Kopfloses Palästina

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Jerusalem, 10. Januar 2009 – Seit Freitag hat Palästina keinen „Kopf” mehr, die wörtliche Übersetzung für „Rais”, üblicherweise auch der Begriff für „Präsident”. Mahmoud Abbas, zwar demokratisch gewählter Präsident der Autonomiebehörde, hat aus Sicht der Hamas an diesem Freitag seine Kadenz beendet und ist im Prinzip jetzt ein illegaler Diktator, falls er sein Amt nicht aufgibt.
Thomas Birringer, Leiter der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) in Ramallah, kennt sich in den palästinensischen Verfassungsfragen bestens aus, zumal die KAS schon vor Jahren „Entwicklungshilfe” geleistet hat, den Palästinensern bei der Formulierung einer Verfassung zu helfen.
Es gebe keine Verfassung, sondern nur ein „Grundgesetz”, das ursprünglich zusammen mit den Osloer Verträgen mit den Israelis ausgehandelt worden sei. Weil man Anfang der neunziger Jahre davon ausging, dass das nur eine Übergangsregelung sei, bis zur umgehenden Gründung eines palästinensischen Staates, wurde zum Beispiel in das dazugehörige Wahlgesetz keine zeitliche Beschränkung für die Amtszeit des Präsidenten (damals noch Jassir Arafat) und für die Laufzeit des 1996 erstmals gewählten Parlaments festgelegt.
Dann brach im Herbst 2000 die zweite Intifada aus, und es war klar, dass die „Übergangsregelung” noch längere Zeit bestehen würde, da kein Staat in Sicht war. Spätestens mit dem Tode Arafats 2004 mussten die noch fehlenden Vorgaben im Wahlgesetz wie im Grundgesetz geändert und den Verhältnissen angepasst werden. Das Grundgesetz sieht vor, dass Parlament und Präsident alle vier Jahre gleichzeitig neu gewählt werden. Die letzten Wahlen fanden im Januar 2006 statt, was bedeutet, dass die nächsten Wahlen erst 2010 vorgesehen sind. Präsident Abbas ist aber bekanntlich nach dem Tod Arafats gewählt worden, im Januar 2005. Nach Ansicht der Hamas müsste seine Amtszeit deshalb am 9. Januar 2009 geendet haben, da inzwischen seine Amtszeit auf vier Jahre beschränkt wurde.
Birringer sagt, dass da ein Widerspruch zwischen Grundgesetz und Wahlrecht bestehe. Die Mehrheit der Juristen im Westjordanland seien der Meinung, dass Abbas bis zu den Parlamentswahlen 2010 ganz legal im Amt bleiben könne, zumal die Beschränkung der Kadenz des Präsidenten vom Parlament erst nach seiner Wahl beschlossen wurde.
Die Beschwerden der Hamas sind nicht uneigennützig, denn die islamistische Organisation mit Mehrheit im Parlament fordert die Einsetzung des Parlamentspräsidenten an der Stelle von Abbas. Der wäre der automatische Nachfolger von Abbas in drei möglichen Fällen: Tod, Krankheit oder Unmündigkeit. Keine dieser drei Bedingungen wäre im Falle von Abbas erfüllt, meint Birringer. Deswegen stehe diese Forderung der Hamas auf „tönernen Beinen”.
Hinzu kommt freilich noch ein kleines Problem für den amtierenden Parlamentspräsidenten, Asis Duweik. Zusammen mit dutzenden anderen Hamas-Abgeordneten sitzt er in Haft im israelischen Gefängnis.


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