Das nationale Schweigen im Iran

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 Das nationale Schweigen im Iran 

Wahied Wahdat-Hagh von Wahied Wahdat-Hagh, Kolumnist für WELT DEBATTE

 

Ex-General Mohssen Rezai weiß, dass bei den letzten Wahlen im Iran mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten den Gang zu den Wahlurnen boykottiert hat. Er spricht von einem „nationalen Schweigen“, das er nun brechen will.

Mohssen Rezai ist Ex-General der iranischen Revolutionsgardisten und gegenwärtig Sekretär der Versammlung zur Erkennung der Systeminteressen, euphemistisch auch Schlichtungsrat genannt. Die Aufgaben dieses Organs sind die Regierungspolitik zu beaufsichtigen, dem „Führer“ Politikvorschläge zu machen und bei Konflikten zwischen dem Wächterrat und dem islamischen „Parlament“ zu schlichten.

Mohssen Rezai trat am 16.4.2009 auf einem Kongress der „Partei der Entwicklung und der Gerechtigkeit des islamischen Iran“ in Teheran auf.
Es gäbe eine große staatliche Korruption und Geldverschwendung, beklagt Rezai. 55 Prozent des jährlichen Staatsbudgets würden verschwendet werden. Der Ex-General weiß also, dass mehr als die Hälfte des Staatsbudgets im Sumpf der Korruption versinkt. Der Ex-General kennt auch die Gründe: Es nütze gar nichts die Verantwortung bei Einzelnen zu suchen. Geldverschwendung und Korruption seien ein Managementproblem.

Das Schweigen des Volkes und die Parolen der Diktatur

Mehr als vier Millionen Menschen würden unter Drogensucht leiden, betont der Ex-General. Diese Drogenabhängigen würden im Grunde mindestens drei weitere Menschen in Mitleidenschaft ziehen, so dass rund 15 Millionen Menschen ständig unter Drogenproblemen zu leiden hätten. Von Prostitution, Frauenhandel und von obdachlosen Kindern hat er dort nicht gesprochen.

Rezai gibt auch zu, dass es unterschiedliche Angaben über die Zahl der Wahlberechtigten im Iran gibt. Staatliche Stellen würden von 46 Millionen Wahlberechtigten ausgehen, Experten jedoch von 52 Millionen. Fakt sei auf jeden Fall, dass sich nur 25 Millionen Einwohner an den Wahlen beteiligen würden. Dieses „nationale Schweigen“ müsse gebrochen werden. Er fügte hinzu: „Genauso wie dieses Schweigen im Krieg und während der Revolution gebrochen worden ist.“

Auch Rezai verwendet Parolen, die Ex-Präsident Khatami gerne einsetzte, um die Forderungen der Zivilgesellschaft ideologisch zu neutralisieren.

Für Freiheit, Unabhängigkeit und Volksherrschaft

Rezai spricht sich für „politische Institutionen“ aus, die doch nur ein Beweis für die „Errungenschaften der islamischen Revolution“ seien. Er tritt auch für „Freiheit, Unabhängigkeit und Volksherrschaft“ ein. Parteien und Medien würden den Staat stärken.

Rezai meint, das iranische Volk wolle vom nächsten Präsidenten wissen, wie die Konfrontation mit den USA in den nächsten vier Jahren aussehen werde. Eine Regierung müsse genau zusehen, wie sie ihre Chancen nutzt und die Bedrohungen überwindet.

Das Problem ist, dass seit der Islamischen Revolution von 1979 keine freien Medien und Parteien und politischen Institutionen im Iran existieren. Geblieben ist die ideologische Propaganda der Diktatur.

Konkurrenzwirtschaft ohne freien Markt

Schon am 7.4.2009 hatte sich Mohssen Rezai in einem Interview für eine „freie Wirtschaft“ ausgesprochen.
Er geht davon aus, dass Konkurrenz Profitmaximierung ermögliche, und kritisiert die staatliche Monopolisierung der iranischen Wirtschaft.

Der Ex-General kann dennoch keinen freien Fluss von westlichen Waren in den Iran befürworten. Beispielsweise kann die islamische Diktatur Barbiepuppen nicht gutheißen, Bikinis für Damen auch nicht, worauf er selbstverständlich nicht eingeht.

