Ein schiefer Vergleich: „Islamophobie“ und Antisemitismus

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Ein schiefer Vergleich:
„Islamophobie“ und Antisemitismus

 

Neue Antisemitismusdebatte und Bündnisfragen zur Antisemitismusbekämpfung nach dem Gaza-Konflikt

 

 

Staatssekretär a. D. Klaus Faber, Rechtsanwalt

(Vortrag, 01.02.2009, B’nai B’rith Frankfurt Schönstädt Loge)

 


Wir haben das alle inzwischen wahrgenommen. Es gibt, etwas überlagert durch den Gaza-Konflikt, in Deutschland einen neuen Antisemitismusstreit. Das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin (ZfA) hat auf einer Tagung mit dem Titel „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“ Antisemitismus und Islamfeindschaft gegenübergestellt und verglichen. Der Ansatz ist auf Kritik und Ablehnung gestoßen, auch wegen des in der Tagungseinladung und im neuen ZfA-Jahrbuch verwandten Kampf- und Propagandabegriffs „Islamophobie“ (vgl. Faber, Klaus 2008b). Die Debatte ist noch nicht beendet, wie einige sehr engagierte, auch in der Form nicht akzeptable Beiträge zur Auseinandersetzung erkennen lassen.

Auch das von Julius H. Schoeps, Sacha Stawski und mir herausgegebene Buch „Neu-alter Judenhass“ (1. Auflage 2006, 2. Auflage mit einem Geleitwort von
Arno Lustiger im Februar 2007 erschienen; siehe Faber/Schoeps/Stawski 2006 in Faber, Klaus 2008a) hat vor ungefähr drei Jahren ein damals noch nicht sehr intensiv diskutiertes neueres Phänomen beschrieben: den „neuen“, israelfeindlichen Antisemitismus. Vielleicht sollte man vor einem Exkurs zu der aktuellen „Islamophobie“-Debatte einige frühere Diskussionsaspekte der nie unterbrochenen Antisemitismusauseinandersetzung aufnehmen. Sie hängen auf die eine oder andere Weise auch alle miteinander zusammen.

Am 4. November 2008 hat der Bundestag eine Erklärung zur Antisemitismusbekämpfung beschlossen. Er hat dabei auch einen „regelmäßigen„ Bericht zur Antisemitismusbekämpfung gefordert. Nach wie vor ist der rechtsradikale Antisemitismus ein großes, auch im Straftatenbereich relevantes Problem. Die NPD verfolgt ganz offen antisemitische Zielsetzungen. Auch die NPD-Erklärungen zu Obamas Wahlerfolg vermitteln eindeutig rassistische Einstellungen. In ihrem Auftreten zeigt die NPD häufig Sympathie für radikale islamische Bewegungen, auch für solche, die ein antisemitisches Profil aufweisen. Selbstverständlich müssen die Erfahrungen mit dem letzten NPD-Verbotsverfahren berücksichtigt werden. Es kann aber nicht richtig sein, wegen der früheren Probleme in dem Verbotsverfahren auf die Dauer die NPD unbehelligt verfassungsfeindliche Zielsetzungen verfolgen und nach Wahlerfolgen vom Steuerzahler mitfinanzieren zu lassen. Ich glaube auch nicht, dass eine derartige Position etwas mit Liberalität zu tun hat. Antisemiten sind keine Demokraten. Demokratische Antisemiten gibt es nicht.

 

Antisemitismus gibt es nicht nur bei den rassistischen Neonazis. Manche sind, im Gegensatz zu dieser, auch von mir geteilten Position, offenbar der Auffassung, Antisemitismus sei im Wesentlichen ein Problem auf der rechten Seite des politischen Spektrums; 15 bis 20% der Bevölkerung seien damit, in unterschiedlicher Intensität, maximal angesprochen. Der aktivistische Neonazi-Kern derjenigen, die jüdische Gräber mit Hakenkreuzen beschmierten, umfasse nur einen winzigen Teil der Bevölkerung. Dieses Bild und ähnliche vergleichbare Interpretationen sind unter verschiedenen Aspekten problematisch. Dies gilt nicht nur deshalb, weil der „neue“ Antisemitismus, der israelfeindliche Antisemitismus, dabei vollkommen ausgeblendet wird, so als ob es die EU-Arbeitsdefinition von 2005 und die Bundestagserklärung vom 4. November 2008 nie gegeben hätte, die diese Definition aufgreift und den Antisemitismus von Hisbollah, Hamas und der Islamischen Republik Iran sowie, allgemein, den arabischen und islamischen Antisemitismus ausdrücklich erwähnt.

 

Legt man die geschilderte Eingrenzung der Antisemitismuswahrnehmung zugrunde, muss man sich fragen, wofür eigentlich die europäischen Umfrageergebnisse stehen, nach denen gerade in Deutschland und Österreich große Bevölkerungsmehrheiten die Hauptbedrohung für den Weltfrieden in Israel sahen oder eine deutliche Mehrheit in Deutschland das Verhalten Israels gegenüber „den Palästinensern“ demjenigen von Hitlerdeutschland gegenüber den Juden gleichstellte; nicht nur im engeren Sinne Rechtsradikale unterstützen derartige Aussagen. Haben sich diese Ergebnisse Israel – und die Juden – selbst zuzuschreiben, wie das einmal ein deutscher Politiker gesagt hat, und handelt es sich hierbei um legitime Israelkritik, wie dies eine deutsche website, in der der israelische Ministerpräsident mit einer SS-Uniform abgebildet wird, vielleicht formulieren würde? Nach ganz aktuellen Umfragen aus diesem Jahr hält übrigens etwa die Hälfte der Befragten Israel für ein „aggressives Land“. Nur 30% sind der Auffassung, dass Israel die Menschenrechte achte.

