Resolution Nr. 1 verabschiedet auf der Zweiten Koordinierungskonferenz

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Koordinierungsrat

deutscher

Nicht-Regierungsorganisationen

gegen Antisemitismus

 

 

 

 

Berlin, den 24. November 2008

 

 

Resolution Nr. 1

 

verabschiedet auf der Zweiten Koordinierungskonferenz

deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus

 

 

A) Die Zweite Koordinierungskonferenz deutscher Nicht-Regierungs-organisationen gegen Antisemitismus begrüßt den am 4. November 2008 vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit gefassten Beschluss „Den Kampf gegen Antisemitismus stärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern.“ Die von allen Bundestagsfraktionen verabschiedete Erklärung ruft die Bundesregierung u. a. dazu auf, regelmäßig einen Bericht zur Antisemitismusbekämpfung vorzulegen sowie jüdische Einrichtungen zu fördern.

 

Am 18. Juni 2007 hatte die Erste Koordinierungskonferenz deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus in Berlin vor dem Hintergrund wachsender antisemitischer Strömungen in allen Teilen der Gesellschaft einen jährlichen Bericht der Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung gefordert. Eine entsprechende Forderung hatten zuvor auch Prof. Dr. h.c.
Arno Lustiger in zwei Schreiben an alle Bundestagsabgeordneten sowie die Herausgeber des Sammelbandes „Neu-alter Judenhass – Antisemitismus, arabisch-israelischer Konflikt und europäische Politik“ (Klaus Faber, Julius H. Schoeps, Sacha Stawski, 2. Aufl. 2007) erhoben. Unterstützung hatte die Forderung der Ersten Koordinierungskonferenz deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus von 2007 bereits auf der Konferenz selbst durch Frau Petra Pau, MdB, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, durch Prof. Gert Weisskirchen, MdB, Persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden für die Antisemitismusbekämpfung, sowie durch den damaligen Botschafter des Staates Israel, Shimon Stein, in der Folgezeit von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus und vom Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, sowie von vielen anderen Organisationen und Personen erhalten. Deutschland folgt mit der Berichterstattung über die Antisemitismusbekämpfung dem Beispiel anderer Länder, u. a. der USA und Großbritanniens.

 

Die von der Ersten Koordinierungskonferenz deutscher Nicht-Regierungs-organisationen gegen Antisemitismus am 18. Juni 2007 beschlossene Resolution hat folgenden Wortlaut:

 

„Die Koordinierungskonferenz deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus fordert die Bundesregierung auf, in Anlehnung an das Vorgehen anderer Staaten einen jährlichen Bericht zur Antisemitismusbekämpfung herauszugeben und dem Bundestag zuzuleiten.

 

Der Bericht sollte, unter Beteiligung des Innenministeriums und des Auswärtigen Amtes, über die Verbreitung antisemitischer Strömungen in allen Gesellschaftsteilen und –institutionen einschließlich der Medien Auskunft geben sowie darlegen, welche Gegenmaßnahmen notwendig sind und eingeleitet wurden. Aufgenommen werden sollte ebenso die Berichterstattung über die antisemitische Agitation in den Herkunftsländern der muslimischen Einwanderer, die uns über viele Wege – u. a. über Satelliten, über das Internet, über den Buch- und Zeitschriftenimport oder sogar über Schulen – erreicht, und über die Maßnahmen, die die Bundesregierung dagegen ergreift oder ergreifen wird. Wie wichtig ein derartiger Bericht ist, zeigen u. a. die erschreckenden Untersuchungen der Alice-Salomon-Fachhochschule über den Antisemitismus an Berliner Schulen. An der Erstellung des Berichts der Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung sollten Nicht-Regierungsorganisationen und andere zivilgesellschaftliche Initiativen in Deutschland beteiligt werden.

 

Der Bericht sollte u. a. folgende Aspekte berücksichtigen:

–    antisemitische und judenfeindliche Einstellungen sowie Vorurteile in allen Bevölkerungskreisen,

–    antisemitische, judenfeindliche und gegen israelische Staatsbürger gerichtete Straf- und Gewalttaten, Beleidigungen, Propagandadelikte und weitere Vorfälle,

–    antisemitische Organisationen und Gruppierungen, Medien (incl. Websites), ihre Aktivitäten sowie in- und ausländischen Verbindungen,

–    antisemitische und judenfeindliche Berichterstattung u. a. in den Medien, in Kunst und Literatur.

