Grußwort von S.E. Botschafter Yoram Ben-Zeev

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Grußwort von S.E. Botschafter Yoram Ben-Zeev

 

für die Zweite Koordinierungskonferenz deutscher Nichtregierungs-Organisationen

 

Montag, den 24. November 2008, 14.00 Uhr, Centrum Judaicum

 

 

 

Liebe Gäste,

 

über das Thema Antisemitismus sind von Experten viele Bücher geschrieben worden. Das Thema ist von hoher Aktualität, was eine traurige Tatsache ist und uns allen Sorgen bereitet. Allein, dass wir darüber sprechen müssen, heute in Deutschland, nur einige Jahrzehnte nach der Schoah, ist für mich eine Enttäuschung.

 

Ich möchte heute vor allem über zwei Aspekte sprechen: über die Erinnerung und über die Erfahrung aus der Geschichte.

 

Der Antisemitismus ist Teil eines großen Phänomens, des Rassismus. Wir können sehen, dass der Rassismus weltweit zunimmt. Wenn Rassismus, Radikalismus und insbesondere Antisemitismus irgendwo in einem Land beginnen, so weiß man nie, woher das kommt und wohin das führt.

 

Der israelische Autor A.B. Yehoschua ist der Meinung:

„Die Geschichte hat uns gelehrt, dass der Antisemitismus keine deutsche, sondern eine allgemeine Krankheit der Menschheit ist. Antisemitische Phänomene gab es schon in der Antike, heute sehen wir schlimme antisemitische Auftritte fern von Europa. Trotzdem erlebte die Krankheit ihren extremsten Ausbruch[1] in Europa und besonders hier in Deutschland.“[2]

 

In Deutschland sind in einigen Bundesländern rechtsextreme Parteien im Parlament vertreten. Rechtsradikale marschieren durch die Städte. Sicher können Sie verstehen, wie solche Phänomene auf einen Juden oder einen israelischen Diplomaten wirken.

 

– Ich bin aber sicher, dass Millionen Deutsche wie ich fühlen. Und dass die demokratischen Institutionen in Deutschland immer stark und stabil genug sein werden, um dieses Phänomen unter Kontrolle zu haben.

 

Zweifellos ergreift die Bundesrepublik Deutschland juristische Maßnahmen, um Antisemitismus wie rechtsradikales Gedankengut zu bekämpfen. Ich begrüße den Bundestagsbeschluss zur Bekämpfung des Antisemitismus, der mit großer Mehrheit gefasst wurde, was zeigt, wie groß die allgemeine Sorge ist.

 

Die Geschichte ist Teil unseres Lebens, unserer Gegenwart und unserer Zukunft. Deshalb müssen wir uns fragen: Lernen wir aus der Geschichte? Ich denke, dass leider nur einige Menschen daraus lernen, die meisten aber nicht.

 

Diese Tatsache, liebe Gäste, führt leider zu den Katastrophen der Geschichte. Wer will, braucht die alten Rezepte nur zu kopieren, er muss sie gar nicht neu erfinden. Daher muss unsere Gesellschaft sehr wachsam sein und Verantwortung übernehmen.

 

Liebe Gäste,

die kollektive Erinnerung allein genügt nicht. Sie hat keinen Effekt, solange sie nur Theorie bleibt. Erinnerung allein lenkt die Geschicke der Menschheit noch nicht in gute Bahnen. Die Frage ist vielmehr: Was machen wir mit der Erinnerung? Was machen wir mit dieser Erfahrung der Geschichte, die besagt: Die Menschheit macht immer wieder die gleichen Fehler.

 

Was wir aus den Ergebnissen der Geschichte lernen, müssen wir der jungen Generation vermitteln. Wenn wir uns erinnern und die junge Generation an dieser Erinnerung teilhaben lassen, so können wir zeigen, wozu Menschen im positiven wie im negativen Sinn in der Lage sind.

 

Menschenwürde und Menschenrechte sind die höchsten Werte der Demokratie. Das Erinnern soll unsere Wachsamkeit für Tendenzen schärfen, die diese Werte nicht achten.

 

Nur dann können wir den negativen Ereignissen entgegen steuern und etwas anderes vorleben. Nur dann können wir sagen, dass wir aus der Geschichte lernen. Wir müssen uns fragen: Welche Faktoren bereiten Antisemitismus und Rassenhass den Boden?

 

Heute sind hier viele Experten versammelt, die die Relevanz dieses Themas hinaus in die Gesellschaft tragen können. Das ist eine Gelegenheit, sich auch über die praktische Ebene, insbesondere über Maßnahmen im Bereich Bildung, auszutauschen. In welchem Maß sind die Themen Rassismus und Antisemitismus den Lehrern und Schülern bewusst?

 

Hin und wieder treffen wir auch auf Antisemitismus in Form von Antiisraelismus. Kritik an Israel ist legitim. Und es ist legitim, nicht einverstanden zu sein. Außerdem ist es die Aufgabe der Medien zu kritisieren. Doch die Grenze zwischen legitimer Kritik und feindlich gesinnter Kritik kann auch die Grenze zwischen Legitimität und Rassismus sein. Hier müssen die Medien vorsichtig sein.

 

Ich bedauere den Antisemitismus in den arabischen Medien, denn dieser Hass vergiftet das Potential, das in den zukünftigen Beziehungen zwischen Juden und Muslimen liegt. Leider zeigt sich dieser Antisemitismus in den Medien fast aller arabischen Länder. Sogar in den Ländern, mit denen wir freundschaftliche und friedliche Beziehungen haben wie zum Beispiel Jordanien und Ägypten. Das ist sehr traurig.

 

Israel ist beim Thema Iran sehr sensibel. Warum? Seit der Pogromnacht sind erst 70 Jahre vergangen und erneut gibt es einen politischen Führer, der in hohem Maß antisemitisch ist. Ahmadinedschad ist der Meinung, dass Israel von der Landkarte verschwinden soll. Und wir denken, dass er meint, was er sagt. Daher haben wir auch kein Verständnis dafür, wenn demokratische Länder keine Rücksicht auf unsere Sensibilität nehmen.

 

In seiner Rede vor der UN im September sagte er, dass eine kleine und einflussreiche Gruppe Zionisten Finanzzentren sowie die politischen Entscheidungen in Europa und den USA kontrolliere. Die Israelis nannte er „zionistische Mörder“. Seine Worte haben mich nicht überrascht. Was mich überraschte war, dass dort Hunderte Repräsentanten der Völker dieser Welt saßen, doch keiner stand auf und ging. Leute wie Sie und ich saßen dort – und niemand hat etwas unternommen. Das macht mir große Sorgen.

 

Meine Damen und Herren,

Antisemitismus ist, wie andere Phänomene des Rassismus, eine sehr schwere Krankheit. Wir wissen, dass diese Krankheit so schlimm wie Krebs ist. Wir müssen uns damit beschäftigen und entschlossen dagegen kämpfen. Dabei sollten Deutschland und Israel – Sie und wir – zusammen arbeiten. Ich danke Ihnen.

 

 

 

 



[1] hitparzut

[2] A.B. Yehoshua: „Der steinige Rückweg in die Geschichte“, in: Der Tagesspiegel vom 4. April 2008

(Das Zitat ist leicht verändert worden in einfacheres Deutsch.)

 

 

 


 
Weitere Informationen zu der Koordinierungskonferenz vom 24.11.08 unter:
http://honestlyconcerned.info/index_koordinierungsrat.html).
 

 

 

 


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