Das einzige Blinden-Gehörlosen-Stummen Theater der Welt

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Jerusalem, 1. August 2009 – Elf Männer und Frauen sitzen hinter einem langen Tisch. Sie tragen eine weiße Maske ohne Augen- oder Mundlöcher. „Ich erkenne Menschen durch Berühren. Ohne Hände gibt es keine Kommunikation.“ Zwei schwarz gekleidete junge Frauen schlagen fest auf eine große Trommel. Die Schauspieler nehmen ihre Maske vom Gesicht. Wieder ein Trommelschlag. Die Schauspieler wenden einander zu.
„Na Lagaat“ (Bitte berühren) heißt das weltweit einzige Theater, bei dem alle Schauspieler nicht nur gehörlos und stumm, sondern noch dazu blind sind. „Nicht vom Brot allein“ nennt sich das Stück, das zwei Jahre lang mühselig entstudiert wurde. Die blinden Taubstummen mussten lernen, die Vibrationen der Trommeln zu erspüren. Die geben das Zeichen für die nächste Szene. Anfangs kneten sie frischen Brotteig. Hefegeruch erfüllt den Theatersaal. Während der Teig in Backformen aufgeht, bieten die Schauspieler Einblicke in ihre stille Welt der Finsternis. Sie tanzen, erzählen ihre Träume, eine Hochzeit wird auf der Bühne gefeiert, ihre Tournee nach Italien wird mit buntem Getöse dargestellt. Wie beim berühmten Bild von Breughel packen sich die Schauspieler an der Schulter, um von einem der schwarzgekleideten Helfer hinaus geführt zu werden. Die Helfer drücken sie in der nächsten Szene auf einen bereitstehenden Stuhl, den sie selber nicht sehen.
Was die Blinden in Taubstummensprache zu sagen haben, wird von einem Helfer an der Seite der Bühne für das Publikum in hörbare Sprache übersetzt. Gleichzeitig gibt er das Gesagte in Gebärdensprache wieder, während über der Bühne der Text in Arabisch, Hebräisch und Englisch auf eine Leinwand geworfen wird. Nach anderthalb Stunden erfüllt den Saal der Duft frischen Brotes.
Adina Tal, 56, die aus Zürich stammende Regisseurin und Leiterin des im Jahr 2002 gegründeten Projekts, erklärt dem Publikum den Sinn und die Problematik dieses Theaterprojekts, ehe die Zuschauer eingeladen werden, auf der Bühne das frisch gebackene Brot zu kosten. „Es gibt Theater mit Blinden und mit Taubstummen, aber es gibt kein zweites Theater in der Welt, bei dem die Schauspieler alle drei Behinderungen haben.“
Jede Probe und Aufführung sei mit einer aufwendigen Operation verbunden. Die Schauspieler müssen aus allen Teilen des Landes abgeholt und nach Jaffo gefahren werden. Auf der Bühne müsse jeder Schritt, jede Bewegung, eingeübt werden. Die zusätzlich gehbehinderte Schauspielerin Genia Shasky habe sich mal beklagt, an einem Tag fünfzig Mal „geheiratet“ zu haben.
Wie sich herausstellt, bietet sogar die Gebärdensprache der Gehörlosen keine Garantie für Kommunikation unter den arabischen Kellnern im angeschlossenen Restaurant und den jüdischen Schauspielern, von denen einige aus Russland eingewandert sind. Die hebräische Gebärdensprache sei der Deutschen ähnlich, weil sie Ende des neunzehnten Jahrhunderts von einem Taubstummen aus Deutschland mitgebracht worden sei. Doch die Russen und die Araber hätten eine eigene Gebärdensprache entwickelt. Itzik verwendet die „Handschuh-Sprache“, bei der jedes Fingergelenk einen anderen Buchstaben repräsentiert. Und Yuri „redet“, indem er mit den Fingern die Braille-Blindenschrift auf die Handfläche seines Partners drückt.
Die Regisseurin Tal war vor einem Monat in Berlin, um eine Tournee nach Deutschland und in andere europäische Staaten auszuloten. „Es ist sehr teuer, uns zu transportieren. Jeder Schauspieler benötigt einen Übersetzer an seiner Seite. Mit technischem Personal handelt es sich um 30 Personen. Hinzu kommen Bühnenbauten, darunter Backöfen“, erzählt sie. Das Theater finanziert sich zu 80 Prozent selber. Der Rest wird aus Spenden bestritten. Deshalb müsse sich die Auslandstournee auch finanziell auszahlen. Um ein neues Theaterstück zu proben, müsse ein extra Budjet gefunden werden. „Auch ohne Reklame ist unser Saal stets gefüllt. Die Zuschauer kommen dank Flüsterpropaganda, um an diesem einzigartigen Erlebnis teilzuhaben.“
Dem Theater im Hafen von Jaffo angeschlossen sind ein Kaffee mit taubstummer Bedienung und ein Restaurant, in dem man in totaler Finsternis von blinden Kellnern bedient wird.
http://www.nalagaat.org.il/home.php

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