 

Die Notwendigkeit eines Berichts der Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung wird durch verschiedene aktuelle Ereignisse deutlich:

 

1) Rechtsextreme Kräfte greifen in Agitation und Propaganda zunehmend Themen auf, die sich antisemitisch besetzen lassen, und ziehen diese Verbindung auch immer offener. Dies gilt nicht nur für das neo-nationalsozialistische „Kameradschaftsspektrum“, sondern – mit Abstufungen – auch für die Parteien NPD und DVU. Beispiele sind die antisemitische Aufladung der Agitation gegen die US-Außenpolitik, die Globalisierung, die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik Deutschland sowie der Umgang mit der deutschen Vergangenheit.

2) In allen Sektoren der deutschen Medienlandschaft – unabhängig von der weltanschaulichen, konfessionellen, politischen oder kulturellen Ausrichtung – finden sich Artikel und Beiträge, die einen latenten oder offenen Antisemitismus erkennen lassen.

3) Antisemitische Holocaust-Leugner suchen zunehmend die Öffentlichkeit, u. a. durch die bewusste Inszenierung von Prozessen und provokative Aktionen. Im Umfeld der „Holocaust-Konferenz“ im Teheran verstärkten sich Tendenzen zur engeren Verknüpfung von Holocaust-Leugnern aus Europa und den USA mit Gesinnungsgenossen und Sympathisanten aus der islamischen Welt.

4) Berichterstattung und Kommentierung der deutschen Medien zum arabisch-israelischen Konflikt zeigen weiterhin ein Übergewicht einseitig anti-israelischer Tendenzen. So wurde während des Libanon-Israel-Kriegs fast nie erwähnt, dass es sich bei der Anti-Israel-Koalition von Hisbollah, Syrien und Iran um ein Bündnis von antisemitischen Partnern handelt. Alle drei verbreiten über Printmedien und ihre Fernsehstationen antisemitische Propaganda, z. B. Ritualmordszenen, in denen Juden einem christlichen Kind die Kehle durchschneiden, um mit dessen in einer Schale aufgefangenen Blut Mazzeh-Brot zu backen (Szenen, die Jugendlichen im Umfeld Berliner Schulen gut bekannt sind, wie neuere Studien ergeben haben), oder Druck- und Fernsehversionen der antisemitischen Fälschung der „Protokolle der Weisen von Zion“. Diese im arabisch-, türkisch- und iranischsprachigen Raum, aber auch in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und in Osteuropa heute weit verbreiteten, gefälschten  „Protokolle“, die auch Adolf Hitler sehr empfohlen hatte, erzählen von einer Verschwörung zur Erringung der jüdischen Weltherrschaft. Die antisemitische Propaganda wirkt, wie erwähnt, auch in europäischen Ländern – und dort nicht nur in den muslimischen Gemeinschaften. Es besteht deshalb Anlass zum Handeln gegen den Antisemitismus, in Deutschland, in Europa und ebenso in Nahost.

 

Die Bundesregierung hat sich in ihrem neuen Programm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ nicht nur im Titel, sondern auch in der geplanten inhaltlichen Ausrichtung zur Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus bekannt. Voraussetzung hierfür ist eine ständig fortzuschreibende  und gesellschaftlich breit zu verankernde Problem- und Lageanalyse, die nur durch einen jährlichen Bericht der Bundesregierung unter Beteiligung aller relevanten Akteure aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft zu erstellen ist und sich vor allem mit den erforderlichen Abwehrmaßnahmen befassen muss.

 

Der Kampf gegen den neuen und den alten Antisemitismus ist ein wichtiger Teil des Kampfes für die Demokratie und für die Menschenrechte. Den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen sind nahezu alle Staaten beigetreten, darunter auch diejenigen (wie etwa der Libanon oder Syrien), die Antisemitismus nicht nur zulassen, sondern durch eigene Beiträge u. a. in ihren Medien fördern. Unser Staat sollte die Aufgabe annehmen, in dieser Frage nach innen und außen in gleicher Weise aktiv Partei zu ergreifen.“

 

 

B) Die Zweite Koordinierungskonferenz deutscher Nicht-Regierungs-organisationen gegen Antisemitismus bekräftigt den am 18. Juni 2007 gefassten Beschluss. Der regelmäßige Bundesbericht zur Antisemitismusbekämpfung, den die am 4. November 2008 vom Bundestag verabschiedete Erklärung fordert, wird sich an den Kriterien messen lassen müssen, die in der Resolution der Ersten Koordinierungskonferenz vom 18. Juni 2007 zum Berichtsinhalt aufgeführt werden. Eine Ständige Arbeitsgruppe des Koordinierungsrats deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus  soll die Vorbereitungsarbeiten für einen Bundesbericht begleiten und konkrete Vorschläge sowie Forderungen zu den zu ergreifenden Maßnahmen in die Debatte einbringen.