Dem Ex-General geht es zu langsam mit dem technologischen Fortschritt im Iran. Er bemängelt die „fehlende nötige Geschwindigkeit“. Der Iran brauche ein modernes Managementsystem, das nicht auf „trial and error“ beruhe. Die wirtschaftlichen Interessen des Landes müssen erkannt und durchgesetzt werden. Ein neues Wirtschaftsmanagement werde benötigt. Es gäbe eine Kluft zwischen den Wirtschaftspraktikern und Wirtschaftsexperten, die aufgehoben werden müsse. Es müsse eine Brücke zwischen dem Erfahrungswissen der letzten 30 Jahre und der klassischen Wirtschaftswissenschaft hergestellt werden.

Koalitionsregierung aller Islamisten

Rezai will eine Koalitionsregierung, in der beide islamistischen Flügel präsent sind, die sogenannten Hardliner und die sogenannten Reformer, die die islamistische Diktatur mit unterschiedlichen Taktiken stabilisieren wollen.

Der Ex-General meint damit nicht eine Koalitionsregierung zwischen linken oder rechten säkularen Kräften, auch nicht zwischen sozialdemokratischen und nationalbürgerlichen oder nationalreligiösen Kräften, ganz zu schweigen von den verschiedenen Schattierungen der Royalisten und der Sozialisten. Denn all diese politischen Kräfte sind in der „Islamischen Republik Iran“ verboten.

Rezai meint eine Regierungskoalition zwischen den zerstrittenen islamistischen Flügeln, die alle zusammen in den 80-er Jahren in der Islamisch-Republikanischen Partei versammelt waren.

Rezais Koalitionsregierung strebt eine Einheitsregierung aller khomeinistischen Splittergruppen an. Er kritisiert tatsächlich, dass die Regierungen seit 30 Jahren mehr oder weniger von charismatischen Persönlichkeiten abhängig gewesen seien. Dies habe negative Einflüsse auf die Politik gehabt.

Das Ziel einer Koalitionsregierung sei eine stabilere Wirtschaft. Übersetzt heißt dies, wenn alle islamistischen Flügel sich einigten, könne die Wirtschaft sich erholen.

Mohssen Rezai über die beiden islamistischen Flügel

Mohssen Rezai analysiert die beiden existierenden islamistischen Flügel, den reformistischen und den prinzipientreuen wie folgt: Beide Gruppen seien Produkte eines von Sicherheitspolitik geprägten Irans. Daher haben beide Flügel kein besonders stark ausdifferenziertes Wirtschaftsprogramm, meint Rezai. Dabei habe die iranische Gesellschaft inzwischen die sicherheitspolitischen Probleme überwunden, meint der Ex-General optimistisch.

Rezai betont, er habe in den letzten zehn Jahren erfolglos für eine solche einheitliche Koalition gekämpft.

Wer regiert im Iran?

Rezai erklärt, in welchen Gremien die Politik geplant wird: Zunächst würden Expertengruppen der Versammlung zur Erkennung der Systeminteressen Vorlagen liefern, die in deren Fachkommissionen, von denen es zehn verschiedene gibt, diskutiert und überarbeitet werden. Zudem würden alle Forschungsinstitute des Landes zu bestimmten Themen befragt werden. In der Hauptversammlung dieses Organs würden die vorbereiteten Entwürfe diskutiert und erneut überarbeitet werden, bevor sie schließlich dem Führer, Ali Khamenei, als Vorschlag vorgelegt werden. Ali Khamenei entscheidet dann endgültig über die politischen Ziele und über den politischen Kurs.

Rezai erklärt weiter, dass die Versammlung zur Erkennung der Systeminteressen meist in Aktion trete, nachdem die Regierung ihre Vorschläge dem islamischen „Parlament“ vorgelegt habe. Falls ein Beschluss den „Grundsätzen“ der politischen Linien des Systems nicht entspreche, würde der Wächterrat darüber entscheiden. Notfalls müsse das „Parlament“ neue Entwürfe machen, falls der Wächterrat Einwände äußere.

Manche seien der Meinung, sagt Rezai, dass die Regierung die Stoßrichtung der Politik bestimmen müsse. Es sei auch nichts dagegen einzuwenden. Wenn eine Regierung aber kaum etwas unternehme, würde die Versammlung zur Erkennung der Systeminteressen dem Führer Vorschläge unterbreiten.

Damit wird deutlich, dass der jeweilige Präsident, über die politischen Ziele des Iran nicht wirklich entscheidet. Ahmadinejad stand in den letzten Jahren mit seinen Meinungen nicht gänzlich alleine. Auch der nächste Präsident wird keine von den wichtigen totalitären Organen des Staates unabhängige Politik machen können. Mohssen Rezai jedenfalls hat sich noch nicht entschieden, ob er als Präsidentschaftskandidat die politische Bühne der Diktatur betritt.

 

 


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