Israel hat keine klare Führung mehr

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Jerusalem, 10. Februar 2009 – Israels Innenpolitik muss auf Arabisch mit
„Bardak“ rechnen, oder gemäß dem persischen Lehnwort auf Hebräisch mit
„Balagan“. Auf Deutsch: Durcheinander. „Das Volk will Zipi“ jubelten die
Aktivisten der Kadima Partei, nachdem die Fernsehanstalten ihrer Partei  bei
den Hochrechnungen 29  Abgeordnete vorhergesagt hatten. Bis zur Auszählung
von 99 Prozent der Stimmzettel am Morgen schrumpfte die Zahl der Mandate auf
nur noch 28. Livni steht an der Spitze der größten Partei und erhielt ein
Mandat mehr als der rechte Likudblock unter Benjamin Netanjahu. Allen
Vorhersagen zum Trotz erheischte die konkurrierende Likudpartei nur 27
Mandate der insgesamt 120 in der Knesset, dem israelischen Parlament. Für
Benjamin Netanjahu eine peinliche Niederlage, da er mit einem Wahlsieg
gerechnet hatte. Die wahre Niederlage erlebte freilich die Arbeitspartei
unter Ehud Barak. Diese Partei hatte den Staat Israel gegründet und dreißig
Jahre lang die Geschicke des Staates geführt. Nur 13 Mandate erhielt diese
ehrwürdige Partei, die Israel selbstverständlich bei der sozialistischen
Internationale repräsentiert und mit Persönlichkeiten wie David Ben Gurion,
Golda Meir, Jitzhak Rabin und Schimon Peres zu den Grundfesten des Staates
Israel gehört. „Ich will die Partei auf den ihr gebührenden Platz
zurückführen“, sagte in der Wahlnacht der geschlagene Parteichef Ehud Barak.
Schon wird gemunkelt, dass sich die schmerzlich geschrumpfte Arbeitspartei
spalten könne und dass Barak sie zur weiteren Selbstzerfleischung führen
werde.
Der Neueinwanderer aus Russland, Avigdor Liberman, der sich mit
populistischen bis rassistischen Sprüchen gegen die Araber hervorgetan hat,
überflügelte mit 15 Mandaten die Arbeitspartei und wurde so zur dritten
Kraft im Lande.
In der Nacht verkündeten Zipi Livni und Benjamin Netanjahu ihren Wahlsieg.
Die Frau an der Spitze der größten Partei Israels will eine „Koalition der
nationalen Einheit“ mit dem Likud und der Arbeitspartei. Aber der
sozialistische Ehud Barak will sich wohl eher in die Opposition
zurückziehen, während für Netanjahu eine Regierung unter Livnis Führung
nicht in Frage kommt. Der „rechte Block“ frommer, rechter und national
ausgerichteter Parteien ist mit 65 Mandaten größer als der „linke Block“ mit
nur 55 Parlamentariern.
„Königsmacher“ Avigdor Liberman hat seine Präferenz noch nicht verkündet.
Sollte er sich Livni anschließen, könnte er ihr harte Bedingungen für den
Friedensprozess, bei territorialen Fragen und bei der Behandlung der
israelischen Araber stellen. Eine Koalition mit Netanjahu wäre für ihn nicht
viel einfacher, nachdem der geistige Führer der orientalisch-frommen
Schasspartei (11 Mandate) in den Tagen vor der Wahl verkündet hatte, dass
die Stimmabgabe für Libermans Partei einem Votum für den Satan gleich komme.
Gänzlich verschwunden von der politischen Landschaft ist die Rentner-Partei.
Die hatte sich mit immerhin sechs Mandaten in der Knesset um finanzielle
Hilfe für Holocaustüberlebende gekümmert und um eine bessere
Krankenversorgung. 2006 profitierten sie von der Politikverdrossenheit
junger Israelis aus Tel Aviv. Diesmal schafften die Greisen nicht einmal die
2-Prozent-Hürde und wurden von ihren früheren Wählern in die Rente
geschickt.
Wie sie es auch drehten, brachten die besten Zahlenakrobaten unter den
politischen Kommentatoren keine denkbare Koalition zustande. Der Wähler habe
keine klare Entscheidung zustande gebracht und so werde Israels künftige
Regierung in jedem Fall schwach sein. Da die vermeintlichen Sieger allesamt
schlecht abgeschnitten haben und aus persönlichen oder politischen Gründen
kaum an einem Tisch zusammensitzen können, gelten eine große Koalition oder
eine Koalition mit rotierendem Ministerpräsidenten als ebenso unrealistisch
wie eine schmale Rechtsregierung. Staatspräsident Schimon Peres fällt nun
die undankbare Aufgabe zu, jenen Politiker ausfindig zu machen, der die
beste Chance hat, eine Regierungskoalition zu bilden. Die Frau an der Spitze
der größten Partei Israels wird nicht automatisch nächste
Ministerpräsidentin werden.
Während der ganzen Nacht waren übrigens die Internet-Benutzer Israels von
der Außenwelt abgeschnitten. Angeblich wegen des stürmischen Wetters
brachen die Server der Internetfirma Medwan zusammen. Alle Internetbetreiber
Israels sind über Medwan an das weltweite Netz angeschlossen. Alternativen
gebe es nicht, sagte ein Vertreter des größten israelischen
Internet-Betreibers Netvision. Exakt eine halbe Stunde vor Veröffentlichung
der Hochrechnungen wurde Israel vom Internet gekappt.  Erst am Mittwoch
Morgen gegen 8 Uhr Ortszeit konnten wieder Emails versandt und die
Hochrechnungen auf den Internetseiten der israelischen Zeitungen und
Nachrichtendienste abgerufen werden.

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