Krieg bringt Einschaltquoten

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Jerusalem, 9. Januar 2009 – Der Krieg ist spannender als die beste Reality-Show: „Überleben“, auf den exotischen Perleninseln, gefilmt. In den vergangenen zwei Wochen wurde der Kassenschlager von Kanal 10 zugunsten von live-Schalten mit den hauseigenen Reportern „vor Ort“ in Beer Schewa, Sderot und Aschkelon abgesetzt. Das in den Zeitungen veröffentlichte Programm mit Kochsendungen, abendfüllenden Filmen, Telenovellen und Talkshows über Gott und die Welt wurden kurzfristig abgesetzt.
Der erste öffentlich-rechtliche Kanal, verlegte die Kinderstunde auf den Morgen. Ein Laufband erklärte, dass dies „für die Kinder im Umhang von Gaza“ geschehe. Mit „Umhang“ ist die Region um Umkreis von 40 Kilometern vom Gazastreifen gemeint, also das Zielgebiet der Hamas-Raketen. Die erreichen inzwischen sogar die großen Städte Aschdod und Beer Schewa. Eine der ersten vom Gazastreifen aus abgeschossene Gradrakete „made in China“ schlug in Beer Schewa in einer Schule ein. Weil das in der Nacht passiert, gab es keine Verletzte. Aber der Bürgermeister von Beer Schewa entschied noch in der Nacht, dass bis auf weiteres der Schulunterricht ausfalle. Die Kinder zuhause ausharren. Als am nächsten Morgen ein Kindergarten getroffen wurde, gab es wegen diesem Beschluss ebenfalls auch keine Opfer. Das Fernsehprogramm im ersten Kanal soll den heimgebliebenen Kindern Abwechslung bieten, wenn sie nicht gerade mit Ihren Eltern in den Schutzraum rennen müssen. Weil an vielen Orten die Luftschutzsirenen nicht funktionieren oder alternativ die Lautsprecheranlagen wegen Pannen nicht  „rote Farbe, rote Farbe“ plärren, werden im Fernsehen wie im Radio landesweit die Programme unterbrochen. Eine anonyme Stimme fällt sogar dem Nachrichtensprecher ins Wort, um die Vorwarnung auszuteilen. Das muss sofort geschehen, da in grenznahen Orten innerhalb von 15 Sekunden die Raketen einschlagen. Wer sich bis dahin nicht auf die Straße geworfen hat oder ein „sicheres Zimmer“ gefunden hat, dem droht Tod oder Verletzung.
Auf allen Kanälen tritt immer wieder ein gestriegelter Oberst der Heimfront auf, um mit unendlicher Geduld die Ratschläge zum Schutz Bevölkerung zu wiederholen.  Mal „interviewt“ ihn die Wetterfee und mal tritt er in den mehrstündigen Nachrichten auf, um darzustellen, wie lebensrettend es sei, sich bei Raketenalarm auf den Boden zu werfen, zwei Minuten zu warten und dann erst aufzustehen. Gelegentlich wird der zurückhaltende Offizier lautstark, wenn etwa die Reporter vor einem zerstörten Haus stehen und ganze Menschentrauben herumstehen, „weil ich meine Neugierde nicht bändigen konnte“, wie einer der Gaffer sagte. „Diese Menschen sind lebensmüde. Sie setzen sich höchster Gefahr aus“, erklärt dann der Heimfront-Offizier.
In den Nachrichtensendungen, die sich je nach aktueller Lage stundenlang hinziehen können, treten auch andere „Experten“ von Hilfsorganisationen auf. Tierfreunde reden von Hunden, deren Besitzer aus den mit Raketen beschossenen Ortschaften geflüchtet sind. Eine ältere Frau gibt Ratschläge, wie man mit verschreckten Alten umgehen sollte, oder wie Kinder beruhigt werden können. Und gleichgültig was gerade im Fernsehen läuft, liefert ein Laufband ständig die neuesten Nachrichten. Auch das Radio hat umgestellt. Das Programm wird augenblicklich unterbrochen, sowie der Militärsprecher mit mehrstündiger Verspätung den Tod eines Soldaten freigibt, nämlich erst nach Unterrichtung seiner Angehörigen. Meist folgen ganz schnell schon Interviews mit der Schwester oder der Mutter des Gefallenen, Schluchzen inbegriffen. Die Begräbnisse werden nur kurz gezeigt, umso mehr aber der Kondolenzbesuch des Staatspräsidenten Schimon Peres. Da darf dann ganz Israel miterleben, wie der Vater des toten Soldaten eine halbe Stunde  lang redet und Peres mit viel Ernst und einer schwarzen Kipa auf dem Kopf die Trauernden im Namen der Nation tröstet.
In der eigentlichen Berichterstattung über die Vorgänge in Gaza wird auf allen Kanälen recht ausgewogen das gesamte Kriegsgeschehen auf beiden Seiten dargestellt, wobei die israelische Seite eher zu kurz kommt, weil die Armee erst seit Mittwoch Journalisten erlaubte, die Truppen zu begleiten. Da werden durchaus harte Bilder aus dem Gazastreifen mit verletzten palästinensischen Kindern und Toten gezeigt, obgleich die von Al Dschesira unzensiert ausgestrahlten Szenen im israelischen Fernsehen gemäß amerikanischem und europäischem Usus verpixelt werden, um die offenen Wunden und die Gesichter der Toten unkenntlich zu machen. Auf der israelischen Seite werden zerstörte Wohnungen gezeigt, aber nicht Verletzte oder gar Tote. Verwundete Soldaten werden erst interviewt, wenn sie schon gut verbunden im Pyjama im sauberen Krankenhausbett liegen.
Zwar ist der Tonfall in den israelischen Medien teilweise ziemlich „patriotisch“, aber es kommen auch scharfe Kritiker zu Wort. Die fragen offen, ob denn die Regierung nur einen Einmarsch, nicht aber einen Ausweg geplant habe. Harte Fragen werden auch zu den vielen Opfern in Gaza gestellt, wenngleich die Antworten, von Militärexperten oder Reportern, die Vorgänge relativieren und eben auch die israelische Sicht präsentieren, so weit diese von den Militärbehörden überhaupt freigegeben wurde.


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