 

Zur Entwicklung und Konzeption von „Antisemitismus“

 

Einerseits lässt sich, das sollte vorab gesagt werden, Antisemitismus analog zu anderen Diskriminierungshaltungen gegenüber Minderheiten und ‘Anderen‘ als Vorurteilskomplex oder als antijüdischer Rassismus verstehen. Damit wird eine Dimension des Begriffs angesprochen, die in gewissem Umfang verallgemeinert und auch bei anderen Vorurteilspositionen vorliegen kann, z. B. gegenüber Muslimen, Alewiten (soweit sie nicht dem Islam zugeordnet werden), Assyrern oder Baha’is. Andererseits weist Antisemitismus auch eine spezifische, Jahrtausende alte Geschichte einer Diskriminierungspraxis auf, die bis in die vorrömische und frühchristliche Zeit zurückreicht und von über lange Zeit übermittelten antijüdischen Bildern geprägt ist; dazu gehören die Vorurteile vom Christusmörder, vom Ritualmörder oder von Dekadenz und Normabweichung. Diese Diskriminierungspraxis hat das beispiellose Menschheitsverbrechen des Holocaust motiviert. Ihre spezifische Qualität ist es auch, eine umfassende Erklärung der modernen Welt und ihrer komplexen Prozesse zu geben. Sie stellt eine Verschwörungstheorie zur Verfügung, die die unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Phänomene mit dem Handeln von Juden in der modernen Gesellschaft ‚erklärt‘ und in Juden personifiziert.

 

Dieser Welterklärungsaspekt, wie er ganz aktuell zum Beispiel in der Hamas-Charta – aber nicht nur dort – breit ausgeführt wird (englische Übersetzung in Faber/Schoeps/Stawski 2006, S. 399 bis 424 in Faber, Klaus 2008a), lässt die spezifische, „singuläre“ Dimension von Antisemitismus erkennen. Danach werden Juden häufig als Gegenbild zu einer nationalen Gemeinschaft, als Gegenbild zur ethnisch-nationalen Identität gesehen, z. B. historisch in Frankreich und Deutschland oder, ganz aktuell, im Nahen Osten. In diesen Kontext gehören etwa die dem scheidenden ägyptischen Botschafter in Tel Aviv zugeschriebene Qualifizierung Israels als Nicht-Nation (vgl. dazu Yakobson 2008 in Faber, Klaus 2008a) oder das bereits erwähnte Judenbild in der Hamas-Charta.

 

Wie unter anderem der bekannte Orientalist Bernard Lewis nachweist, können, anders als dies etwa der populistische FDP-Politiker Jürgen Möllemann meinte, christliche oder muslimische Araber durchaus Antisemiten sein. Denn es handelt sich eben um Feindschaft gegen Juden (nicht gegen andere „semitische“ Gemeinschaften), auf welche die Begriffskonstruktion des Antisemitismus verweist. Antisemitismus als ideologische Weltdeutung und als Vorurteilsensemble macht nicht vor bestimmten Ländergrenzen oder Gruppen halt. Dies gilt auch für Menschen jüdischer Herkunft oder für israelische Juden. Antisemitismus ist eine Ideologie und eine mit Stereotyp-Bildern arbeitende Zuschreibungspraxis, vor der Juden nicht durch ihre Herkunft gefeit sind. Kollektive Fremdzuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft finden vielmehr oft Entsprechungen in Praktiken der Selbstzuschreibung und gehen in diese über, nicht nur im Fall der Beziehungen zwischen Juden und der Mehrheitsgesellschaft. Gruppenbezogener Selbsthass ist insofern ein Phänomen, das auch unter Juden existiert, selbstverständlich aber nicht auf die jüdische Gemeinschaft beschränkt ist.

 

Antisemitismus ist aufgrund seiner Jahrtausende alten, tief verwurzelten kulturellen Verankerung in den Mentalitäten, mit einem negativen Judenbild, das nicht nur in Grenzfeldern christlicher oder ursprünglich christlicher Gesellschaften präsent ist, etwas anderes als ein Unterfall von „Rassismus“ oder eine beliebige Art von Religionshass, und schon gar nicht ein Unterfall von Rechtsradikalismus. Antisemitismus ist bis weit in die Mitte der Gesellschaft und auch auf Seiten der „Linken“ zu finden, z. B. in der Form des antisemitischen Israelhasses.

 

 „Neuer“, israelfeindlicher Antisemitismus

 

Es ist für die Debatte wichtig, von vornherein eine Grenze zwischen der Kritik an Israels jeweiligen Regierungen (für die Israel selbst z. B. nach dem letzten Libanonkrieg ein markantes Beispiel gab) und antisemitischen Positionen zu ziehen. Eine internationale Konferenz jüdischer Gemeinschaften in Jerusalem 2004, ein darauf beruhender israelischer Diskussionsbeitrag auf einer OSZE-Konferenz in Berlin (ebenfalls 2004) und andere ähnliche Erklärungen aus dem Folgejahr, etwa die bereits erwähnte EU-Arbeitsdefinition zum neuen Antisemitismus, haben sich mit dieser Frage befasst (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia 2005 in Faber, Klaus 2008a). Die Grenze zum („neuen“) Antisemitismus ist danach jedenfalls dann überschritten, wenn man Israel mit ungleichen Maßstäben kritisiert, die nur bei ihm und sonst bei keinem anderen Land angelegt werden; wenn man Israel und den Zionismus dämonisiert, etwa im Sinne von Verschwörungstheorien, die Israel und die „Zionisten“ für die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder für alle Missstände in der arabischen und islamischen Welt verantwortlich machen; oder wenn man die Vernichtung Israels fordert. Das gilt auch für die aufgezwungene Bildung eines „binationalen“ Einheitsstaates; Gregor Gisy hat dazu in seiner Auseinandersetzung mit dem Antizionismus der Linken das Notwendige und Richtige gesagt.

