Fatah Parteitag verlängert

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Jerusalem, 6. August 2009 – Gähnende Leere herrscht in Bethlehem. An jeder Ecke stehen in kleine Gruppen uniformierter Männer mit umgehängtem Kalaschnikow-Schnellfeuergewehr. Hellblaue Gitter sperren großräumig das Stadtzentrum mitsamt Krippenplatz und Geburtskirche ab. Die Parkplätze sind voll mit chromblitzenden, schwarzlackierten Spritschluckern mit Vierradantrieb der teuersten Autobauer Europas und der USA. Vor der Kirche mit der Krippe Jesu stehen aufgereiht TV-Übertragungswagen, einer sogar mit Frankfurter Nummernschild. Plötzlich ist rhythmisches Pfeifen und heftiges Trampeln zu hören. Quer über den Platz marschiert im Gleichschritt ein Trupp palästinensischer Polizisten mit Helmen, Schlagstöcken und Gewehren. Das haben ihnen britische und deutsche Instrukteure einstudiert.
Im Friedenszentrum Bethlehems sitzen gelangweilte Journalisten. Das Pressezentrum hat sich in Luft aufgelöst. So gibt es auch keine Ausweise am Band, um das katholische Terra Santa Konferenzzentrum zu betreten. Da hat sich die weltliche Fatah-Partei eingemietet, um erstmals nach 20 Jahren ihren Parteitag abzuhalten. Die Fatah-Partei hat unter der Führung von Jassir Arafat den palästinensischen Nationalismus und damit auch das palästinensische Volk aus dem Boden gestampft. Die Dachorganisation PLO mit der Fatahpartei als größte Fraktion wurde international und auch von Israel als offizielle Vertreterin des palästinensischen Volkes anerkannt, obgleich sie nur das halbe Volk vertritt. Die ab 1987 zur Hamas mutierten Moslembrüder haben sich der PLO nie angeschlossen.
Doch Fatah blieb das Schicksal anderer Befreiungs-Organisationen nicht erspart, sowie sie revolutionären Kämpfergeist über Bord werfen mussten, um als Bürokratie einen Quasi-Staat zu verwalten.
Die Parteispitze ist überaltert, verknöchert und korrupt. „Wir respektieren alle Religionen, vor Allem das Christentum, weil Jesus Palästinenser war“ sagte Jamal Muhaisen, Fatah-Gouverneur von Nablus, als er Journalisten darstellte, wieso die Fatah als „historische Gründerin Palästinas geeint und gestärkt an der Macht bleiben“ werde.
Die jüngere und stramm disziplinierte islamistische Hamasbewegung konnte bei den Wahlen im Januar 2006 die alt und müde gewordene Fatah überflügeln. Vom dem Schock hat sich Fatah bis heute nicht erholt. Hinzu kam der erniedrigende Rauswurf der Fatah aus Gaza im Juli 2007. Obgleich auch Arafat zuletzt ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, verlor die Partei mit dem Tod Arafats das letzte Symbol eines Zusammenhalts.
Die alte Garde um Gründervater Abbas klebt an ihren Sesseln. Selbstverständlich wird der 74 Jahre alte Abbas im Amt bleiben, obgleich er als schwach gilt. Ein besserer „Rais“ (Kopf) ist nicht Sicht.
Als sich 2000 Delegierte erstmals in der Heimat und nicht in Tunis oder anderswo im Exil einfanden, wurde die Rechtmäßigkeit des Parteitags hinterfragt. Scharfe Kritiker des Osloer Prozesses wie Farouk Kaddoumi weigerten sich, die israelischen Grenzkontrollen auf dem Weg nach Bethlehem zu erdulden. Aus Gaza schafften es nur 50 Fatahleute, heimlich und mit israelischer Hilfe, ins Westjordanland zu entkommen. Die „de facto“ Regierung der Hamas in Gaza konnte 500 Delegierte festhalten. Obgleich Abbas und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angeblich nicht miteinander reden, erhielten Fatah-Leute aus Libanon und Syrien ganz unbürokratisch von Israel eine Einreisegenehmigung. Sogar Khaled Abu-Usbah durfte kommen und wurde wie ein großer Held gefeiert. Er hatte sich 1978 als 18-Jähriger an einem Massaker an 37 Israelis auf der Küstenstraße bei Tel Aviv beteiligt und überlebt. Freimütig stellt er sich Fragen israelischer Reporter, äußert keinerlei Reue und steht weiterhin auf „bewaffnetem Widerstand“, bis die Israelis alles Land geräumt und Millionen Flüchtlinge eingelassen haben. „Die Palästinenser sind zu Frieden bereit, vorausgesetzt, die Israelis stimmen ihrem Untergang zu“, kommentierte ein Israeli diese Haltung.
Auf Arabisch geben sich Veteranen wie Dschibril Radschoub kämpferisch, um mit der Rhetorik der Hamas mitzuhalten. Hamas ist bei dem Parteitag ein schlimmerer Feind als Israel. Auf Hebräisch oder Englisch redet Radschoub versöhnlicher von „bewaffnetem Widerstand gemäß internationalem Recht“. Die meisten Sitzungen finden unter Ausschluss der Presse statt. Es gab Streit um den künftigen Weg er Partei und sogar Gewalt, als Abbas den Delegierten aus Gaza und dem Ausland den Zutritt zum Saal verweigerte. Die alte Garde nominierte Familienangehörige, um ambitionierte Kämpfer jüngeren Jahrgangs fern zu halten. Weil man sich auf das Programm nicht einigen konnte, soll die Versammlung über das Wochenende hinaus fortgesetzt werden. Die Wahlen für das ZK und die Vollversammlung stehen noch aus. Hunderte reißen sich um ein paar Dutzend freie Sitze. „Erneuerung oder Untergang“ lautet das drohende Motto dieser Revolutionsbewegung, die sich längst überlebt hat. Immerhin einigten sich die Delegierten per Akklamation auf einen Punkt: Israel habe den Tod Arafats verantwortet. Vor dem Parteitag hatte Farouk Kaddoumi behauptet, dass Abbas den Arafat vergiftet habe. Israel reagierte empört: „Wer sich Verschwörungstheorien hingibt, wird niemals auf dem Boden der Wirklichkeit ankommen und einen Staat errichten.“


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