 

Antisemitismus ist auch nach Einschätzung der für die Strafverfolgung zuständigen Behörden in Deutschland weiter eine reale Bedrohung. Durchschnittlich vier antisemitische Straftaten pro Tag und fünf entsprechende Gewaltdelikte pro Monat im Jahr 2007 belegen ein ernstzunehmendes Problem. Zwischen Januar und September dieses Jahres wurden mit 15.280 rechtsextremen Straftaten bereits 8,9 Prozent mehr Delikte erfasst als 2007. Den Anstieg der Vorfälle wird u. a. auf ein gesteigertes Selbstbewusstsein der rechtsradikalen Straftäter zurückgeführt.

 

Die Zweite Koordinierungskonferenz deutscher Nicht-Regierungs-organisationen gegen Antisemitismus begrüßt, dass die Erklärung des Bundestags vom 4. November 2008 Antisemitismus in allen seinen Erscheinungsformen, in allen Gesellschaftsschichten, rechts, links und, wie die Bundeskanzlerin zu Recht betont hat, auch in der Mitte der Gesellschaft, sowie ebenso den arabischen und islamischen Antisemitismus, als besonders gefährliches, gemeinsam zu bekämpfendes Diskriminierungsphänomen beschreibt. Auch dass die antisemitische Agitation der Islamischen Republik Iran und der Terrororganisationen Hisbollah und Hamas in diesem Zusammenhang deutlich angesprochen wird, ist ein Fortschritt, ebenso die Empfehlung des Bundestags, die Arbeitsdefinition des früheren „European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia“ der Antisemitismusbekämpfung zugrunde zu legen, die auch den neuen israelfeindlichen Antisemitismus umfasst. Wir erwarten, dass, wie dies der erste Entwurf für eine Bundestagsresolution vorgesehen hatte, die Vorbereitung des Bundesberichts zur Antisemitismusbekämpfung in Vernetzung mit „zivilgesellschaftlichen Akteuren“ erfolgt. Wir fordern für diesen Bericht, dass er sich nicht nur auf vom Staat geförderte Programme bezieht, sondern auch auf das staatliche Handeln selbst, z. B. auf ein Verbot der antisemitischen Organisation Hisbollah und auf wirksame Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland gegen die antisemitische Völkermordpropaganda und -politik der Islamischen Republik Iran, auf die die Bundestagserklärung ausdrücklich Bezug nimmt.

 

 


 

Weitere Informationen zu der Koordinierungskonferenz vom 24.11.08 unter:
http://honestlyconcerned.info/index_koordinierungsrat.html).

 


 

Dem Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus gehören derzeit folgende Mitglieder an:

 

Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Prof. Dr. Lars Rensmann, MMZ-Fellow, University of Michigan, Ann Arbor

 

Amadeu-Antonio-Stiftung, Stiftungsvorstandsvorsitzende: Anetta Kahane, Berlin

 

Claudia Korenke, Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Frankfurt am Main

 

Daniel Kilpert M.A., Stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutsch-Israelischen Jugendforums, Berlin

 

Honestly Concerned e.V., Chefredakteur: Sacha Stawski, Frankfurt am Main

 

Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, Geschäftsführender Vorsitzender: Staatssekretär a.D. Klaus Faber, RA, Potsdam

 

Scholars for Peace in the Middle East, SPME-Germany, e.V., Berlin,  Sprecher des Vorstandes: Prof. Dr. Diethard Pallaschke, Erste Stellvertreterin des Sprechers des Vorstandes: Dr. Elvira Grözinger

 

Initiative 9. November 1938, Abraham Dzialowski, Frankfurt am Main

 

Demokratie & Courage, Till Meyer, M.A., Potsdam

 

Mohammed Schams, Berlin, Senior Advisor IFI (Iranian Freedom Institute), Washington D.C.

 

Milena Uhlmann, Dipl.-Pol., Berlin

 

Rosemarie Matuschek, Erik-Verlag, Berlin

 

Robin Stoller,  Internationales Institut für Bildung, Sozial- und Antisemitismusforschung (IIBSA), London/Berlin

 

Peter Wirkner, Wissenschaftlicher Direktor, M.A., Mitarbeiter von MdB Prof. Gert Weisskirchen, Persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus, Mannheim

 

Alexander Arndt, M.A., Editor-in-Chief /Online-Redakteur, Jerusalem Center for Public Affairs, Berlin

 

 

 

 

 


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