kolumnist der katholischen Zeitung „La Croix” in Paris war, seine Probleme bei der Veröffentlichung seiner israelkritischen Texte, sowohl in Frankreich, im Magazin „L´Express” und in der „Tribune Juive”, wie auch in Deutschland, im Magazin „Focus”. Seine Artikel wurden entweder nicht gedruckt oder zensiert. Wie viele Antizionisten hebt Grosser zur Verstärkung seiner Argumente ausführlich seine jüdische Herkunft hervor.
Die Melzer-Affäre
Im erwähnten FR-Artikel werde ich namentlich der Verhinderung einer Lesung in Frankfurt beschuldigt. Diese Anklage wiederholte Grosser in der FAZ im Beitrag „Verschleierung als Methode” vom 1.September d.J.
Der Sachverhalt: Der einschlägig bekannte jüdische Antizionist Abraham Melzer hat für eine Lesung des Buches von Rupert Neudeck am 20.Januar 2006 „Ich will nicht mehr schweigen. Über Recht und Gerechtigkeit in Palästina”einen Raum in der evangelischen Heilig-Geist-Kirche in Frankfurt gemietet, die er als „Veranstaltung für den Frieden” deklarierte. Er verschwieg jedoch, dass er dort auch ein Buch von Hajo G. Meyer „Der Untergang des Judentums”, vorstellen würde, dessen Titel dieser vom 1931 erschienenen Werk des Kommunisten und Antizionisten Otto Heller gestohlen hat. Heller behauptete, dass es für Juden nur in der Sowjetunion eine Zukunft geben würde. Das Buch ist bis heute die Bibel der arabischen Feinde Israels; das Palästina-Komitee in Bonn hat 1975 einen Reprint herausgegeben.
Zitate aus den genannten Machwerken will ich mir aus hygienischen Gründen ersparen. Die Vorstellung, dass eine Kirche zwei jüdischen Antisemiten und Feinden Israels eine Tribüne für ihre Hetze bieten würde, hat mich empört. Melzer schrieb mir danach einen beleidigenden Brief, in welchen es u. a. heisst: „Sie haben die Nazi-Ideologie und Nazi-Methoden sehr verinnerlicht”. Mein Protest hat mir ausserdem Beleidigungen in mehreren rechstradikalen Internetseiten eingebracht. Wahrscheinlich dort hat Prof. Grosser seine Invektiven gegen mich heruntergeladen.
Warum habe ich so gehandelt? Vierzig lange Jahre war ich stellv. Vorsitzender der Budge-Stiftung in Frankfurt, dem einzigen und zudem grossen jüdisch-christlichen Altenzentrum in Europa. Ich bin auch seit Jahren Kuratoriumsmitglied des „Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit”. Seit Jahrzehnten pflege ich die Freundschaft mit vielen Nichtjuden und christlichen Geistlichen. Dies ist ein Stück meines Lebens. Im Protest gegen diese Veranstaltung, die dann abgesagt wurde, ist es mir gelungen, moralischen Schaden von der evangelischen Kirche abzuwenden.
Prof.Dr. h.c. Arno Lustiger ist Autor von mehreren Büchern und vielen Essays zur jüdischen Geschichte. Er wurde für sein Lebenswerk mehrfach ausgezeichnet und ist Ehrenmitglied des ZK der Zionistischen Weltorganisation in Jerusalem auf Lebenszeit.
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