 

Alle diese Negativkriterien sondern Israel gewissermaßen als – rechtlosen – Juden unter den Staaten aus; man kann sie deshalb auch insgesamt als Unterfälle des Prinzips der ungerechtfertigten Ungleichbehandlung ansehen. Damit sollen nicht etwa die Besonderheiten des Jahrtausende alten, kulturell tief verankerten Verfolgungsphänomens „Antisemitismus“ in Frage gestellt werden, die, wie dargelegt, seine allgemeine Einordnung in die angeblich übergreifenden Erscheinungen von Rassismus, Xenophobie oder Religionsfeindschaft ausschließen. Einige Vergleichsansätze können die negative Sonderstellung und Diskriminierung Israels – und mittelbar auch der Juden – deutlich machen. Welche Verbrechen ein Nationalstaat – ein von einer Mehrheitsnationalität geprägter Staat – auch immer begangen hat oder begangen haben soll, keinem, auch keinem muslimischen, wird wegen derartiger tatsächlicher oder nur behaupteter Verbrechen die Vernichtung angedroht, außer einem Staat, dem jüdischen Nationalstaat, Israel – nicht aber z. B. einem Land, bei dem es, was die Vergangenheit anbelangt, gewiss nicht nur um fiktive Verbrechen geht, wie Deutschland, selbst von Polen, Juden, Tschechen oder Russen nicht, nicht dem arabischen Nordsudan, nicht der Volksrepublik China, etwa von Tibetern oder Uiguren, nicht Russland, auch von den Tschetschenen nicht, nicht Großbritannien, etwa von den Iren, nicht dem arabischen Irak, etwa von den irakischen Kurden,  nur einem Staat: Israel.

 

Für Antisemitismus gibt es ebenso wenig eine Rechtfertigung wie für Sklaverei oder Terrorismus; auch angenommene oder tatsächliche „Demütigungen“ oder begründete Beschwerden z. B. gegen die israelische Regierung rechtfertigen keinen Antisemitismus. Für Antisemitismus darf es in gleicher Weise kein – wie auch immer formuliertes – Verständnis geben, auch nicht in der häufiger zu hörenden Version, islamischer Antisemitismus sei im Kontext der Nahostkonflikte zu sehen und zu „erklären“. Rassismus gegen Afroamerikaner oder Afrikaner in den USA oder in Europa wird nicht durch afrikanische Diktatoren verursacht, ebenso wenig wie der islamische und der neue Antisemitismus oder insgesamt Antisemitismus ihre Ursachen im arabisch-israelischen Konflikt haben.

 

„Islamischer“ Antisemitismus

 

Auch ein Blick auf den Antisemitismus in islamischen Gesellschaften ist in diesem Zusammenhang sinnvoll. Die Antisemitismusvarianten im islamischen und jener im christlich-jüdisch-westlichen Kulturkreis sind nicht erst seit der islamischen Einwanderung nach Europa – und nicht nur dort – problematische Verbindungen eingegangen. Dabei hat die Antisemitismuspropaganda durch Hitlerdeutschland eine Rolle gespielt. Seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten auch die stalinistische Führung der Sowjetunion und ebenso die sowjetische Agitation nach 1967 problematische, zum Teil offen antisemitische Positionen verbreitet. Zahlreiche antisemitische Äußerungen, Publikationen und Positionen – von Buchproduktionen (etwa der auch von Adolf Hitler geschätzten, klassisch antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“) bis hin zu Fernsehsendungen – belegen den heute erreichten Stand.

 

Die breite Verankerung antisemitischer Strömungen in den Heimatländern der muslimischen Migration, die auch auf Europa wirken, ist heute in vielen Aspekten zu erkennen, z. B. in den antisemitischen Fernsehfilmen, denen die „Protokolle der Weisen von Zion“ zugrunde liegen. Mit diesen Hetzsendungen verstößt z. B. ein Land wie Ägypten nicht nur gegen den mit Israel geschlossenen Friedensvertrag, der zum israelischen Rückzug aus der Sinai-Halbinsel geführt hat, sondern auch gegen UN-Menschenrechtskonventionen, denen das Land beigetreten ist. Ähnliches gilt auch für die Verbreitung von antisemitischen Fernsehsendungen durch al-Manar, die über den ägyptischen Satelliten Nilsat (und dazu über den saudi-arabischen Satelliten Arabsat) erfolgt. Hier stellt sich eine bislang offene Frage an die Bundesregierung, was sie z. B. im Rahmen von Kooperationsverhandlungen oder bei anderen Anlässen gegen derartige Menschenrechtsverstöße unternimmt, die den Friedensprozess im Nahen Osten, aber durch ihre Auswirkungen in Deutschland auch die deutsche Integrationspolitik behindern. Man kann in diesem Zusammenhang ebenso an manche antiisraelische und antisemitische Demonstrationsbilder vom vergangenen Monat denken.

 

Den dem Ursprung nach christlichen, dann säkularisierten Antisemitismus gab es, selbstverständlich, zunächst im Islam nicht. Einige judenfeindliche Aussagen im Koran, die auch etwas mit den Vernichtungskämpfen Mohammeds gegen die jüdischen Stämme in Arabien zu tun haben und nach denen z. B. Juden wegen religiösen Fehlverhaltens von Gott in Affen und Schweine verwandelt worden sind (vgl. dazu Carmon 2006 in Faber 2008a), haben einen anderen Charakter als antisemitische Positionen des 19. Jahrhunderts im christlichen Kulturkreis.

 

Am Transfer wichtiger Elemente des europäischen, in der Wurzel christlichen Antisemitismus in den Islam waren zunächst die orientalischen christlichen Minderheiten beteiligt. In der Folge wurde das Thema, zum Teil in Anknüpfung an ältere judenfeindliche Tendenzen im Islam, jedoch ebenso von Muslimen aufgenommen. In den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts spielte, wie das etwa Bernard Lewis, aber auch andere schildern, die erfolgreiche antisemitische Propaganda Hitlerdeutschlands eine wichtige Rolle. Im 2. Weltkrieg festigte sich das in diesem Zusammenhang zu erwähnende Bündnis zwischen dem Jerusalemer Mufti Amin al-Husseini und Deutschland. Dieser Führer der Araber in Palästina trat in eigenen Demarchen bei europäischen Regierungen für die Verfolgung der Juden ein. Er unterstützte das 3. Reich z. B. bei dem Versuch, dem antibritischen und prodeutschen Aufstand im Irak zum Durchbruch zu verhelfen. Seine Propagandaaktionen führten zu einer pogromähnlichen Verfolgung der jüdischen Gemeinde in Bagdad. Mit dem Territorialkonflikt in Palästina hatten dabei seine Hasstiraden kaum noch etwas zu tun. Die verbindende Klammer im Verhältnis zu Hitlerdeutschland war in dieser Hinsicht die gemeinsame antisemitische Überzeugung. Die von vielen getragene Kooperation mit dem NS-Staat umfasste auch Pläne für den Völkermord an den Juden Palästinas, bei dem palästinensische Araber eine Rolle spielen sollten (vgl. dazu Beck 2006, Cüppers/Mallmann 2006, Faber 2006b in Faber 2008a). 

