Volltreffer oder Schuss nach hinten

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Jerusalem, 1. Januar 2009 – Die israelische Drohne über dem Gazastreifen beobachtet minutenlang, wie mehrere Männer Rohre auf einen Lastwagen heben. Immer wieder laufen sie in ein Gebäude und kehren mit länglichen Rohren zurück. Die rollen sie auf der Ladefläche. Die Kamera der Drohne macht Nahaufnahmen und zieht immer wieder das Objektiv auf. Abwechseln ist das Bild scharf und dann wieder verpixelt. Man sieht ein Wohngebiet und dann wieder die schwarz-weißen Figuren mit den Rohren. Das Fadenkreuz richtet sich in dem Augenblick auf den Lastwagen, wie einer der Männer gerade einsteigen und losfahren will. In dem Augenblick, nach genau zwei Minuten und 10 Sekunden kommt erwartungsgemäß, wie in einem echten Krimi, das „happy End“: eine Explosion und eine riesige Rauchwolke, die die ganze Szene verhüllt. Es bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen, sich vorzustellen, was mit all den Figuren passiert ist, die da eben noch geschäftig umherliefen.
Dieser Film wurde neben anderen Filmchen aus Pilotenkanzeln vom israelischen Militärsprecher bei dem Internet-Netzwerk Youtube hochgeladen. Da werden andere Volltreffer dokumentiert mitsamt der Drohnenbeobachtung vor dem Abschuss der Rakete vom Kampfflugzeug.
Zunächst erhielt dieser Film im eigenen „Kanal“ des Militärsprechers bei Youtube, „idfnadesk“, keine besondere Beachtung, bis die Betreiber ihn wieder runternahmen. Der Film sei „nicht angemessen“, hieß es bei Youtube. Offensichtlich gab es Proteste von arabischer Seite. Doch echte Zensur ist heutzutage im welt-weiten-Netz kaum mehr möglich. Der rechtsgerichtete israelische Fernsehsender Arutz 7 veröffentlichte prompt das Filmchen der Luftwaffe auf seiner Internet-Seite. Auch der Militärsprecher sorgte auf seiner eigenen Internetseite dafür, dass das Filmchen weiterhin zugänglich blieb.
Am Mittwoch Abend verschickte die israelische Menschenrechtsorganisation Betzelem eine empörte Email an die Medien. Da seien keine Raketen verladen worden, sondern „unschuldige“ Sauerstoffflaschen, wie man sie in Krankenhäusern und zum Schweißen verwendet. Abu-Imad Sanur habe sich bei der Organisation gemeldet. Er sei der Besitzer des zerstörten Lastagens und habe in der Salah-D-Din Straße harmlose Sauerstoff Flaschen geladen und keineswegs Grad-Raketen, wie der Militärsprecher behauptet. Weiter erzählt Sanur, dass er Material und Werkzeug aus seiner Metallwerkstatt in Sicherheit bringen wollte, damit es nicht von Plünderern gestohlen werde, nachdem ein benachbartes Haus von den Israelis bombardiert worden war. Sanur dementierte jegliche Verbindung mit „Militanten“ und verübe keinerlei „militärische Aktivitäten“, womit wohl die Herstellung von Kassamraketen gemeint ist. In der Mail wurden dann die Namen von acht Palästinensern erwähnt, mit Altersangabe. Unter den Toten sei auch der 32 Jahre alte Sohn von Sanur. Das jüngste Todesopfer sei der 14-jährige Muhammad Ghabayan. Dessen Brüder, 16 und 19 Jahre alt, seien verletzt worden.
Betzelem veröffentlichte im Internet Fotos des ausgebrannten Lastwagens, vom Besitzer der Werkstatt und einer nicht-verbrannten Sauerstoff Flasche mit der hebräischen Aufschrift „Eigentum (von) Maksima“. Das ist eine israelische Firma in Ramat Hovav. Sie stellt „industrielle Gase“ her.
Bei mehrfachem Anschauen des Films kann man deutlich sehen, dass die Rohre, also die vermeintlichen Raketen oder Gasflaschen, auf der Ladefläche hin- und hergerollt werden. Auch ohne Militärexperte zu sein, kann man sehen, dass an diese Rohre keine Flügelchen angeschweißt sind. Ohne Flügel geriete eine Rakete jedoch ins Trudeln. Sämtliche in Sderot nahe dem Gazastreifen in der Polizeistation ausgestellten Raketenreste haben angeschweißte Flügel.
So bleibt nur noch eine Anfrage beim Militärsprecher, zumal nach Angaben des Geheimdienstchefs Diskin die Israelis angeblich genau wissen, so sich jedes Hamasmitglied aufhält und welches Hemd er gerade trägt. „Das Video spricht für sich selber“, antwortete die angerufene Militärsprecherin kurz und bündig. „Alle anderslautenden Behauptungen sind Medien-Manipulation der Hamas.“ Das sei die vorformulierte Antwort, die jedem nachfragenden Journalisten gegeben werden. Etwas später schieben wir die Frage nach, ob es denn Raketen ohne angeschweißte Flügelchen geben könne, denn die Rohre seien auf dem Lastwagen gerollt worden. Der junge Soldat meint: „Das ist eine gute Beobachtung. Da muss ich mal meine Vorgesetzten fragen.“
Solange da keine eindeutige Erklärung vom Militärsprecher kommt, bleibt offen, ob die israelische Luftwaffe tatsächlich einen Volltreffer gelandet hat, oder aber, ob der Militärsprecher mit seinem Propaganda-Filmchen eher einen Schuss nach hinten ausgelöst hat.
Nach drei Stunden „Prüfzeit“ rief der Militärsprecher erneut an, um offiziell mitzuteilen, dass Raketen durchaus „gerollt“ werden könnten, wie man auf dem Lastwagen vor seiner Zerstörung sieht. Doch verriet der Militärsprecher nicht, wie das funktionieren soll, mit gesundem Menschenverstand ist das unmöglich, wenn man sich das Foto einer Rakete mit angeschweißten Lenkflügeln anschaut.
Fotos:
http://www.usahm.de/rakete/page_01.htm
Der Film ist bei Youtube zu sehen unter:
http://www.youtube.com/watch?v=qG0CzM_Frvc&feature=channel_page
Die Fotos von Betzelem:
http://www.btselem.org/Download/20081229_Oxygen_canisters_in_Gaza.zip


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