Die „Zweistaatenlösung“

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Jerusalem, 21. Mai 2009 – Standhaft weigert sich Israels Ministerpräsident, die Zauberformel der vermeintlichen „Lösung“ des Nahostkonflikts auszusprechen. Die deutsche Regierung, Obama und sogar der Papst haben die „Zweistaatenlösung“ längst zum Dogma erhoben. Da stört es, wenn sich Israels Außenminister Avigdor Lieberman lautstark dagegen ausspricht. Netanjahu gibt sich schwerhörig, wenn jemand dieses Unwort in seiner Gegenwart erwähnt. Er könnte Ärger mit seiner Koalition bekommen.
Lieberman erntet so den kompletten Katalog abschätziger Prädikate wie Rassist, Erznationalist, Ultra-Rechter, Ultranationaler und ähnliches, während Netanjahu der amtierende „hardliner“ ist, in der Nachfolge des bis heute im Koma liegenden Ariel Scharon.
Mit dem Glaubensbekenntnis der Zweistaatenlösung gehen Forderungen an Israel einher. Die „illegalen“ Vorposten müssen sofort weggeräumt werden. In den Siedlungen darf nicht mehr gebaut werden. Selbst in Jerusalem wird schon jede neue Wohnung zur „Siedlung“ gekürt, die dem Frieden im Weg stehe. Zudem soll Israel Sperren wegräumen, den Boykott gegen die Hamas im Gazastreifen aufheben, seine Grenzen öffnen und die Mauer verschwinden lassen.
Dass die Palästinenser geteilt sind in Fatah und Hamas, in Westjordanland und Gaza, wird bedauert, aber nicht als Hinderungsgrund für Frieden gesehen. Dass die Hamas immer noch Israel mit Raketen beschießt, wird nicht gesehen, da meist nur über israelische Reaktionen berichtet wird. Und dass es täglich versuchte und von den Israelis vereitelte Terroranschläge gibt, ist unbekannt. Denn solange es keine Toten gibt, ist das keine Meldung wert.
Die Zwei-Staaten-Lösung akzeptiert sogar Lieberman. Die Roadmap, die „Straßenkarte zu einer Zwei-Staaten-Lösung“, zählt zu jenen „bindenden“ Dokumenten, die Israels Regierung befolgen will, zumal das israelische Parlament diesen Vorschlag von UNO, USA, EU und Russland mit Mehrheitsbeschluss angenommen hat.
Spätestens mit der völkerrechtlichen Anerkennung des palästinensischen Volkes, vertreten durch die PLO, und mit der Einrichtung einer autonomen Selbstverwaltung der Palästinenser in Gaza und im Westjordanland, sieht die Mehrheit der Israelis die Chance, mehrere Probleme auf einen Schlag zu lösen: das ethisch korrumpierende Besatzungsregime und die ungeliebten Palästinenser loszuwerden, die jüdische Mehrheit im Staat Israel zu sichern, international anerkannte Grenzen zu erhalten und am Ende in Frieden mit der arabischen Umwelt existieren zu können.
Doch die Hoffnungen nach den Osloer Verträgen von 1993 und dem Einzug Arafats wurden schnell und systematisch zerschlagen. Der Terror erhielt zusätzlichen Auftrieb, die antiisraelische Hetze wurde unerträglicher, in den bis dahin von den israelischen Besatzern zensierten palästinensischen Schulbüchern wurde offen die Zerstörung Israels gelehrt. Anstelle von Verhandlungen und Frieden wurde der „bewaffnete Widerstand“ propagiert. Und Arafat machte keinen Hehl aus seinem Ziel, die Juden, wenn nicht mit Waffen, dann eben mit der palästinensischen Gebärmutter zu besiegen. Gleichwohl gibt es zur Zwei-Staaten-Lösung für die meisten Israelis keine Alternative. Der Teufel steckt im Detail.
Im Libanonkrieg 2006 hat die Hisbollah eine Million Israelis in die Flucht geschlagen, während das israelische Militär kein wirksames Gegenmittel gegen die primitiven Stalinorgeln besaß. Die Hamas hielt während des Gazakrieges im Januar ebenso viele Israelis in der Reichweite ihrer Raketen in Schach. Spätestens dann wurde den Israelis klar, dass ein ähnliches militärisches Vorgehen vom Westjordanland aus ganz Israel, von Haifa über Tel Aviv und Jerusalem bis Beer Schewa und Dimona, in eine nicht-zu-verteidigende Hölle verwandeln würde. Deshalb fordert Israel eine Entmilitarisierung des künftigen Staates Palästina, was verständlicherweise gegen die „Ehre“ der Palästinenser verstößt.
Die Palästinenser bestehen auf der Waffenstillstandslinie von 1949 als künftiger Staatsgrenze. Doch die Israelis wollen die „großen Siedlungsblöcke“ just jenseits der „grünen Linie“ im besetzten Westjordanland auf ihre Seite ziehen. Sie sind bereit, dafür einige Landstriche zu „tauschen“, damit wenigstens die Quadratkilometer stimmen. Hoch emotional ist der Streit um das „Heilige Becken“ Jerusalems. Die Palästinenser verlangen selbstverständlich den vermeintlich „traditionell arabischen“ Osten Jerusalems mitsamt Klagemauer und jüdischem Friedhof auf dem Ölberg. Die Israelis wollen keine erneute Teilung der Stadt. Sie trauen den Palästinensern wegen schlechter Erfahrungen nicht, künftig Zugang zu jüdischen Heiligen Stätten unter arabischer Souveränität zu haben.
Auch andere Details lassen Fragen offen. Warum ist Israel „lebensfähig“, wenn es nördlich von Tel Aviv, zwischen Nord und Süd, nur einen 14 Kilometer breiten Korridor gibt? Für die Palästinenser ist es jedoch „unzumutbar“, über einen 20 Kilometer breiten Korridor bei Jericho zwischen dem Norden und Süden des Westjordanlandes zu verfügen, falls die Siedlung Maaleh Adumim bei Israel bleiben sollte.
Während die Hamas grundsätzlich einen nicht-muslimischen Staat in arabischem Territorium ablehnt, die Autonomiebehörde viele Milliarden Euros versickern ließ, anstatt eine Zivilgesellschaft aufzubauen, ohne die kein Staat funktionieren kann, sehnen sich alte Palästinenser nach der jordanischen Herrschaft zurück. Christen in Bethlehem hoffen insgeheim auf eine Rückkehr der israelischen Besatzung. Ausgerechnet bei den Palästinensern findet man heute kaum mehr einen Verfechter der Zwei-Staaten-Lösung, obgleich jene, die dafür eintreten, es nur mit den Palästinensern gut meinen, nicht aber mit den Israelis.

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