 

„Linker“ Antisemitismus, Rolle der Medien

 

Über linken Antisemitismus und den damit eng zusammenhängenden linken Antizionismus, die beide häufig eine negative Sonderstellung Israels thematisieren, wird seit Gregor Gysis bemerkenswerter und berechtigter Kritik am Antizionismus der Linkspartei etwas mehr und vor allem weniger verdeckt diskutiert als vor Gysis Vortrag.

 

Linker Antisemitismus manifestiert sich heute meist in israelfeindlichen Positionen, die auf die Vernichtung der jüdischen Staatlichkeit und die Ablehnung jüdischer nationaler Selbstbestimmung abzielen, Israel in diskriminierender Weise diffamieren (in der Argumentation etwa wie Ahmadinedschad, Hisbollah und Hamas, die ich damit nicht zu Vertretern der Linken erklären will) oder sonst mit ungleichen Maßstäben messen. In diesem Zusammenhang finden immer wieder Positionen eine Plattform, die eine Vernichtung Israels durch die Gründung eines „binationalen“ Staates und die Rückkehr arabischer „Flüchtlinge“ in diesen Staat  fordern, von „Flüchtlingen“, die in Wahrheit keine sind, sondern ganz überwiegend nur Nachkommen von Flüchtlingen – so als ob man die „Rücksiedlung“ vieler Millionen deutscher, österreichischer, polnischer, slowakischer, ungarischer, japanischer, indischer oder pakistanischer Flüchtlingsnachkommen in die Herkunftsgebiete ihrer Vorfahren fordern wollte. Gregor Gisy hat mit wünschenswerter Deutlichkeit dargelegt, was von solchen nur scheinbar „binationalen“ Vorschlägen zu halten ist, die in der Realität auf eine arabisch-muslimische Mehrheitsdiktatur hinauslaufen müssten, deren voraussehbare Wirkungen man in der Flucht von 800. 000 Juden aus arabisch/muslimischen Ländern oder der Flucht der Christen aus den palästinensischen Autonomiegebieten bereits heute erkennen kann.

 

Zu dem angesprochenen Themenbereich gehört die Frage, wie bestimmte Verzerrungen und Voreingenommenheiten in der deutschen Medienkommentierung zum Gaza-Konflikt zu erklären sind. Seit dem Beginn der israelischen Militäroperation gegen Hamas-Stellungen in Gaza im Dezember letzten Jahres zeigte die deutsche Nahostberichterstattung in den Print- und sonstigen Medien, besonders deutlich aber im gebührenfinanzierten, öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine zunehmend israelkritische bis -feindliche Tendenz. Der Konfliktanlass – die Aufkündigung der Waffenruhe und der Raketenbeschuss durch Hamas – geriet schnell in Vergessenheit oder wurde relativiert. Eine deutsche Berichterstatterin des ZDF sprach in einer ersten Stellungnahme zum Gaza-Konflikt von „selbstgebastelten“ Hamas-Raketen. Dass durch die Kassam-Raketen Menschen getötet wurden, erwähnte sie in diesem Zusammenhang nicht, auch nicht, dass inzwischen längst nicht mehr nur „selbstgebastelte“ Kassam-, sondern auch Grad-Raketen iranisch-russischer Herkunft mit erhöhter Reichweite im Einsatz sind, über die die Terrororganisation Hamas dank der nachlässigen Grenzkontrolle durch Ägypten verfügt. Die ZDF-Berichterstatterin betonte in ihrem Kommentar mit deutlich propalästinensischer Empathie, die Gazabewohner hätten keine Möglichkeit, der Gewalt auszuweichen, als ob es auf der anderen Seite, in Israel, für jeden Bewohner Sderots, Beer Schevas,  Aschdods oder Aschkelons, von denen sie nicht sprach, ganz einfach sei, unter Aufgabe von Haus, Wohnung, Familie und Arbeit in ein – nicht vorhandenes – großes israelisches Hinterland auszuweichen, als ob für die Abschließung der Fluchtwege aus dem Gazaland allein Israel die Verantwortung trage und  als ob es keine gemeinsame Grenze zwischen Gaza und Ägypten gebe.

 

Ein ZDF-Nachrichtenredakteur hatte, um ein weiteres Beispiel zu nennen, in einem Kommentarbeitrag ebenfalls zu Beginn des Gaza-Konflikts behauptet, nur öffentlicher Druck auf Israel habe israelische Hilfslieferungen nach Gaza bewirkt. Abgesehen davon, dass es für eine derartige Behauptung kaum Belege geben dürfte, wird mit dieser einseitigen Bewertung auch nahe gelegt, es fehle Israel grundsätzlich an Empathie für die Leiden der Zivilbevölkerung im Gazastreifen –  und vielleicht auch allgemein gegenüber arabischen Palästinensern, was wiederum der arabischen Propagandathese von israelischen „Massakern“ in Gaza gewollt oder ungewollt Plausibilität verleihen kann.  Diese Art von Darstellung ist nur sehr schwer mit den bekannten und einigermaßen gesicherten Fakten in Einklang zu bringen, die in der Gesamtbilanz durchaus Rücksichtnahme gegenüber der Zivilbevölkerung sowie Zurückhaltung und Präzision bei den israelischen Militäroperationen belegen, die man sich auch bei anderen Kriegseinsätzen etwa in Serbien, im Kosovo, in Afghanistan, bei der türkischen Bombardierung von Dörfern in Irakisch-Kurdistan, beim Krieg in Tschetschenien, in Abchasien und Südossetien, in Darfur oder im Südsudan hätte wünschen können. Bei diesen Konflikten waren ähnlich kritische, scharfe und dem Anlass angemessene Stellungnahmen wie jetzt im Gaza-Fall von deutschen Medienvertretern oder Politikern kaum zu hören. Neuere israelische Untersuchungen haben übrigens ergeben, dass höchstens 25% der arabischen Toten in Gaza Zivilopfer waren; nach einem italienischen Zeitungsbericht aus Gaza sollen die meisten Opfer junge, von Hamas rekrutierte Kämpfer sein.

