Olmert zurückgetreten

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ULRICH W. SAHM – Olmert zurückgetreten
Jerusalem, 21. September 2008 – Erst einmal zählte der sportbegeisterte Ministerpräsident Ehud Olmert alle israelischen Medaillen bei den paralympischen Spielen in Peking auf und gratulierte den behinderten Sportlern. Dann kam er zur Sache. Es sei kein „leichter Entschluss“ gewesen, vom Amt des Ministerpräsidenten zurückzutreten, sagte Olmert, nachdem er seiner Außenministerin Zipi Livni zur ihrer Wahl zum neuen Vorsitzenden der Kadima-Partei gratuliert hatte. Er wünschte Livni viel Erfolg bei einer „umgehenden und schnellen“ Errichtung der neuen Regierung.
Die Sanduhr beginnt aber erst am Mittag zu ticken, sowie Olmert beim Staatspräsidenten Schimon Peres sein formelles Rücktrittsschreiben hinterlegt hat. Genau sieben Tage stehen Peres gemäß dem israelischen Grundgesetz zur Verfügung, sich mit „allen“ Fraktionen in der Knesset, dem Parlament, zu „beraten“. Sie müssen ihm „empfehlen“ jenen Politiker zu ernennen, der die besten Chancen hätte, eine neue Regierung in der Nachfolge Olmerts zu bilden. Zwar ist schon klar, dass Livni das Mandat erhalten werde, doch Peres hat kaum Zeit, die gesetzliche Forderung in Muße zu erfüllen. Denn Peres soll den Staat Israel mit einer Rede vor der UNO-Vollversammlung am Mittwoch vertreten. Unter den bestehenden Umständen hätte scheel ausgesehen, wenn der zurücktretende Ministerpräsident nach New York geflogen wäre, obgleich Olmert kommissarisch bis zur Vereidigung seines Nachfolgers im Amt bleibt,  mitsamt allen Vollmachten. Um Peres die notwendige Zeit für die vorgeschriebenen Beratungen zu bieten, rieten Abgeordnete dem Ministerpräsidenten, sein Rücktrittsschreiben erst nach der Rückkehr von Peres aus New York zu hinterlegen. So aber wird der 84-jährige Peres die Gespräche mit allen Fraktionschefs bis Dienstag abschließen müssen, Livni mit der Regierungsbildung beauftragen und dann den Nachflug der EL AL am Dienstag nehmen müssen, um am Mittwoch morgen vor der UNO seine Rede halten zu können.
Livnis Drängen zur Eile am Freitag, als sie Olmert dazu aufrief, umgehend sein Rücktrittsversprechen einzulösen, könnte ihr wegen des engen Terminplans zum Verhängnis werden. Ungeachtet der zahlreichen jüdischen Feiertage im Herbst muss Livni nun bis zum 22. Oktober ihre Koalitionsverhandlungen abschließen, könnte aber eine Verlängerung um weitere zwei Wochen erhalten. Wenn ihre Bemühungen bis dahin, also Mitte November, ohne Erfolg bleiben, müssten 90 Tage später Neuwahlen stattfinden.
Das innenpolitische Karousel lief am Wochenende auf Hochtouren. Die frisch gewählte Kadima-Parteichefin Zipi Livni pendelte zwischen Treffen mit Politikern kleinerer Parteien und dem Krankenhaus, wo sich ihr Sohn Omri wegen akuter Darmentzündung einer Notoperation unterziehen musste. Ausgerechnet die beiden wichtigsten potentiellen Koalitionspartner der künftigen Regierung, verweigerten ein Treffen mit der Außenministerin.
Stattdessen trafen sich Benjamin Netanjahu vom konservativen Likudblock und Verteidigungsminister Ehud Barak von der sozialistischen Arbeitspartei separat und diskutierten dabei die angebliche „Notwendigkeit“ eine „nationale Notstandsregierung“. Der israelischen Bevölkerung das Gefühl eines „Notstands“ zu vermitteln und dann eine große Koalition ohne nennenswerte Opposition zu errichten, widerspricht zwar demokratischen Grundregeln, ist in Israel seit jeher populär. Doch hinter dieser innenpolitischen Neuregelung steckt eine ganz andere Absicht. Weil Neuwahlen anstehen könnten, verbünden sich Netanjahu und Barak gegen Livni, die an der Spitze der Kadima Partei die besten Chancen hätte, einen Wahlsieg davonzutragen. Denn „Notstandsregierung“ bedeutet im Klartext nur, dass der Likudblock, die größte Oppositionspartei, der Regierung beitritt. Ungeachtet der längst verwischten Widersprüche zwischen „links“ und „rechts“, könnten so die Revisionisten mit den Sozialisten zusammengehen, um die gemeinsame Hauptkontrahentin Livni auszubooten.


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