Bei den Siedlern in Benjamin

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Siedlerführer Avi Roe und Siedlersprecherin Yehudit Tayar

Jerusalem, 18. November 2008 – Ein gelber gepanzerter Bus des Regionalrats Benjamin wartet an Jerusalems Busbahnhof. Erstmals lud die Siedlerbewegung zu einer Pressefahrt ein. „Wir müssen unsere Standpunkte in Israel und in der Welt bekannt machen“, sagt Avi Roe, Leiter des Regionalrats. Unbeantwortet bleibt die Frage, warum die eher pressefeindlichen Siedler ausgerechnet jetzt eine Informationsfahrt für Auslandsjournalisten organisieren. Es könnten die Wahlen in Israel sein, oder auch Gerüchte über ein „Friedensabkommen“ zwischen Ehud Olmert und Mahmoud Abbas. Seit einem Jahr verhandeln Israels Premier und der palästinensische Präsident. Der umstrittene israelische Sperrwall, Zaun und Mauer, entlang der „Grünen Linie“ zwischen dem Kernland Israels und den besetzten Gebieten, markiert, welche Siedlungen Israel zugeschlagen werden sollen und welche Gebiete einst Teil eines palästinensischen Staates werden könnten. Die Welt übt Druck auf Israel aus, den Ausbau der „völkerrechtlich illegalen Siedlungen“ einzufrieren, und sie zu räumen.

Eliane erhebt mit der Bibel in der Hand territoriale Ansprüche im besetzten Westjordanland
Der schwere Bus quält sich durch die Staus in Jerusalem und fährt dann zügig inmitten palästinensischen Autos auf „Siedlerumgehungsstraßen“ nach Eli. Eine gesprächige fromme Amerikanerin, Tamar, und ihr Mann David führen die Journalisten durch die in der Bibel erwähnte Siedlung. 800 Familien haben da billigen Wohnraum in schmucken Villen mit roten Ziegeldächern gefunden. David zeigt auf das arabische Dorf Muchmasch auf dem gegenüberliegenden Hügel. Den ungeduldigen Reporten erzählt er langatmig die Geschichte von König Saul und seinem Krieg in Michmas gegen das Heer der Philister. „Gott stand auf der Seite seines Volkes.“ David versucht, einen Japaner, einen Chinesen und einen Schweizer zu überzeugen, dass die biblische Landschaft dem jüdischen Volk gehöre. Von der „Zwei-Staaten-Lösung“, einem palästinensischen Staat neben Israel, hält er überhaupt nichts. In Israel gebe es viele „happy Arabs“. Sie nähmen voll am demokratischen Leben des jüdischen Staates teil. Eine aus Libanon stammende jüdische Journalistin wird wütend: „Und die Palästinenser in den besetzten Gebieten haben keine Rechte?“ Für Siedler-Sprecher David ist das „kein Problem“. In jedem Land der Welt müssten Fremde ihre Loyalität zum Staat unter Beweis stellen. Die Palästinenser seien nicht loyal. Deshalb brauche Israel ihnen keine Rechte einräumen. Davids Frau Tamar geifert: „Wir Juden sind so friedfertig, weil wir alles Geld in die Erziehung unserer Kinder stecken. Die Palästinenser investieren jedoch nur in Waffen.“ Ein Schwede fragt nach der extremistischen „Hügeljugend“, junge Siedler, die Olivenhaine niederbrennen und Palästinenser gewalttätig an der Ernte hindern. „Das ist doch nur eine verschwindend kleine Minderheit“, erklärt Tamar. „Wir verurteilen jede Form von Gewalt. Immerhin gehen diese Jugendlichen nicht in Bars und besaufen sich nicht.“ Von einer demografischen Gefahr für den Bestand des jüdischen Staates, falls Millionen Araber Bürger Israels werden sollten, will David nichts gehört haben. „Millionen Juden aus aller Welt warten darauf, nach Israel einzuwandern.“
 
Großsiedlung Maaleh Adumim
Nächste Station ist Schilo, 1979 gegründet, 2100 Einwohner. Kleine „Viertel“ mit jeweils einem halben Dutzend Häusern stehen verteilt auf Hügelgipfeln. Eliana, Enkelin polnischer Holocaust-Überlebender, bittet die Busladung Journalisten in ihr Haus „im biblischen Stil“. Eine dicke blaue Bibel mit vielen Lesezeichen in der Hand erklärt 30 jährige Mutter von sechs Kindern, wie sie vom Wohnzimmer aus auf die Stelle schaue, wo vor über 3000 Jahren die Bundeslade mit den Gesetzestafeln des Moses bis zu ihrem Umzug in den Tempel Jerusalems gestanden habe. Mit leuchtenden Augen erzählt sie, wie sie aus jedem Fenster ihres Hauses eine andere „lebendige biblische Geschichte“ sehe. Die Palästinenser in den umliegenden Dörfern seien „viel später gekommen“. Sie „liebt“ die arabische Kultur und besuchte ihre Nachbarn, bis ein Palästinenser einen Siedler von Schilo nieder gestochen habe. Der Siedler erschoss den Palästinenser. Seitdem habe sie alle Kontakte abgebrochen. „Wirklich Angst habe ich eher in Tel Aviv oder in Jerusalem, nicht aber hier in Schilo“, erklärt sie. Sie glaubt nicht an einen bevorstehenden Rückzug.

Siedlervorposten im besetzten Gebiet

Auf dem Rückweg redet Busfahrer Salman mit der Reiseleiterin Yehudit Tayar, einer Siedlerin aus Bet Choron. Sie ist Ambulanzfahrerin und berichtet von einem schwer verletzten Israeli. Er wollte in einem arabischen Dorf einkaufen und wurde niedergeschossen. Immer wieder bremsen Soldaten an Sperren auf der „Siedlerumgehungsstraße“ den Verkehr. Vor Allem die vielen palästinensischen Autos werden geprüft. „Sie suchen nach dem gestohlenen Auto jenes Israeli“, sagt Tayar. Salman weist bei Ramallah auf Hochhäuser entlang der Siedlerstraße. Ihre Jalousien sind heruntergezogen. „Das sind keine Wohnhäuser, sondern palästinensische Stellungen. Wenn es soweit ist, werden sie diese Straße unter Beschuss nehmen.“ Über seinem Kopf klafft ein rundes Loch in der Windschutzscheibe. „Jeden Busfahrer hat es schon einmal erwischt. Die Kugel hat mich nicht getroffen“, sagt Salman seelenruhig, während der gepanzerte Bus der Siedlervereinigung an der letzten Straßensperre vor Jerusalem unkontrolliert von den Soldaten durch gewunken wird.

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