 

Niemand fragt übrigens in den deutschen Medien bei dem Bürgerkrieg zwischen Singhalesen und Tamilen auf Sri Lanka, soweit man sich für diesen blutigen Konflikt überhaupt interessiert, nach dem Anteil der zivilen Opfer, niemand ebenso danach, ob und inwieweit die auch für interne Kriege geltenden Minimalregelungen in Sri Lanka eingehalten werden. Niemand sieht einen Anlass, eine Umfrage zur Beurteilung dieses Konflikts durchzuführen – vermutlich auch deshalb, weil in den deutschen Medien über diesen Krieg nur sehr wenig berichtet wird. Bei Israel ist alles anders: Zwar werden der gezielte Abschuss von Hamas-Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung und die Stationierung von Raketenabschussrampen in  oder in der Nähe ziviler Einrichtungen eher selten als Kriegsverbrechen qualifiziert, umso deutlicher aber Israel unter Verdacht gestellt, „unverhältnismäßig“ zu reagieren. Dabei werden Zahlenangaben aus dem Hamas-Machtbereich zitiert, die nicht überprüft werden können und denen man nach Erfahrungen in ähnlichen Konfliktlagen nicht ohne weiteres trauen sollte. Der „Spiegel“ spricht – wieder einmal – von „blutiger Vergeltung“, wenn er israelische Handlungen beschreibt, als ob Israel, wie Hamas, gezielt und flächendeckend zivile Gebiete bombardieren würde. Dass die von der Islamischen Republik Iran unterstützte, finanzierte und mit Waffen belieferte Hamas eine antisemitische Terrororganisation ist, wird in den Medienberichten häufig nicht oder nicht mit der notwendigen Deutlichkeit gesagt.

 

Am 24. Januar 2009 berichtete das öffentlich-rechtliche Fernsehen, Solana habe im EU-Namen eine Untersuchung über israelische Kriegsverbrechen in Gaza gefordert. Kein Wort verlor die Nachrichtensprecherin über die Hamas-Kriegs- und sonstigen Verbrechen, die ja größtenteils nicht erst untersucht werden müssen, sondern bereits feststehen, etwa über den gezielten Raketenbeschuss von zivilen israelischen Zielen, häufig aus Stellungen in oder in der Nähe ziviler arabischer Einrichtungen, oder auch über die Tötung, Folterung und Verstümmelung von Oppositionellen in Gaza. Wann hat die Europäische Union entsprechende Untersuchungen z. B. über mögliche Kriegsverbrechen in Serbien, im Kosovo, in Afghanistan, im Westsudan, im Südsudan, in Tschetschenien, in Irakisch-Kurdistan, in Westneuguinea oder, ganz aktuell, in Sri Lanka gefordert? Wie ist diese Einseitigkeit der EU-Administration und der deutschen Berichterstattung zu erklären, die geradezu obsessiv das Ziel zu verfolgen scheinen, Israel und seine Selbstverteidigung zu delegitimieren?

 

Genug der Beispiele. Darf und sollte man überhaupt die Medien kritisieren? In der Politik und unter Politikern ist die These verbreitet, das sei nutzlos und deshalb falsch. Die Medien würden die Kritik ohnedies nicht vermitteln und, wenn doch, die Kritiker angreifen. Was für die Politik und Politiker im engeren Sinne unter Nützlichkeitsaspekten gelten mag, muss und darf aber nicht für die Gesellschaft insgesamt richtig sein. Den Medien steht in der Demokratie kein kritikfreier Raum zu, auch nicht unter Berufung auf die Pressefreiheit. Beim gegenwärtigen Stand der Gaza-Debatte in den deutschen Medien sind vor allem zwei miteinander verbundene Aspekte problematisch. Ein beunruhigendes Phänomen ist zum einem die Indifferenz der Medien gegenüber den dehumanisierenden Tendenzen in der Agitation gegen Israel  – die übrigens nicht nur in der Gaza-Berichterstattung, sondern auch in derjenigen über den Iran deutlich wird. Über die entsprechenden, häufig offen antisemitischen Slogans und Sprechchöre auf antiisraelischen Demonstrationen, in denen auch muslimischer Antisemitismus zu erkennen ist, wird kaum und, wenn überhaupt, sehr selten kritisch berichtet. Parolen wie „Juden raus“, „Israel Kindermörder“ oder „Tod Israel“ sollten nicht zu den in Deutschland akzeptierten oder geduldeten Demonstrationsaufrufen gehören. Wohin eine dehumanisierende Propaganda ohne Widerspruch und Widerstand führen kann, zeigen außerhalb Deutschlands die aktuellen Absichtserklärungen von Hamas-Anhängerinnen, sich unter die „Schweine“ und „Affen“ – gemeint sind Juden – zu begeben, um sich mit ihnen in die Luft zu sprengen, das Verhalten der pakistanischen Terroristen von Mumbai, die ihre Opfer vor der Ermordung gefoltert und sexuell erniedrigt haben, auch die verhöhnende Darstellung des von der Hamas in Geiselhaft gehaltenen israelischen Soldaten Schalit auf Hamas-Umzügen in Gaza oder die antisemitische Propaganda und Politik der Islamischen Republik Iran.

