Startup mit der „Rose von Jericho“

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Jerusalem, 26. Juli 2009 – „Die 83 Jahre alte Frau brach in Tränen aus“, erzählt in gebrochenem Deutsch Oded Hamm, ein exzentrischer israelischer Tourguide. „Endlich habe ich verstanden, warum mein Vater mich als kleines Kind `Rose von Jericho´ nannte“, ergänzt er die Geschichte der alten Frau. Hamm trägt einen abgewetzten Lederhut auf dem Kopf, Latzhose und ein von der Sonne gegerbtes Gesicht.
Hamm bezeichnet sich als „Erfinder“. Erstmals gelang es ihm, die wundersame Wüstenpflanze „Rose von Jericho“ künstlich anzubauen. Als „start-up“ Unternehmer will er sie nach Europa exportieren. Er sitzt am Steuer seines knallroten Landrovers, den er mit lauter eigenen Erfindungen verbessert hat. Am Ersatzrad an der Hintertür des Geländewagens hat er ein klappbares Brett montiert. Wenn er Touristen auf unwegsamen Pfaden durch die Wüste führt, dient das Brett ihm als Tisch, um Kaffee zu kochen.
Wir treffen ihn an der Almog-Kreuzung. Links geht es nach Jericho, der ältesten und tiefsten Stadt der Welt, geradeaus zum 400 Meter unter dem Meeresspiegel liegenden Toten Meer. Nahe der Taufstätte Jesu am Jordan, jüngst für christliche Pilger wieder hergerichtet, fährt er zwischen Dattelhainen und Feldern mit Gewürzen zu einem verschlossenen Tor. Ein Gastarbeiter aus Thailand bringt den Schlüssel. Schließlich stehen wir vor einem Feld, wo schief und krumm kugelrunde verdörrte Pflanzen wachsen. „Das ist die berühmte Rose von Jericho“, sagt Hamm stolz.
Die Dreifurchenpollen-Zweikeimblättrige (Rosopsida), kreuzblütlerartige (Brassicales) Auferstehungspflanze (lateinisch: Anastatica hierochuntica) heißt volkstümlich „Echte Rose von Jericho“. Niemand weiß, ob die „Rose von Jericho“ im biblischen Buch Sirach identisch ist mit der Anastatica hierochuntica. Laut Legende habe Maria sie auf der Flucht nach Ägypten gesehen und gesegnet. Sie wurde als „Wiederauferstehungsplanze“ mit Christus in Verbindung gebracht und gedeiht nach Angaben von Hamm nur in extrem heißen Wüstengegenden mit seltenen Regengüssen. Zudem findet man sie nur in Gebieten unter dem Meeresspiegel, bei Jericho oder entlang des Toten Meeres.
Das kugelförmige Gestrüpp öffnet sich wundersam, wenn es alle paar Jahre in der Wüste ordentlich regnet – oder, wenn man es in eine Wasserschüssel legt. Die Pflanze verschießt dann mit einem hörbaren knacken einige Samen weit von sich, in der „Hoffnung“, dass sie im durchtränkten Boden gedeihen und schnell wachsen. Sie blüht kurz. Sowie die Sonne wieder brennt, schließt sie sich und verdorrt… bis zum nächsten Regen. Diese Wiederbelebungen können unbegrenzt wiederholt werden. Ihr scheinbares Wiedererwachen ist ein rein physikalischer Vorgang. Die vertrocknet aussehende Pflanze ist wirklich tot. Wenn sich aber die Zellen mit Wasser voll saugen, entfaltet sie sich. Die tote Pflanze dient dem Schutz der Samen, die in der Natur nach einem kräftigen Regenguss sofort zu keimen beginnen.
Angeblich brachten Kreuzfahrer im Mittelalter die Wunderpflanze nach Europa. Der Paderborner Pfarrer Ludolph von Suchen erwähnt sie 1350. Man kann sie unzählige Male mit Wasser wiederbeleben, vorausgesetzt man lässt sie zuvor völlig austrocknen. Ihr werden magische Kräfte nachgesagt, etwa bei der Geburt oder guter Schlaf, wenn man sie unters Bett legt. Ihre ätherischen Öle bieten vermeintlich Schutz gegen Kleidermotten und taugen zur Vertilgung von Zigarettenrauch. In Deutschland, Frankreich, Österreich und Rumänien wurde sie von einer zur nächsten Generation weitergegeben. Die „Rose von Jericho“ war auch eine Orakelblume. Laut «Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens» strömte an heilig Abend um 1820 das Volk in Scharen zu einem Haus mit einer «Wiehnachtsblueme» in Riesbach. Ihr Aufgehen wurde als Vorzeichen für das Wetter im nächsten Jahr gedeutet.
„In Deutschland kann man sie für wenig Geld kaufen. Doch angeboten wird ein Farn aus Mexiko, das sich nach dem gleichen Prinzip öffnet und schließt. Das ist aber Betrug und nicht die echte Rose von Jericho“, erbost sich Hamm und prüft Wege, die „echte“ Rose von Jericho nach Europa zu exportieren, nachdem er sie erfolgreich auf einem staubigen Wüstenfeld nahe Jericho künstlich angebaut hat. Hamms erste gedruckten Prospekte sind freilich noch mit Schreib- und Grammatikfehlern gespickt. Die „Heilkräfte“ der Pflanze lässt er lieber unerwähnt, „sonst brauche ich noch eine Genehmigung der Gesundheitsbehörden“. Die Heilkräfte seien zudem nie wissenschaftlich nachgewiesen worden.
Sein erster Kunde ist der Andenkenladen der Dormitio-Abtei in Jerusalem auf dem Zionsberg. Dort sei die Jungfrau Maria entschlafen und in den Himmel gefahren. Auf einem Mosaik zur Flucht des Heiligen Paares ist ein Gestrüpp abgebildet: die Rose von Jericho. Ebenso kann man die „Echte Rose von Jericho“ in durchsichtiger Plastikdose mitsamt Prospekt an der Tankstelle bei Kibbuz Almog erstehen, rechter Hand nach der Abzweigung nach Jericho.


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