 

Der andere Aspekt betrifft eine auch im letzten Libanonkrieg verbreitete Tendenz in deutschen Medien, durch Schaffung von pseudorechtlichen und pseudomoralischen Maßstäben, die nur für Israel und sonst für keinen anderen Staat gelten, eine Art von Sonderbehandlung für den jüdischen Staat zu propagieren. Eine entsprechende Ungleichbehandlung oder Dämonisierung Israels bezeichnet die bereits zitierte EU-Arbeitsdefinition, die auch der Bundestagsbeschluss zur Antisemitismusbekämpfung vom 4. November 2008 aufgreift, als eine Form von Antisemitismus. Wer sich fragt, wie das schlechte Umfragebild von Israel zu erklären ist und weshalb 70% der jüngeren Menschen in Deutschland meinen, es gebe heute keine besondere deutsche Verpflichtung mehr gegenüber Israel, der sollte auch an die deutsche Medienberichterstattung über Israel denken. Sie vermittelt sehr viel Kritisches und Negatives zu Israel, viel weniger als etwa zur antisemitischen Islamischen Republik Iran und ihrer Völkermordpropaganda.

 

„Islamophobie“ und Antisemitismus

 

Um was geht es bei dem neuen Streit über die Bedeutung von „Islamophobie“ und Antisemitismus? Der „Islamophobie“-Begriff ist im UN-Sprachgebrauch, der jetzt auch in Deutschland eindringt, vor allem ein Mittel der antiwestlichen und israelfeindlichen Agitation islamischer Staaten (vgl. dazu und zum Folgenden Faber, Klaus 2008b). Sie verweist nicht auf tatsächliche Diskriminierung, sondern auf Vorwurfskonstruktionen, die angeblich unzulässige Kritik am Scharia-Recht und generell am „Islam“ als „islamophob“ diffamieren. „Die Islamophobie nähert sich dem Niveau des Antisemitismus der Dreißigerjahre“ – so Ekmeleddin Ihsanoglu, Generalsekretär der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), in einer türkischen Tageszeitung. Er liegt damit exakt auf derjenigen Politiklinie, die seine Organisation auch sonst in den Vereinten Nationen verfolgt, z. B. bei der Vorbereitung einer UN-Konferenz in Genf, auf der im kommenden Jahr „Islamophobie“ als Hauptübel beschwört und in mittlerweile bekannter antisemitischer Weise Israel diskriminiert und attackiert werden soll.

Antisemitismus und Islamfeindschaft oder „Islamophobie“ kann man nicht gleichsetzen. Niemand will Muslime in allen Ländern angreifen und ausrotten oder ein muslimisches Land auslöschen. Niemand macht Muslime und den Islam für alle möglichen globalen Übel verantwortlich. Wenn man wahrnimmt, was dazu demgegenüber in vielen Medien islamischer Länder über Israel und die Juden tagtäglich geschrieben und auf andere Weise verbreitet wird, erkennt man den fundamentalen Unterschied. Er drückt sich auch darin aus, dass in unserem Land vor allem jüdische Kindergärten, Schulen, Einrichtungen oder Synagogen rund um die Uhr von Polizei und Sicherheitskräften bewacht werden müssen. Antiislamischen Terror gibt es dagegen in Europa praktisch nicht, sehr wohl aber enge Kooperation zwischen aggressiven, antisemitischen Islamisten und in gleicher Weise antisemitischen Neonazis, nicht nur in Deutschland.

Gegen antimuslimische Diskriminierung, die es bei uns auch gibt, sollten wir uns gemeinsam mit progressiven Muslimen, mit der großen Mehrheit der deutschen Muslime wehren, die für demokratische Werte und für Integration stehen, auch wenn sie in der Entwicklung noch nicht dort angekommen sind, wo man sagen könnte, die Integration sei abgeschlossen. Reaktionäre oder konservative muslimische Verbände sind dafür und für den gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus keine geeigneten Bündnispartner. Ein Lackmustest ist insoweit z. B. das öffentliche Verbandsverhalten gegenüber der antisemitischen Agitation der Islamischen Republik Iran sowie von Hisbollah und Hamas.

In der Tendenz, für das Fehlverhalten Einzelner das ganze Kollektiv in Haftung zu nehmen, wollen manche in der öffentlichen deutschen Debatte ein Kriterium für Islamfeindschaft und zugleich einen Ansatzpunkt für die Behauptung einer strukturellen Ähnlichkeit zwischen dieser und dem Antisemitismus sehen. Dass damit zumindest mittelbar ein Vergleich etwa zwischen muslimischen Terroristen und einem für kritikwürdig gehaltenen jüdischen Verhalten (in der Finanzwelt? in den Medien? oder in Israels Politik?) gezogen wird, ist kaum zu leugnen. Auch dies zeigt, wie problematisch derartige Ansätze sind.

Auf der einen Seite stehen Tatsachen, nämlich Terror, islamischer Antisemitismus und Dschihadismus oder Vernichtungsdrohungen gegen Israel, die bei manchen zu unzulässigen Pauschalvorwürfen führen, auf der anderen Seite antisemitische Verschwörungskonstruktionen von jüdischer Finanz-, Medien- und Weltmacht, die nichts mit der Realität zu tun haben. Diese ganz verschiedenen Tatbestände auf die gleiche Ebene zu stellen, dort zu vergleichen oder gar gleichzustellen, ist nicht akzeptabel und wird auch nicht durch die Erwägung gerechtfertigt, man wolle eine „Opfer-Konkurrenz“ oder eine „Opfer-Hierarchisierung“ vermeiden. Man reduziert auf diese Weise, gewollt oder ungewollt, die negative Dimension von Antisemitismus. Zudem wird damit, in einer häufig festzustellenden Nebenwirkung, zulässige Kritik an Verhältnissen in islamischen Staaten und Gesellschaften unter einen „Islamophobie“-Verdacht gestellt, was im UN-Rahmen ja das erklärte Ziel mancher islamischer Staaten ist. In den 50er, 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts – auch später – wurde in Deutschland gegen den Auschwitz-„Vorwurf“ oft mit einem Dresden-Vergleich („Bomben-Holocaust“) argumentiert. Wir sollten verhindern, dass jetzt eine ähnliche Entlastung mit der „Islamophobie“-Konstruktion, mit dem „Islamophobie“-Kampfbegriff, propagiert wird.

Wer „Islamophobie“ und Antisemitismus gleichsetzt, relativiert nicht nur den Holocaust, sondern auch die aktuellen antisemitischen Gefahren. Dies gilt insbesondere für diejenigen Bedrohungen, die in der gegen Israel gerichteten, antisemitischen Völkermordpropaganda der Islamischen Republik Iran und ihrer atomaren Aufrüstungspolitik zu erkennen sind, aber ebenso für die Terrorgefahren, die von antisemitischen Organisationen wie Hamas oder der in Deutschland noch immer nicht verbotenen Hisbollah ausgehen. Eine Gleichstellung von „Islamophobie“ und Antisemitismus behindert deshalb die Antisemitismusbekämpfung, damit auch die Integrationspolitik in Deutschland, die den häufiger anzutreffenden islamischen Antisemitismus zu überwinden hat, und ebenso die Boykott- und Sanktionskampagnen gegen die atomare Bewaffnung der Islamischen Republik Iran und gegen ihre Völkermordpläne.

Man sollte in der Debatte, wie immer, differenzieren. Im Zentrum für Antisemitismusforschung – im ZfA – gibt es, wie auch sein neues Jahrbuch belegt, verschiedene Strömungen, gute und akzeptable Diskussionsbeiträge, daneben aber leider auch solche, die dazu tendieren, „Islamophobie“ und Antisemitismus gleichzusetzen, und z. B. in überzogenen „Antisemitismusvorwürfen“ gegen Muslime ein zentrales Ventil für „Islamophobie“ sehen. Was dabei im Einzelnen als überzogen zu bewerten sein soll, wird nicht ausgeführt. Noch weniger verständlich ist, dass in diesem Zusammenhang der umgekehrte Fall, nämlich die Wirkung von überzogenen „Islamophobie“-Vorwürfen auf Personen oder, etwa im UN-Rahmen, auf Staaten, weder thematisiert noch problematisiert wird. Aber noch einmal: Im Zentrum für Antisemitismusforschung sind auch andere Richtungen zu finden, auch im neuen ZfA-Jahrbuch.

Diskriminierung von Muslimen ist zu bekämpfen, um es erneut zu betonen. Man kann, wenn man will, alles mit allem vergleichen, auch Dresden mit Auschwitz und selbst „Islamophobie“ mit Antisemitismus. Man muss dann aber auch sagen, wo der Vergleich sinnlos ist und endet. Das gilt für die Wissenschaft und für die Politik.

Zwischenergebnisse und Bündnisfragen

Es ist gewiss zu früh, ein abschließendes Urteil über den Debattenverlauf und das Debattenergebnis des jüngsten Antisemitismusstreits zu fällen. Man kann aber vielleicht über mögliche Motive sprechen. Ich denke dabei nicht an diejenigen, die auf eine Relativierung der Antisemitismusbedeutung und -bekämpfung setzen. Sie gibt es – aber es lohnt sich nicht, mit Ihnen zu diskutieren. Ich spreche auch nicht von denen, die ganz bewusst mögliche, zulässige und sogar notwendige Kritik an islamischen Zuständen, in der Funktion eines Zwischenrufs nenne ich einen historischen Kritikernamen: Kemal Atatürk, behindern, diffamieren und, wenn möglich, verhindern wollen. Auch sie gibt es. Besonders zahlreich und stark sind sie zum Beispiel in den Vereinten Nationen, u. a. im Menschenrechtsrat, vertreten. Es gibt sie aber auch bei uns – mit sehr verschiedenen Richtungsangaben, z. B. als angeblich „Linke“ mit globalisierungskritischer, vielleicht auch antiwestlicher, antiamerikanischer oder antiisraelischer Tendenz (die man heute aber auch bei der NPD findet), als orthodoxe oder radikale Muslime, ebenso als Neonazis oder als schlichte Wahlopportunisten, die auf mögliche muslimische Stimmen in wichtigen Wahlen setzen. Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass sich die zuletzt genannte Motivvariante als politische Spekulationsblase erweisen wird, auf die die deutschen Muslime in ihrer großen Mehrheit nicht hereinfallen.

Zu denken ist vielmehr an diejenigen, die, wie hoffentlich alle Demokraten, antimuslimische Diskriminierung ebenso ablehnen, wie ein Kritikverbot gegenüber islamischen Zuständen im In- und Ausland oder eine Relativierung von Antisemitismus und Antisemitismusbekämpfung. Ist nach dieser Position ein breites Bündnis von den meisten oder allen großen muslimischen Verbänden bis hin zum Zentralrat der Juden in Deutschland sowohl gegen Antisemitismus als auch gegen antimuslimische und andere Diskriminierung nicht eine ansprechende Vorstellung, die die richtigen Lehren aus dem Holocaust zieht und geradezu einen demokratiepolitischen Idealweg des gesellschaftlichen Engagements beschreibt?

Unter bestimmten, noch nicht vorhandenen und erst herzustellenden Bedingungen kann es künftig vielleicht Ansätze für ein derartiges Bündnis geben. In den U.S.A. haben z. B. jüdische Organisationen eine historisch bedeutende Rolle bei der Förderung der Emanzipationsbewegung der heute als „Afroamerikaner“ bezeichneten Bevölkerungsgruppe, u. a. durch Unterstützung der N.A.A.C.P., gespielt. Dass diese Unterstützung nicht immer von allen honoriert wurde, ist eine reale Erfahrung, die im politischen Leben aber wohl „normal“ ist und den Sinn des Bündnisses nicht in Frage stellt.

Bei uns fehlen für vergleichbare Bündnisüberlegungen zurzeit aber entscheidende Voraussetzungen, auch wenn man einige der grundsätzlichen Unterschiede in der Situation von Sklavennachfahrern in den U.S.A. und von muslimischen Einwanderern in Europa einmal außer Acht lässt. Es gibt in Deutschland bislang noch kein größeres Ensemble von bedeutenden Verbänden deutscher Muslime, die man auch bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs als progressiv, als deutlich für die Integration aufgeschlossen oder auch nur als moderat in dem Sinne bezeichnen kann, dass sie die wesentlichen Bündnisgrundorientierungen – gegen Antisemitismus in allen Erscheinungsformen, gegen Kritikverbot gegenüber islamischen Zuständen, gegen Diskriminierung von Muslimen – teilen. Das Verhalten unserer muslimischen Verbände während des Gaza-Konflikts lässt bestimmte Rückschlüsse zu.

Es gibt selbstverständlich Vereinigungen, die die beschriebenen Bedingungen erfüllen; wahrscheinlich kann man schon heute diejenige der deutschen Alewiten zu diesem Kreis zählen. Die Verbändemehrheit sieht aber anders aus. Bündnisgespräche und -angebote haben für sie allerdings, was nach der Interessenlage leicht nachzuvollziehen ist, durchaus einen politischen Wert. Man sollte sich auf diesem Gebiet aber keinen Illusionen hingeben. Die Frage nach den öffentlich erkennbaren Positionen zur antisemitischen Völkermordpropaganda der Islamischen Republik Iran könnte, wie erwähnt, ebenso eine geeignete Testfrage sein, wie diejenige nach der Stellung zur antisemitischen Hamas oder zu Hisbollah.

Wir können leider nicht sicher sein, dass die deutschen Politikeliten über diese Verhältnisse gut genug informiert sind – was das Problem natürlich nicht reduziert, sondern verschärft. Die zurzeit erkennbare Verbändemehrheit ist dabei nicht so repräsentativ für die Mehrheit der deutschen Muslime, wie das manche annehmen. Es gibt, was als Anzeichen für eine Radikalisierung gesehen werden kann, Terraingewinne von Salafiyya-Hasspredigern bei muslimischen Jugendlichen. Integrationsoffenheit und eine, wenn auch begrenzte, Aufgeschlossenheit gegenüber dem Säkularisierungstrend der Umgebung ist andererseits auch bei vielen festzustellen, bei denen ebenso Integrationsdefizite, z. B. im Sprachlichen, zu erkennen sind. Etwas anders gelagert sind die Verhältnisse bei denjenigen, die bereits weitgehend integriert sind, deshalb aber wohl auch kein starkes Motiv haben, sich in eigenen Formationen zu organisieren.

Wenn man Bündnisse eingehen will, kommen daher, wie bereits früher ausgeführt, dafür nur progressive oder im beschriebenen Sinne moderate muslimische Formationen in Frage – die es ja gibt. Im Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus, dem ich angehöre, wirken auch Muslime mit. Der Streit über die Bedeutung von Antisemitismus und „Islamophobie“ ist in mehr als einer Beziehung, ausgehend von den Anfangsthesen bis hin zu den Ausfällen in Ton, Stil und Argumentationsmitteln, ärgerlich. Er bietet – das Gute im Schlechten – aber auch eine Chance: die Klärung von Bündnisfragen, die für die Antisemitismusbekämpfung wichtig sind.

Wir haben in den Gaza- und Iran-Debatten, die ja zusammengehören, was die Antisemitismusbekämpfung, die Demokratieverteidigung und die Menschenrechte anbelangt, gesehen, um was es geht.

 

Klaus Faber, Staatssekretär a. D., Rechtsanwalt und Publizist in Potsdam, Mitglied im Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus

 


 

Literaturhinweise

 

siehe dazu, neben den wenigen Angaben, auf die der Text vom 1.2.2009 verweist, die Literaturhinweise in:

 

Faber, Klaus (2008a), Islamophobie und Antisemitismus – Zwei sehr verschiedene Begriffe und Problembeschreibungen, Vortrag auf der Tagung „Islamischer Antisemtismus“ und „Islamophobie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung am 17.9.2008 in Berlin, in: hagalil, 21.9.2008, http://www.hagalil.com/archiv/2008/09/faber.htm

 

sowie

 

Faber, Klaus (2008b), Ein schiefer Vergleich, in: „Welt“, Literarische Welt vom 20.12.2008, S. 7

 

Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus (2008), Resolutionen, Berichte, weitere Unterlagen, in: http://honestlyconcerned.info/index_koordinierungsrat.html

 

Faber, Klaus (2009),  Gedenken an den Holocaust und Sorge um die ÜberlebendenDie Islamische Republik Iran und Israels Existenzrecht – ein Testfall für das deutsche Verhalten, erweiterte Fassung der Rede zur Holocaustgedenkveranstaltung im Senatssaal des Bayerischen Landtags am 26. Januar 2009; Schirmherrschaft: Bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm, in: http://de.stopthebomb.net/de/start/deutschland/text-audio-und-video/texte/klaus-faber/

 

 


 

 

Klaus Faber, Staatssekretär a. D. (Jurastudium, Studium der Volkswirtschaft und orientalischer Sprachen; 1994 bis 1999 Staatssekretär des Kultusministeriums in Sachsen-Anhalt), Rechtsanwalt und Publizist in Potsdam, Mitgründer und Kuratoriumsmitglied des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, Geschäftsführender Vorsitzender des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-,Vorpommern e. V., Mitglied im Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus; Mitglied der Redaktionen der Zeitschriften perspektive 21, Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik, Potsdam, sowie perspektivends, Marburg; Publikationen zu juristischen, wissenschafts- und bildungspolitischen Fragen, zur Föderalismus- und EU-Politik, zu Nahost-, Islam- und Antisemitismusfragen; u.a.: „Neu-alter Judenhass – Antisemitismus, arabisch-israelischer Konflikt und europäische Politik“ (Berlin: Verlag Berlin-Brandenburg, 2006, 2. Aufl. 2007, hg. mit Julius H. Schoeps und Sacha Stawski).

 

 

 


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